Albrecht Behmel's Blog: über Bücher, Filme und Publikationen, page 9
June 15, 2013
Schurken tragen Glatzen
Zuerst waren wir immer nur die Schurken ... wir Männer mit Glatze, doch das Gesetz der Schurkenwandlung, welches besagt, dass antagonistische Figuren sich stets im Laufe der Zeit in Protagonisten verwandeln, traf auch in unserem Fall voll zu.
Die ersten salonfähigen, "positiven" Glatzköpfe waren Yul Brunner und Telly "Kojak" Savalas, die, wenn sie auch nicht gerade romantische Jünglinge oder Helden spielten, so doch immerhin Sympathie-träger waren und das auf ziemlich coole Art und Weise.
Jeff Bridges als O. Stane
Wenn ein Kahlkopf einmal einen "guten" gibt, wie zum Beispiel Patrick Stewart in X-Men, dann ist das die absolute Ausnahme, genauso wie Meister Proper eine Ausnahme ist. Denn die Glatze war bis vor wenigen Generationen ein Tabu. Caesar und Ludwig XIV. waren kahlköpfig - und sie bedeckten ihre Glatzen mit Lorbeerkranz bzw. Alonge-Perücke. Heute wäre das anders. Die Glatze sich zu einem Zeichen dafür entwickelt, dass ein Schurke doppelt so viel Schaden anrichten kann. Caesar hätte das gefallen.
Die Glatze stand schon immer für eine gewisse Radikalität und den bewussten Verzicht auf die Normenwelt der (haarigen?) Mehrheit. Dies trifft vor allem auf die Welt der Frauen zu, wo die Glatze ein noch viel stärkeres Signal ist als bei den Männern, man denke an Sigourney Weaver in Aliens.
Die Glatze, so scheint es, ist ein Attribut von Mavericks, also von Figuren, die es mit Regelwerken nicht so genau nehmen, John McClane aus Die Hard ist so ein Typus, Jason Statham in Transporter oder Denton Van Zan aus Reign of Fire, auch Riddick, gespielt von Vin Diesel ist ein solcher Helden-Schurke, dem es schließlich gelingt, die Invasionsarmee seiner Feinde zu seinen Untertanen zu machen.
Vin DieselVielleicht ist von all diesen John Malkovich in vielen seiner Rollen zum Inbegriff des glatzköpfigen Schurken geworden: kahl, intelligent, gebildet, sarkastisch und, wenn es sein muss ziemlich rücksichtslos - womit er in die gleiche Kategorie fällt, wie Larry David aus Curb, der jedoch aus Sicht des radikalen Glatzkopfes ein Hybrid ist, denn er trägt Haarkranz.
Die Glatzköpfe bleiben natürlich auch reine Bösewichter zum Beispiel Dr. Evil oder Lord Voldemort, Logan, Obadia Stane aus Iron Man, John Doe aus Se7en oder Bullseye aus Daredevil - viele Mutanten oder Monster haben keine Haare, wie Gollum, der Vampir Eli Damaskinos (genau wie Nosferatu) oder auch Schwarzenegger als Mr. Freeze in Batman und Robin.
Die rituelle Kopfrasur war bereits im Mittelalter, bzw. der Antike ein Symbol der
Bruce WillisEntschlossenheit. fromme Ritter schoren sich die Köpfe, ehe sie in die Schlacht zogen, Nonnen und Mönche, genau wie die ägyptischen Priester (die sich nicht rasierten, sondern sich die Haare ausrissen) und tibetanische Adepten, ließen sich den Kopf rasieren, wenn sie ins Kloster eintraten. Der kahle Kopf symbolisiert seit uralten Zeiten Unumkehrbarkeit und den Eintritt in ein neues Regelsystem.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele Über-Schurken einfach zu paranoid oder zu beschäftigt sind, um zum Friseur zu gehen?
Die ersten salonfähigen, "positiven" Glatzköpfe waren Yul Brunner und Telly "Kojak" Savalas, die, wenn sie auch nicht gerade romantische Jünglinge oder Helden spielten, so doch immerhin Sympathie-träger waren und das auf ziemlich coole Art und Weise.

Wenn ein Kahlkopf einmal einen "guten" gibt, wie zum Beispiel Patrick Stewart in X-Men, dann ist das die absolute Ausnahme, genauso wie Meister Proper eine Ausnahme ist. Denn die Glatze war bis vor wenigen Generationen ein Tabu. Caesar und Ludwig XIV. waren kahlköpfig - und sie bedeckten ihre Glatzen mit Lorbeerkranz bzw. Alonge-Perücke. Heute wäre das anders. Die Glatze sich zu einem Zeichen dafür entwickelt, dass ein Schurke doppelt so viel Schaden anrichten kann. Caesar hätte das gefallen.
Die Glatze stand schon immer für eine gewisse Radikalität und den bewussten Verzicht auf die Normenwelt der (haarigen?) Mehrheit. Dies trifft vor allem auf die Welt der Frauen zu, wo die Glatze ein noch viel stärkeres Signal ist als bei den Männern, man denke an Sigourney Weaver in Aliens.
Die Glatze, so scheint es, ist ein Attribut von Mavericks, also von Figuren, die es mit Regelwerken nicht so genau nehmen, John McClane aus Die Hard ist so ein Typus, Jason Statham in Transporter oder Denton Van Zan aus Reign of Fire, auch Riddick, gespielt von Vin Diesel ist ein solcher Helden-Schurke, dem es schließlich gelingt, die Invasionsarmee seiner Feinde zu seinen Untertanen zu machen.

Die Glatzköpfe bleiben natürlich auch reine Bösewichter zum Beispiel Dr. Evil oder Lord Voldemort, Logan, Obadia Stane aus Iron Man, John Doe aus Se7en oder Bullseye aus Daredevil - viele Mutanten oder Monster haben keine Haare, wie Gollum, der Vampir Eli Damaskinos (genau wie Nosferatu) oder auch Schwarzenegger als Mr. Freeze in Batman und Robin.
Die rituelle Kopfrasur war bereits im Mittelalter, bzw. der Antike ein Symbol der

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele Über-Schurken einfach zu paranoid oder zu beschäftigt sind, um zum Friseur zu gehen?
Published on June 15, 2013 10:28
June 12, 2013
Schurken aus Deutschland: Postel, Rust, Funke und Karl May
Genau wie im Film...
... so ist es auch im richtigen Leben oft gar nicht so einfach zu sagen, wer ein Schurke ist - und wer nicht. Liegt es wirklich immer an der Perspektive oder an der Phantasie? Denn während es einfach ist, einen "Gegenspieler" oder Antagonisten ausfindig zu machen - das ist der, der dem Protagonisten ans Leder

