Inklusion, ja! Studieren mit Behinderung, nein!
In jungen Jahren chronisch krank zu
sein und mit einer Behinderung zu leben, führt zu vielen schwierigen
Situationen. Für mich war der Verlust meines Jobs und der Weg zur Frührente ein
harter Schlag. Plötzlich ist man als 24-jährige abhängig von einem System, das
nicht besonders viel Verständnis für Menschen mit Behinderungen hat – vor allem
wenn diese auf den ersten Blick völlig gesund aussehen.
Lange fühlte ich mich verloren und
wusste nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen sollte. Ich wollte Teil
der Gesellschaft sein, aber passte nirgends mehr hinein, denn bei all den Gesprächen
rund um Job, Familie und Kinder konnte ich nicht mehr mitreden. Irgendwann
entschied ich mich dazu, mich über Studiengänge
zu informieren. Ich dachte, eine höhere Qualifikation könnte mir in der Zukunft
ermöglichen wieder unabhängiger zu leben. Außerdem wollte ich das klein wenig tägliche
Energie für etwas nutzen, das mir sinnvoll erschien.
Über sechs Monate lang suchte ich
nach Studiengängen im Bereich Journalismus, die ich mit meinen Einschränkungen
bewältigen konnte. Die Voraussetzungen des Studienganges: Teilzeit, Fernstudium
und finanziell erschwinglich muss es sein. Täglich kontaktierte ich Universitäten
in den deutschsprachigen Ländern, die solche Kurse anboten – ohne Erfolg.
Eine Universität setzte zum Beispiel
trotz Fernstudiengang wochenlange Präsenzzeiten voraus. Aufgrund meiner
Erkrankung schaffe ich es kaum drei Stunden aufrecht zu sitzen, geschweige denn
mehrere Wochen, weshalb ich fragte, ob es irgendeine Ausnahme von diesen Zeiten
gäbe. Ich wollte ja keine Vorteile gegenüber anderen Studenten, nur eine
gleiche Chance. Ich würde jede Art von Lernstoff zuhause nachholen,
argumentierte ich.
Ich bettelte um alternative Lösungen,
die mit meinen Einschränkungen vereinbar wären, zum Beispiel zusätzliche Prüfungen,
die beweisen könnten, dass ich genauso geeignet war oder Skype-Konferenzen, die
mir ermöglichen würden aus der Ferne am Unterricht teilzunehmen. Die Antwort
fiel immer gleich aus: Nein, eine Ausnahme könne man für niemanden machen,
sonst müsste man ja die Ansprüche eines jeden Studenten erfüllen. Nur mit dem
Unterschied, dass meine ”Ansprüche” für mich keine Wahl sind, sondern eine Notwendigkeit.
Ich würde gerne am Campus oder gar in Vollzeit studieren, schaffe es aber
nicht. Ich kann diese Dinge nicht, weil ich ganz ungeplant und plötzlich
chronisch krank wurde, was übrigens wirklich jedem passieren kann.
Meine krankheitsbedingte Behinderung
ist für mich vor allem deshalb oft schwierig zu akzeptieren, weil mir so viele
Chancen dadurch entgehen. Was dabei hauptsächlich behindert, sind nicht meine
Einschränkungen, sondern die fehlende Flexibilität im deutschen System. In
vielen Bereichen ist Inklusion nur dann gegeben, wenn das nicht bedeutet, dass
man sich zu sehr verbiegen muss, zu viele Umstände hat oder gar Einzellösungen
finden soll.
Ich hatte Glück. Als ich nach unzähligen
weiteren Absagen die Suche fast schon aufgeben wollte, stieß ich auf die
Universität, die mein Leben grundlegend verändern würde. Im Januar 2018 wurde
ich in einen zeitlich flexiblen Fernstudiengang in Schottland aufgenommen und
werde nächstes Jahr meinen Master verliehen bekommen.
Es gibt so viele Menschen mit
Behinderungen und chronischen Krankheiten, die immenses Potential haben, es
aber nie ausschöpfen können, weil ihnen der Weg versperrt wird. Selbst wenn
Menschen mit Behinderungen nicht aktiv ausgeschlossen werden, stellt man sie
doch vor so viele Hürden, dass Studieren für viele ein nicht zu erreichender
Traum bleibt. Und das obwohl wir alle genauso ein Recht auf Ausbildung haben,
wie unsere nicht behinderten Mitmenschen.
Für mich war mein Studium viel mehr
als nur eine höhere Qualifikation. Nach Jahren der Isolation bin ich heute
wieder ein aktives Mitglied der Gesellschaft. Meine Arbeit als Journalistin lässt
mich Teil einer Welt sein, die nicht ausschließlich mit dem zu tun hat, was ich
nicht kann. Ganz im Gegenteil, heute schätzen meine Kollegen meine Perspektive,
die ich nur habe, weil ich krank und behindert bin. Und diesen Respekt von
unterschiedlichen Erfahrungen, die alle gleichermaßen wertvoll sind; dieses Gefühl
dazuzugehören und nicht als Randgruppe nur zusehen zu müssen, das haben doch
alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, verdient!


