Raúl Aguayo-Krauthausen's Blog, page 7
September 23, 2019
Kellerkinder e.V.
Der gemeinnützige Berliner Verein Kellerkinder e.V. setzt sich dafür ein, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung auch in die Realität umgesetzt werden. Die Mitglieder engagieren sich also gegen Diskriminierung und für Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung. Diese Aufgaben realisieren sie z.B. durch vielfältige Aufklärungs-, Unterstützungs- und Beratungsangebote. Sie unterstützen Menschen unabhängig ihrer Form von Behinderung individuell, als auch darüber hinaus als Interessensvertretung auf politischer Ebene. Im wöchentlich stattfindenden “Nachtcafé” wird mit Mitgliedern und Interessierten u.a. über Inhalte von Projekten diskutiert und Peer-Support geboten. Weitere Informationen gibt es unter seeletrifftwelt.de.
Alleine wohnen
Ich werde im nächsten Jahr in 2020 von zu Hause ausziehen und werde mit meiner Freundin, die auch das Down Syndrom hat und mit zwei Studentinnen zusammenziehen. Und das ist für mich ein inklusives Wohnen.
Und es soll so aussehen, dass wir da in der Wohnung gut zu Recht kommen. Und die Wohnung soll auch groß genug sein, dass da eine Küche und ein Badezimmer reinpasst und da auch Betten reinpassen. Dann teilen wir uns auf welches Zimmer wir haben und welche Jobs im Haushalt wir haben.
Wir haben uns auch schon eine Wohnung zusammen mit meiner Freundin angeschaut, wo wir zusammen mit Studentinnen wohnen werden. Und ich will auch in ein Zimmer reinziehen, wo ich auch meine Privatsphäre haben möchte. Und wenn mein Freund zu mir kommt, hätte ich gerne meine Ruhe.
Und wo wir noch Unterstützung und Hilfe brauchen ist mit den Tabletten auffüllen oder auch zum Arzt gehen. Beim Kochen brauchen wir auch noch Hilfe und wenn wir unterwegs sind und mit dem Zug fahren und es eine neue Strecke ist. Die Studentinnen tun uns dann assistieren.
Das persönliche Budget ist, wenn man andere Leute bezahlt, die uns auch helfen. Wie beim Kochen. Und dass sie uns auch beim Haushalt helfen und das geht so, dass man sich eine Person aussucht, dass die auch uns unterstützt.
Und ich will auch von selber in meinem Leben alleine bestimmen. Und es auch so machen, wenn ich mal unterwegs bin, dass ich das von selber schaffen kann, wieviel ich brauche und was ich nicht brauche. Und ich will es auch so machen, dass ich mich auch so versorgen kann, dass ich es alleine hinkriege.
Und ich will mein Zimmer auch so haben, dass es auch cool aussieht und ich hätte gerne Posters von Kaya Yanar an meine Wand aufhängen und es soll auch so hängen das es auch über mein Bett hängt. Und auch Posters von den Brings, Querbeat, auch von Michi und Smudo von den Fanta4.
Und ich will auch das wir zusammen als Wohngemeinschaft Karneval feiern, weil der Karneval für mich Kultur hat und deswegen mag ich auch die Musik und weil ich auch ein großer Fan von den Brings bin. Und es ist auch cool, wenn wir zusammen als unsere Wohngemeinschaft aus gehen, auch mal ein Bierchen trinken zusammen.
Und ich will auch an meinen Geburtstag den 5. Dezember eine Party machen und zusammen ein großes Partyessen machen und ich hätte gerne auch ein Kuchen. Und wenn meine Mutter auch vorbeikommt, dann kriegt sie auch ein Stück von meinem Kuchen.
Und ich will auch das wir auch zusammen ein großes Essen machen, wenn wir Weihnachten haben und auch zusammen feiern. Und ich will auch das wir zusammen Silvester zusammen feiern und auch Raclette machen und auch zusammen knallen ballern um 0 Uhr.
Ich freue mich, wenn ich ausziehe. Dann kann ich mehr Sachen alleine machen und auch von selber bestimmen. Für mich ist das gut.