Die Vokabel ist zwiespältig und wirkt archaisch, was einen ironischen Effekt haben kann. Mit den Begriffen wie "Bösewicht" oder "Unhold" ist es ganz ähnlich. Bedrohlich sind sie eigentlich nicht, was irreführend sein kann. Auch "Fiesling" klingt irgendwie fast schon lustig. Aber auch das passt!
Schurken haben anarchischen Charakter. Und Chaos kann erheiternd wirken - wenn man nicht davon betroffen ist.
Schurken sind Individualisten und damit schnell in der Nähe der Kriminalität. Sie verfolgen Ziele, die von der Gesellschaft nicht getragen werden und damit halten sie der Gesellschaft immer auch einen Spiegel vor. Kein Wunder, dass die Karrieren von Schurken oft tragisch oder tragikomisch enden. Das macht sie irgendwie sympathisch, ein wenig so, wie der Ritter von La Mancha sympathisch ist, ohne dass man deswegen gleich seinen Vorbildcharakter bestätigen würde. Aber in einer Hinsicht sind sie tatsächlich Vorbilder, nämlich in ihrer Missachtung von Autoritäten und ihrer Bereitschaft, soziale Konventionen in Frage zu stellen und zu brechen - und dabei gehen sie (oft) voll ins Risiko. Das macht ihre Biographien in vielen Fällen filmreif.
Meine Lieblingsschurken aus der Realität sind, nach dem Hauptmann von Köpenick (s.u. Carl Zuckmayer), die folgenden:
Arno "Dagobert" Funke, der in den späten Achtziger Jahren durch eine Reihe von Erpressungen bekannt wurde, die er überaus kreativ durchführte und dabei - ein zentrales Merkmal von Schurken, die Polizei eine Zeit lang narrte und dabei fast eine Art Volksheld wurde.
Der Hochstapler Gert Postel, der sich einige Jahre vor Dagobert als Arzt ausgab und an zahlreichen deutschen Kliniken nicht nur Karriere machte, sondern sogar psychiatrische Heilungserfolge erzielte. Bis er aufflog und verhaftet wurde.

Karl May, der bevor er literarischen Ruhm erlangte, als Trickbetrüger und Schwindler sein Lehrergehalt aufbessern wollte. Er verlor seinen Job und kam für vier Jahre ins "Zuchthaus", wie es damals noch hieß.
Carl Zuckmayer, der sich in den zwanziger Jahren als Lude und Kleindealer durchschlagen wollte, aber auf den rechten Weg zurückfand, als ihm klar wurde, dass er nicht ausreichend begabt und nervenstark für diese Art von Karriere war.
Konrad Kujau, dessen gefälschte Hitler-Tagebücher die ganze Gelehrten-Republik von Historikern, Journalisten und Experten narrten, bis einer schließlich auf die Idee kam, das Alter des verwendeten Papiers zu bestimmen. Im Zuge der Affäre erlitt der Stern eine katastrophale publizistische Niederlage.
Published on June 12, 2013 12:46
June 8, 2013
Filmdeutsche und die BBC
Deutsch sein, hieße eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, behauptete einst Richard Wagner. Was er wohl damit gemeint hat?
Die Frage, was eigentlich ein Deutscher sei, wurde in ganz besonderem Maße auch in Hollywood gestellt und beantwortet - zu Zeiten der Gründung ein stark von Deutschen wie Carl Lämmle mitgeprägter Ort.
Seit dem Ersten Weltkrieg gab es ja den "deutschen Schurken" im amerikanischen Kino, und seit dem Zweiten Weltkrieg ist er zum globalen Archetypen geworden; ob in Casablanca, Gesprengte Ketten oder Hogan's Heroes... Der teutonische "Herrenmensch" ist Witzfigur, Todesbote und Feindbild in einem - nur wenige andere Länder oder Kulturen dienen derart langfristig und fruchtbar als Ursprung von Bösewichtern, vielleicht einmal von Russland abgesehen. Japan und Italien indessen, die beiden anderen Achsenmächte und Feinde des Weltkrieges, taugen scheints lange nicht so gut.
Auch Österreich reicht nicht an das Potenzial dessen heran, was Preußen einst bedeutete: Die irrsinnige Figur des wahnsinnigen Dr. Strangelove hat diese größenwahnsinnigen Eigenschaften bei starken Minderwertigkeitskomplexen am besten miteinander vereint. Doch die Zeiten ändern sich (vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges) und die Archetypen ändern sich mit ihnen:
Hollywood hat sein Deutschland-Bild schneller geändert als etwa die englische Filmwelt, in der bis heute die Schurken, gegen die James Bond anzutreten hat, zu weiten Teilen deutsch sind, deutsche Autos fahren oder zumindest deutsche Helfershelfer haben, wie zum Beispiel den begabten Clemens Schick, der in Casino Royale den fiesen Kratt spielte und dessen ehemaliger Schulkamerad zu sein ich die Ehre habe.
Interessant ist vor allem das Deutschen-Bild jenseits des Nazis oder auch jenseits der Nazi-Zeit, vielleicht einmal von dem bemerkenswerten Thriller "Fatherland" abgesehen. Deutsche erscheinen in The Big Lebowsky oder in Die Hard - als Nihilisten beziehungsweise Terroristen; voll und ganz in der Tradition der humorlosen, gnadenlos tödlichen Urbilder. In Hellboy 2 und in den X-Men gibt es auch deutsche Figuren, nämlich den besserwisserischen Johann Krauss, eine Art Gaswolke in Menschengestalt, und den dämonisch wirkenden Mutanten Nightcrawler Kurt Wagner, der in der Lage ist, sich selbst überallhin zu teleportieren. Der Nightcrawler ist ein unfreiwilliger Schurke, der dazu gezwungen wird, ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten durchzuführen; er ist ziemlich bigott und leidet unter seinen Superkräften.
Hardy Krüger im Flight of the Phoenix gehört auch ein wenig in diese Tradition, auch wenn er natürlich (leider) kein Schurke ist, sondern einer der überaus seltenen deutschen Helden. Er baut
nämlich nach einer Bruchlandung ein zweimotoriges Flugzeug in der Wüste zu einem einmotorigen um, was an sich beinahe eine technische Unmöglichkeit darstellt, und rettet damit die Passagiere. Meine Lieblingsdeutschen sind allerdings die Mercedes Gangster aus Luc Bessons Taxi und die deutsche Ermittlerin, Petra, gespielt von der nicht sehr teutonischen Emma Wiklund-Sjöberg.
Dr. King Schultz ist ein besonderer deutscher Schurke, der an der Schwelle des Heldentums steht - erdacht von dem bemerkenswerten Quentin Tarantino, der sich mit dieser Figur für seine Erfahrungen beim Dreh von Inglourious Basterds bedankte. Dieser fast schon charmante Kopfgeldjäger entzieht sich auf erstaunliche Weise dem Sog der früheren deutschen Archetypen, und bleibt ihnen dennoch verbunden, etwa dadurch, dass auch Schultz sich für geistig überlegen hält und dies zumindest teilweise aus seiner Herkunft ableitet.
Was vereint diese Figuren? Ganz einfach: Sie sind nicht romantisch. Nicht mal im Ansatz. Das ist der Kernbefund aus zahlreichen internationalen Filmen mit deutschen Charakteren, ob Armin Müller Stahls Helmut aus Night on Earth (kein Schurke); ob der gleiche in The International; Johann Schmidt aus Captain America, Dr. Frankenstein, Dr. No (ein Volk von Gelehrten), Eric von Eberhard und Frau Farbissina, eine Cousine der Russin Rosa Kleb aus Austin Powers.
Dass das nicht schlimm ist, hat zumindest die BBC neulich festgestellt und Deutschland zu einem der beliebtesten Länder der Welt erklärt. Es bleibt zu hoffen, dass diese aus Sicht der Schurken geradezu perfide "Auszeichnung" die Qualität der Schurken Made in Germany nicht langfristig beschädigt.

