Albrecht Behmel's Blog: über Bücher, Filme und Publikationen, page 8
July 19, 2013
Berlin-Express Historie, Kapitel 3

»Den Trichterbecher in seim Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!« So ähnlich wollten das ja die Steinzeitkommunisten haben, aber wie immer kam alles vollkommen anders, nämlich wieder 'ne Revolution, wenn auch keine so friedliche wie die letzte bei der Wende oder grade eben mit der Jungsteinzeit.
Denn auf einmal hatte so ein Kupferstecher im Irak ausklamüsert, wie man Erz bearbeitet und hatte damit durchschlagendsten Erfolg bei seinem Nachbarn, denn von da an waren die olln Steinwerkzeuge im Vergleich dazu wie ein Trabi neben einem Range Rover. Über Umwege sind diese bestechenden Niedermachwerke zu uns gekommen, bis die Trichterbecherleute selber auf den Trichter gekommen sind, wie man Metall kocht, erst Kupfer, und dann, weil es Hertha is, auch mal Bronze.
Die Berliner hießen in dieser Zeit aber immer noch nicht »Berliner«, sondern »Lausitzer Kultur« und die bestand unter anderem darin, dass wir die Sonne angebetet haben, Haustiere gehalten haben, dicht besiedelt waren und Müll hinterlassen haben – genau wie heute. Im Schloss Wolfshagen gibt es dazu eine Ausstellung über das Königsgrab von Seddin, mit königlichen Rasiermessern – so was hat nicht jeder bekommen, und darum muss es sich bei dem Erzhalunken im Museumsgrab eben um so was wie einen König gehandelt haben. Meistens dienten die Kupferwaren aber nicht einem königlichen Kinn, sondern der vorchristlichen Nächstenhiebe, immer feste druff auf die Glockenbecher!
Und damit stand jetzt die Bronze als unbestrittenes Edelmetall da, bis sie dann selbst wieder abgelöst wurde. Doch zum alten Eisen gehörte sie deshalb noch lange nicht. Weil nun leider die Schrift unbekannt war, weiß man bis heute keinen einzigen Namen von den ersten kulturschaffenden Berlinern … Aber sonst haben wir alles ganz gut gemacht …
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Published on July 19, 2013 15:05
July 18, 2013
Fiktionalistik: Erfundene Unternehmen

In meiner fiktionalistischen Reihe über den Einfluss des Erfundenen auf die Wirklichkeit geht es diesmal also um erfundene Unternehmen, wobei einige davon auch mit erfundenen Produkten handeln, andere jedoch ziemlich nah an der meat sphere liegen.
in Monty Python's The Meaning Of Life erfahren wir von einer "bösen" Kapitalgesellschaft, die sich Very Big Corporation of America nennt. Dieses Unternehmen hat mehrere Tochtergesellschaften, darunter eine Versicherungsgesellschaft, die von älteren und daher entlassenen Mitarbeitern im Piratenstil gekapert wird. Es ist eine Rachephantasie, die sich - typisch Monty P - in erster Linie gegen sich selber richtet.
Eine kleine, gebeutelte und daher liebenswerte Firma sind die Ghostbusters, ein paranormales Start-Up Unternehmen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Geister aus der Welt der Menschen zu verbannen. Die Geschäftsführer Peter Venkmann, Ray Stantz und Egon Spengler legen dabei halb Manhattan lahm. Die Ghostbusters haben, und das ist bemerkenswert eines der erfolgreichsten Logos (Sound und Graphik!) aller Zeiten.
Die ACME Corporation ist ein Vorläufer von Amazon, eine Art Universal-Händler

