Maximilian Buddenbohm's Blog, page 365
September 27, 2013
Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im September
Gelesen
Ich bin fast gar nicht zum Lesen gekommen. Monate gibt es! Unfassbar.
Truman Capote: Yachten und dergleichen. Deutsch von Ursula Maria Mössner. Ein kleiner, ein wirklich kleiner Band mit Erzählungen, in einem sehr reisefreundlichen Format gedruckt, mit Lesebändchen und schickem Einband, ein richtig niedliches Buch. Ich habe es in einer Phase gelesen, in der ich abends zu müde zum Lesen war und immer nur drei Seiten geschafft habe, wobei ich dann die drei Seiten, die ich todmüde am Vortag gelesen habe, schon wieder vergessen hatte. Und die drei Seiten waren immer gut. Capote, ne? Der kann es eben. In dem Blog “we read indie”, das Sie übrigens ohnehin lesen sollten, gibt es eine Rezension zu dem Buch.
Sven Regener: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt. Ich habe auch davon nur nur ein paar Seiten geschafft. Was soll man sagen, es fängt sehr gut an, für mich wenig überraschend. Ein Erzähler vor dem Herrn, er könnte mir gottweißwas erzählen, egal. Was interessiert mich schon Techno? Und macht es etwas aus? Aber nein. Der Anfang ist wirklich gut, gar keine Frage.
Sue Reindke: Spam. Sues sinnige und unterhaltsame Abhandlung über plötzlichen Geldsegen und gottesfürchtige Babys, sie gehört natürlich in jeden gepflegten Online-Haushalt. Schon allein wegen der gottesfürchtigen Babys, aber auch sonst. Das Buch macht Spaß, so trägt Spam endlich einmal wirklich sinnvoll zur Freizeitgestaltung bei. Wurde auch Zeit. Wenn es eine Fortsetzung geben sollte: meinetwegen kann es noch viel mehr um die Sprache des Spams gehen, um die teils herrlichen Wortschöpfungen. Das Feld wirkt noch ziemlich unbeackert.
Vorgelesen
Otfried Preußler: Der kleine Wassermann. Die Söhne und ich sind vermutlich die letzten Menschen in diesem Land, die dieses Buch nicht kannten, aber ich kann mich tatsächlich nicht erinnern, es jemals gelesen zu haben. Da tragen die Kinder also wieder zu meiner Weiterbildung bei, so soll es sein. Sohn I findet es sehr gut, ich habe bisher nicht verstanden, was daran so toll sein soll und finde es eher, wie soll ich sagen, betulich. Aber es ist jedenfalls schön ruhig, das ist bei Bettkantenlektüre natürlich hochwillkommen, da will ich nicht ungerecht sein. Es muss dem Kind gefallen, um mich geht es nicht. Sohn II interessiert es allerdings überhaupt nicht, ich könnte genau so gut aus dem Telefonbuch vorlesen.
Wilfried von Bredow (Text) und Anke Kuhl (Bilder): Lola rast und andere schreckliche Geschichten.
Ist gerade bei Sohn II sehr gefragt. Ein herrlich drastisches Buch mit diversen makabren Todesarten, grotesk und knallig, da freut sich das Kind. Zumindest dieses Kind.
Ernst Jandl (Text) und Norman Junge (Bilder): Fünfter sein.
Noch ein Liebling von Sohn II. Tatsächlich auch eines meiner Lieblingsbilderbücher. Große Lyrik, passend illustriert.
Gespielt
Nur ein kleiner Spaß nebenbei, der aber wirklich nett: die Streichelzoo-App mit animierten Zeichnungen. Freut auch Erwachsene.
Außerdem Uno gegen Sohn I, der aber mit mir nicht zufrieden ist und lieber mit Sven spielen möchte, der ihm das Zocken einst beigebracht hat, damals auf der Fahrt nach Helgoland. Aber: man kommt zu nix.
Und wie immer reichlich Lego und Playmobil, ich berichtete bereits.