Seit dem Ersten Weltkrieg gab es ja den "deutschen Schurken" im amerikanischen Kino, und seit dem Zweiten Weltkrieg ist er zum globalen Archetypen geworden; ob in Casablanca, Gesprengte Ketten oder Hogan's Heroes... Der teutonische "Herrenmensch" ist Witzfigur, Todesbote und Feindbild in einem - nur wenige andere Länder oder Kulturen dienen derart langfristig und fruchtbar als Ursprung von Bösewichtern, vielleicht einmal von Russland abgesehen. Japan und Italien indessen, die beiden anderen Achsenmächte und Feinde des Weltkrieges, taugen scheints lange nicht so gut.
Auch Österreich reicht nicht an das Potenzial dessen heran, was Preußen einst bedeutete: Die irrsinnige Figur des wahnsinnigen Dr. Strangelove hat diese größenwahnsinnigen Eigenschaften bei starken Minderwertigkeitskomplexen am besten miteinander vereint. Doch die Zeiten ändern sich (vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges) und die Archetypen ändern sich mit ihnen:
Hollywood hat sein Deutschland-Bild schneller geändert als etwa die englische Filmwelt, in der bis heute die Schurken, gegen die James Bond anzutreten hat, zu weiten Teilen deutsch sind, deutsche Autos fahren oder zumindest deutsche Helfershelfer haben, wie zum Beispiel den begabten Clemens Schick, der in Casino Royale den fiesen Kratt spielte und dessen ehemaliger Schulkamerad zu sein ich die Ehre habe.
Interessant ist vor allem das Deutschen-Bild jenseits des Nazis oder auch jenseits der Nazi-Zeit, vielleicht einmal von dem bemerkenswerten Thriller "Fatherland" abgesehen. Deutsche erscheinen in The Big Lebowsky oder in Die Hard - als Nihilisten beziehungsweise Terroristen; voll und ganz in der Tradition der humorlosen, gnadenlos tödlichen Urbilder. In Hellboy 2 und in den X-Men gibt es auch deutsche Figuren, nämlich den besserwisserischen Johann Krauss, eine Art Gaswolke in Menschengestalt, und den dämonisch wirkenden Mutanten Nightcrawler Kurt Wagner, der in der Lage ist, sich selbst überallhin zu teleportieren. Der Nightcrawler ist ein unfreiwilliger Schurke, der dazu gezwungen wird, ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten durchzuführen; er ist ziemlich bigott und leidet unter seinen Superkräften.
Hardy Krüger im Flight of the Phoenix gehört auch ein wenig in diese Tradition, auch wenn er natürlich (leider) kein Schurke ist, sondern einer der überaus seltenen deutschen Helden. Er baut

Dr. King Schultz ist ein besonderer deutscher Schurke, der an der Schwelle des Heldentums steht - erdacht von dem bemerkenswerten Quentin Tarantino, der sich mit dieser Figur für seine Erfahrungen beim Dreh von Inglourious Basterds bedankte. Dieser fast schon charmante Kopfgeldjäger entzieht sich auf erstaunliche Weise dem Sog der früheren deutschen Archetypen, und bleibt ihnen dennoch verbunden, etwa dadurch, dass auch Schultz sich für geistig überlegen hält und dies zumindest teilweise aus seiner Herkunft ableitet.
Was vereint diese Figuren? Ganz einfach: Sie sind nicht romantisch. Nicht mal im Ansatz. Das ist der Kernbefund aus zahlreichen internationalen Filmen mit deutschen Charakteren, ob Armin Müller Stahls Helmut aus Night on Earth (kein Schurke); ob der gleiche in The International; Johann Schmidt aus Captain America, Dr. Frankenstein, Dr. No (ein Volk von Gelehrten), Eric von Eberhard und Frau Farbissina, eine Cousine der Russin Rosa Kleb aus Austin Powers.
Dass das nicht schlimm ist, hat zumindest die BBC neulich festgestellt und Deutschland zu einem der beliebtesten Länder der Welt erklärt. Es bleibt zu hoffen, dass diese aus Sicht der Schurken geradezu perfide "Auszeichnung" die Qualität der Schurken Made in Germany nicht langfristig beschädigt.
Published on June 08, 2013 13:41
June 5, 2013
Filmschurken und Tabubrüche - die Wahrheit vertragen.

Die Gesellschaft hält sehr effektive Mechanismen bereit, wie sie den Tabu-Bruch ahndet. Im Film passiert dies zumeist mit Gewalt, die vom Helden gegenüber dem Schurken angewendet wird.
Große Schurken und Monster im Film brechen zentrale Tabus, daran erkennt man sie, zum Beispiel, das Tabu, Menschenfleisch zu fressen, wie die Aliens, Hannibal Lecter oder King Kong; oder das Tabu, bedingungslos nach Profit zu streben, wie Gordon Gekko in Wall Street oder Gott zu verfluchen, wie Graf Dracula. Die Sith-Lords aus dem Star Wars Universum zum Beispiel vertreten einen konsequenten Darwinismus, nicht nur gegenüber ihren Opfern, sondern auch gegenüber sich selbst. Wer zu schwach ist, in einem Kampf zu siegen, der verdient es, unterzugehen. So lautet das Credo von Sith-Schurken wie Darth Blane, Palpatine oder Darth Vader.
Hätten die Schurken unrecht, dann würde es keinen Spass machen, die Filme anzuschauen. Denn bis zu einem gewissen Grad folgen wir, das Publikum dem Schurken auf seiner Reise und können seine Motive nachvollziehen:
Jagen und Töten ist aufregend - Predator
Selbstjustiz ist auch eine Lösung - Dirty Harry
Rache ist Selbstzweck - Kapitän Nemo
Menschen sind die schlimmsten Monster - Prinz Nuada
Chaos und Gewalt sind faszinierend - Der Joker
Verbrechen zahlen sich aus - Professor Moriarty
Im Genuss an sich liegt der Sinn des Lebens - Lord Henry
Interessant sind Tabubrüche deswegen, weil sie un-soziale, amoralische Wahrheiten thematisieren, die vom Mainstream geleugnet werden müssen, wenn die sie umgebende Gesellschaft funktionieren soll. Gesellschaften jeder Art basieren auf kollektiven Fiktionen.
Man könnte auch sagen, es ist die Aufgabe von Protagonisten im Film, die "Politische Korrektheit" wieder herzustellen. Einer der interessantesten Schurken der Filmgeschichte ist in dieser Hinsicht Nathan R. Jessup aus dem Film "A Few Good Men" (1992), der seinen Anklägern ins Gesicht sagt, dass sie die Wahrheit nicht vertragen. Besser hat es kein Schurke jemals auf den Punkt gebracht...
Was man von den Schurken in populären Filmen lernen kann, wenn man will, ist die Auflehnung gegen das politisch Korrekte, gegen den öden Konsensus und die Schein-Toleranz der Gutmenschen, die jedoch selbst sofort bereit sind, ein Tonscherbengericht anzustellen, um die Dissidenten streng zu bestrafen.
Die Schurken des realen Lebens hatten ähnlich unbequeme Thesen. Die sozialen Sanktionen gegen sie sind/waren teilweise erheblich.
Menschen sind Tiere - Charles Darwin
Sterbehilfe ist human - Julius Hackethal
Der Koran ist ein Werk der Belletristik - Salman Rushdie
Multikulti ist gescheitert - Thilo Sarrazin
Religionen töten Menschen - Richard Dawkins
Die Europa-Politik der Bundesregierung ist verfassungswidrig - Bernd Lucke
Man muss sein Geld vor dem Staat schützen - Uli Hoeneß

In gewisser, paradoxer Weise stehen Schurken deswegen für die Freiheit, selbst wenn sie, wie zum Beispiel Goldfinger, alles unternehmen, die Freiheit der Mehrheit zu unterminieren. Ohne diese radikalen und daher inspirierenden Gegenentwürfe zum Wertesystem der Masse, könnten Helden nicht beweisen, wie vermeintlich nützlich sie der Gesellschaft sind - indem sie den im doppelten Sinn "wahrhaftigen Individualismus" der Schurken zerstören. Mit dem Verfall der Schurkenkultur im realen Leben wie im Film, sinkt leider auch die Qualität der Helden...
Published on June 05, 2013 13:09
May 31, 2013
Leseprobe Mitte - Fortsetzung