Ein Konzern, der im Weltall nach Rohstoffen, siedlungsbereiten Planeten und waffenfähigen Lebensformen sucht, ist die Weyland Corporation, der es um Haaresbreite gelungen wäre, die Xenomorphs, bekannt auch als Aliens, auf die Erde zu holen. Verwandt sind die High-Tech Firmen Rekall, die künstliche Erinnerungen verkaufen, Oscorp, die menschliche DNA mit tierischer mischen und die teuflische Umbrella Corporation, die sich darauf spezialisiert hat, biologische Waffen herzustellen, die harmlose Bürger in Resident Evil verwandeln.
Ähnlich wie der Kleine Horrorladen, nur viel größer ist die Monster AG, ein Konglomerat von Unternehmen, die aus Kinderangst Energie gewinnen, bis eines Tages die Entdeckung gemacht wird, dass das Lachen einen wesentlich höheren Wirkungsgrad hat - eine Parabel für die Suche nach alternativen Energiequellen durch die Brille von Pixar. Was mir an diesem Konzern besonders gefällt ist eine Sicherheitsvorschrift, die besagt, dass jeder, der in Kontakt zu Menschen geraten ist, gründlich dekontaminiert werden muss. Eine ziemlich tiefgründige Wahrheit über unsere Spezies.
Der Daily Planet aus Metropolis, zum Schluss, ist ein fiktives Unternehmen, das nicht in die Zukunft konstruiert ist, sondern in die Vergangeneit. Dieser Zeitungsverlag repräsentiert die uralten journalistischen Tugenden der Wahrheitssuche und der Gründlichkeit der Recherche. Ein Verlag der guten alten Zeit, der keinerlei Agenda pflegt außer dem Ziel, den Lesern täglich Wahrheit zu liefern. Eine weitere Attraktion des Unternehmens ist natürlich auch die Tatsache, dass Superman dort angestellt ist.
Published on July 18, 2013 11:51
July 16, 2013
Zehn Jahre "Welt der Wissenschaft und des Suffs"
Diesen Herbst vor zehn Jahren kam mein erstes Hörspiel auf den Markt.
Es hat den Titel, "Ist das ihr Fahrrad Mr. O'Brien? Eine Hörspiel-Collage aus der Welt der Wissenschaft und des Suffs" in der Regie von Nikolai von Koslowski.

Deswegen habe ich mir gedacht, egal, ich mag lange Titel und mache es trotzdem, und wieder und wieder, wie zum Beispiel bei "Von der Kunst zwischen sich und dem Boden ein Pferd zu behalten", (das der Weltbild Verlag in seiner Lizenz-Ausgabe vollkommen phantasie-befreit und faktisch falsch umbenannt hat in: "Auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück dieser Erde." Das ist der Fluch der Zielgruppen-Religion. Denn auf dem Rücken der Pferde liegt höchstens ein Sattel oder ein Apachenkrieger und sonst nichts).
Jedenfalls, Flann O'Brien: Das Skript wurde 2003 vom Saarländischen Rundfunk produziert und kommt jedes Jahr irgendwann einmal wieder im Radio, was mir stets große Freude bereitet, natürlich auch, weil wir für die Produktion einen Preis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste gewonnen haben.
Die Jury schrieb damals, dass die
Collage zu Leben und Werk des irischen Dichters Flann O'Brien besticht durch die Herz erfrischende Art des Erzählens – wobei die weit verbreiteten Klischees über Irlands Bewohner (Melancholie und heftiger Alkoholkonsum) ironisch gebrochen und derart respektlos aufpoliert werden, dass ein funkelndes, fesselndes Hör-Erlebnis entsteht. Dabei gelingt es durchaus, neben seinem umwerfenden Witz auch die Tragik Flann O'Briens deutlich zu machen – ohne jede Vordergründigkeit.

Von Harry Rowohlt stammt natürlich auch der Refrain des Hörspiels (ja so was gibt es) nämlich diese unsterblichen Zeilen über den Portwein und über das Älterwerden, und wenn es nur zehn Jahre sind:
Die Gesundheit läßt nach, Du bist nicht mehr jung,
der Arzt sieht Dich an, und er greint,
und er rät Dir zu Luftveränderung,
DANN IST EIN PORTER DEIN EINZIGER FREUND*
Published on July 16, 2013 11:06
July 13, 2013
Große Schurken, große Reden

William M. Akers ging in seinem wunderbaren Werk über das Drehbuchschreiben "Your Screenplay Sucks!" so weit zu behaupten, dass ein Film ohne Schurken-Monolog prinzipiell fehlerhaft sei. Und er hat Recht, ohne diese Monologe würde etwas fehlen, denn die Schurken sind immerhin eine Hauptattraktion jeder Geschichte. Ohne sie hätten die Helden keine Chance, ihr Potenzial zu entfalten.
Thulsa Doom erklärt Conan, dem Barbaren diese Macht: "What is steel compared to the hand that wields it?"