September 19, 2019
Stell dir vor… all das Geld…käme direkt bei den Betroffenen an…

Ein Großteil der internationalen Investitionen in Gender-Gerechtigkeit erreicht die wichtigsten Adressat*innen nicht. Ich frage mich, wie sieht das wohl für unsere Bewegung zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung aus?
Dass mehr über als mit Menschen geredet wird, ist als menschliches Phänomen bekannt. Besonders ausgeprägt ist diese Eigenschaft, wenn Angehörige einer großen Gruppe mit Leuten einer kleinen Gruppe zu tun haben: Da können viele guten Absichten im Spiel sein, aber im Zweifel meinen die Vertreter der großen Gruppe selber zu wissen, was am besten für die anderen ist. So wird nicht viel aus den guten Absichten.
Diese Gedanken kamen kürzlich erneut bei mir auf, als ich den „Guardian“ las und eine bittere Erkenntnis hatte: Only 1% of gender equality funding is going to women’s organisations – why?, titelte der Artikel. Allein in den vergangenen zwei Jahren, bilanzieren die Autor*innen, haben Regierungen und internationale Institutionen angekündigt zu den bisherigen Aufwendungen für Gender-Gerechtigkeit noch einmal eine Milliarde Dollar draufzulegen. Das ist viel. Doch anscheinend kommt das Geld kaum dort an, wo es am effektivsten wirken würde: nämlich direkt bei den Frauenorganisationen im globalen Süden. Dabei ist es längst Konsens, dass diese Initiativen starke Motoren für Gender-Gerechtigkeit sind. Die großen Summen aber fließen zu Organisationen, die in den Geberländern sitzen. Die Begründungen, warum nicht direkt investiert wird, wiederholen sich: Diese Gruppen würden nicht die Verwaltungskriterien der Geber erfüllen, seien zu klein und hätten unterentwickelte Evaluierungssysteme. Deshalb kommt von diesen Geldern am Ende nur ein Prozent bei den Frauenorganisationen an. Dabei brauchen gerade sie unbedingt viele, agile und langfristige Ressourcen für ihre wertvolle Arbeit. Wahrscheinlich würden sie erst mit solchen Ressourcen die aufgeführten Bedingungen erfüllen können. Vor Ort investiertes Geld transformiert etwas, es bleibt keine bloße Transaktion. Wenn sich Geber darauf einlassen ihre Kriterien zu überdenken, müssen sie zwangsläufig auch ihre eigenen Strukturen kritisch auf Gendergerechtigkeit und auch Rassismus hin überprüfen – so entstünde ein zweiseitiger, transformierender Ansatz.
Was passiert, wenn ich das, vom Guardian angesprochene, Phänomen auf die Inklusion von Menschen mit Behinderung übertrage? Auch da gibt es eine Menge Geld für große Ankündigungen, fette Kampagnen, tolle Poster. Es gibt bei diversen Sozialdiensten- und -Verbänden, die dieses Geld bekommen, einen unbescheidenen Verwaltungsapparat. Und die Finanzierung der Einrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung ist für sich schon ein Koloss. Es gibt Organisationen, die Kindergärten, Schulen, Wohneinrichtungen und Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderung bereit halten. All diese Institutionen bekommen viel Geld, doch in die Selbstbestimmung oder gar Selbstermächtigung der Betroffenen selber fließt davon wenig. Das System ist schwierig und komplex, doch es beschleicht mich das starke Gefühl, dass es mit den Geldern für die Inklusion genauso schlecht steht, wie für die Herstellung der Gendergerechtigkeit.
Was ließe sich alles damit anfangen, wenn von diesen Geldern viel mehr direkt bei jenen ankäme, die sich ohne Umwege für die Belange von Menschen mit Behinderung einsetzen und selbst welche sind? Wie viele Rampen und Fahrstühle ließen sich damit bauen, wie viele Quadratkilometer Deutschlands für Leute neu erschließen? Wie viel ambulantes und damit unabhängiges Wohnen wäre möglich? Wie viele Jobs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würden entstehen, damit wir endlich gemeinsam und Hand in Hand zu schaffen – und nicht isoliert voneinander? Wie viele Gebärdensprachdolmetscher*innen oder Taubblinden-Assistentinnen könnte man dafür engagieren? Wie viele Texte in Leichte Sprache übersetzen? All diese Dinge hätten direkte Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung und würden inklusive Lebensbedingungen für alle schaffen.