... Ich hab auf meinen Sektor vom Obstsalat geschaut, als es an der Tür klingelte, und das ist bei uns keine Kleinigkeit, weil diese Klingel an der Tür, die klingelt so, als hätte das Jüngste Gericht seine Sitzungspause beendet und würde jetzt gerne mit der ewigen Verdammnis fortfahren. Und wenn dann auch noch meine Schwester Felizitas auf den Knopf gedrückt hat, dann ist es halt sozusagen: noch lauter.
Es war Feli.
"He, Feli, was machst du denn für ein Gesicht, Schwesterherz?"
Was die inneren Organe betrifft, da ähnelt meine Schwester aber eigentlich keinem Herz, sondern eher einer Gallenblase, aber ich wollte nett sein, und deswegen hab ich zu ihr halt mal "Schwesterherz" gesagt und nicht, Schwesternmilz oder Schwesterndarm.
Sie ist voll in die Küche rein und hat sich umgeschaut, ob irgendwelche Terroristen anwesend sind. Dann sagte sie:
"Oh, ich sag's dir! Das war vielleicht ein Tag..."
Sie setzte sich hin. Ich sagte:
"Wasn los?"
Bei der Feli muss man höllisch aufpassen, wenn sie was sagt, weil sie, nachdem sie was gesagt hat, immer noch was anderes sagt, und damit bringt sie dich dann ruckzuck bis zum Kinn in die Djinga Masala mit vier Pepperonisymbolen kurz vor der Preisangabe.
Die Feli hat sich auch einen Obstsalat genommen und angefangen zu reden, über alles gleichzeitig, aber: Der Punkt ist: Sie hatte Ärger. Soviel konnte ich sofort verstehen. Ich setzte mich aufmerksam hin und sagte:
"Du meinst: Du hast Ärger?"
"Das hab ich dir doch grad erklärt, Albrecht. Hörst du eigentlich nie zu?"
"Ich hab noch Schaum in den Ohren."
Und das war absolut die Wahrheit, aber das Problem war, dass die Feli so schnell über alles gleichzeitig gesprochen hat, dass ich keine Chance hatte richtig zuzuhören, weil ich ja eher ein langsamer Zuhörer bin. Und das bin ich aus Vorsicht, und die ist bei der Feli absolut notwendig, für alle Leute, die kein Interesse daran haben, ihre eigenen inneren Organe am nächsten Tag in der Abteilung "Sonderangebote für Transplantationen" wiederzufinden.
Dann hat sie alles noch mal erklärt, und was ich verstanden habe, das ist, dass sie ihren Verleger interviewt hat, und dabei muss sie die gleiche Technik angewendet haben, wie bei den üblichen Opfern, aber das Problem ist, dass der Verleger das überhaupt nicht witzig fand, als er sich selbst am nächsten Morgen in seiner eigenen Zeitung ausgeweidet und zum Wolpertinger ausgestopft wiedergesehen hat. Ich sagte:
"Du hast deinen Chef gegrillt?"
"Meinen Chef-Chef sogar."
"Gratuliere... ich wette, das war eine ganz neue Erfahrung für ihn."
Das hab ich gesagt, weil: Ich sehe immer gern auch die positive Seite von guten Dingen. Dann hab ich gesagt:
"Du hast ihm die üblichen Fragen gestellt, wie deinen ganzen anderen armen Opfern auch immer, und er ist drauf reingefallen?"
"Wie ein Jo-Jo"
"Hä?"
"Immer wieder."
"Ah!"
"Genau."
"Und warum ist das schlecht?"
"Sag mal, bist du nicht ganz klar im Kopf?"
Ich schaute mich um:
"Wibke?"
"Ja, honey?"
"Was würdest du auf so eine Frage antworten, Wibke? Bin ich nicht ganz klar im Kopf?"
"Aber natürlich bist du das, Honey, iss deine Polenta, hm?"
Sie sagt manchmal "Maus" zu mir, die Wibke Schmidt, oder "Schatz", und ich vermute, dass sie mich gerne auf einer Pirateninsel vergraben würde, und das wars dann, aber "Hanni"? Das war neu! Sie sagte:
"Ich hab honey gesagt, nicht Hanni, aber Hanni ist eigentlich auch ganz gut; netter Name für ein Mädchen, oder? Ich denk oft an Namen für Kinder."
Wuäh!
"Siehst du, Feli? Die Wibke findet, dass man das so nicht sagen kann..."
"Was ist das denn eigentlich die ganze Zeit für ein Geplärre da aus deinem Zimmer?"
"Das ist die Jenny, sie singt."
Published on May 31, 2013 08:00
May 30, 2013
Leseprobe Mitte 1

Leseprobe aus Mitte - erster Band
Wampe con carne
"Albrecht", sagte die Wibke Schmidt zu mir, als ich total entspannt bei mir zuhause in der Badewanne lag, "du bist fett!"
Ich sagte:
“Echt? Das darf doch nicht wahr sein!”
Weil: Das war wieder eine von genau den Frechheiten, die ich mir jeden Tag in meiner eigenen Wohnung anhören muss, seit die alle bei mir eingezogen sind. Und von all denen ist die Wibke Schmidt das beste Gegenmittel für Entspannung, das ich kenne. Sie sagte:
"Doch, fett wirst!"
"Sag mal, knirscht dir die Bindung, Wibke?"
"Okay, wärs dir lieber mit dickleibig, feist, untersetzt, hm?"
"Also, ich bin überhaupt nicht untersetzt…"
"Doch, ziemlich untersetzt sogar, vor allem am Unterbauch. Hier!"
Sie griff mir voll an die Schwarte. Ich sagte:
"Ouh! He!"
Dann ist sie in die Küche gegangen, und ich hab mir vorgenommen, nur noch Schaumbäder zu nehmen. Und dabei hatte ich mich eigentlich nur in die Badewanne gelegt, weil die Jenny im Schlafzimmer saß und die ganze Zeit gesungen hat. Und dann kommt die Wibke und verleidet mir das Asyl.
Ich muss sagen, ich fand das unfair von der Wibke Schmidt, weil: Schau mal, es ist doch so: Die Wibke Schmidt braucht vier bis fünf warme Mahlzeiten am Tag, ständig hungrig, wenn ihr versteht, was ich meine: Sie frisst wie eine der ernster zu nehmenden ägyptischen Plagen, aber das Komische an der Sache ist, dass sie selber kein einziges Gramm zunimmt, jedenfalls nicht öffentlich, weil sie jedesmal, wenn sie mal zu doll an die Steaks gegangen ist, sofort zum Sport rennt und sich wieder alles von den Hüften runterstrampelt.
Ihre Fitness-Kurse heißen:
Pilatus; Bauch-Attack und Rock Butt - oder so ähnlich. Und ich? Na, ich kriege halt auch vier bis fünf warme Mahlzeiten am Tag und werde untersetzt. Aber: Ich hatte wirklich zugenommen. Der Schaum stand nicht hoch genug, also hab ich noch mal heißes Wasser nachlaufen lassen.
Die Wibke Schmidt hat vorher schon eine ganze Weile lang versucht, mich dazu zu bringen, mit ihr mal ins Gym zu gehen, eben weil sie fand, dass ich zu fett bin. Sie funkte:
"Aber nein, das ist es doch gar nicht: Mehr Bewegung würde dir einfach gut tun, meinst du nicht auch? Und es wär doch auch schön, wenn wir zwei mehr miteinander unternehmen, wenn du schon nicht mit mir in den Aquarellkurs willst."
Sie hatte direkt in mein Gehirn reingeredet, die Wibke Schmidt, exakt da, wo sich mein Gewissen versteckt hält und hofft, dass niemand es entdeckt... Das macht sie immer, die Wibke, redet mir direkt ins Hirn rein. Manchmal ist das okay, wenn ich beim Kaisers vergessen habe, was ich mitbringen soll, aber meistens nervt es mich einfach nur.
Das ist ja überhaupt ganz oft so bei den Frauen, dass sie zuerst ganz harmlos und lieb aussehen und so tun, als würden sie dich für irgendwas bewundern, und, zack, entern sie dir die Kommandobrücke, übernehmen die Kontrolle über deinen Öltanker, und dann ordnen sie einfach einen neuen Kurs an: Aquarell-Atoll oder so eine Region, wo die ganzen Atomtests stattfinden.
Published on May 30, 2013 12:30
May 28, 2013
Schwiegermütter, Polizisten und Blondinen