Die meisten Schurken sind Darwinisten, deren Ethos sich gegen das idealistische (und damit zutiefst anti-darwinistische) Hollywoodkino richtet. Die Ironie liegt freilich darin, dass die großen Studios exakt nach den Prinzipien Macchiavellis geführt werden, nach den Regeln Darth Vaders und nicht nach den Regeln der Jedi Ritter, um einmal im Star Wars-Universum zu sprechen.
Deswegen sind die meisten Schurken natürlich auch Atheisten, ein weiteres Feindbild des klassischen Amerika. Besonders schön kommt dies in The Devil's Advocate zum Vorschein. Al Pacino spielt darin den Teufel, der auf der Erde eine Anwaltskanzlei betreibt, mittels derer er die Übeltäter der Welt unterstützt. Als sein Sohn, ein moralischer Antichrist, die Unternehmensnachfolge nicht antreten will, offenbart der Teufel ihm etwas über Gott den Herrn:
Let me give you a little inside information about God. God likes to watch. He's a prankster. Think about it. He gives man instincts. He gives you this extraordinary gift, and then what does He do, I swear for His own amusement, his own private, cosmic gag reel, He sets the rules in opposition. It's the goof of all time. Look but don't touch. Touch, but don't taste. Taste, don't swallow. Ahaha. And while you're jumpin' from one foot to the next, what is he doing? He's laughin' His sick, fuckin' ass off! He's a tight-ass! He's a SADIST!
Einer der schönsten Monologe findet aber nicht am Rand der Hölle, sondern ganz schlicht auf einem Riesenrad statt. Orson Welles spielt einen totgeglaubten Schmuggler, der im Dritten Mann (oh, diese Musik!) darüber sinniert, welchen Wert das menschliche Leben hat:
You know what the fellow said – in Italy, for thirty years under the Borgias, they had warfare, terror, murder and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love, they had five hundred years of democracy and peace – and what did that produce? The cuckoo-clock...
Published on July 13, 2013 04:14
July 9, 2013
Zamira - ein Kinderbuch über den Krieg


Andora ist übrigens der erste Maler, der eine echte Weltraum-Rakete bemalte und ins All schoss. Nein, es waren nicht die Amerikaner, sondern die Russen, die sich für das Projekt begeistern ließen. Wer hätte das gedacht?
Bei unserem Projekt "Zamira" geht es um die Geschichte eines kleinen Hundes, der im Krieg seine Herrchen verliert und dadurch erkennen muss, dass er lediglich ein Maskottchen war. Nun muss er, auf sich selbst gestellt, überleben. Er begegnet anderen Hunden, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie er und die sich nicht einig sind, welchen Weg sie am besten einschlagen sollten...
Sollen sie am besten wieder zu Wölfen werden, wie ein tapferer Chihuahua fordert, oder sollen sie die Menschen suchen, um wieder sicher und versorgt, wenn auch unfrei leben zu können? Darf man sein Halsband ablegen? Die Hunde beschließen, das uralte Orakel aller Tiere zu suchen und dort um Rat zu fragen...

Dabei versuchen wir, so viele "Regeln" des Kinderbuchmachens wie möglich kreativ zu brechen.
Für mich ist es ein sehr persönliches Werk, vor allem vor dem Hintergrund des schrecklichen Bürgerkriegs in Syrien, dem viele mir liebe Menschen auf verschiedene Weise zum Opfer gefallen sind und leider immer noch fallen. Die Geschichte spielt in einem namenlosen, vom Krieg zerstörten Land... Homs, Mostar, Kabul, Beirut, Dresden... Die Schicksale wiederholen sich.
Gemeinsam entwickeln wir die Figuren und die Charaktere zu etwas, wie wir hoffen, völlig Neuem. Ein Kinderbuch zu einem erwachsenen Thema mit erwachsener Kunst, aber kindlich erzählt (mein Job).
Published on July 09, 2013 14:49
July 8, 2013
Die hohe Kunst des Zeilenwitzes

