Raúl Aguayo-Krauthausen's Blog, page 3
December 18, 2019
Was fehlt bei der Forderung nach Kinderrechten ins Grundgesetz?

Die Politik streitet über Kinderrechte – doch sie hat nicht alle Kinder im Blick
Alle sagen, dass sie es gut meinen. Und das ist ihnen auch zu glauben. Klar, wer ist schon dafür, dass Kinder leiden? Erwachsene haben normale Schutzreflexe. Aber wie diese durch einen rechtlichen Rahmen flankiert werden – darüber wird in Deutschland noch immer gestritten; es ist eines jener Themen, bei denen wir international auf der Strecke bleiben.
Vor über 30 Jahren, am 30. November 1989, hatten die UN-Mitgliedsstaaten eine Kinderrechtskonvention verabschiedet. Damit sollten Minderjährige endlich besser geschützt werden, in der Welt der Erwachsenen. Die Staaten beschlossen in dieser Konvention ein Recht auf Schutz vor Gewalt, ein Recht auf Freizeit, ein Recht auf Bildung. Und grundsätzlich sollte das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen sein.
So weit, so gut. Aber ins Grundgesetz hat man das in Deutschland nie geschrieben. Und auch heute wird darüber kontrovers diskutiert: Die SPD ist dafür, die Union runzelt mit der Stirn. Ganz konservativ äußert sie die Bedenken, dass dadurch elterliches Recht gegenüber dem Kind beschnitten werden könnte, dass der Staat in die Kinderstube hineinregieren könnte. Das ist natürlich völliger Quatsch. Ein Verfassungsrang von Kinderrechten öffnet keiner Willkür das Tor, sondern sensibilisiert dort, wo noch immer zu wenig getan wird: Nicht umsonst machen sich alle Kinderschutzverbände für eine Grundgesetzänderung stark. CDU/CSU geht es nur um althergebrachte Privilegien. Ähnliche Kämpfe wurden früher ausgefochten, als es ums Schlagen von Kindern und um sexuelle Gewalt gegen Ehefrauen ging; manches dauert halt.
Kinder sind aber keine Anhängsel, keine kleinen Erwachsenen. Es geht, ganz einfach, um die Anerkennung von Würde. Die ist schwerer durchzusetzen, denn naturgemäß kommandieren und strukturieren Erwachsene.
Nun steht also ein Gesetzentwurf zur Diskussion. Den Grünen ist er zu lasch, der CDU zu stark. Die SPD steckt mittendrin und will endlich einen Durchbruch. Doch eines wird in diesem Entwurf nicht genannt, und es fällt in dieser ganzen Debatte komplett unter den Tisch: dass Kinderrechte nur welche sind, wenn sie inklusiv gedacht werden. Behinderte Kinder sind nicht Kinder von Kindern, aber im Hierarchiespiel von Macht und Unterordnung haben sie die etwas schlechteren Karten, wenn es um die Wahrung ihrer Würde geht. Daher macht die grundgesetzliche Besiegelung von Kinderrechten einen Fehler, wenn sie Inklusion außer Acht lässt. Denn eine Verfassungsänderung birgt eine große Chance: Zu lange schon wird Inklusion ausschließlich mit Orten wie Schulen und Tagesstätten in Verbindung gebracht. Dabei ist Inklusion viel mehr, eigentlich alles. Mit dem Rückenwind eines Kinderschutzes von Verfassungsrang könnten Möglichkeiten von Inklusion im sozialen Alltag an sich verbessert werden.
Und genau das ist der Weg. Behinderung im sozialen Zusammenhang – was alles behindert die Menschen? Wo zementiert sich Ungleichbehandlung? Wo Bevormundung? Inklusion bedeutet umfassend das Gesellschaftsleben anzugehen.