Gesehen
Was ist was TV: Schätze der Erde. Das hat natürlich Sohn I gesehen, ich saß nur zufällig daneben. Der Film war der Grund, weswegen ich hier tagelang mit dem Kind über Eisenerz und Gold debattieren musste, über den Begriff Fördern und über Rohstoffknappheit und Gott weiß was. Ich traue mich kaum, ihn die restlichen Filme sehen zu lassen. Da gibt es nämlich wirklich viele in der Reihe.
Parade’s End – Der letzte Gentleman. Das ist die Verfilmung mehrerer Bücher von Ford Madox Ford, der in Deutschland wohl nicht mehr allzu viel gelesen wird. Was ein Fehler ist, die Bücher sind großartig. Sehr dichte Szenenbeschreibungen, das sind wahre Ölgemälde der Literatur. Die Verfilmung in einer Miniserie ist eine spätviktorianische Ausstattungsorgie, das würde mir übrigens schon reichen, um sie anzusehen, ich mag so etwas. Eine Geschichte um Moral, Ordnung und Untergang kurz vor und im Ersten Weltkrieg, die viktorianische Weltordnung geht also gerade den Bach runter, die Figuren selbstredend auch. Da ich etwa zehn Jahre lang so gut wie nichts im Fernsehen oder im Kino gesehen habe, erkenne ich keine Schauspieler, die männliche Hauptrolle hat aber Benedict Cumberbatch, der ja wohl so etwas wie männliche Veronica Ferres des britischen Fernsehens ist. Wann immer man ein Gerät anmacht, spielt er gerade irgendwas. Tatsächlich macht er es aber auch gut. Ebenso wie Rebecca Hall, die ich bewunderungwürdig finde. In der Serie müssen die Schauspieler viel leisten, da in eher kurzen Szenen ziemlich viel passiert, was überhaupt nicht unter Action fällt, d.h. mit dem Hinhalten des Gesichts ist es nicht getan und die beiden machen das großartig. Man staunt. Manche Szenen tatsächlich zweimal angesehen, um genau mitzubekommen, wie es gemacht wurde. Das ist mir wirklich lange nicht passiert.
Gehört
Ich kann süchtig nach einzelnen Musikstücken werden, im September habe ich “Asturias”, gespielt von John Williams unfassbar oft gehört. Gut, dass es Kopfhörer gibt, anders könnte man es mit mir im gleichen Raum auf Dauer auch vermutlich nicht aushalten. Ich habe als Kind und Jugendlicher nicht viel klassische Musik gehört, aber eine Platte der Gitarristen John Williams und Julian Bream lief doch sehr häufig. Das wirkt bis heute nach, das ist ein Klang, der für mich seltsam heimatlich und entspannt ist. Selbst dann, wenn die Stücke gar nicht entspannt sind.
Herzlichen Dank…
… an den Leser E.S., der die Söhne gleich doppelt mit Spielzeug per Post beglückt hat. Das hat hier gerade zwei Kinderkrankheiten verschönert, sehr passend!
September 26, 2013
Westwärts, ho!
Der Urlaub naht und es ist noch nicht alles verbloggt, so geht es ja nicht!
Ich war mit meinem Wanderfreund wieder unterwegs, davon ist noch zu berichten. Am letzten Wochenende sind wir zu unserer zweiten Tour aufgebrochen, wir wollten von Sankt Georg nach Blankenese, dann mit der Fähre über die Elbe und runter bis nach Neugraben. Das war zumindest der Plan, den wir aber vor dem Start schon wieder verworfen haben, denn mein Wanderfreund hatte seinen zweijährigen Sohn II dabei, den er auf dem Rücken trug, was nicht gerade zu Bestleistungen einlädt. Aber wir haben ja auch keinen Leistungsdruck, wir gehen einfach nur irgendwo längs, auf der Suche nach Erholung und Content. Ein etwas längerer Spaziergang also, von hier bis zur S-Bahn in Blankenese sind es rund 16 Kilometer.