Tacitus berichtete nichts deratiges von den alten Germanen. Geht die Humorarmut der Deutschen wirklich so weit zurück? Woran liegt es, dass wir im Vergleich mit Franzosen oder Iren so schwerfällig sind, was den Wortwitz betrifft?
Klar, es gab die sogenannten "Sponti-Sprüche" der Siebziger Jahre und einige überaus schlagfertige Figuren der deutschen Öffentlichkeit wie Joschka Fischer und auch Harald Schmidt, als er noch frisch war. Aber es ist kein Volkssport bei uns - was Fluch und Segen zugleich ist.
Trockene Bemerkungen, Grobheiten und Schnoddrigkeiten sind allgegenwärtig. Doch der Unterschied zum Witz liegt darin, dass Witze fast immer eine gewisse Weltsicht kommunizieren, die zum Nachdenken anregt, wie etwa in dem berühmten Berliner Beispiel von dem Mann, der in ein Taxi steigt und sagt: "Fahren Sie mich irgendwo hin, Männer wie ich werden überall gebraucht".
Dies ist eine Kunstform, die es trotz der deutschen Vorliebe, alles Angelsächsische zu imitieren noch nicht geschafft hat, sich einen festen Platz in der Humorlandschaft zu erobern, nämlich der komische One-Liner, dessen Virtuousen in Deutschland so gut wie unbekannt sind, wie das Wortgenie Rodney Dangerfield, der einmal diese Mini-Geschichte erzählte:
“A girl phoned me the other day and said… ‘Come on over, there’s nobody home.’ I went over. Nobody was home.“
Hier ist alles enthalten, was man über die Persona des Comedians wissen muss, um seine Gags zu verstehen.Oder Steven Wright, der Philosoph der One-Liner Unterhalter, der von sich behauptete,
“I like to tease my plants when I water them. I like to water them with ice cubes.”
Oder Jimmy Carr, der Bösartige, der folgende Beobachtung anstellte:
“British scientists have demonstrated that cigarettes can harm your children. Fair enough. Use an ashtray!”
One-Liner sind meistens ziemlich fies, kurz und verraten eine Menge über denjenigen, der sie ausspricht, was natürlich ebenfalls ein Stilmittel ist, um die Bühnen-Person des Comedians zu formen. Dabei richtet sich der Humor der One-Liner zumeist gegen den Sprecher selbst. Hier ist vor allem Jim Gaffigan ein Meister, der von sich sagte:
“Actually, the reason I look like this is because my father was from Sweden and my mother was Elton John.”
Wahrscheinlich liegt es genau daran, dass die Deutschen mit dem One-Liner nicht wirklich klarkommen, denn der Selbst-Humor oder die Selbstironie, wie man auch sagt, gehören hierzulande bekanntlich zu den bedrohten Arten.
Published on July 08, 2013 19:35
July 4, 2013
Internet und Religion - fast das gleiche
[image error] Was begeistert Menschen am Internet? Sind es die gleichen Faktoren, die für den Erfolg der mittelalterlichen Klöster sorgten?
Man kann fast sagen, die organisierte Religion war das Internet des Mittelalters. Die Kirche verfügte über ein internationales Netzwerk von Knotenpunkten, an denen Wissen gespeichert wurde, die Klöster. Zugang (login) war möglich für alle, die die Weltsprache Latein sprachen. In den Klöstern wurden Texte kopiert, vervielfältigt und verbreitet, Datenschutz wurde kaum praktiziert und Urheberrechte waren kaum zu schützen. Mittelalterliche Blogger wie Thomas von Aquin oder Duns Scotus erreichen gigantische Leserschaften.
Die Klöster speicherten praktisches, theoretisches und auch esoterisches Wissen, was dazu führte, dass riesige Konglomerate neben kleinen und kleinsten wirtschaftlichen Einheiten erwuchsen. Damit entstand ein paralleles Netzwerk zu den offiziellen Kanälen der höfischen Politik. Die Herrscher verstanden wenig von den technischen Funktionsweisen der Klöster und misstrauten den Leitfiguren.
Man kannte feindliche Übernahmen und Verdrängungskämpfe unter hochprofitablen Organisationen, es gab Booms, Blasen und Konkurse - genau wie im Silicon Valley. Die Klöster speicherten Wissen auf eine vollkommen neue Weise und verhinderten, dass alte Kenntnisse der Antike verloren gingen. Daraus schöpften sie Werte und Einfluss. Sie waren hoch vernetzte Archive, an denen ungezählte Menschen Redaktionsarbeit leisteten. Es gab kostenlose und kostenpflichtige Angebote.
Die Klöster des Mittelalters waren Plattformen, Datenbanken und soziale Netzwerke in einem. Das Internet kennt Heilsversprechen und Horrorszenarien, genau wie Dantes Inferno.