Inklusion ist Menschenrecht, und ein veränderter Gesetzentwurf könnte daran prima anknüpfen: dass Behinderung nicht hauptsächlich als ein medizinisches Problem angesehen wird, sondern als eine bürgerrechtliche Frage: Wenn ein mit Rollstuhl fahrendes Kind nicht im Tischtennisverein des Heimatortes spielt, obwohl es wollte, ist die Frage seiner Behinderung nicht nur eine der körperlichen Verfassung, sondern auch der rechtlichen Verfassung: Ist der öffentliche Verkehr zum Training zugänglich? Wie sehen die Vereinsräumlichkeiten aus, die Erfahrungen der Sporttreibenden mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen?
Die Politik könnte ruhig ein paar mehr Fragen stellen. An sich und an uns alle.
December 16, 2019
Newsletter: Stella Young, ein Nachruf; Das Problem mit Behindertenwerkstätten; Jens Spahn weiter in der Kritik; Taubblinde Kinder – ein anderer Zugang zur Welt
Auch heute gibt es wieder von mir handgepflückte Links aus aller Welt zu den Themen Inklusion und Innovation in meinem Newsletter.
Meine Grundbedürfnisse sind kein Luxus!
Mein Freund und ich wurden vor ein paar Monaten zu einer Hochzeit eingeladen. Einerseits liebe ich Hochzeiten. Die Liebe zweier Menschen ausgiebig zu feiern, ist für mich Romantik pur! Andererseits sind Hochzeiten für mich mit Stress verbunden. Meistens finden Hochzeiten eher an Orten statt, die nicht unbedingt die beste Infrastruktur haben. Ich habe leider kein Auto, daher stellt die Hin- und Rückfahrt schon ein Problem dar. Aber gut, so geht es eventuell anderen auch und in solchen Fällen muss man eine Lösung finden. Mein viel größeres Problem besteht darin, dass viele Hochzeiten schon früh am Tag mit der Trauung beginnen und erst spät abends enden. Genießen kann ich solch einen Tag selten, weil ich außerhalb meiner Wohnung nicht auf Toilette gehen kann. Ich brauche viel Platz beim Toilettengang, am besten auch noch einen Lifter, mit dem ich aus dem Rollstuhl auf die Toilette gefahren werden kann. Ich schraube die Ansprüche an meine Bedürfnisse herunter und bin äußerst glücklich darüber, wenn es eine rollstuhlgerechte Toilette gibt. Das ist allerdings selten der Fall. Darum bedeuten solche Tage oftmals den Verzicht auf Toilettengänge, was absolut nicht gesundheitsfördernd ist.
Ich erzählte einer Person letztens, dass ich vor ein paar Jahren auf der absoluten Traumhochzeit war. Selbstverständlich war das Brautpaar zuckersüß und der Verlauf des gesamten Tages war einfach schön, aber abgesehen davon habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben absolut wohl auf so einer Festlichkeit gefühlt. Als damals mein Exfreund und ich zu unserem Tisch geführt wurden, sah ich direkt, dass sowohl für mich und ihn, aber auch für unsere Assistenten gedeckt wurde (ich habe durchaus mit Brautpaaren zu tun gehabt, die sich geweigert haben die Verköstigung auch für meine Assistentin zu bezahlen). Aber es kam noch viel besser: das Brautpaar der eben genannten Traumhochzeit kam zu mir und erzählte mir, dass ich allein für mich eine rollstuhlgerechte Toilette habe. Ich konnte es kaum glauben und hab damit absolut nicht gerechnet! Die Person, der ich von dieser Hochzeit erzählte, sagte dazu: „Wow, das war wirklich nett von dem Brautpaar auf eine barrierefreie Toilette zu achten“. Diese Worte haben mich eine Zeit lang beschäftigt und mich zeitgleich wütend gemacht. Solch eine Reaktion hinterlässt bei mir den Eindruck, als wäre ich ein berühmter Rockstar, der davon erzählt, wie er seine Extrawünsche durchgesetzt bekommt.