Doch was tun?
Vor allem Menschen mit Behinderung wissen, wovon sie reden, was sie brauchen und wo das jetzige System hakt. Das ist wichtig, wenn entschieden werden soll, wie und wo das Geld am effektivsten genutzt werden kann. Es ist Zeit, den in vielen Jahren in feste Bahnen gelenkten Geldfluss zu überdenken und neue Ufer anzustreben. Es ließe sich viel mehr mit dem Geld anfangen, wenn man es direkt von den Betroffenen selber verwalten ließe. Lasst uns immer mehr die Frage stellen, wer eigentlich wofür Geld bekommt.
Bei der Vergabe von Geldern für die Inklusion muss es um Selbstermächtigung gehen. Darum, das auszuleben, was den Menschen ausmacht: Freiheit des Willens und seine Umsetzung. Das klingt abstrakt, wird aber im Alltag konkret. Die Unsummen in der Arbeit mit Behinderung sollten darum dorthin fließen, wo das konkret auch ermöglicht wird. Das heisst:
Politische Lobbyarbeit von Betroffenen direkt fördern und finanzieren.EUTB-Strukturen ausbauen und zu politische Interessensvertretungen lokal und bundesweit entwickeln.Empowerment-Strukturen für betroffene Menschen schaffen, die bisher als “nicht in der Lage sich selbst zu vertreten” betitelt werden.Strukturen schaffen, die es behinderten Menschen einfacher machen ihre Rechte wirksam durchzusetzen. Sei es gegenüber Krankenkassen, Behörden oder Unternehmen.Strukturen schaffen, die kurzfristige Dolmetschungen in Leichte Sprache oder Gebärdensprache für Betroffene finanzieren.Ausschreibungen und Genehmigungen an Barrierefreiheit koppeln.Nur barrierefreie Taxis und ÖPNVs fördern und genehmigen.Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichtenEinmal hergestellte Barrierefreiheit (z.B. funktionierende Aufzüge) nachhaltig sicherstellen
Damit wäre die Welt längst nicht perfekt. Es wäre aber ein Anfang und ein sinnvollerer Umgang mit all dem Geld.
September 16, 2019
Newsletter: #AlleFürsKlima; Spahn-Gesetz: Schlecht gemacht; Selbstverteidigung im Rollstuhl; An zu wenigen deutschen Schulen wird Gebärdensprache unterrichtet
Auch heute gibt es wieder von mir handgepflückte Links aus aller Welt zu den Themen Inklusion und Innovation in meinem Newsletter.
inclutainment-media.de
Wer den Namen des Vereins näher betrachtet, stellt fest, dass er sich aus den Worten Inklusion und Entertainment zusammensetzt. Und genau das, inklusives Entertainment, beschreibt die Zielsetzung des Vereins. Berichte über Menschen mit Behinderung, die Mitleid generieren oder die Menschen als Inspirationsobjekte darstellen, sollen mit der Initiative des Vereins endlich der Vergangenheit angehören. Information und Unterhaltung aus einer inklusiven Perspektive heraus auf einer Plattform zur Verfügung zu stellen, hat sich der Verein inclutainment-media.de zur Aufgabe gemacht.
Der blinde Fleck: Ich sehe nicht, was Du grad siehst
Fast alles hat Vor- und Nachteile. In begrenztem Maß gilt das auch für die eine oder andere Behinderung.
Blindheit beispielsweise kann manchmal auch ein Vorteil sein. Das Aussehen einer Person spielt für Blinde keine Rolle. Sie legen mehr Wert auf die Stimme oder das Verhalten von Menschen.
Erst nach längerer Zeit bekam ich mit, dass meine neue Bekannte eine dunkle Hautfarbe hat. Da sie in Marburg geboren wurde, hatte ich vorher nichts Besonderes an ihr bemerkt. Blindheit kann also schützen vor Vorurteilen.
Vieles Hässliche müssen Blinde nicht mit ansehen. Vieles Schöne entgeht ihnen allerdings auch. Manchmal „sehen“ sie mit den Fingern oder der Nase und lassen sich Bilder von anderen Menschen beschreiben.