Das Internet ist, genau wie die Klöster des Mittelalters gleichzeitig eine zutiefst weltliche Angelegenheit, die jedoch zahllose Möglichkeiten bietet, dem Alltag zu entfliehen. Neue Kunstformen entstehen in solchen Rahmenbedingungen - vor allem in Bezug auf Musik, Grafik und Texte.
[image error] Icons Die Klöster wurden überwacht; Moderatoren herrschten über die Unterbereiche und sanktionierten Verstöße gegen die Netikette mit häufig brennendem Glaubenseifer. Die meisten Positionen waren mit Männern besetzt, die auf der Suche nach neuen Erkenntnissen waren und die ihre Datensammlungen eifersüchtig verteidigten. In Ecos Name der Rose wird geschildert, wie eine Art Open-Source-Bewegung für antike Texte entsteht, die von konservativen Autoritäten unterdrückt wird. Es ist eine uralte Frage, wie frei Informationen sein dürfen oder sollten. Die radikalen Antworten darauf sind fast ebenso alt.
Die Klöster kannten genau wie das Netz heute Aktivisten, Heilige, Ketzer, Visionäre, Saboteure und Karrieristen, die in dem Netzwerk Identität und Integration in ein faszinierendes Kommunikationssystem fanden, das alle anderen Systeme an Effektivität übertraf - und es versprach Sicherheit, Versorgung und Erlösung, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass die User sich beim Eintritt neue Namen zulegten.
Published on July 04, 2013 14:21
June 30, 2013
Eine revolutionäre Großmutter aus Tübingen
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Blick in das nächste Landspunkte-Interview mit Christian Riethmüller, Tübingen. In einem früheren Beitrag hatte ich über das Schicksal phantasieloser Buchhandlungen nachgedacht. Hier ist nun ein Gegenbeispiel und das seit 1596 n. Chr.
Die Osiandersche Buchhandlung in Tübingen hat mich beeindruckt. Für das über-nächste Landspunkte Interview unterhielt ich mich am 26.6. mit Christian Riethmüller.
Gestern ist Ihre Großmutter verstorben. Mein herzliches Mitgefühl.
Danke! Sie war ja unsere Senior-Chefin und immer bis zum Schluss mit dabei, eisern bis zu letzt - noch im Rollstuhl auf dem Tübinger Bücherfest kürzlich.
Sie wurde 95 Jahre alt, und sie war bekannt für ihre unglaubliche Energie.
Ja! Und ich habe mir gesagt, wenn die das noch liest, diesen Artikel über uns in Brand Eins, dann macht sie das unendlich stolz. Mein Großvater starb 1996, zwei Monate vor unserem vierhundertjährigen Jubiläum an einem Herzinfarkt, Gott sei Dank sehr friedlich - und das hat mich dran erinnert. Sie hatte fünf Söhne, von denen vier hier arbeiten, drei Enkel, die auch hier arbeiten, und so war immer jemand bei ihr.
Ihre Großmutter war ja außerdem eine Art Revolutionärin…
Ja, mein Onkel erzählte mir das. Als er zehn Jahre alt war, vor knapp 45 Jahren. Da war sie im Komitee zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, und sie hat damals Astrid Lindgren vorgeschlagen. Diesen Preis hatten bis dahin nur intellektuelle Männer erhalten. Dann hat Lindgren diesen Preis bekommen und sie kam dann zu uns zur Lesung - und zu uns nach Hause.
Die bedeutendste Kinderbuchautorin aller Zeiten daheim auf dem Sofa?
Was für ein Geschenk! Und ohne den Vorschlag meiner Großmutter wäre das nie passiert.
War das ein Einzelfall?
Nein. Es gibt immer wieder besondere Autoren. Zum Beispiel war Hape Kerkeling bei uns mit “Ich bin dann mal weg”. Er ist zwar nicht in erster Linie Autor, aber das Buch war ein besonderer Erfolg und er ist damit nirgendwo sonst hin.
Wie, Hape Kerkeling hat keine Lesungen gemacht?
Wir haben uns lange mit ihm unterhalten, und wir hätten sicher 10.000 Tickets verkaufen können. Aber er sagte, ich gehe nur in Buchhandlungen, weil ich als Autor wahrgenommen werden möchte und nicht als Komiker. Es waren sensationelle Lesungen; ich durfte ihn fahren.
Der Buchhandel ist ja eine leise Industrie, ohne große Sensationen in der Regel. Dennoch wandelt sich das Antlitz der Branche ständig und teils überaus radikal, wenn man etwa an die Erfindung des Taschenbuches denkt oder an die des E-Books.
Wir versuchen immer, an der Spitze der “Angreifer” zu sein. Es gibt ja in jeder Branche Firmen die bremsen und die in Innovationen tendenziell eher Nachteile sehen. Bei uns ist das so: Wenn wir einen Trend sehen, an den wir glauben, dann wollen wir richtig Vollgas geben.
Fortsetzung demnächst auf Landspunkte.de

