Raúl Aguayo-Krauthausen's Blog, page 4
December 2, 2019
Newsletter: Gaelynn Lea in Berlin; Diskriminierungen durch TikTok, Parteien und Gesellschaft; „Kannst du Sex haben?“; Der Inklusionskongress geht in die 2. Runde
Auch heute gibt es wieder von mir handgepflückte Links aus aller Welt zu den Themen Inklusion und Innovation in meinem Newsletter.
Inklusion, ja! Studieren mit Behinderung, nein!
In jungen Jahren chronisch krank zu
sein und mit einer Behinderung zu leben, führt zu vielen schwierigen
Situationen. Für mich war der Verlust meines Jobs und der Weg zur Frührente ein
harter Schlag. Plötzlich ist man als 24-jährige abhängig von einem System, das
nicht besonders viel Verständnis für Menschen mit Behinderungen hat – vor allem
wenn diese auf den ersten Blick völlig gesund aussehen.
Lange fühlte ich mich verloren und
wusste nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen sollte. Ich wollte Teil
der Gesellschaft sein, aber passte nirgends mehr hinein, denn bei all den Gesprächen
rund um Job, Familie und Kinder konnte ich nicht mehr mitreden. Irgendwann
entschied ich mich dazu, mich über Studiengänge
zu informieren. Ich dachte, eine höhere Qualifikation könnte mir in der Zukunft
ermöglichen wieder unabhängiger zu leben. Außerdem wollte ich das klein wenig tägliche
Energie für etwas nutzen, das mir sinnvoll erschien.
Über sechs Monate lang suchte ich
nach Studiengängen im Bereich Journalismus, die ich mit meinen Einschränkungen
bewältigen konnte. Die Voraussetzungen des Studienganges: Teilzeit, Fernstudium
und finanziell erschwinglich muss es sein. Täglich kontaktierte ich Universitäten
in den deutschsprachigen Ländern, die solche Kurse anboten – ohne Erfolg.
Eine Universität setzte zum Beispiel
trotz Fernstudiengang wochenlange Präsenzzeiten voraus. Aufgrund meiner
Erkrankung schaffe ich es kaum drei Stunden aufrecht zu sitzen, geschweige denn
mehrere Wochen, weshalb ich fragte, ob es irgendeine Ausnahme von diesen Zeiten
gäbe. Ich wollte ja keine Vorteile gegenüber anderen Studenten, nur eine
gleiche Chance. Ich würde jede Art von Lernstoff zuhause nachholen,
argumentierte ich.
Ich bettelte um alternative Lösungen,
die mit meinen Einschränkungen vereinbar wären, zum Beispiel zusätzliche Prüfungen,
die beweisen könnten, dass ich genauso geeignet war oder Skype-Konferenzen, die
mir ermöglichen würden aus der Ferne am Unterricht teilzunehmen. Die Antwort
fiel immer gleich aus: Nein, eine Ausnahme könne man für niemanden machen,
sonst müsste man ja die Ansprüche eines jeden Studenten erfüllen. Nur mit dem
Unterschied, dass meine ”Ansprüche” für mich keine Wahl sind, sondern eine Notwendigkeit.
Ich würde gerne am Campus oder gar in Vollzeit studieren, schaffe es aber
nicht. Ich kann diese Dinge nicht, weil ich ganz ungeplant und plötzlich
chronisch krank wurde, was übrigens wirklich jedem passieren kann.
Meine krankheitsbedingte Behinderung
ist für mich vor allem deshalb oft schwierig zu akzeptieren, weil mir so viele
Chancen dadurch entgehen. Was dabei hauptsächlich behindert, sind nicht meine
Einschränkungen, sondern die fehlende Flexibilität im deutschen System. In
vielen Bereichen ist Inklusion nur dann gegeben, wenn das nicht bedeutet, dass
man sich zu sehr verbiegen muss, zu viele Umstände hat oder gar Einzellösungen
finden soll.
