Albrecht Behmel's Blog: über Bücher, Filme und Publikationen, page 3

June 12, 2016

Gone, Batman, gone



Superhelden und Landschaften

Meine letzte Serie "It's a Marvel" umfasst jetzt eine ganze Reihe von Helden, und wie das immer so ist mit Helden, kann man sich kaum auf sie verlassen. Sie sind in London und Berlin unterwegs und vollbringen große Taten, wie Batman, der im Frühjahr in London versteigert wurde und nun Caspian gehört. Bei der Gala haben wir 550.000 Pfund auf die Beine gestellt, mit denen wir schon in diesem Jahr das Projekt "Classroom on a Bus" unterstützen. Wir entsenden Busse in entlegene Dörfer im Libanon und unterrichten Kinder, vor allem Mädchen, die ansonsten von fast jeder Bildung ausgeschlossen wären. Hulk und Iron Man waren einige Monate lang im Landtag von Brandenburg zu sehen, so dass sich die Serie langsam auflöst und in alle möglichen Richtungen verläuft. Aber wie immer bei Superhelden: Es kommt stets ein Sequel!


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Published on June 12, 2016 04:02

October 22, 2014

Cave Paintings and the Magic of the Swarms

Eternal Beauty
I like to think of my paintings as modern cave art, the oldest style of painting there is. Some 40.000 years ago people like me put images of elegant creatures on walls. And they realised that the human mind makes them move, perhaps helped a little by flickering fires and shadows. My friend Li Wei tells me that he has experienced a similar effect from my paintings. We don't know why these ancient works of art exist, very much like we don't know why the Mona Lisa was made. Was it magic, or like a blog? It might have been just for fun, or maybe these paintings were a way to give back to the community.

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Published on October 22, 2014 04:38

September 12, 2014

Ordnung und Chaos der Schöpfung




Chaotische Systeme bestehen aus einfachen Elementen, die sich verbinden und ab einer gewissen Komplexität zu verselbständigen scheinen. Bestandteile überlappen sich und bilden unvorhersehbare neue Gestalten. Minimale Unterschiede in der Ausgangsform führen zu gänzlich verschiedenen Resultaten.

Die Intelligenz der Schwärme: Craig Reynolds versuchte 1986, die kollektive Intelligenz der Schwärme durch sein Computerprogramm Boids abzubilden: Wie findet ein Schwarm seine Flugrichtung und sein Tempo? Wie verbinden sich Individuen zu einem einheitlichen Gefüge? 



(Acryl und Tusche auf Leinwand, 110x140 cm)

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Published on September 12, 2014 22:06

Schwarmbilder: Kreisende Haie 3












Die Menge, der Schwarm, die Herde - unsere Sprache zeigt die Realität der Vielfalt nicht zufällig durch einen kollektiven Singular.
In meinen Bildern zeige ich die Verschmelzung einzelner Individuen zu neuer Gestalt - mit Facetten, die aus wenigen Grundfarben zusammengesetzt sind, ähnlich wie eine politische Landkarte, die theoretisch nur vier Farben benötigt, wie Francis Guthrie schon 1852 vermutete, als er eine Übersicht der englischen Grafschaften anfertigte. 

Das Vier-Farben-Problem galt mehr als ein Jahrhundert hindurch als unlösbar. In den Siebziger Jahren gelang eine erste Serie von computergestützten Beweisen. Schwarmbilder sind von Kirchenfenstern und Scherenschnitten sowie von den kontrastreichen buddhistischen Mandalas inspiriert, Meditationsbildern, die auf den Betrachter genau wie auf den Arrangeur eine hypnotische Wirkung entfalten können. (Acryl und Tusche auf Leinwand, 110 x 140 cm)





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Published on September 12, 2014 22:01

July 26, 2014

Russland und seine Erzählkunst


Der Große Kombinator Ostap BenderDie kulturelle Besonderheit Russlands ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, die in Europa oftmals übersehen werden. Zu nennen ist einmal die ungeheure Größe des Landes, die sich in einem Missverhältnis zur Bedeutung der beiden wichtigsten Städte, Petersburg und Moskau befindet. Dort konzentrieren sich Macht, Kultur und Finanzen. Während die Quellen des russischen Reichtums in Asien liegen, sitzt seine Verwaltung weitgehend auf europäischem Boden. Anders als die mittel- und westeuropäischen Kulturen gehört Russland zur christlich orthodoxen Welt und ist damit Erbe des alten Ostrom, ein antikes Imperium, das bis in die Neuzeit hinein Bestand hatte, ähnlich wie der Kirchenstaat und der Stadtstaat Venedig. 