Es hat nichts mit Nettigkeit zu tun! Ich bin ein Mensch, wie jeder andere auch, der die Möglichkeit haben möchte zu essen und zur Toilette zu gehen. Zum Essen benötige ich Assistenz, weil ich kein Besteck in meiner Hand halten kann, dementsprechend muss man mir das Essen anreichen. Ich möchte mich zwischendurch frisch machen können, mich abpudern oder nachschminken. Ich lasse das ungerne von meinem Partner machen. Mit Assistenz fühle ich mich nicht von meinem Partner oder Freunden abhängig, sondern kann mich einfach frei fühlen. Genauso habe ich gerne die Möglichkeit zu jeder Zeit zur Toilette zu gehen.
Sind das etwa Extrawünsche? Es sind meine Grundbedürfnisse und ich habe keine Lust mehr mir anzuhören, wie toll es ist, wenn auf barrierefreie Toiletten beispielsweise geachtet wird. Denn im Umkehrschluss bedeutet das, dass ich auf meine Grundbedürfnisse verzichte.
Auf die Bedürfnisse, insbesondere auf die Grundbedürfnisse anderer zu achten steht für respektvollen und würdevollen Umgang miteinander, aber auf keinen Fall für einfache Nettigkeit!
Es ist enorm wichtig seine Bedürfnisse zu kommunizieren und sich nicht dafür zu schämen eventuell anderen dadurch Unannehmlichkeiten zu bereiten.
Companion2go
Wer im Ausweis das Merkzeichen “B” hat, ist berechtigt eine Begleitung zu z.B. Veranstaltungen mitzunehmen und dann häufig Vergünstigungen oder einen kostenlosen Eintritt erhält. Manchmal fehlt es an der passenden Begleitung, was Companion2go mit seinem Angebot ändern will. Auf diesem Portal können Menschen mit Behinderung Angebote erstellen, auf die sich Menschen ohne Behinderung melden können. Gemeinsam können dann Veranstaltungen besucht oder Reisen unternommen werden, wovon am Ende beide Seiten profitieren können.
December 11, 2019
Role Models: Stella Young

Wenn man mich fragt, wen ich gerne mal treffen würde oder gerne getroffen hätte – dann ist die bereits verstorbene Stella Young eine der ersten, die mir in den Kopf kommt.
Stella Young hat so klar die Probleme benannt, denen wir in einer nichtbehinderten Mehrheitsgesellschaft begegnen: Die Bilder und Bewertungen, von behinderten Menschen hat – ohne überhaupt Menschen mit Behinderung im direkten Umgang, als Freund*innen oder Kolleginnen zu kennen. Für mich ist sie der Inbegriff eines Menschen, der sich niemals einlullen ließ – nicht durch Komplimente und auch nicht durch ständig wiederkehrende Barrieren, deren Bekämpfung oft chancenlos und ermüdend erscheint.
Es ist nichts Neues: Wir alle werden durch unsere Eltern geprägt. Ich wäre heute nicht derjenige, der ich bin, wenn meine Eltern mir nicht immer wieder klar gemacht hätten: Raúl, es ist alles möglich!
Die Eltern von Stella Young waren unter anderem Menschen, die gerne auf Schönmalereien verzichteten, auch wenn es um ihre Tochter und deren Behinderung ging. Als Stella 15 Jahre alt war, wollte der Gemeinderat ihres kleinen Heimatstädtchens in Victoria sie für “besondere Leistungen” auszeichnen. Man sprach Stellas Eltern diesbezüglich an, die allerdings antworteten:
Rückblickend stimmte Stella ihren Eltern zu: Sie wäre halt wie all ihre Freund*innen zur Schule gegangen, hätte in ihrer Freizeit ein bisschen im Friseursalon ihrer Mutter ausgeholfen und ansonsten hauptsächlich TV-Serien geschaut.
(Tatsächlich hat Stella Young da etwas untertrieben, denn schon mit 14 Jahren schlug ihr Herz für die Teilhabe behinderter Menschen und sie führte in der Hauptstrasse ihres Wohnortes eine Barrierefreiheitsprüfung durch).