Ich hatte Glück. Als ich nach unzähligen
weiteren Absagen die Suche fast schon aufgeben wollte, stieß ich auf die
Universität, die mein Leben grundlegend verändern würde. Im Januar 2018 wurde
ich in einen zeitlich flexiblen Fernstudiengang in Schottland aufgenommen und
werde nächstes Jahr meinen Master verliehen bekommen.
Es gibt so viele Menschen mit
Behinderungen und chronischen Krankheiten, die immenses Potential haben, es
aber nie ausschöpfen können, weil ihnen der Weg versperrt wird. Selbst wenn
Menschen mit Behinderungen nicht aktiv ausgeschlossen werden, stellt man sie
doch vor so viele Hürden, dass Studieren für viele ein nicht zu erreichender
Traum bleibt. Und das obwohl wir alle genauso ein Recht auf Ausbildung haben,
wie unsere nicht behinderten Mitmenschen.
Für mich war mein Studium viel mehr
als nur eine höhere Qualifikation. Nach Jahren der Isolation bin ich heute
wieder ein aktives Mitglied der Gesellschaft. Meine Arbeit als Journalistin lässt
mich Teil einer Welt sein, die nicht ausschließlich mit dem zu tun hat, was ich
nicht kann. Ganz im Gegenteil, heute schätzen meine Kollegen meine Perspektive,
die ich nur habe, weil ich krank und behindert bin. Und diesen Respekt von
unterschiedlichen Erfahrungen, die alle gleichermaßen wertvoll sind; dieses Gefühl
dazuzugehören und nicht als Randgruppe nur zusehen zu müssen, das haben doch
alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, verdient!
Pill in trip
Wer im Ausland Medikamente kaufen muss, ist in der Regel sprachlichen Barrieren ausgesetzt. Aufgrund dieser ist es oftmals ungewiss, ob die Zusammensetzung der Medikamente äquivalent zu der der bekannten Medikamente ist. Um entstehende Risiken zu eliminieren, kann ein Besuch der Website pillintrip.com helfen. Sie sucht das Äquivalent im entsprechenden Reiseland und vergleicht in einer Übersicht die Inhaltsstoffe.
Raul Krauthausen meets Gaelynn Lea in Berlin
Am 18. September 2019 traf ich mich mit der US-amerikanischen Sängerin, Violinistin und Rednerin Gaelynn Lea. Wir tauschten uns zu allen möglichen Themen rund um Barrierefreiheit und Inklusion, vor allem im Kulturbereich, aus und verglichen die Situation in den USA und Deutschland. Im Video seht ihr einen Teil des Interviews und einen kleinen Ausschnitt ihres Konzerts in Berlin.
Mein aktueller Lieblings-Song von ihr:
November 25, 2019
Datenbank Inklusion im Sport
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat in Kooperation mit den Behindertensportverbänden eine Datenbank zur Thematik “Inklusion im und durch Sport” erstellt. Diese wird fortlaufend von den Verbänden und Mitgliedsorganisationen des DOSB auf den neuesten Stand gebracht. Aus- und Weiterbildungen, Materialien, Berichte über Aktivitäten und Angebote, Kontaktdaten von Ansprechpartner*innen und auch Best-Practice-Beispiele lassen sich u.a. in der Datenbank finden. Außerdem bietet diese eine Plattform zur Netzwerkarbeit und gegenseitigen Unterstützung bei der Umsetzung von Inklusion im Sport in Deutschland.