Zwar erlebte Russland im 20. Jahrhundert drei verschiedene politische Systeme, doch die überwältigende Macht der Zentrale blieb stets erhalten, ob unter den Zaren, den Kommunisten oder den modernen Präsidenten. Diesem Druck stellt sich bis heute ein wesentlicher Teil der russischen Intellektuellen und Kreativen entgegen. Zu nennen ist das berühmte Radio Eriwan, dessen Fragestunde (“Im Prinzip ja, aber…”) sich zu einer Institution des aufmüpfigen Witzes mauserte: Kaum eine Sprache verfügt über einen derart reichen Fundus an drastischen Witzen und einen ebenso reichen an Schimpfwörtern wie die russische. Dieser Humor ist einem weltweiten Publikum durch Stoffe wie “Die Zwölf Stühle” bekannt geworden, wenn auch oftmals zuerst in der westlichen Verfilmung durch Mel Brooks (1970). 

Aus deutscher Sicht war Russland stets eine Chimäre aus Bedrohung und gelobtem Land. Unzählige Siedler hatten seit dem Mittelalter aber vor allem in der frühen Neuzeit Deutschland verlassen, um sich in Russland niederzulassen. Ähnlich wie das englische Königshaus der Windsors war auch das Haus der Zaren seit Katharina der Großen weitgehend deutschstämmig. Die Zaren gingen in der Revolution zugrunde. Die Nachfahren der Auswanderer kamen als so genannte “Russlanddeutsche” nach 1990 in die Bundesrepublik.
Ähnlich wie das moderne chinesische Kino produziert auch Russland mit Vorliebe große historische Stoffe, wie Admiral (2008) oder Stalingrad (2013) und Taras Bulba (2009). Während des Kalten Krieges befand sich die russische Filmkultur in propagandistischer Konkurrenz mit Hollywood: vor allem einem älteren ostdeutschen Publikum ist die russische Version von Tom und Jerry in Erinnerung: Die Cartoon-Serie “Nu Pagadi”, sowie Interpretationen der Abenteuer des Sherlock Holmes mit Vasily Livanov in der Hauptrolle. Die sprichwörtliche “russische Seele” ist für West- und Mitteleuropäer ein Mythos, der vor allem in der russischen Musik gesucht wird. Neben Italien und Deutschland hat Russland die bedeutendsten klassischen Komponisten und (modernen) Maler hervorgebracht, jedoch nur vergleichsweise wenige Architekten und Modeschöpfer.
Die russische Befindlichkeit ist auch von der Erfahrung der jahrhundertelangen Mongolenherrschaft und der Überfälle durch moderne Gewaltherrscher wie Napoleon und Hitler geprägt. Das Lebensgefühl vieler Kreativer ist bestimmt von existenzieller Unsicherheit und einem Gefühl der Bedrohung, was auch den hin und wieder auftretenden Wunsch nach einer wohlwollenden aber starken Regierungshand erklärt. Bis heute spalten sich die russischen Intellektuellen in zwei Gruppen: Slawophile und Westler.


Der Kanon der russischen Literatur ist überwältigend groß und fruchtbar: Dostojewski, Turgenjev, Tolstoi, Puschkin, Pasternak, Chekhov, Nekrasov, Lermontov, Gogol und Gontscharov schufen vor allem fiktive Versionen Russlands und stellten dabei ihren Lesern gesellschaftliche Gegenentwürfe vor, die die Autoren nicht selten in politische Bedrängnis brachten. Die Zahl der russischen Kreativen und Intellektuellen, die verfolgt und verbannt wurden ist Legion. “Staatsgewalt” im Wortsinn ist ein Hauptthema der russischen Literatur, zu deren wichtigsten Werken nicht umsonst der Archipel Gulag von Aleksandr Solschenitsyn und Sergej Eisensteins “Panzerkreuzer Potemkin” gehören. Dies führte zur Entstehung verschiedener Parallelwelten, etwa der Welt der Diebe in den Gefängnissen, die komplett eigene Formsprachen und Symboliken entwickelten. Auch die Künstlerwelt des Moskauer Stadtteils Arbat war eine solche Gegenwelt: Mikhail Bulgakovs “Der Meister und Margarita” ist ein schwer zu übersetzender, satirischer Roman voller Geheimsprache und Ikonographie, der diesem urbanen Paralleluniversum entstammt. Die literarischen Miniaturen des Daniil Charms gehören zu den Extravaganzen. Auch er konstruierte absurde, verstörende und bitter-humorvolle Perspektiven auf das entbehrungsreiche Leben in der frühen Sowjetunion - wofür er mit seinem Leben bezahlte.