Mitunter bietet Blindheit Anknüpfungspunkte für ein Gespräch. Manchmal bekomme ich als Blinder aber gar nicht mit, wer mir gerade begegnet oder sich im Raum aufhält. Dann entgeht mir durch meine Behinderung die Chance auf einen möglicherweise sehr erwünschten Kontakt.
Allerdings mache ich mir mittlerweile auch ein Bild von meinen Mitmenschen anhand ihres Verhaltens mir gegenüber. Wer wort- und grußlos an mir vorübergeht, den nehme ich nicht so wichtig wie jemanden, der mir selbst dann kurz „Guten Tag“ sagt, wenn er in Eile ist.
„Blindheit ist ein bedauernswürdiger Zustand, aber eine unverzeihliche Haltung“, schrieb der blinde Schriftsteller Bernd Kebelmann. Die „Blindheit“ im übertragenen Sinn hätte jedoch einen anderen Namen verdient, weil sie meist aus einer ignoranten Haltung heraus entsteht. Das Wort „Dummheit“ wäre wohl richtiger dafür.
Auch „blinde Wut“ oder „blinder Hass“ haben weniger mit einer Sehbeeinträchtigung zu tun als mit geistiger Verblendung. Als Blinder lebe ich aber ganz entspannt damit, dass manche „Blindheit“ im übertragenen Sinn absolut nichts zu tun hat mit meiner Behinderung.
„Liebe macht blind“, behauptet der Volksmund. Nur 2 Promille der Menschen in Deutschland sind blind. Gibt es also zuwenig Liebe in Deutschland?
Mein Lieblingssatz dazu ist die Aussage des Fuchses in Antoine de Saint Èxupérys Kunstmärchen „Der kleine Prinz“. Leider wurde sie selbst in der neuesten Fassung nicht korrekt ins Deutsche übertragen. Meine persönliche Übersetzung dieses Kernsatzes lautet: „Man sieht gar nichts, wenn man nicht mit dem Herzen sieht!“
September 9, 2019
Newsletter: Neue Wheelmap-App; „Projekt Elevate“ für Nachhaltigkeitspreis nominiert; Jerks: Klischees über Behinderte witzig?; Bezahlung in Behindertenwerkstät
Auch heute gibt es wieder von mir handgepflückte Links aus aller Welt zu den Themen Inklusion und Innovation in meinem Newsletter.
Warum Inklusion uns alle angeht
Als Raul mich gefragt hat, ob ich eine Kolumne für seinen
Newsletter schreiben würde, habe ich direkt ja gesagt. Doch dann wurde ich die
zweifelnden Gedanken nicht mehr los, welches Recht ich überhaupt habe, mich
hier zu äußern. Klar, beschäftige ich mich seit einiger Zeit im Rahmen meines
Podcasts „Du bist wunderbar“ mit der Vielfalt der Menschen und somit
auch mit Inklusion, habe selbst aber keine Behinderung und arbeite auch nicht
im sozialen Bereich. Zum Glück beruhigte ich mich schnell wieder und machte
eben diese Thematik zu meiner Kolumne: Warum Inklusion uns alle was angeht.
Ich erwähnte gerade, dass ich keine Behinderung im
klassischen Sinn habe, aber ich kann mir dennoch annähernd vorstellen, welche
Erfahrungen viele Menschen dann erleben, weil ich mit einer lateralen
Gesichtsspalte geboren wurde. Dank der modernen Medizin wurde das aber sehr gut
operiert, sodass ich mittlerweile keine Einschränkungen mehr habe. Je nachdem
wen man fragt, sieht man mir das überhaupt nicht an oder es ist schon von Weitem
erkennbar. Wahrscheinlich ist es irgendwas dazwischen, auch abhängig von der
Fixierung der jeweiligen Person auf Äußerlichkeiten und was für Besonderheiten
sie schon gesehen hat.