Deine Schönheit
So bin ich klein, ja. Aber doch bestehe ich aus den gleichen Teilen wie die anderen auch. Wenn Du nur nah genug dran bist, wirst Du es merken. Nah genug dran, bin ich auch im Detail gar nicht so unterschiedlich. Dann siehst Du Haut und Muskeln und Glieder und Haare. Vor allem siehst Du ein Gesicht. Ich trage es wie eine Kleidung. Es macht mich genau in dem Grad einzigartig, in dem ich es sein darf. Denn über diesen hinaus, da bin ich komisch und gar eigenartig. Von weitem und in der Relation zu den Anderen, da ist es das Gesicht was mich in der Menge noch vergleichbar macht, mit dem ich aussehen kann wie der Rest. In bekannten Maßstäben, kannst Du mich dann für dich ganz persönlich, befinden, schön und hässlich finden. Hals abwärts, da wird es dann anders, die Größenrelationen verliere ich da vor allem. Die Arme zu lang für den kleinen Körper, auf dem ein etwas zu großer Kopf sitzt. Zu kurz diese Beine an ihm, aber wieder zu lang sind die Unterschenkel im Vergleich zu den Oberen. So kann man mich komisch finden ja. Nur die Schönheit liegt doch ganz im Auge des Betrachters, oder nicht? Wenn die meisten der Betrachter im Betrachten sehr gleich sind, dann kann dieses Sprichwort frustrieren. Nur gut, dass Schönheit von sich aus schon, so viele Gesichter hat. Da bin ich gerne schön von innen und von außen, für Dich, Dich und Dich.
Die Schönheit von innen, die kann auch jeder und jeder lernen. Die
von außen, braucht das Talent, das bekommst Du nur mit geboren, oder nicht.
Wahrscheinlich aber ist dann doch viel mehr schön, als die meisten denken zu
sehen. Schau genau hin. Vor allem das Gesicht ist…ja wie so alles auf der
Welt, nicht nur einfach zu betrachten. Nimm Dir Zeit, sieh genau hin und
verstehe die Schönheit in so viel mehr Gesichtern als bisher. Dann sind viele
Menschen schön und nur wenige, nicht hässlich, sondern… es einfach nicht.
Die Schönheit von innen, die kann man wirklich lernen. So kannst Du
ganz echt strahlen, mit welchem Gesicht und mit welchem Körper auch immer. Du
kannst von Dir selbst heraus, besser als alle anderen wissen, schön zu sein.
Wer bin ich denn, über deine Schönheit zu richten. Du selbst, Du kannst das
ganz am besten. Ich hab nur meine Augen, bevor ich Dich so richtig kenne. Aber
deine Seele, ja die kennst Du ziemlich gut und mit der kannst Du so wunderschön
lachen, dafür bräuchtest Du nicht einmal Zähne. Du machst das einfach nur mit
deinem Glück, das leuchtet. Das kann man lernen, ein Leben lang. Die ich
kannte, die konnten es sogar von Anfang an.
Jetzt gibts also die Schönheit, die von innen, die von
außen. Das eine kann man gut lernen, das andere nicht. Aber es gibt ja auch
nicht nur die einen oder die anderen. Manche haben sogar beides. Ich kann es
dann manchmal nicht glauben, wenn ich so jemandem begegne. “Wie kann so etwas
schönes, zusammen mit so etwas genau so schönem, kommen?
Zusammen kommen zu einem Menschen.” Sind dann meine Gedanken und
dabei falle ich eigentlich schon aus allen Wolken. Dann ist das schon sehr
perfekt. Ich habe dann sozusagen schon alles gefunden was ich suchte. Auf einen
Schlag. Dann bleibt eben nur noch eins, nach dem ich mir deiner Schönheit in
aller möglichen Gänze sicher bin. Noch eine offene Frage ist mir dann, das
vielleicht schmerzhafteste Rätsel. So schön wie ich Dich find, findest Du denn
auch mich?
November 21, 2019
Behinderung als Abschreckung

Personen auf Warnschildern – das bedeutet oft nichts Gutes. Zwei misslungene Kampagnen demonstrieren, wie Klischees auf dem Rücken von Menschen mit Behinderung transportiert werden.
Eine Behinderung zu haben, ist ein schweres Schicksal, welches Betroffene leiden lässt. So zumindest ein weit verbreitetes Vorurteil in unserer Gesellschaft, welches durch Medien und Kampagnen immer wieder Verbreitung findet.