Die Wanderung fand einen Tag vor der Wahl statt, die ganze Stadt war noch zugepflastert mit Wahlplakaten, teils sogar in erstaunlichem Ausmaß. Unser kleines Bahnhofsviertel etwa war in einer so unvorstellbaren Dichte mit dem Gesicht von Johannes Kahrs (SPD) beklebt, dass es wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen wäre, wenn man sich den auch zuhause als Fototapete ins Wohnzimmer montiert hätte. Überall dieses Gesicht, immer wieder, immer wieder, noch eines, noch eines – und als reaktanter Bürger dachte ich vor jedem einzelnen “Nein, ich wähle dich nicht, dich erst recht nicht” und das wurde auf Dauer doch ein wenig anstrengend. Das Bahnhofsviertel also ein einziges Kahrsland, wir zogen durch einen wahren Plakatwald in Richtung des Dammtorbahnhofs und blieben dann an der Grenze zu Harvestehude verblüfft stehen, weil quasi auf der gedachten Grenzlinie zwischen den Stadtteilen das erste CDU-Plakat hing. Eines von vielen in Harvestehude, versteht sich, das war ganz unterhaltsam, denn die kannten wir alle noch nicht. Am Dammtor vorbei und durch Planten un Blomen (mit ohne d, das gehört so) runter nach Sankt Pauli. Durch einen menschenleeren Park, dessen manchmal verblüffende 70er-Ästhetik dadurch besonders schön zur Geltung kam. An der Eislaufbahn vorbei, am Gefängnis vorbei und schließlich am Bismarck vorbei, runter zur Elbe, wo es gar nicht mehr menschenleer war, sondern brechend voll. Touristenhorden an den Landungsbrücken, Outdoorjackengeschiebe und guck mal, ein Schiff, ein großes Schiff! HA-FEN-RUND-FAHRT! Mit der Barrrrrrrrkasse! Na, Herr Konsul, auch ein Ticket?
Wir wollten kein Ticket, wir wollten nach Westen. Wir gingen zügig, denn der Sohn II von meinem Wanderfreund schlief in seiner Kraxe und ein schlafendes Kind ist ein gutes Kind, wenn man voran kommen will. Wir gingen immer weiter an der Elbe entlang. Ein Weg, von dem jeder Hamburger größere Abschnitte von den Sonntagsspaziergängen kennt, ich natürlich auch, aber ich bin ihn noch nie am Stück gegangen. Ganz interessant, diese Einzelteile zusammenzufügen, ach, das kommt also dahinter? An Övelgönne vorbei, immer im Gedenken an Peter Rühmkorf, der dort gewohnt hat, da ist man als Literaturfreund natürlich in der Pflicht. „Bleib erschütterbar und widersteh“, eine seiner bekannteren Zeilen, darüber hätte man kurz vor der Wahl auch einmal einen Besinnungsaufsatz schreiben können.
Uns kam ein gleitender Mann entgegen, bei näherem Hinsehen fuhr er auf einem Elektro-Longboard, was es nicht alles gibt! Nie gesehen, so etwas. Er war etwa Mitte dreißig und er hatte die Hände beim Fahren in den Hosentaschen und guckte betont gelangweilt, das mit der Coolness musste bei ihm wirklich sehr dringend sein, dachte ich mir, während er vorbeiglitt.