Die Liebe zur Technik und zum Schachspiel zu Sowjetzeiten, die auch dadurch bedingt waren, dass sie tendenziell unpolitisch und damit eher ungefährlich waren, hat das Genre Science-Fiction beeinflusst: Yefremov, die Brüder Strugatski und Bulichov und in gewisser Hinsicht auch Isaac Asimov, der freilich schon als kleines Kind mit seiner Familie in die USA kam.
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Published on July 26, 2014 05:19

July 15, 2014

Japan und das Geschichtenerzählen


"Das England Asiens" - dieser Begriff trifft in gewisser Weise auf Japan zu, denn beide Inselstaaten haben ein riesiges Reich verloren und gehören in Bezug auf ihre umständlich erscheinenden Höflichkeitsformen, exzentrische Freizeitbeschäftigungen wie Karaoke, und künstlerisch-kulinarische Stilmittel zu den weltweiten Exoten, die jedoch stets gleichzeitig Vorbildcharakter haben. Japan und England sind beide einem wirtschaftlich und politisch übermächtigen Kontinent vorgelagert, dem sie sich nicht zugehörig fühlen. Beides sind Teekulturen und beide haben eine imperiale Kriegerkaste entwickelt, die vielen Armeen als Vorbild galt. Die Bewohner beider Länder gelten oft als sowohl steif als auch gleichzeitig hoch-kreativ. Auch, was erotische Vorlieben vieler Bewohner betrifft, gelten beide Länder in der Brille des Vorurteils als ungewöhnlich. Aus beiden Ländern stammen unverkennbar “typische” Kulturprodukte.

Japanische Zeichentrickproduktionen haben eine Generation von Europäern geprägt, als die Mangas dort noch unbekannt waren, etwa die japanischen Interpretationen von Heidi oder Pinocchio. Auch die Power Rangers und das Tamagotchi sind geradezu sprichwörtlich geworden, während einem ernsthafteren Publikum die großen Klassiker wie Kurosawa, Kobayashi und Ozu seit den fünfziger Jahren ein Begriff waren, als auch Godzilla und andere riesige Kaiju Monster zuerst in die Kinos kam. Japan ist ein Land mit einer wirtschaftlich starken Filmindustrie. Die Ästhetik der frühen Filme beruht auf dem klassischen Theater. Ebenso wie Südkorea verfügt Japan über eine starke Tradition des Puppenspiels und der Masken, was die japanische Zuschauerschaft gegenüber Zeichentrickfilmen und Computerspielen im Vergleich zu den Europäern wesentlich wohlwollender erscheinen lässt, wie die Erfolge der Prinzessin Monokoke und Howls Wandelndes Schloss beweisen. Dies betrifft auch vollständig animierte Filme wie die Reihe Final Fantasy. Ein ganzes Sub-Genre der Zeichentrickfilme, Anime, stammt aus Japan.
Als sehr fruchtbar haben sich zwei Archetypen aus Japan erwiesen, der Samurai und der Ninja mit ihren spezifischen Waffen, dem Wurfstern und dem Katana, die sich in westlichen Werken wie Kill Bill, Highlander oder Blade stets erneut und kaum verwandelt wiederfinden.