Dabei entspricht das nur selten der Realität. Ein Leben mit einer Behinderung ist für viele Menschen nicht groß anders als für andere auch. Es hat seine Höhen und Tiefen, und zwischendurch regt man sich über die Nickeligkeiten des Alltags auf. Gerade die sind es für Menschen mit Behinderungen allerdings, die tatsächlich zur sprichwörtlichen Behinderung werden: kaputte Aufzüge, fehlende Untertitel oder diskriminierendes Verhalten.
Das Verhalten der Gesellschaft gegenüber Menschen, die vermeintlich allzeit Leid ertragen müssen oder aufgrund von Behinderungen in ihrem Wesen oder ihren Handlungen eingeschränkt sind, ist das wahre Problem – nicht die Behinderung selbst.
Mitleid, fehlende Vorstellungskraft von den Fähigkeiten behinderter Menschen oder soziale Isolation, weil Behinderte ja “dauerdepressiv” und “Spaßbremsen” sein müssen, das sind nur einige der wenigen, aber schwerwiegenden Folgen von Vorurteilen über Menschen mit Behinderungen. Nachgedacht wird allzu gern darüber, was die ganz bestimmt nicht können.
Deshalb ist es bedeutsam, wie Behinderungen in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Schließlich schrieb der Soziologe Niklas Luhmann schon 1996:
Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. […] Insgesamt aber dürfte der Beitrag aller massenmedialer Kommunikation eher darin liegen Voraussetzungen für weitere Kommunikation zu schaffen, die nicht eigens mitkommuniziert werden müssen.
So gesehen, haben sich in diesen Tagen gleich zwei staatliche Stellen zum Transport von Botschaften entschlossen, die ein falsches Bild weiter verfestigen.
Das erste Beispiel spielt in Österreich: Das staatseigene Bahnunternehmen warnte vor den Gefahren an Bahngleisen mit dem Bild eines Rollstuhlfahrers mit der Beschriftung: “Lass dich nicht aufhalten – außer von Bahnschranken”. Dass der abgebildete junge Mann gar kein echter Rollstuhlfahrer war, sondern ein Model (Stichwort: disability faking), sei hier nur am Rande bemerkt.

Viel dramatischer aber sind die Botschaften und impliziten Vorurteile, gegen die behinderte Menschen stets ankämpfen müssen und in diesem Bild zum Vorschein treten:
Für das Vorhandensein von Menschen mit Behinderungen gibt es Verantwortliche.
Du hast eine Behinderung? Durch einen selbstverschuldeten Unfall? Warum sollen wir als Gesellschaft uns also ändern? Du bist doch selber schuld!Eine Behinderung zu haben ist schlecht.
Seht her, welch’ schlimmes Leid euch ereilen kann! Eine Behinderung schreckt ab, ist leidvoll und bedauernswert. Erst ließ er sich nicht durch eine Bahnschranke aufhalten, und nun hält ihn seine Behinderung von den Sehnsüchten des Lebens ab.
Es ist nicht hilfreich, wenn staatliche Institutionen Menschen mit Behinderungen zur Erziehung der Gesellschaft als negatives Beispiel, ja gar als Warnung missbrauchen! Tenor:
Verhaltet euch richtig, damit ihr nicht so endet, wie die Behinderten.
Nicht nur in Österreich scheint man Gefallen daran zu finden, Menschen mit Behinderungen als wandelnde Warnhinweise in der Gesellschaft zu stigmatisieren.