Stella Young prägte den Begriff “Inspiration Porn”, der sich mittlerweile im Sprachgebrauch etabliert hat. Er steht dafür, dass das Leben von behinderten Menschen nicht als Selbstzweck gesehen wird, als etwas Natürliches, das keinerlei Rechtfertigung benötigt – wie bei nichtbehinderten Menschen. Sondern dass es für das Leben von Menschen mit Behinderung einen Grund geben muss, der deren Existenz rechtfertigt: Und zwar als Inspiration für nicht behinderte Menschen. “Schau dieses Kind im Rollstuhl an, wie tapfer es versucht, hinter den anderen Kindern herzufahren und sie einzuholen. Wenn dieses arme Wesen trotz seines so widrigen Lebens nicht seinen Mut verliert – dann kann ich, der*die gesund und kraftvoll bin, doch praktisch alles schaffen! Wie schlimm mein eigenes Leben sich auch gerade anfühlt – hier sehe ich ja: Es gibt jemandem, dem*der geht es schlechter als mir!”.
Behinderte Menschen werden also mißbraucht, um sich über sie zu erheben, um aus dem “Leid der behinderten Existenz” Kraft und Inspiration für das eigene Leben zu schöpfen.
Stella Young benutzt den Begriff “Porn” – Pornografie sehr bewusst – denn hier wird eine Gruppe Menschen benutzt, um Bedürfnisse einer anderen Gruppe von Menschen zu befriedigen: Nichtbehinderte sollen sich inspiriert und motiviert fühlen. Wie sich der dargestellte behinderte Mensch dabei fühlt spielt KEINE Rolle und wird auch zu keinem Zeitpunkt gefragt oder diskutiert.
Stella Young sagte dazu: “Wir wurden belogen. Es wurde uns immer gesagt, dass Behinderung etwas Schlechtes ist. Stimmt aber nicht. Behinderungen sind nichts Schlechtes – und behindert zu sein macht dich nicht außergewöhnlich.”
Stella Young studierte Journalismus und und Pädagogik – und arbeitete u.a. als Lehrerin. Sie war noch recht neu in ihrem Job an ihrer High School, als sich ein Schüler während des Unterrichtes meldete und fragte, wann sie mit ihrer Motivationsrede beginnen würde. Immer wenn Menschen in Rollstühlen in ihre Schule kämen, sagte der Junge, würden sie “inspirierendes Zeug” erzählen. Stella Young wurde damals durch die Reaktion des Jungen bewusst, dass er bisher Menschen mit Behinderung nur als Objekte der Inspiration kennengelernt hatte – und nie als: Lehrer*in, Bäcker*in, Polizist*in, Ärzt*in, Nachbar*in oder Freund*in.
Und dass der Junge damit etwas aussprach, was viele denken und erleben – und ein grundlegendes gesellschaftliches Problem ist.
Stella Young erlebte es unzählige Male – ebenso wie ich und andere behinderte Freunde und Bekannte: Wir wurden von Fremden angesprochen, wie tapfer sie uns fänden, dafür, dass wir uns auf die Straße trauten, dass wir so fröhlich aussähen, trotz unseres schweren Schicksals und uns wurde Kraft gewünscht, unsere Behinderung weiterhin ertragen zu können. Das ist die übliche Spirale des Mitleids, das zu Inspiration Porn führt: Wir werden zu Objekten – während die uns Mut zusprechende Person fühlt, wie gut es ihr im Gegensatz zu uns geht. Und dabei ist es vollkommen egal, dass die betreffende Person es “ja nur gut meint” und aus “bester Motivation heraus” handelt.
Diese Idee, dass Behinderte eigentlich keine wirklichen Menschen sind – sondern Inspirations-Objekte hat sich durch die sozialen Medien massiv verstärkt und verbreitet.
Stella Young stellt in ihrem berühmten TEDx-Talk dem hauptsächlich nichtbehinderten Publikum gegenüber klar: Ja, behinderte Menschen haben tatsächlich oftmals kein leichtes Leben. Und so liegen nichtbehinderte Menschen mit ihrer Vermutung, dass behinderte Menschen es schwerer haben aufgrund ihrer Behinderung durchaus richtig.