Kreative Kulturen, die neue Welten erfinden, haben oft eine auffällige Vorliebe für Detektivgeschichten und Mystery, wie von Natsuo Kirino und Kenzo Kitakata. Japan ist nicht bekannt für seine eigene Musik, wohl aber für seine Interpreten, vor allem der klassischen Musik. Japan und Deutschland waren zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges durch die so genannte Achse verbunden, zu der auch Italien gehörte. Alle drei Länder haben geradezu ikonische Leistungen auf dem Gebiet des Automobilbaus hervor gebracht. Ähnlich wie Deutschland hat Japan eine Kultur der Pünktlichkeit, Umtriebigkeit und der Hochschätzung des Gemeinwesens, die oft zu Lasten der persönlichen Freiheit geht. Kaum ein Land kennt so wenig Urlaub wie Japan. Die träge, romantisch-tragische Figur der Madame Butterfly ist eine westliche Erfindung.

Die japanische Literatur der letzten Jahrzehnte ist geprägt von Fragen der Kriegsschuld, der Atombombe, dem Verlust der feudalen Ordnung und der extremen Veränderung der japanischen Gesellschaft im Zuge der Industrialisierung. Humorvoll-satirische Werke wie die des Haruki Murakami haben den japanischen Sinn für Humor einem weltweiten Publikum bekannt gemacht. Ähnlich wie die deutschen Autoren sind japanische Schriftsteller oft nur wenig an Plot oder Handlung interessiert, dafür mehr an inneren Vorgängen und Fragen des Gewissens, wie etwa im Fall von Banana Yoshimoto und Kenzaburo Oe. Dies mag auch buddhistische Wurzeln haben. Ein weiteres Thema sind die japanischen Identitäten über die Inseln von Nord und Süd aber auch die derzeit lebenden Generationen hinweg.

Eine literarische Innovation der letzten Jahre sind Handy-Romane wie “Love Sky”, die sich millionenfach verkauften. Ebenso bekannt sind japanische Horrorfilme wie Battle Royale, die auch in Teilen auf westlichen Vorlagen basieren, wie “Ringu”.
Während das deutsche Publikum mit einigen wenigen Begriffen wie “Judo”, “Sushi” und “Kamikaze” vertraut ist, sind an japanischen Produkten in erster Linie Automobile und Elektronik weltweit dominant vertreten. Die japanische Liebe zu Robotern ist groß. In den fünfziger Jahren erschien “Tetsuwan Atomu” von Osamu Tezuka. Dieses Manga hat eine ganze Generation von Technikern geprägt, die heute Roboter wie Asimo, Aibo und Paro entwickeln.
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Published on July 15, 2014 14:13

June 19, 2014

Verbotene Geschichten


Zu allen Zeiten wurden Versuche unternommen, Geschichten, die nicht ins gegenwärtige Gesellschaftsbild passten zu verbieten. In seinem Werk “Die Republik” argumentierte Platon, dass jede Kunstform, die danach strebt, das Leben abzubilden, also alle darstellenden Künste, zwangsläufig zu Unglück und Ungerechtigkeit führen. Er begründete dies damit, dass nur das Original einer Sache Erkenntnis mit sich bringe. Er sprach sich eindeutig für eine staatliche Zensur von Schriftstellern, insbesondere Homers, aus. Homer habe, so Platon, die Götter als zu menschlich dargestellt. Ferner monierte er den schlechten Einfluss der Dichter auf die Moral der Truppen, etwa, wenn in Gedichten das Leben nach dem Tode angezweifelt oder als wenig erstrebenswert dargestellt werde. Er monierte auch die Tatsache, dass komische Dichtungen sich mit den niederen Instinkten der Menschen befassten. China und das Alte Rom kannten die Zensur bereits Jahrhunderte vor unser Zeitrechnung.

Bis heute haben sich die Argumente der Befürworter von wenn auch gemäßigter Zensur kaum verändert. Sie alle räumen ein, dass Werke der Literatur eine enorme Macht darstellen kann. Als Begründung für Zensur wird die Sorge um die ethisch-moralische Gesundheit einer Gesellschaft angeführt. Zensur kann dabei mehrere Formen annehmen. Die härteste Form der Zensur ist die Ermordung, Inhaftierung oder Verurteilung von Autoren. Salman Rushdie wurde für seinen Roman Die Satanischen Verse von muslimischen Autoritäten zum Tod verurteilt. Der Philosoph Sokrates von jenen Athens für seine freigeistigen Lehren.