Erst im letzten Monat stellte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die neue Plakatkampagne “Runter vom Gas” vor, die zum sicheren Fahren beitragen soll. Die von Scholz & Friends kreierten Plakate sollen “an die schwerwiegenden Folgen, die Fehlverhalten im Straßenverkehr für jeden Verkehrsteilnehmer haben kann [erinnern]”, so die dazugehörige Pressemitteilung. Abgebildet ist etwa jemand mit einer Beinprothese, dazu die Beschriftung “Weil der andere zu schnell war”, oder ein Rollstuhlfahrer mit dem Text “Weil der andere ein Bier hatte”:



Prof. Dr. Walter Eichendorf lässt sich zitieren: “Viele Verkehrsopfer leben mit Schmerzen und Beeinträchtigungen, weil sich andere Verkehrsteilnehmer nicht an die Regeln gehalten haben.”
Das mag stimmen, ist aber in seiner Pauschalisierung einfach falsch. Was sagen dazu jene Beinprothesennutzer*innen und Rollstuhlfahrer*innen, bei denen keine*r zu schnell war oder ein Bier hatte?, Für die Behinderungen gewohnter Alltag sind und Prothesen sowie Rollstühle nicht nur normale Utensilien sondern Teil ihres Körpers, der eigenen Identität und Mittel zur Selbstbestimmung sind?
Es kommt noch doller: In einer begleitenden Online-Kampagne werden vier Unfallopfer porträtiert. Einiges scheint aus dem Einmaleins der Leidmedien für Beispiele von Klischees über behinderte Menschen abgeschrieben zu sein. Eine Andrea wird uns mit dem Satz vorgestellt: “Sport war ihr Leben. Doch nach einem Unfall sagten Ärzte: Andrea L. wird nie wieder gehen können – bis ein Wunder geschah.” Andrea sei ihre Lebensfreude ins Gesicht geschrieben und nach Monaten der qualvollen Reha kann sie ihren Rollstuhl für Gehversuche “hinter sich lassen”.
Dass Unfallopfer so empfinden ist verständlich. Weniger verständlich ist allerdings, wieso man dieses Bild vom Menschen mit Behinderung, die sich nahezu zwanghaft von seiner Behinderung und seinen Hilfsmitteln distanzieren wollen, transportieren muss. Es ist ein Grund, warum Menschen nach einer solchen lebensverändernden Situation nach Sinn und Halt suchen – weil in der Öffentlichkeit kein positives alternatives Bild von Behinderung existiert.
Auch ein Kevin darf nicht fehlen: Nach einem Autounfall ist er querschnittsgelähmt. Erst verlassen ihn Freunde (was für Freunde waren das eigentlich?), dann seine langjährige Partnerin. Vielleicht verlassen ihn die Menschen wegen den hier gezeichneten Bildern, durch die sie keine gemeinsame aktive und frohe Zukunft in Menschen mit Behinderungen sehen? Kevin sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben. “Er igelt sich ein und ist auf andere angewiesen.” Aber er “fasst Mut und kämpft sich zurück in sein neues Leben.”
Besonders infam ist aber das Video “Laufen lernen”. Es zeigt zunächst die ersten Gehversuche eines Babys mit dem freudestrahlenden Gesicht seiner Mutter. Doch dann der Wendepunkt: Ein weiteres Fußpaar wird gezeigt, danach das schmerzverzerrte und heulend-krampfende Gesicht eines jungen Mannes. Eine Frau versucht ihn mit ernster Miene zu motivieren, dazu die Einblendung: “Niemand sollte zweimal im Leben laufen lernen müssen.” Tatsächlich sollte man diese Frage stellen, aber eher unter der Sichtweise, ob diese offensichtlich qualvollen Therapien nötig sind und nicht auch ein Leben im Rollstuhl lebenswert sein könnte.
Die Assoziationskette scheint klar definiert:
Behinderungen entstehen durch (selbst) verschuldetes Fehlverhalten,verursachen Schmerzenund Beeinträchtigungen und sind generell etwas, das wir als Gesellschaft um jeden Preis vermeiden sollten.