Aber: Aus vollkommen anderen Gründen, als üblicherweise vermutet wird. Die Probleme behinderter Menschen haben tatsächlich gar nichts mit unseren behinderten Körpern oder unseren Diagnosen zu tun. Sondern mit den Barrieren, der nicht stattfindenden Teilhabe und den aussondernden Strukturen der Gesellschaft, in der wir leben.
Und hier – und in der Wahrnehmung behinderter Menschen – hat sich in den letzten fünf Jahren seit Stella Youngs Talk noch viel zu wenig getan!
WE are not your inspiration, thank you very much! – Nein danke: Wir sind nicht eure Inspiration!
Zum Schluss noch ein Lesetipp: 17 things Stella Young wanted you to know.
Stella Young (1982-2014)
studierte Journalistik und Lehramt/Pädagogik, arbeitete zunächst als Lehrerin und dann als Redakteurin für den australischen Fernsehsender ABC für die Website Ramp up. Sie war acht Staffeln lang Host der Sendung No Limits, dem ersten australischen Kulturprogramm von und für Menschen mit Behinderung. Sie war erfolgreich als Comedienne mit ihrem Programm „Tales from the Crip“ und aktiv als Aktivistin in verschiedenen Behindertenrechtsorganisationen.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Suse Bauer erschienen.
December 9, 2019
Newsletter: Inklusion kein Akt der Barmherzigkeit; Spahn stellt Intensivpflege zuhause unter Mehrkostenvorbehalt; Warum es völlig okay ist, „behindert“ zu sa
Auch heute gibt es wieder von mir handgepflückte Links aus aller Welt zu den Themen Inklusion und Innovation in meinem Newsletter.
iXNet- Das neue Netzwerk von und für Akademiker*innen mit Behinderungen
Ich habe zwei brennende
Fragen an die Leser*innen dieser Kolumne:
Warum haben Menschen
mit Behinderung, obwohl sie zunehmend über Hochschulabschlüsse verfügen, noch
immer geringere Karriere- und Beschäftigungschancen in hochqualifizierten
Berufsfeldern als nicht-behinderte Menschen? Weshalb wird hier bisher so viel
wertvolles Potenzial verschenkt, obwohl Deutschland die
UN-Behindertenrechtskonvention bereits vor mehr als zehn Jahren ratifiziert
hat?
Wir vom Inklusiven
Expert*innen Netzwerk (iXNet) wollen daran etwas ändern. Deshalb bauen wir ein
wissenschaftlich fundiertes, webbasiertes, wohnortunabhängiges und
barrierefreies Informations- und Unterstützungsangebot auf.
Es bietet Information,
Peer Support und Mentoring, um Akademiker*innen mit Behinderung auf ihrem
beruflichen Weg zu stärken und deren Beschäftigungsperspektiven nachhaltig zu
verbessern. Durch gezielte Vernetzung, Informationen, Beratung und den
Austausch miteinander wollen wir Hürden bei der Stellensuche, Bewerbung und
Karriereplanung behinderter Akademiker*innen abbauen und Karrierechancen
erhöhen.
Und hier kommen Sie,
liebe Leser*innen, ins Spiel. Unterstützen Sie iXNet!
Wenn Sie an der Thematik interessiert sind, können Sie sich in unseren Verteiler aufnehmen lassen. Wenden Sie sich dafür bitte an uns.
Als potenzielle*r Mentee oder Mentor*in mit Behinderung können Sie sich auch für die Teilnahme an unserem Mentoringprogramm bewerben. Wenden Sie sich dafür bitte Dr. Ursula Sautter vom Hildegardis-Verein e.V..
Als Expert*in auf Ihrem Berufsfeld mit und ohne Behinderung können Sie außerdem dazu beitragen, das Netzwerk von iXNet auszubauen und mit anderen in Austausch zu treten.
Als Akademiker*in mit Behinderung haben Sie die Möglichkeit, das Angebot von iXNet schon zu testen, bevor es im Mai 2020 online geht. Wenn Sie Tester*in werden wollen, wenden Sie sich bitte an uns.
Sowohl als Nutzer*in
der Plattform als auch als Expert*in können Sie zudem an der Begleitstudie
teilnehmen.