-- Zwei Schwiegermütter!
Schwiegermütter sind aus offenkundigen Gründen eine besonders beliebte Zielscheibe von Witzen, ähnlich wie Pfarrer, Polizisten, Ärzte und Lehrer - diese Gruppen haben alle eines gemeinsam, nämlich, dass ihr Verhalten, ihr sozialer habitus, sich von dem ihres Umfeldes unterscheiden muss, um eine Wirkung zu haben. Das macht sie zu Witzfiguren, genau wie Trunkenbolde, die natürlich auch verhaltensauffällig sind - wie zum Beispiel die Figur des W.C. Fields.
Insofern sind die Blondinenwitze etwas Besonderes, denn die Zielperson ist komplett austauschbar. Die Pointe funktioniert auch mit anderen Gruppen:
Unterhalten sich zwei Blondinen. Sagt die eine: "Ich hab einen Schwangerschaftstest gemacht." Sagt die andere: "Und? Waren die Fragen schwer?"
Dieser Witz könnte genauso gut mit Nonnen, weltfremden Mathematikerinnen und anderen Gruppen funktionieren... Aber nicht unbedingt umgekehrt: Mathematiker-Witze funktionieren nicht automatisch auch mit Blondinen, aber hin und wieder schon:
Sagt der Schüler zur Mathematiklehrerin: "He, Moment mal, gestern haben Sie aber gesagt, dass x = 2 ist!"
Die Pointen-Figur durch eine andere zu ersetzen ist übrigens ein bewährtes Analyse-Instrument aus der Literaturwissenschaft, es funktioniert ähnlich oder eigentlich genau wie in der Mathematik.
Mit dem so genannten "Substitutionstest" kann man - und jetzt wird es wieder praktisch - herausfinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass der Witz
schon einen langen Bart hat. Je allgemeintauglicher die Pointe, desto länger vermutlich der Bart. In der Literaturwissenschaft, vor allem der Literaturgeschichte lassen sich mit dem Substitutionstest zum Beispiel Plagiate und verwandte Strukturen dramatischer Handlung nachweisen - teilweise gehen solche Verwandtschaften bis in die römische Antike oder ins Mittelalter zurück.

Welche Ziel-Gruppen gibt es außerdem?
Während die Franzosen besonders gerne über ihre flics lachen, was man auch an der Tradition solcher Filme wie Luc Bessons "Taxi" oder den St. Tropez-Filmen von Louis de Funès sehen kann, machen die Deutschen sich über Blondinen und Schwiegermütter lustig. An beiden Gruppen besteht in diesem Land kein Mangel, und somit sind die Witze sozial einigermaßen verträglich, weil politisch in den meisten Fällen "korrekt".
Klar, viele Sprachräume haben ihre geographische Zielscheibe, die Mädchen aus Essex, denen man eine besonders lockere Moral nachsagt, die Ostfriesen, die Belgier, die langsamen Berner, die trinkfesten und bauernschlauen Iren, etc.
Paddy fragt Mick wie er am schnellsten nach Dublin kommt.
"Zu Fuß oder mit dem Auto?", will Mick wissen.
"Mit dem Auto, sagt Paddy.
"Ja, das wäre am schnellsten," sagt Mick.