Gravierende Folgen haben solche Perspektiven auf Behinderungen mitunter dann, wenn Gesetze verabschiedet werden, die Menschen mit Behinderungen schon vor Geburt verhindern sollen – wie vor Kurzem geschehen; weil ein Leben mit Behinderung wohl als unwert, zu teuer, aber jedenfalls als unerwünscht angesehen.
Statt Behinderungen als etwas von sich aus einschränkendes, qualvolles und schreckliches darzustellen, sollten wir Menschen mit Behinderungen als das präsentieren, was sie sind: als Nachbar*innen, Sportler*innen, Arbeitskolleg*innen, nervige Tanten und Onkel oder lustige Pausenclowns. Menschen mit Behinderungen aber als abschreckendes Beispiel zu missbrauchen, manifestiert ausschließlich soziale Ausgrenzung und falsche Vorurteile. Diese Stigmatisierungen schränken tatsächlich im Alltag ein – nicht die Behinderung selbst.
Wer tatsächlich etwas gegen Raser*innen hinterm Steuer machen will, lieber Herr Bundesverkehrsminister, der kann das auf vielerlei Art und Weise, aber gerade nicht mit Angst-Kampagnen, wie mehrere wissenschaftliche Erhebungen gezeigt haben (1, 2).
Hier mal ein paar Vorschläge:
Generelles Tempolimit auf AutobahnenTempo 30 in OrtschaftenBußgelderbemessung am EinkommenMehr Investition in Fahrrad- und ÖPNV-InfrastrukturWerbekampagnen, welche die Täter*innen stigmatisieren, nicht Menschen mit Behinderungen…
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Constantin Grosch erschienen.
November 20, 2019
Für Leidmedien im Gespräch: Juristin Theresia Degener
November 18, 2019
Warum die EUTBs sich positionieren sollten
Durch das Bundesteilhabegesetz versucht die Bundesregierung, der Ratifizierung der UN- Behindertenkonvention Rechnung zu tragen. Hierfür wurden u.A. bundesweit ca. 500 Beratungsstellen, genannt EUTBs, ins Leben gerufen. EUTB steht hierbei für ergänzende unabhängige Teilhabeberatung. Jede dieser Beratungsstellen hat einen individuellen, regional ansässigen Träger, doch alle werden zu ca. 95 % aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finanziert. Sie wurden installiert auf Druck der Betroffenenverbände, die beklagten, dass es für Menschen mit Behinderung fast keine Möglichkeit der umfassenden und vor allem unabhängigen Beratung zur Beantragung von Teilhabeleistungen gäbe.
Dies sollte sich nun ändern. Die neuen Beratungsstellen sollen nur dem individuellen Wunsch des zu Beratenden verpflichtet sein und damit die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung fördern. Selbstbestimmung bedeutet hierbei nicht immer die ent-Institutionalisierung der Lebenswelten und der Ausschluss stationärer Angebote. Aber es bedeutet, Rahmenbedingungen für eine wirklich freie und persönliche Entscheidung über die Gestaltung der eigenen Lebenswege zu schaffen. Dies bedeutet, dass verschiedene Leistungen in verschiedenen Formen auch in der Praxis realisierbar sein müssen.
Und genau hier hakt es meiner Meinung nach noch gewaltig. Deshalb bedarf es einer klaren Positionierung der EUTBs und ihrer Mitarbeiter*Innen. Es bringt für die konkrete Gestaltungsmöglichkeiten der/ des Betroffenen nämlich gar nichts, wenn es eine Beratungsstelle gibt, in der ein Mensch sich über alternative Versorgungsmöglichkeiten, wie z. B. persönliche Assistenz und persönliches Budget informieren kann, wenn keinerlei Infrastruktur und vielfach auch wenig behördliche Kompetenz und Akzeptanz vor Ort in diesen Bereichen vorhanden sind. Wer eine ergebnisoffene Beratung befürwortet, muss auch für entsprechende Möglichkeiten sorgen! Die EUTBs können und müssen diesen Bedarf klar kommunizieren.