Und wenn Sie von iXnet
erfahren haben, können Sie schließlich gerne auch andere Menschen informieren
und für dieses Projekt begeistern.
Weitere Infos zu iXnet, das durch den „Ausgleichsfonds für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für drei Jahre gefördert wird, finden Sie auf unserer Webseite www.ixnet-projekt.de. Kontaktieren Sie uns gerne.
Einfach für Alle
Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt in Artikel 9 die gleichberechtigte Zugänglichkeit zu “[…] Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen” für Menschen mit Behinderung vor. Konkret bedeutet dies, dass auch das Internet und v.a. Websites barrierefrei gestaltet werden müssen, um einen Zugang für alle Menschen zu gewährleisten. Darüber hinaus kann es auch für Anbieter von großem Interesse sein, da sie so bspw. mehr Nutzergruppen ansprechen können. Zu diesem Zweck hat die Aktion Mensch eine Website erstellt, auf der regelmäßig neue Informationen, Leitlinien, Tipps zur Umsetzung und Best-Practice-Beispiele zur Verfügung gestellt werden.
December 6, 2019
Barrierefreiheit ist kein Geschenk…

…obwohl viele Medien darüber so schreiben. Ein Ausflug in den Blätterwald als Seismograph, wie schlecht es in Deutschland um die Inklusion wirklich steht.
Es ist ein Wort, welches ich meist im Copy-Paste-Modus tippe, so oft schreibe ich darüber: B-a-r-r-i-e-r-e-f-r-e-i-h-e-i-t. Das tue ich, weil es sich um eine Selbstverständlichkeit handelt, die keine ist. Allein die tägliche Morgenlektüre lässt mich gruseln – wie über Barrierefreiheit in deutschen Zeitungen berichtet wird, lässt mich daran zweifeln, ob wir tatsächlich schon im 21. Jahrhundert leben.
Nur zur Erinnerung: Bei Barrierefreiheit handelt es sich um ein Grundrecht. Fehlende Zugänge bilden ihrerseits eigene Wege, nämlich ins Abseits. Schon mal überlegt, wie es ist: wenn du für den Tag planst, bei der Bäckerei noch schnell Brötchen für die Arbeitskolleg*innen zu besorgen, zu einem Treffen mit ihnen in den Stadtteil nebenan zu fahren und dann auf dem Rückweg im Finanzamt ein lange benötigtes Formblatt mitzunehmen? Und du dann herausfindest, dass: in die Bäckereien entlang des Weges Treppen führen, der Fahrstuhl zur Bahn noch immer kaputt ist und das Formblatt ausgerechnet in einem Raum verwahrt wird, zu dem ein Flur mit unvorhergesehenen Stufen führt? Ich will mich nicht beklagen, aber sowas gestaltet einen Tag suboptimal.
Vielleicht liegt es auch daran, dass die Öffentlichkeit mit Barrierefreiheit umgeht, als wäre es etwas Besonderes. Ein Geschenk, welches mal hier und da feierlich überreicht wird. Die suboptimalen Erfahrungen bleiben ja nicht allen vorbehalten. Wenn jedenfalls von Barrierefreiheit in deutschen Lokalzeitungen die Rede ist, dann nie von jener im System, den Börden, den Gesetzen, nie von jener zum allgemeinen Arbeitsmarkt oder zum gemeinsamen Lernen für alle, sondern immer als eine Gabe, die vom Himmel fällt – als wären Menschen mit Behinderung urplötzlich mit einem Raumschiff auf der Erde gelandet, lugten vorsichtig heraus und nun muss man halt was machen, ein bisschen.