Bücher wurden zu allen Zeiten verbrannt. Die Bibliothek von Alexandria, die Scheiterhaufen der Inquisition und die Bücherverbrennung auf der Wartburg oder die groß angelegte Bücherverbrennung im Dritten Reich sind nur einige Beispiele für eine uralte kulturelle Institution, nämlich die symbolische Vernichtung von Ideen, so wurde etwa die Geschichte des Wilhelm Tell im späten Achtzehnten Jahrhundert in der Schweiz verbrannt. Im Kanton Uri vertraten Aktivisten die Ansicht, dass die Geschichte frei erfunden und damit schädlich für das Empfinden der Jugend sei. Bücher in Blindenschrift, Bücher von Voltaire, verschiedene und konkurrierende Versionen der Bibel, Tora und des Koran wurden verbrannt, ebenso ganze chinesische Bibliotheken unter japanischer Besatzung und kurdische Bücher im Iran; Senator McCarthy verbrannte kommunistische Literatur, ebenso wie Stalin Titel von jüdischen Autoren verbrennen ließ. Revoltierende Studenten in Deutschland verbrannten 1968 Werke der Springer Presse, religiöse Fundamentalisten in den USA Schallplatten der Beatles und Ausgaben der Harry Potter Serie. Einige Autoren, darunter Kafka, Emily Dickinson und Vergil verfügten testamentarisch die Verbrennung ihrer eigenen Werke.
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Published on June 19, 2014 00:52

May 21, 2014

Britische Erzählkunst


Der Verlust des Empire trennt die Briten von den Amerikanern, die ihr Weltreich noch besitzen. Vielleicht liegt es daran, dass “typisch-englische” Helden in populären Stoffen oft Underdogs sind, wie die beiden Hauptfiguren in Peep Show, die ähnlich wie Mister Bean oder die Helden der Monty Python Filme immer von einer Katastrophe in die nächste stolpern. Auch Black Adder ist ein solcher “Versager”. Britisches Erzählen ist geradezu besessen von Peinlichkeiten und Regelbruch, was natürlich auch daran liegt, dass England zweihundert Jahre lang als stilprägende Kultur in fast allen Belangen zwischen Mode-Musik, Erziehung und guten Umgangsformen galt. Großbritannien ist ebenso das Ursprungsland der meisten heute populären Sportarten, Fussball, Golf, Tennis, Darts, Ping Pong, Snooker, Rugby, Cricket und Vollblutpferderennen - auch hier ist alles voller Regeln. Aus Deutschland stammen indessen fast keine sportlichen Disziplinen.

Die Geschichten des P. G. Wodehouse stellen den reichen aber trotteligen Bertram Wooster an die Seite seines genialen Dieners Jeeves, der seinen Herrn auf immer neue Weise in die Bredouille hinein und dann wieder hinausführt. Der Lord Emsworth von Blandings, ebenfalls eine Schöpfung des genialen Wodehouse besitzt zwar Geld und Schloss, aber er interessiert sich nur für die Schweinezucht, was ihn zu einem Außenseiter seiner sozialen Klasse macht.
Gemessen an den Amerikanern sind die Briten Pessimisten oder Melancholiker. Filme wie 1984, Brazil oder Vendetta zeigen düstere Entwürfe der Zukunft; die Romane des Neil Gaiman, Douglas Adams oder auch Terry Pratchett sind zwar an vielen Stellen von umwerfender Komik, doch die Grundstimmung ist oft eine ziemlich verzweifelte, was sich insbesondere in der britischen Abneigung gegen das Happy Ending niederschlägt. Zwar sind viele Paradebeispiele britischer Erzählkunst, wie Der Herr der Ringe oder die Harry Potter Serie technisch gesehen mit einem glücklichen Ausgang versehen, doch ist es kein Hollywood-Ende: Unfreiheit und Zwangsherrschaft konnten nur mit Mühe und enormen Kosten abgewendet werden. 
Möglicherweise hängt diese Tendenz mit der historischen Isolation Englands zusammen, das von Napoleon aber auch zur Zeit der beiden Weltkriege vom Kontinent her bedroht und isoliert wurde. Es ist denkbar, dass der “typisch trockene Humor” der Briten auch ein Resultat der strengen sozialen Regeln war, die sich England seit der puritanischen Revolution und der Diktatur Oliver Cromwells immer wieder erneut selbst auferlegte. Der Zwittercharakter der viktorianischen Ära als zugleich sittenstreng und dekadent ist geradezu sprichwörtlich.