Nun sagen viele, eine politische Positionierung sei nicht Aufgabe einer Beratungsstelle: Doch, ist es! Einmal, weil es sich sonst niemand in unserer Gesellschaft zur Aufgabe macht. Und noch wichtiger: Weil die Forderungen einer strukturellen Öffnung und Stärkung der Wahlrechte von behinderten Menschen auf gesetzlicher Ebene Voraussetzung für die umfassende und klientenzentrierte Beratungsarbeit ist.
Das Bundesteilhabegesetz soll einen Paradigmenwechsel einleiten. Weg vom Fürsorgeprinzip, hin zu einem partizipativen Angebot auf Augenhöhe. Ob das Gesamtpaket diesem Vorhaben förderlich ist, sei dahingestellt. Aber der Paradigmenwechsel ist, oberflächlich zumindest, gewollt. Die Teilhabe -Beratungsstellen sind Katalysatoren dieser Entwicklung; sie sind im Prinzip ihrer Zeit voraus. Aber darum sind sie nicht überflüssig. Sie können eine Entwicklung vorantreiben, die sich ganz sicher nicht von heute auf morgen vollzieht. Aber grade, weil der Prozess eine Weile dauern wird, braucht es jetzt eine klare und fachliche Positionierung dazu, dass die behördliche Akzeptanz und die strukturellen Rahmenbedingungen für Assistenzleistungen gezielt verändert werden müssen! Denn nur dann kann das Klientel an Menschen, die eine unabhängige Beratung suchen, überhaupt erstmal entstehen und wachsen! Das passiert nicht, wenn einem als Interessent*in am persönlichen Budget erzählt wird, dass man mit enormen behördlichen Widerstand, großem bürokratischem Aufwand, personellen Engpässen bis hin zu existenziellen Notlagen und früher oder später mit einem juristischen Verfahren zu rechnen hat… „nur“, um in den eigenen 4 Wänden leben zu dürfen, eine Ausbildung oder ein Studium zu machen, einen Beruf zu ergreifen…
Wenn es jetzt zu keiner klaren Positionierung kommt, heißt es im schlimmsten Fall in 2 Jahren, zum bisherigen Fristende der EUTBs, es gäbe gar keinen so starken individuellen Beratungsbedarf und die meisten Menschen seien in ihrer Institution umfassend und ausreichend beraten. Die EUTBs würden dann dezimiert oder gar eingestampft und die Menschen, die mit Assistenz leben, bleiben weiterhin eine kleine Minderheit innerhalb einer Minderheit.
Die EUTBs können endlich ein geeintes Sprachrohr, ein Vermittler sein. Und das sollte auch nicht daran scheitern, dass sie vom Bundesministerium gefördert werden! Denn zeichnet sich eine gute Demokratie nicht grade dadurch aus, dass sie Minderheitenvertretungen fördern und stützen, auch und grade wenn diese sich kritisch und korrektiv zu der bestehenden Politik positionieren?
Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. In einer Demokratie, die davon lebt, dass zwischen den verschiedensten Interessensgemeinschaften ein gesellschaftlicher Kompromiss ausgehandelt wird. Seit sehr kurzer Zeit gibt es die Bestrebung, auch Menschen mit Behinderungen an diesen Verhandlungstisch zu setzen. Das ist gut. Aber sie sind eine Minderheit und in einer politisch schwachen, weil abhängigen Position. Darum brauchen sie, wie alle Minderheiten, ein geeintes Sprachrohr und aktivistische sowie eben auch professionelle Solidarität!
Gesundheit leicht verstehen
Auf der Website von Special Olympics Deutschland in Leichter Sprache gibt es nun einen Abschnitt, der in Leichter Sprache über viele Themen aus dem Bereich Gesundheit, bspw. Ernährung, Krankenversicherung oder Untersuchungen informiert. Im Menü auf der linken Seite lassen sich die jeweiligen übergeordneten Themen auswählen.