Früher habe ich darunter sehr gelitten – gar nicht
unbedingt, weil mir viele denkwürdige Ereignisse passiert wären, sondern eher
wegen meiner Einstellung mir gegenüber. Doch woran liegt das? Es wird ja
niemand geboren in dem Bewusstsein anders zu sein, es sind die vielen Momente,
in denen unsere Gesellschaft sich nicht in seiner vollen Vielfalt zeigt und
einem so vorgaukelt, dass man aussehen und handeln müsste, wie die Models in
der Werbung. Überall um uns herum wird ein Idealbild dargestellt, meist unter
der Annahme, es gäbe die eine richtige Art zu sein. So sagt man Kindern bereits
im jungen Alter, dass sie so hübsch aussehen in dem Kleid mit den geflochtenen
Zöpfen, man erklärt Outfits für wenig schmeichelhaft und rät etwas
Kaschierenderes anzuziehen und auch bezüglich des Verhaltens der Menschen gibt
es genaue Vorstellungen, insbesondere in der Öffentlichkeit. Weicht man in
irgendeinem Punkt von diesem Idealbild ab, ist man einfach nicht vertreten in
den Medien, in Filmen, in Büchern und schlussfolgert daraus, dass dies einen
Grund hat und man sich lieber verstecken sollte. Ich schätze mal, so geht es
Menschen mit Behinderung ebenfalls. In meinem Podcast habe ich mal so lapidar
gesagt, dass ich mich auf den Tag freue, wenn in einer stinknormalen
Shampoowerbung beispielsweise ein Rollstuhlfahrer auftaucht, ohne das es anschließend
thematisiert wird und besonders lobend hervorgehoben wird.
Bis wir an diesem Punkt sind, muss wohl noch eine Menge
geschehen und genau da kommt jeder einzelne von uns ins Spiel. Viele von uns
haben mehr Einfluss auf diese Entwicklung, als sie denken. Bei einer
Veranstaltung kann man auf ein buntgemischtes Publikum sowie Redner achten. Wer
eine Werbekampagne, Film oder Serie dreht, hat die Möglichkeit sich eine
vielfältige Besetzung zu suchen. Ich plane beispielsweise einige Kinderbücher,
in denen ich darauf achte. Jetzt werden vielleicht manche einwenden, dass der
Personenkreis sicherlich überschaubar ist, der diese Möglichkeiten hat. Aber
auch im normalen Alltag gibt es so viele Einflussfaktoren. Mehr Rücksicht zu
nehmen und sich ganz bewusst mit anderen Sichtweisen, Leben und Problemen
auseinanderzusetzen, die Leute anzusprechen. Denn häufig traut man sich aus
Angst, sich falsch auszudrücken nicht und schließt die Menschen so ganz aus, um
ihnen nicht auf den Schlips zu treten. In meinem Podcast habe ich auch schon
falsche Sachen gesagt, aber wurde dann korrigiert und weiß es nun besser. Ganz
einfach. Außerdem sollten wir gänzlich aufzuhören, Leute nach ihrem Aussehen
oder ersten Eindruck zu bewerten sowie zu lästern und wenn man seine Denkweisen
nicht ändern kann, wenigstens nicht darüber zu reden. Zudem kann man
widersprechen und protestieren, wenn man ein solches Verhalten bei anderen
mitbekommt.
Mit diesem Beitrag möchte ich nicht kleinreden, was da auf
viel höherer Ebene wie der Politik noch zu tun ist, aber dazu aufrufen, sich
nicht dahinter zu verstecken, weil man selbst ja keinen Einfluss habe. Jeder
von uns kann etwas verändern. Vielfalt zu leben geht uns alle an.
Hilfeleistung als Service
Für eine Zugfahrt mit der Deutschen Bahn Hilfeleistungen des Mobilitätsservice zu beantragen ist mühselig und dauert entsprechend seine Zeit. Wer sich diese Mühe ersparen will, kann hilfeleistung-als-service.de nutzen. Das Portal erleichtert diesen Prozess: einfach das zuvor erworbene Zugticket hochladen, Angaben prüfen und bestätigen – der Rest wird automatisch erledigt. Der Status des Antrags lässt sich im Portal verfolgen. Zur Nutzung ist eine Registrierung notwendig.