Woran erkennt man einen Rassistenwitz?
-- wenn du vorher schauen musst, wer hinter dir steht.
Einer der etwas fieseren Iren-Witze geht so:
Was ist der Unterschied zwischen einer irischen Hochzeit und einer irischen Beerdigung?
-- Ein Besoffener weniger.
Ähnlich wie bei den Blondinen ist es auch hier so, dass diese Pointe mit fast allen anderen Nationen funktionieren könnte, denen man nachsagt, dass sie gerne Alkohol trinken - Finnen, Russen, Deutsche, Ungarn, Engländer, Australier, Polen...
Es wird kein Zufall sein, dass vor allem die intoleranten Witze, die Gemeinheiten über "andere" vor allem in der Form von Frage und Antwort auftreten. Klassische Witze der Form "Kommt ein Mann in eine Bar..." benötigen eine minimale Dramaturgie, einen kleinen Spannungsaufbau und können sehr ausführlich erzählt, beziehungsweise ausgeschmückt werden. Fiese Witze, die oft nichts anderes sind als zugespitzte Vorurteile, kommen so gut wie immer ohne Plot aus.
Besonders interessant aus der Perspektive der Fiktionalistik, der Wissenschaft vom Erfundenen, sind freilich fiktive Orte, wo Individuen leben, die sich besonders idiotisch anstellen, also zum Beispiel das kleine Städtchen Schilda, dem Heimatort der berühmten, weil anarchisch-kreativen Schildbürger; Krähwinkel, die Heimat der beschränktesten aller Bornierten; Absurdistan, das Kernland der Beamten-Seelen und Bürokraten, über das der Sender Radio Eriwan wacht.
Frage an Radio Eriwan: Könnte man auch in der Schweiz den Sozialismus einführen?
Radio Eriwan antwortet: Im Prinzip ja, aber es wäre schade um das schöne Land.
Interessanterweise sind die meisten dieser fiktiven Orte, genau wie das Narrenschiff des Sebastian Brandt klein und räumlich ziemlich stark begrenzt:
der Landkreis Stenkelfeld irgendwo im Norden Deutschlands, das Schlaraffenland (das eigentlich eine Art Hölle ist), sowie Hintertupfingen, die süddeutsche Heimat der besonders rückständigen Hinterwäldler.
Published on May 28, 2013 14:54
May 27, 2013
Witz und Tabu - die Evolutionstheorie des Humors
Zwei katholische Priester stehen an der Bar.
Sagt der eine: "Das Ende des Zölibat werden wir wohl nicht mehr erleben." Sagt der andere optimistisch: "Wir nicht, aber unsere Kinder bestimmt."
Gute Witze brechen Tabus und zeigen schmerzliche Wahrheiten auf, wie dieser Witz hier von den beiden Priestern, bei dem die schmerzliche Wahrheit lautet, dass das Zölibat, ein Tabu-System, gebrochen werden kann und wird, und dass es Priester gibt, die unter der Ehelosigkeit leiden.
Die Evolutionstheorie des Witzes, die davon ausgeht, dass der Humor (besser gesagt der Sinn für Humor) vererbt wird, zeigt hier etwas Wundervolles:
Diejenigen Individuen, die in der Lage waren, restriktive Regeln zu brechen und Nachkommen zu zeugen leben in uns Heutigen fort - auch wenn sie ein Priestergewand tragen. Die Gene sind stärker. Sie verlangen Fortpflanzung, wie Richard Dawkins es ausdrückte, als er die Gene "egoistisch" nannte und für das Gegenstück der Gene, ideelle Inhalte, den Begriff Meme prägte. Witze sind Meme und sie spielen häufig auf das Kernstück der Existenz an, nämlich jenen brutalen Komplex aus Egoismus, Fortpflanzung, Verdrängung und Futterneid, dem wir Menschen unterworfen sind; wie in diesem Witz hier:
Die Patientin sagt zu ihrem Therapeuten: "Küss mich, Herr Doktor!" Sagt der Therapeut: "Das darf ich nicht. Im Grunde genommen dürfte ich nicht mal neben Ihnen auf der Couch liegen."
Ähnlich wie bei den beiden Priestern zuvor ist die Wahrheit ganz simpel: "Sex schlägt Moral" - und zwar immer wieder und immer wieder auf innovative und damit witzige oder zumindest gewitzte Weise. Das ist der Kern der Evolution. Alte Probleme neu zu lösen; klar, dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt. Diese Tatsache ist beunruhigend. Wir wollen nicht daran denken, wenn wir im Supermarkt an der Kasse stehen oder im Zug nach Zürich sitzen.
Jegliche Kultur beruht deswegen auf der Annahme, dass der Mensch etwas Höheres sei als die Natur und vor allem die fleischfressenden Tiere. Daher sind alle Anspielungen auf die Tatsache, dass der Mensch teil der Natur ist, mit Tabus belastet. Man könnte auch sagen, die Menschen hassen es, daran erinnert zu werden, dass sie lediglich eine besonders fiese Art von fleischfressendem Tier sind.
Das ist der archimedische Punkt vieler Witze.
Ein Mann sitzt beim Arzt. Die Befunde sind super. Sagt der Arzt: "Sie rauchen nicht, sie trinken nicht, ihr BMI ist nahezu perfekt, also ernähren sie sich gesund... und sie sagen, sie haben überhaupt keine Laster."
Sagt der Mann: "Ich will hundert Jahre alt werden!"
Sagt der Arzt: "Ja, aber wozu denn dann?"
Okay, die Pointe in diesem Witz ist vielleicht ein wenig vorhersehbar, und der archetypische Arzt, der alles gesehen hat und den Lehren seiner Profession zynisch gegenübersteht ist nicht erst seit House M.D. ein Renner.
Hier geht es um den Sinn des Lebens, der wie jeder weiß, der sich mit der Evolutionstheorie befasst, nicht darin liegt, möglichst lange zu leben, sondern darin, möglichst viel Schaden anzurichten. Die Kunst ist dabei, es so aussehen zu lassen, als sei man einer der Guten. Aus diesem Grund sind Schelmengeschichten so beliebt: Till Eulenspiegel, Simplizissimus, Pinocchio, die Feuerzangenbowle, der Baron Münchhausen - all die bauernschlauen und lebenstüchtigen Schlitzohren. Sie liegen uns mehr am Herzen als die reinen Helden mit weißer Weste.
Witze sind natürlich auch Ventile, die dazu dienen, gegen Unterdrückung vorzugehen - im Dritten Reich ebenso wie unter der SED. Vor allem dann, wenn es einem Schwachen gelingt, die Mächtigen zu schädigen, obwohl er sich genau an deren Regeln hält.
Eine alte, wacklige Dame kommt in die Bank und sagt zu dem jungen Schnösel an der Kasse: "Sie haben sich gestern bei der Barauszahlung um tausend Euro geirrt." Der Schnösel zeigt auf ein Schild und sagt: "Das hätten Sie sofort beanstanden müssen, jetzt ist es zu spät."
Sagt die alte Dame: "Na gut, dann behalte ich's eben."
Zwei an sich "sinnvolle" Logik-Systeme treffen aufeinander und berühren sich an dem Punkt, an dem Einigkeit besteht, nämlich: Beim Geldzählen sollte keine Fehler machen - und wenn es passiert ist einer der Dumme.
In gewisser Weise haben beide Recht, wie zwei Züge, die aufeinander zurasen. Die Pointe entspricht daher immer, wenn man so mag, einem Unglück, wie im Fall von diesem treuherzigen Museumswärter, der nach dem ersten Arbeitstag stolz zu seinem Chef kommt und sagt:
"Herr Direktor, sie werden sich freuen, heute war mein erster Tag, und ich habe schon zwei Kandinsky und einen Dix verkauft."
Dieser Witz ist einer meiner Favoriten. Ich frage mich, wie der Wärter das angestellt hat und wie der Direktor reagieren wird. Was der Wärter in früheren Jobs gemacht hat, wer die Kunden sind und natürlich, wieviel Geld er für die Werke verlangt und bekommen hat. Aber vor allem: Es ist diesem Nachfahren der Marx Brothers gelungen, gleich an seinem ersten Arbeitstag, die komplette Logik des Kulturbetriebs aus den Angeln zu heben.
Sagt der eine: "Das Ende des Zölibat werden wir wohl nicht mehr erleben." Sagt der andere optimistisch: "Wir nicht, aber unsere Kinder bestimmt."

Die Evolutionstheorie des Witzes, die davon ausgeht, dass der Humor (besser gesagt der Sinn für Humor) vererbt wird, zeigt hier etwas Wundervolles:
Diejenigen Individuen, die in der Lage waren, restriktive Regeln zu brechen und Nachkommen zu zeugen leben in uns Heutigen fort - auch wenn sie ein Priestergewand tragen. Die Gene sind stärker. Sie verlangen Fortpflanzung, wie Richard Dawkins es ausdrückte, als er die Gene "egoistisch" nannte und für das Gegenstück der Gene, ideelle Inhalte, den Begriff Meme prägte. Witze sind Meme und sie spielen häufig auf das Kernstück der Existenz an, nämlich jenen brutalen Komplex aus Egoismus, Fortpflanzung, Verdrängung und Futterneid, dem wir Menschen unterworfen sind; wie in diesem Witz hier:
Die Patientin sagt zu ihrem Therapeuten: "Küss mich, Herr Doktor!" Sagt der Therapeut: "Das darf ich nicht. Im Grunde genommen dürfte ich nicht mal neben Ihnen auf der Couch liegen."
Ähnlich wie bei den beiden Priestern zuvor ist die Wahrheit ganz simpel: "Sex schlägt Moral" - und zwar immer wieder und immer wieder auf innovative und damit witzige oder zumindest gewitzte Weise. Das ist der Kern der Evolution. Alte Probleme neu zu lösen; klar, dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt. Diese Tatsache ist beunruhigend. Wir wollen nicht daran denken, wenn wir im Supermarkt an der Kasse stehen oder im Zug nach Zürich sitzen.
Jegliche Kultur beruht deswegen auf der Annahme, dass der Mensch etwas Höheres sei als die Natur und vor allem die fleischfressenden Tiere. Daher sind alle Anspielungen auf die Tatsache, dass der Mensch teil der Natur ist, mit Tabus belastet. Man könnte auch sagen, die Menschen hassen es, daran erinnert zu werden, dass sie lediglich eine besonders fiese Art von fleischfressendem Tier sind.
Das ist der archimedische Punkt vieler Witze.
Ein Mann sitzt beim Arzt. Die Befunde sind super. Sagt der Arzt: "Sie rauchen nicht, sie trinken nicht, ihr BMI ist nahezu perfekt, also ernähren sie sich gesund... und sie sagen, sie haben überhaupt keine Laster."
Sagt der Mann: "Ich will hundert Jahre alt werden!"
Sagt der Arzt: "Ja, aber wozu denn dann?"