Für einen einzigen Tag habe ich mir angeschaut, welche Artikel mir Google Alert ausspuckt, wenn ich als Suchwort „Barrierefreiheit“ eingebe. Die mir angebotene Bandbreite ist recht schmal:
Erträglich sind noch die bloßen Meldungen, wie jene von der WAZ, wonach das „Schloss Strünkede“ mit einer Rampe versehen worden sei. Wenn jedoch solche Inhalte zu Stilübungen ausarten, droht akuter Zuckerschock, wie bei der Mainpost: „Sanft schlängelt sich der neue Weg von der Neidertstraße hin zur Erlöserkirche.“ Denn: Die „sauber“ verlegten Betonpflaster ermöglichten nun einen barrierefreien Zugang auf dem Weg zur evangelischen Kirche im Stadtteil Zellerau – eine Aktion von Schülern. Prosahaft auch die Leipziger Volkszeitung: „Der Traum von rieselndem Wasser auf nackter Haut ist für Monika Lehmann greifbar nah“, trieft der Text.
„Zahlreiche Grimmaer fühlen mit der behinderten Frau mit und lassen sich von der LVZ-Aktion ‚Ein Licht im Advent‘ inspirieren. Mit dem Geld soll Monikas Bad barrierefrei umgebaut werden“.
Um nicht missverstanden zu werden: Schüler*innen-Engagement hier und Leser*innen-Spenden dort sind eine gute Sache. Die Frage ist aber angebracht, warum dies nötig ist – warum eine Kirche nicht schon längst barrierefrei ist, und warum Bürger*innen keinen Anspruch auf ein barrierefreies Bad haben, wenn sie es benötigen. Wird indes punktuell ausgeholfen, wird dies gleich zelebriert. Mit ganz viel „Mitgefühl“.
Ins gleiche Horn bläst zum Beispiel die Mittelbayerische mit einem Text darüber, dass die Physik- und Chemieräume der staatlichen Realschule Abensberg durch Umbauarbeiten barrierefrei geworden seien. Ein Foto zeigt dann unter anderem eine Menschenansammlung mit Kämmerer, Vize-Kämmerer, Schulleiter, Lehrerin, zweiter Konrektor und Architekturbürovertreter – aber keine Schüler*innen. Wie wurden eigentlich jene Pennäler*innen mit Behinderung in Chemie und Physik vorher unterrichtet? Hat man ihnen aus dem Fenster heraus zugerufen? Auch hier möchte ich betonen, dass jeder Akt hin zu mehr Barrierefreiheit gut ist; aber das Feierliche verdeckt, dass hier ein schlimmer Mangel langsam behoben wird, eine Selbstverständlichkeit endlich angegangen wird. Nur eben viel zu spät.
Wie wäre es, wenn Lokaljournalist*innen nicht nur über die Einweihung einer barrierefreien Ratshaustoilette berichten, sondern über die noch vorherrschenden und Barrieren in ihrem Umkreis? Wie wäre es mit Reportagen VON Menschen mit Behinderung, wenn prosaische Stilübungen angesagt sind? Auch Fragen an Wohnhausbesitzer*innen eignen sich, warum sie die Barrierefreiheit nicht ähnlich ernst nehmen wie den Brandschutz. Und Bürgermeister*innen könnten dazu angestoßen werden, sich besondere Kredite für Unternehmen auszudenken, die sich für Barrierefreiheit engagieren. Schließlich könnte ein Blick auf die Partnerstädte gewagt werden – wie dort Barrierefreiheit angegangen wird; schließlich ist Deutschland in Europa bei diesem Thema nicht vorn. Wie hierzulande über Barrierefreiheit diskutiert wird, beschämt. Dabei gibt es viel mehr zu berichten als über sich sanft schlängelnde Wege und Träume von rieselndem Wasser auf nackter Haut.
December 4, 2019
Inklusion ist keine Frage des Ortes
Viele meinen: Wenn Kinder mit Behinderung in Regelklassen lernen, sei das Inklusion. Doch das ist zu kurz gedacht.
In manchen deutschen Städten haben die Schildbürger*innen das Rathaus übernommen. Und die sind ziemlich kreativ in ihrer Kreativlosigkeit. Ein Beispiel gefällig?