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Published on June 30, 2013 13:25
June 24, 2013
Computer Games und Fiktionalistik
Für mich sind Computerspiele ein Vergnügen; als Autor verdiene ich damit Geld, es macht viel Spass, Hintergründe und Welten zu entwerfen und Charaktere auszubauen, wie in unserem inzwischen preisgekrönten "Fortress Under Siege", dessen zweiter Teil nächstes Jahr auf den Markt kommt.

Die Welt der Computerspiele als Phänomen ist faszinierend. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit gestaltet sich seit Kelman's Buch über die kunsthistorischen Hintergründe der Computerspiele immer weiter aus, vor allem im Hinblick auf die reflexartige Ablehnung, die sie bei manchen Leuten erfahren. Das sind bekanntlich oft "Pädagogen" wie Christian Pfeiffer ("Gewalt!"), die spüren, dass die Welt der Computer, die Vernetzung und die Interaktion die traditionelle Rolle des Lehrers gnadenlos überflüssig machen werden. Kein Aspekt der Jugend macht die veraltete Rolle der traditionellen Schulbildung so deutlich wie die Games.
Haben uns Grimm's Märchen dazu etwa verleitet, alte Hexen in Backöfen zu stoßen? Mich nicht. Ich denke vielmehr, dass die Strukturen der Spiele und die komplexen Anforderungen an Kooperationen, neue Wege für ganz neues Lernen eröffnet haben. Dass die Kombination aus technischem Wissen über Hardware, spielerischem Umgang mit Software und der starken sozialen Komponente (Team-Speak, W-Lan, aber auch die Organisation von Teams, etc.) eine wertvolle Dynamik für alle möglichen Arten von Inhalten sind.
Es herrschen in der Welt der Spiele einige Regeln, über die man sehr tiefsinnig nachdenken kann und die mit der realen Welt nur sehr bedingt etwas zu tun haben. Es sind radikale Vereinfachungen und Gegen-Entwürfe zur Wirklichkeit. Bekanntlich liegt darin immer die Quelle der Innovation.