September 4, 2019
Wenn Technik nicht hilft
Der Markt für individualisierte Technikhilfen wächst. Aber dieser Kram ist oft sinnlos – und versperrt den Blick auf das wahre Problem der mangelnden Zugänglichkeit
Ich gestehe, ich bin ein Technik-Freak. Mir gefallen Tüfteleien und Spielereien allgemein – und manches erleichtert Menschen mit Behinderung auch immer mehr den Alltag. Doch es gibt natürlich zwei Seiten einer Medaille, und die unschöne von beiden zeigt eine Menge Unsinn, der Menschen mit Behinderung nur Sinn vorgaukelt, in Wirklichkeit aber neue Hürden aufbaut. Oder, wie E.G. Smith in seinem Beitrag die Designstrategin Liz Jackson zitiert: „Eine elegante Lösung aus guter Absicht heraus, aber für ein Problem, von dem wir bisher nicht wussten, dass wir es haben.“
Smith zählt eine Menge aktuellen Humbugs auf. Da ist ein stufensteigender Rollstuhl, tragbare GPS-Einheiten für Blinde oder zeichnende Handschuhe zum Verstehen von Gebärdensprache. Klingt erstmal toll. Ist es aber nicht immer. Diese Rollstühle sind teuer, also nur für eine kleine Minderheit, und unsicher. Blinde benutzen eh schon ihre Smartphones bestens zur Orientierung, und diese Handschuhe übersetzen eher aus dem Elbischen denn die Gebärdensprache – warum also nicht gleich bei Interesse sie lernen?
Die stufensteigenden Rollstühle aber sind ein echtes Symbol für ungefragte Leckerlis, die ein Problem sogar verschärfen. Denn dies ist die fehlende Zugänglichkeit vieler Orte. Die Vertreter dieser Rollstühle, halt ohne Behinderung, delegieren aber dieses Problem an jene, die es auszubaden haben: nicht der Ort soll sich ändern, sondern ich mich. Ich komm da nicht rein? Selbst schuld, hol dir doch den stufensteigenden Rollstuhl. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Von Zugänglichkeit profitieren alle, wie zum Beispiel Reisende mit Rollkoffer. Eine Rampe gleich mit zu planen oder anzubauen ist stets die einfachste, kostengünstigste und gerechteste Lösung. Dieser Stufensteigkram dagegen ist absurd.
All diese Technikverliebtheit offenbart eine komische Sicht auf Behinderung. Warum, schreibt Smith, haben alle Angst vorm großen, bösen Rollstuhl? Behinderung ist keine persönliche Tragödie, die durch individualisierte Technik weggezaubert wird. Sie ist da. Man geht mit ihr um und schafft Lösungen, Sprichwort Rampe und Smartphone. Doch wie Technik-Gadgets hereingeschneit kommen, erzählen sie einfach nur, dass der technische Fortschritt sich ganz allgemein rascher vollzieht als der menschliche. Wir hinken mental hinterher. Und verpacken Behinderung in angeblich netten Schmuckstücken. Dies entlastet die Mehrheit der Nichtbehinderten nach Lösungen für alle zu suchen und vor allem das Recht auf Zugänglichkeit für alle einzulösen.
Woran liegt diese Trägheit, und diese Flucht zum Technikkram? Vielleicht hat es mit einem überkommenen Blick zu tun, den Andrew Pulrang herrlich mit einem „Warum ich heute optimistisch bei Kindern mit Behinderung bin“ betitelten Beitrag beiseiteschiebt. Er bilanziert, was sich alles geändert hat: Das, was man früher mit „besonderen Bedürfnisse“ verballhornte, ist heute ziemlich allgemein geworden; es gibt in Deutschland Millionen Menschen mit Behinderung, sie wegzuschließen ist nicht mehr die allerneuste Mode in der Politik. Es sei normal geworden, schreibt Pulrang, dass wir einen freien und gleichen Platz in der Gesellschaft erwarten.
Die Art einer Behinderung definiert eben nicht mehr das Potenzial eines unabhängigen und glücklichen Lebens. Pulrang zitiert eine Pionierin der Bewegung, Judy Heumann: „Unabhängig leben bedeutet nicht, die Dinge selbst zu tun, sondern zu kontrollieren, dass die Dinge getan werden.“ Mit den richtigen Instrumenten und der richtigen Unterstützung gibt es ein ordentliches Maß an Unabhängigkeit – es kommt auf die einzelne Einstellung und die der Gesellschaft an. Der Drang, Menschen mit Behinderung zu „beschützen“, bildet sich zurück. Vieles wird selbstverständlicher. Setzen wir uns also an die Umsetzung von Rechten und nicht ans Basteln von sinnlosen Technikgadgets.