Die britische Erzähltraditon gehört zu den fruchtbarsten der Welt, vor allem was fiktionale Stoffe und Figuren betrifft: Sherlock Holmes, Gulliver, Dorian Gray, Robin Hood, Ivanhoe, Peter Pan, Grendl, Robinson Crusoe, Lord Peter Wimsey, König Artus, Oliver Twist, Frankensteins Monster, Hamlet, James Bond und Miss Marple - die Kette der literarischen Figuren, die wieder und wieder verfilmt werden und die sich längst zu eigenständigen Memen entwickelt haben, ist lang und eindrucksvoll.
Während die britischen Kulturen bis zum Aufstieg der Popmusik nur wenige bedeutende Komponisten hervorgebracht haben, vor allem im Vergleich zu Deutschland, Italien und Russland, ist die Anzahl einflussreicher Bands und Labels  Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts geradezu explodiert.
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Published on May 21, 2014 03:29

April 15, 2014

Amerikanisches Erzählen, Deutsches Missverstehen


Es fällt uns Europäern leicht, die amerikanische Mentalität misszuverstehen. Zum Einen sind wir beständig mit ihren Produkten konfrontiert, sowohl was Websites wie Google oder facebook als auch was Filme und Bücher betrifft. Einerseits sind die Vereinigten Staaten eine junge Kultur, andererseits verfügen sie anders als die meisten kontinentaleuropäischen Staaten über eine lange, ungebrochene Verfassungstradition, die eine erhebliche Rolle in der Selbstdarstellung der Kultur spielt. Zahlreiche Filme wie Air Force One stellen den Präsidenten der Republik als Heldenfigur dar. Aus der Perspektive Mitteleuropas wirkt dies unter Umständen eigenartig, nicht nur, was die Geschichte des hysterischen Zwanzigsten Jahrhunderts betrifft, sondern auch die Unfreiheit der frühen Neuzeit, die dazu führte, dass viele Europäer nach Amerika auswanderten.

Die amerikanische Mentalität ist von der Abgrenzung gegenüber Europa tief geprägt. Die Auswanderer wollten der Armut und der politischen und religiösen Unfreiheit der alten Welt entkommen. Deswegen spielt die Religion, beziehungsweise die Ablehnung der Religion in Amerika eine wesentlich höhere Rolle als in Europa. Der typische Hollywood-Held ist ein gottesfürchtiger Mann, wie die meisten Charaktere des James Stewart etwa. Aus der Sicht von Europäern wirken diese Figuren leicht naiv oder bedrohlich, wie der fanatische Kapitän Ahab, der den weißen Wal Moby Dick jagt.
Ein weiterer trennender Aspekt ist der Pioniergeist, der in Europa weitgehend fehlt. Amerika war über einige Jahrhunderte hinweg ein pragmatisches, praktisches Projekt. Wer überleben wollte, durfte auf Etikette nicht allzu großen Wert legen, sondern musste anpacken. Das Ergebnis ist eine der großen Hollywood-Erfindungen geworden: Der Western, dem keine andere Kultur etwas Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Fast jede große, positive, amerikanische Filmgestalt, ob Luke Skywalker oder Indiana Jones, die Charaktere Hemingways und John Steinbecks tragen oft gewisse Züge dieser Siedlerzeit, als der Westen noch wild war. Gleichzeitig war die Ost- und Südküste des Landes der alten Welt enger verbunden, als der Frontier. Das Gegenstück der “Frontier” ist das Schicksal der Einwanderer, meist arme Europäer, die in der Neuen Welt ihr Glück suchten, wie die Figuren des Harpo und Chico Marx in vielen Filmen oder auch der  “Tramp” des Charlie Chaplin.
Natürlich gibt es Ausnahmen und Sonderfälle, wie die Literatur der amerikanischen Minderheiten oder besonders einzigartiger Autoren, wie etwa John Kennedy O’Toole, dessen Werk “Ignaz oder die Verschwörung der Idioten” zu den großen Singularitäten der Weltliteratur gehört. Hier berühren sich ex-koloniale Melancholie, der amerikanische Traum und katholische Theologie mit der Tristesse des verarmenden New Orleans.
Was unterscheidet den amerikanischen Humor vom europäischen Humor? Die großen Comedians aus den Vereinigten Staaten wie David Letterman, Leno, Carlin und Bill Maher haben alle hoch beredte und fast aggressive Stimmen, mit denen sie sehr direkte Attacken gegen ihre Opfer und Gegner fahren. Auch in der Werbung ist diese Aggression feststellbar, wo direkte Vergleiche von Produkten kein Problem darstellen. Im Vergleich dazu sind unsere Gewohnheiten in Mitteleuropa geradezu harmoniesüchtig. Selbst die deutschen Klone dieser Kultur, wie Stefan Raab oder Harald Schmidt, sind im Vergleich stets zahm und berechenbar. Den Takt gibt die amerikanische Kultur vor, die Europäer folgen, was sie automatisch zu Nachahmern macht. Serien wie “Die Simpsons” oder “Family Guy” brechen routinemäßig Tabus, die in der Alten Welt nach wie vor Geltung haben. Der enorme Erfolgsdruck und Wettbewerb, der auf amerikanischen Produzenten und Kreativen lastet, sorgt für eine beschleunigte Evolution, im Vergleich zu der die europäischen Verhältnisse eher denen eines Biotops ähneln.
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Published on April 15, 2014 10:42