Hier geht es um den Sinn des Lebens, der wie jeder weiß, der sich mit der Evolutionstheorie befasst, nicht darin liegt, möglichst lange zu leben, sondern darin, möglichst viel Schaden anzurichten. Die Kunst ist dabei, es so aussehen zu lassen, als sei man einer der Guten. Aus diesem Grund sind Schelmengeschichten so beliebt: Till Eulenspiegel, Simplizissimus, Pinocchio, die Feuerzangenbowle, der Baron Münchhausen - all die bauernschlauen und lebenstüchtigen Schlitzohren. Sie liegen uns mehr am Herzen als die reinen Helden mit weißer Weste.
Witze sind natürlich auch Ventile, die dazu dienen, gegen Unterdrückung vorzugehen - im Dritten Reich ebenso wie unter der SED. Vor allem dann, wenn es einem Schwachen gelingt, die Mächtigen zu schädigen, obwohl er sich genau an deren Regeln hält.
Eine alte, wacklige Dame kommt in die Bank und sagt zu dem jungen Schnösel an der Kasse: "Sie haben sich gestern bei der Barauszahlung um tausend Euro geirrt." Der Schnösel zeigt auf ein Schild und sagt: "Das hätten Sie sofort beanstanden müssen, jetzt ist es zu spät."
Sagt die alte Dame: "Na gut, dann behalte ich's eben."
Zwei an sich "sinnvolle" Logik-Systeme treffen aufeinander und berühren sich an dem Punkt, an dem Einigkeit besteht, nämlich: Beim Geldzählen sollte keine Fehler machen - und wenn es passiert ist einer der Dumme.
In gewisser Weise haben beide Recht, wie zwei Züge, die aufeinander zurasen. Die Pointe entspricht daher immer, wenn man so mag, einem Unglück, wie im Fall von diesem treuherzigen Museumswärter, der nach dem ersten Arbeitstag stolz zu seinem Chef kommt und sagt:
"Herr Direktor, sie werden sich freuen, heute war mein erster Tag, und ich habe schon zwei Kandinsky und einen Dix verkauft."
Dieser Witz ist einer meiner Favoriten. Ich frage mich, wie der Wärter das angestellt hat und wie der Direktor reagieren wird. Was der Wärter in früheren Jobs gemacht hat, wer die Kunden sind und natürlich, wieviel Geld er für die Werke verlangt und bekommen hat. Aber vor allem: Es ist diesem Nachfahren der Marx Brothers gelungen, gleich an seinem ersten Arbeitstag, die komplette Logik des Kulturbetriebs aus den Angeln zu heben.
Published on May 27, 2013 07:01
May 26, 2013
Was ist verkehrt mit deutschen Witzen?

Sagt der Onkel: "Folge immer dem Rat deines Herzens, mein Junge und heirate deine Liebe. Übrigens, wo wohnt die Witwe?"
Witze sind eine relativ klar definierte literarische Gattung: Sie etablieren mit möglichst wenigen Wörtern eine soziale Situation in der unterschiedliche Perspektiven aufeinanderprallen, die zu einer unerwarteten Auflösung führen. Die Akteure sind häufig Archetypen, wie "Ehemann"; "Polizist" oder "Sekretärin".
Witze spielen mit Überraschungen; sie müssen eine schmerzliche Wahrheit beinhalten - meistens in Form eines Tabubruchs. In diesem Witz geht es um das Tabu, dass die wirtschaftlichen Aspekte einer Eheschließung mit romantischen Elementen verklärt werden müssen. Wer die Romantik weglässt, so wie der Onkel in dem Witz, entwertet die Institution der Ehe. Zerstörung und Tabubrüche erfreuen uns Menschen, was im Hinblick auf die Evolutionstheorie absolut Sinn macht.
Witze sind also in gewisser Weise mit unserer biologischen Herkunft verknüpft. Diejenigen Individuen, die an der Zerstörung Gefallen fanden, haben überlebt, ihr genetisches Material tragen wir in uns. Aber wir reden nicht gerne drüber. Das ist die Auftgabe der Kultur, nämlich die grausame Wahrheit über uns Menschen zu maskieren, nämlich die Tatsache, dass wir eine überaus tödliche Spezies sind.
Deswegen sind Witze gegenüber Minderheiten (meistens) nicht besonders lustig, weil das Potenzial des Tabubruchs nur gering ist.
Woran liegt es, dass manche Kulturen bessere Witze hervorbringen als andere? Meine Theorie ist, dass es einen Zusammenhang von Tabu und Witz gibt, wodurch sich erklären würde, dass Kulturen mit einer hohen Zahl von Tabus, wie zum Beispiel das viktorianische England, das katholische Irland, die enge Kultur der Schtetl Osteuropas einen besonderen Witz hervorbringen, der in eher tabu-ärmeren Ländern wie Deutschland und der Schweiz oder auch Skandinavien nicht gedeihen kann...
Sigmund Freud, ein Wiener der tabuvollen österreichischen Kaiser-Zeit, hat sich gefragt, was das Wesen des Witzes ausmacht und er fand vielfältige Beziehungen zum Unterbewussten, was bei Freud natürlich nicht weiter überrascht. Der "Freud'sche Versprecher" ist sprichwörtlich geworden - ein Ventil für Verdrängtes.
Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut, meinte Jean Paul, er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen.