Hier sind ein paar Beispiele:
_ Alle Nahrungsmittel, die man in Computerspielen irgendwo findet, kann man nicht nur essen, sie sind auch noch gesund und haben heilende Kräfte, anstatt einem den Magen zu verderben.
_ Reinkarnation ist zu umständlich und zu langsam. Respawning ist schneller und wirtschaftlicher. Man muss nach seinem Ableben einfach nur weiterklicken, und schon geht es weiter.
_ Wilde Tiere tragen Bargeld bei sich. Wenn man sie tötet, fallen ihre Münzen auf den Boden und man kann sie einsammeln. Diese Münzen verwandeln sich sodann automatisch in Guthaben anstatt einem die Taschen vollzumüllen. Das gleiche gilt für alle möglichen Arten von Rohstoffen.
_ Erste-Hilfe-Koffer oder Verbandskästen kann man verwenden, indem man einfach darüber hinweg-läuft. Hier hat die Medizintechnik in der Wirklichkeit echt noch einiges aufzuholen.
_ Erfahrung und Macht sammelt man nicht durch Bücher, Wissen, Kontakte und Werte, sondern mit konstantem Massenmord, für den man nie zur Rechenschaft gezogen wird, wie es in den Rittern der Kokosnuss so herrlich geschieht, wenn die Polizei eine Schlacht verhindert, indem sie die Ritter festnimmt.
_ Besonders vermisse ich in der Wirklichkeit die Tatsache, dass Geheimtüren sich farblich von ihrem Hintergrund leicht abheben. Türen, die man ums Verrecken nicht aufkriegen kann, gibt es immerhin in beiden Welten, aber nur in Computerspielen widerstehen diese Türen selbst schwerstem Gerät.
_ Froh kann man darüber sein, dass es in de Wirklichkeit keine Baumstämme oder Bordsteine gibt, über die man selbst als Superheld einfach nicht hinwegklettern kann.
_ Tröstlich ist da immerhin der Umstand, dass wenigstens die Musik niemals aufhört.
Published on June 24, 2013 11:50
June 17, 2013
Je weniger Haare desto größer der Schaden - Monster mit Glatze
Es ist nicht schwer, Schurken zu finden, die eine Glatze haben...

Zwar sind viele Neugeborene kahlköpfig, wenn sie auf die Welt kommen, doch ist die Glatze eher ein Symbol für Alter und Männlichkeit. Diese beiden Aspekte sind für viele Monster natürlich ganz wesentlich, etwa Eli Damaskinos, ein uralter Vampir, der seinen Sohn mit einem Virus infiziert, um die Rasse der Vampire zu stärken.
[image error] Lord V.Auch die Hellraiser, Gollum und der Kurgan aus Highlander sind uralte Wesen, deren Geheimratsecken längst in die Öffentlichkeit getreten sind. Xerxes aus 300 schmückt seine Glatze mit Perlenketten, die seine Dekadenz zum Ausdruck bringen sollen. Doch das ist bei Glatzen-Monstern eigentlich eher unüblich. Die Glatze ist ein Bekenntnis zu radikaler Vereinfachung und zur Schlichtheit. Sie ist eine Reduktion auf das Wesentliche. In der Filmgeschichte war dies ein geradezu notwendiger Schritt, da die Schurken ja - anders als ihre Gegenspieler, die Helden - radikale Individualisten und auch Egoisten sind.

Kahlköpfe, wie Lord Voldemort oder Mr. Freeze sind die Haare im Zuge ihrer Experimente ausgefallen, was einen anderen Aspekt der Glatze berührt, nämlich die Tatsache, dass eine Glatze auch ein Symptom von schwerer (moralischer oder anderer) Vergiftung sein kann. Auch in diese Gruppe gehört natürlich Gollum, der von der schwarzen Magie des Rings der Macht kontaminiert wurde und sein Leben auf unnatürliche Art und Weise verlängerte, was im Übrigen ein zentrales Attribut von klassischen Schurken ist, Dracula, Lord Bane, Darth Vader, Voldemort, Mr. Freeze - sie alle lehnten sich gegen den Lauf der Natur auf und strebten nach Unsterblichkeit - auf Kosten ihrer Haarpracht.
Published on June 17, 2013 14:03
über Bücher, Filme und Publikationen
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt seit 2012 mit seiner Frau Afraa und seinem Sohn Wieland im Schwarzwald. In diesem Blog geht es um Bücher, Publikationen und kreative Prozesse.
In einigen wissenschaftlichen Arbeiten befasst Albrecht sich mit Themen der Geistesgeschichte, aber auch mit der griechischen Antike, sozialen Mythen aus der jüngeren deutsch-europäischen Vergangenheit und mit den Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Albrecht ist überzeugt davon, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen wissenschaftlicher Literatur und Unterhaltungsliteratur gibt - vorausgesetzt sie sind gut geschrieben und recherchiert. ...more
In einigen wissenschaftlichen Arbeiten befasst Albrecht sich mit Themen der Geistesgeschichte, aber auch mit der griechischen Antike, sozialen Mythen aus der jüngeren deutsch-europäischen Vergangenheit und mit den Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Albrecht ist überzeugt davon, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen wissenschaftlicher Literatur und Unterhaltungsliteratur gibt - vorausgesetzt sie sind gut geschrieben und recherchiert. ...more
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