April 3, 2014

Kulturen und ihre Erzähltraditionen

Alle menschlichen Kulturen verfügen über Geschichten, und sie haben darüber hinaus verschiedene Stilmittel, mit denen sie diese Geschichten ausprägen. Jede Kultur - ob das Griechenland zur Zeit der Perserkriege, viktorianische Mittelschicht oder ein linksradikales, akademisches Milieu in Paris der Sechziger Jahre - prägt die Geschichten, die sie hervorbringt auf vielfältige Weise.
Aus diesem Grund sind zum Beispiel Hollywood Blockbuster auf den ersten Blick genau so gut zu erkennen, wie ein “typisch deutsches” Fernsehspiel.
Welche Faktoren bestimmen eine nationale oder gar regionale Erzähltradition? Ähnlich wie in der Architektur gibt es auch in der Literatur Kulturgrenzen, die zu überschreiten eine gewissen kulturelle Kompetenz erfordert, sowohl, was die Herstellung von Geschichten als auch, was ihr Verständnis betrifft.

Sicherlich spielt die Person des Urhebers eine enorm wichtige Rolle. Die Frage, was man über einen Autor wissen muss, oder ob überhaupt, ist als Hermeneutische Frage bekannt. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer sah in dem Versuch, einen Text zu verstehen, ein potenziell unendliches, weil iterativ zu führendes Gespräch zwischen Autor und Leser, das Jahrhunderte überbrücken kann.

Konkret bedeutet dies: Was muss man über eine Kultur wissen, wenn man die Geschichten verstehen will, die sie hervorgebracht hat? Je weniger über eine Kultur bekannt ist, desto leichter fällt der Griff zu Vorurteilen und Denkschablonen. Je tiefer die Kenntnis, desto wichtiger wird die Person des Urhebers und desto differenzierter das Gesamtbild. Was einem uneingeweihten Leser als uralter, Ehrfurcht gebietender Klassiker erscheint, kann in den Augen eines Fachmanns als humoristische Streitschrift oder Sozialsatire erscheinen. Ist etwa der Trojanische Krieg des Homer eine brutal-militaristische Heldengeschichte oder eine Parodie des dorischen Götterglaubens, den Homer, der wahrscheinlich aus Kleinasien stammte, als primitiv demaskieren wollte? Ein Beispiel aus Deutschland ist Max und Moritz: Was sich einerseits als etwas bösartige und grausame Kindergeschichte liest, kann, wenn man Edith Braun glauben mag, auch als Parodie der gescheiterten Revolution und die Nationalversammlung von 1848 gelesen werden.[1]

[1] Braun, Edith. Geheimsache Max und Moritz. Saarbrücken 2005.
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Published on April 03, 2014 10:32

über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
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