Nachdem Deutschland im Jahr 2009 eine Konvention unterschrieben hatte, es ging um Rechte für Menschen mit Behinderung, da musste man, hier und da, an ihre Umsetzung ran. Für die Schulen etwa bedeutet es, dass jedes Kind mit Behinderung ein Anrecht auf einen Platz in einer Regelschule hat. Das klingt super. Sind doch Förderschulen exklusive Orte. Doch welche Antwort fiel den Schildbürger*innen in den Rathäusern ein? Sie lassen nun Kinder mit Behinderung in die Regelklassen, ja. Aber dabei bleibt es. Sowas nennt man jetzt Inklusion, sozusagen per order mufti, ist aber weit davon entfernt.
Inklusion bedeutet eben nicht, dass Kinder mit Behinderung zu 100 Prozent in einem Regelklassenraum unterrichtet werden. Inklusion fordert ganz anderes, richtet sich nämlich an alle Schüler*innen. Es ist ein Konzept, ein Rahmen zur Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung. Da soll niemand hinein, „integriert“ oder „inkludiert“ werden, sondern es sind schon alle da. Inklusion hat eine Bedingung: Dass alle sich zugehörig fühlen, in der Gemeinschaft, dem Klassenraum. Dass sie ein „Commitment“ verspüren. Dann ist der Klassenraum eine Art Basis des Lernens, aber keine ausschließliche: Wenn es individuell Sinn macht, gewisse Stunden woanders zu verbringen, und das gilt für Kinder mit und ohne Behinderung, verlagert sich der Unterricht. Wir müssen kreativer denken, die Schule den Kindern anpassen – bisher läuft es andersrum.
Wir brauchen also ein System, in dem Lehrkräfte und Förderpädagoginnen gemeinsam schauen, wie die Kinder bestmöglich begleitet werden. Doch wo sind die Förderpädagoginnen, deren Förderschulen gerade geschlossen werden – gehen die nun in die Regelklassen? Oft nicht. Denn der Staat spart. Eine Unterschrift unter die Konvention konnte er im Jahr 2009 setzen, aber allzu viel kosten darf diese nicht.
Dabei sind die Beispiele, wie es besser laufen kann, unübersehbar. Finnland und Kanada schneiden in den Schulleistungstests von PISA regelmäßig stark ab, Deutschland weniger. Beide Länder haben keine Förderschulen – und dokumentieren, wie gemeinsames Lernen in Schulen, die tatsächlich für alle sind, messbare Erfolge bringt, das besser dasteht als die Ergebnisse unseres 200 Jahre alten Schulsystems.
Wie es anders gehen kann, zeigt auch ein Beispiel in Deutschland. Es gab eine Förderschule, im brandenburgischen Templin, die öffnete sich 2003, also weit vor der Unterschrift von 2009, für Inklusion: Sie gestattete auch Kindern ohne Behinderung den Besuch. Seitdem lernen dort Kinder mit und ohne Behinderung, und zwar in gleicher Gruppenstärke, gemeinsam und erfolgreich. Die Schule ist gefragt, ein echter Leistungsbringer und Grundstein für berufliche
Karriere. Warum gibt es in Deutschland nicht viele solcher Schulen?
Wir müssen weg vom Denken in geschlossenen Systemen. Hier knallharte Regelschule wie ehedem, dort Förderschule wie zu Elternzeiten – diese Systeme gehören aufgebrochen. Dazu braucht es viel mehr Geld, das sei den Schildbürgern im Rathaus gesagt. Es braucht aber auch ein neues Denken.
Dieses ist nicht besonders revolutionär, und vom Himmel fällt es auch nicht. Wir alle müssen erfahren, was wir können und was nicht. Auch mit Niederlagen in den Klassenräumen als Basen neuen Lernens ist umzugehen, da wird es Mobbing geben, weil es das immer gab, aber damit ist sowieso umzugehen – sei es beim Hänseln von Kindern mit Behinderung, von Rothaarigen, Dicken oder Strebern.
Wenn wir anfangen, Inklusion uns umfassender vorzustellen, dann klappt das schon: Je mehr Berührung, desto weniger Vorbehalte, Vorurteile und Ängste. Reibung tut gut! Denn letztlich soll mir mal einer erklären, warum es die Erwachsenen sind, die Probleme mit der Inklusion haben – und Kinder nicht.