Aber was ist mit den deutschen Witzen heute? Gibt es eine literarische Tradition des Witzes in Deutschland?
Die kanonischen Witze aus Deutschland, Ostfriesenwitze, Häschen-Witze, Blondinen-Witze oder auch die unsäglichen Fritzchen-Witze sind traditionelles Witzgut aus deutschen Landen ohne Potenzial zum Tabubruch.
Aus diesem Erbe heraus wirken viele deutsche Humoristen, zum Beispiel Loriot, ohnehin eher ein vielseitig begabter Cartoonist, entweder relativ zahm oder, wenn sie dies nicht sind, sind sie mehr oder weniger schamlose Kopisten erfolgreicher amerikanischer Vorbilder, wie etwa Harald Schmidt. Viele geistreiche Talkmaster sind schlagfertig und dadurch lustig, keine Frage. Dennoch produzieren sie keine Witze im literarischen Sinn - also kurze Texte, die sich selbständig machen und ihren eigenen Weg durch die Geistesgeschichte des Humors suchen, wie dieser Klassiker hier:
Ein Mann berichtet seinem Therapeuten von seinen Fortschritten: "Vorgestern war meine Schwiegermutter zu Besuch und da ist mir ein Freud'scher Versprecher passiert. Ich wollte eigentlich sagen, bitte reich mir das Salz, aber gesagt habe ich aus Versehen: "Du hast unsere Ehe ruiniert, du alte Hexe."
Dieser Witz zählt zu den internationalen Stars der Witze, wie sie vom britischen Laugh Lab unter dem Psychologen Richard Wiseman zusammengestellt werden, er verstößt gleich gegen mehrere Tabus und zeigt in überraschender Wendung eine schmerzliche Wahrheit auf, mit der die meisten Menschen etwas anfangen können.
Published on May 26, 2013 08:32
May 23, 2013
Literatur und Lachen ...
"Ein Mann findet in den Todesanzeigen seinen eigenen Namen. Entsetzt ruft er seine Frau an: "Schatz, in der Zeitung steht, dass ich tot bin!", sagt seine Frau: "hab ich auch grade gelesen, von wo rufst du an?"
Ist es ein Zeichen dafür, dass man älter wird, wenn man im Humor immer mehr den Sinn des Lebens zu erkennen glaubt, oder ist diese Vorstellung an sich bereits lächerlich? In der Literatur sind große Humoristen jedenfalls genauso selten wie im realen Leben - Menschen, die uns dazu bringen, Tränen zu lachen. Die Frage ist: Wie machen die das?
Humoristik ist eine der schwierigsten Disziplinen der Literatur, weil Witze in
besonderem Maße dem Zeitgeist unterliegen. Witze funktionieren viral - anders als (die oftmals komplexeren und daher längeren) Liebesgeschichten oder Dramen. Deswegen nutzen sie sich ab, ähnlich wie Film-Monster, die ebenfalls diesem Evolutionsdruck ausgesetzt sind. Ein Monster, das unsere Großeltern in Angst und Schrecken versetzte, wirkt auf uns heutige Leser oft bereits schon fast rührend harmlos. Bei Witzen ist es ebenso.
Dennoch gelingt es einigen Autoren, wie zum Beispiel P. G. Wodehouse komische Figuren und Situationen zu erschaffen, die die Jahrzehnte überdauern, weil sie in eine feste Welt eingefügt
sind, die sich wie eine Kapsel gegenüber der Realität verhält: abgeschlossen. Wer sich in so eine Kapsel begibt, setzt sich einem logischen System aus, das von der Evolution des Zeitgeistes weitgehend isoliert ist. Douglas Adams hat dies mit dem Anhalter durch die Galaxis ebenso erreicht wie Wodehouse mit seinen Geschichten seiner fiktiven britischen Aristokratie. Ist Humor immer mit Eskapismus verbunden?
Auch Wilhelm Busch, eher Poet und Zeichner, kein Romancier, und Ephraim Kishon haben solche Welten erschaffen, die einem sehr klaren sozialen und räumlichen Milieu zugeordnet sind, dessen Regeln und Gesetze in komische Situationen münden müssen, wenn man sie konsequent zuende denkt. Anthropologen sagen, dass das Lachen als Signal der sozialen Entwarnung entstanden sei. Menschen lachen, wenn sie einen Irrtum, den sie im Begriff zu begehen waren, einsehen, und ihre Artgenossen darüber informieren, dass sie zum Beispiel einen Schatten für einen Wolf gehalten haben. Das Lachen entwarnt: "Falscher Alarm!"
Eine andere Theorie besagt, dass sich das Lachen aus Triumphgeheul entwickelt habe, und somit immer mit einer Idee von Überlegenheit gekoppelt sei. Beides passt zu der Frage, inwiefern literarische Situationen komisch sein können: Schadenfreude, enttäuschte Hoffnung auf Rettung oder überraschende Wendungen hin zu noch größere Katastrophen. All dies funktioniert am besten in geschlossenen gedanklichen Systemen - ein anderes Wort für "soziale Nische". Woody Allen ist ein weiterer Meister dieser hermetischen, kleinen Welten, genau wie Larry David und Ludwig Thoma.
Tritt Humor automatisch auf, wenn es einem Autor gelingt, ein solches geschlossenes soziales System zu entwerfen? Im Fall von Thomas Mann ist es sicherlich so - einer der großen, aber unterschätzten Humoristen der deutschen Literaturgeschichte. Sein Humor in den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull verbindet ihn mit dem des Guareschi, dem Vater des Don Camillo und seines Gegenparts Peppone.
Die Botschaft der "Entwarnung", also die Quelle des Lachens, die aus diesen beiden Welten sprudelt, könnte man mit Douglas Adams so beschreiben: Die Welt ist trotz aller Aufregung vermutlich in der Tat "größtenteils harmlos".
Ist es ein Zeichen dafür, dass man älter wird, wenn man im Humor immer mehr den Sinn des Lebens zu erkennen glaubt, oder ist diese Vorstellung an sich bereits lächerlich? In der Literatur sind große Humoristen jedenfalls genauso selten wie im realen Leben - Menschen, die uns dazu bringen, Tränen zu lachen. Die Frage ist: Wie machen die das?
Humoristik ist eine der schwierigsten Disziplinen der Literatur, weil Witze in

Dennoch gelingt es einigen Autoren, wie zum Beispiel P. G. Wodehouse komische Figuren und Situationen zu erschaffen, die die Jahrzehnte überdauern, weil sie in eine feste Welt eingefügt

Auch Wilhelm Busch, eher Poet und Zeichner, kein Romancier, und Ephraim Kishon haben solche Welten erschaffen, die einem sehr klaren sozialen und räumlichen Milieu zugeordnet sind, dessen Regeln und Gesetze in komische Situationen münden müssen, wenn man sie konsequent zuende denkt. Anthropologen sagen, dass das Lachen als Signal der sozialen Entwarnung entstanden sei. Menschen lachen, wenn sie einen Irrtum, den sie im Begriff zu begehen waren, einsehen, und ihre Artgenossen darüber informieren, dass sie zum Beispiel einen Schatten für einen Wolf gehalten haben. Das Lachen entwarnt: "Falscher Alarm!"
Eine andere Theorie besagt, dass sich das Lachen aus Triumphgeheul entwickelt habe, und somit immer mit einer Idee von Überlegenheit gekoppelt sei. Beides passt zu der Frage, inwiefern literarische Situationen komisch sein können: Schadenfreude, enttäuschte Hoffnung auf Rettung oder überraschende Wendungen hin zu noch größere Katastrophen. All dies funktioniert am besten in geschlossenen gedanklichen Systemen - ein anderes Wort für "soziale Nische". Woody Allen ist ein weiterer Meister dieser hermetischen, kleinen Welten, genau wie Larry David und Ludwig Thoma.

Tritt Humor automatisch auf, wenn es einem Autor gelingt, ein solches geschlossenes soziales System zu entwerfen? Im Fall von Thomas Mann ist es sicherlich so - einer der großen, aber unterschätzten Humoristen der deutschen Literaturgeschichte. Sein Humor in den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull verbindet ihn mit dem des Guareschi, dem Vater des Don Camillo und seines Gegenparts Peppone.
Die Botschaft der "Entwarnung", also die Quelle des Lachens, die aus diesen beiden Welten sprudelt, könnte man mit Douglas Adams so beschreiben: Die Welt ist trotz aller Aufregung vermutlich in der Tat "größtenteils harmlos".
Published on May 23, 2013 15:12
über Bücher, Filme und Publikationen
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt seit 2012 mit seiner Frau Afraa und seinem Sohn Wieland im Schwarzwald. In diesem Blog geht es um Bücher, Publikationen und kreative Prozesse.
In einigen wissenschaftlichen Arbeiten befasst Albrecht sich mit Themen der Geistesgeschichte, aber auch mit der griechischen Antike, sozialen Mythen aus der jüngeren deutsch-europäischen Vergangenheit und mit den Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Albrecht ist überzeugt davon, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen wissenschaftlicher Literatur und Unterhaltungsliteratur gibt - vorausgesetzt sie sind gut geschrieben und recherchiert. ...more
In einigen wissenschaftlichen Arbeiten befasst Albrecht sich mit Themen der Geistesgeschichte, aber auch mit der griechischen Antike, sozialen Mythen aus der jüngeren deutsch-europäischen Vergangenheit und mit den Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Albrecht ist überzeugt davon, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen wissenschaftlicher Literatur und Unterhaltungsliteratur gibt - vorausgesetzt sie sind gut geschrieben und recherchiert. ...more
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