Die Häuser wurden immer teurer, mein Wanderfreund wies mich darauf hin, dass alle großen Städte in Europa nach Westen hin edler werden, das war mir gar nicht bekannt. Ist das wirklich so? Gibt es Ausnahmen? Wir dachten über Städte nach und murmelten Stadtteile, mir fiel herzlich wenig ein. In Hamburg stimmt es, in London auch, aber sonst – was weiß ich. Eine Villa nach der anderen an der Elbchaussee, SUVs in den Einfahrten, junge, sehr junge Erwachsene, die pfeifend in Porsches kletterten. Klischees, Klischees, was soll man machen, wegsehen hilft ja auch nicht. Auf einem Balkon einer schneeweißen Villa saß eine Dame unter einem Heizstrahler. Es war ein warmer Tag im September, aber wenn man doch ein wenig fröstelt, dann macht man eben den Heizstrahler an, nicht wahr? In der Schanze überlegen die Hipsterökos, wie sie bloß noch mehr Strom sparen können und lassen die Geräte nachts nicht mehr auf Stand-by, hier macht man den Elektroheizstrahler an, wenn ein Wölkchen über den Himmel zieht, weil: wir hams ja. Weil: mir doch egal. Weil: davon geht die Welt jetzt auch nicht sofort unter.
Zwischendurch tauchte unten am Elbufer ein Biergarten auf. Gar nicht schick, gar nicht modern. Überwuchert von Verbotsschildern, besetzt von mäßig freundlichem Personal, das grottenschlechten Kaffee ausschenkte, man wähnte sich nicht in Hamburg an der Elbe, eher in Ratzeburg am See. Auf dem Fluss zogen Containerriesen vorbei, hoch beladen, das erinnert mich immer an bunte Legokonstrukte im Kinderzimmer.
Auf der anderen Elbseite dann bald Airbus, in Hamburg gerne kumpelig “der Airbus” genannt. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der beim Airbus arbeitet. Oder gearbeitet hat. Beim Airbus war man schon einmal, über den Airbus weiß jeder irgendwas, Anekdoten ohne Ende. Vermutungen über Gehälter, Geschichten über das Firmenwachstum, Fachwissen aus der Logistik. Umweltsauereien und Managementstreitereien, Airbus ist hier Volksgut. Wenn man am Airbus entlangwandert, dann ist er aber vor allem: unfassbar hässlich. Eine monströse, graue, gigantomanische Fabrik, die den Ausblick über den Fluss auf einer irrsinnig langen Strecke komplett versaut. Auf dem Nordufer stehen edelste Villen, von deren Terrassen man Blick auf ein Gewerbegebiet hat, das auch nicht charmanter aussieht, als eine beliebige Farbenfabrik in Dortmund. Oder sieht es eher nach Kaserne aus? Nach Gefängnisinsel? Schwer zu sagen. In jedem Fall möchte man das eigentlich nicht sehen. Man geht daran entlang, es hört so bald nicht auf, es geht weiter und weiter, das merkt man aus dem Auto heraus gar nicht, wie lang diese Anlage wirklich ist. Sie ist endlos.
Die Garderobe der Menschen, die uns entgegenkamen, wurde immer gepflegter, gesteppte Jacken, wohin man auch sah. Ich finde das immer wieder faszinierend, wie sehr in Hamburg die Mode nach Stadtteilen scharf abgegrenzt ist, man geht ein paar Meter weiter und die Passanten sehen plötzlich anders aus. Die Hunderassen am Strand wurden exotischer, die Wege wurden gepflegter. In Blankenese schließlich kam es uns vor, als hätten wir das Land gewechselt, so anders sahen die Menschen dort aus. Wahrscheinlich war es Zufall, dass nahezu alle, die uns begegneten, so dermaßen nach Geld aussahen, ganz so schlimm kann es eigentlich auch in Blankenese nicht sein. Aber es gibt nun einmal eine bestimmte Sorte Pullover, der man sofort ansieht, bei welch gepflegten Herrenausstattern sie gekauft wurde. Es gibt Cordhosen in Farben, die man nur in gewissen Kreisen trägt. Es gibt diese leicht jilsanderisierten Silhouetten älterer Damen, wallende Mäntelchen oder Strickensembles, an denen man kein Markenschild finden wird, und bei denen man doch alles über die Preislage weiß, wenn man nur genauer hinsieht.
Wir tranken einen Kaffee vor einer Bäckerei, gelangweilte Menschen in Kaschmirpullovern neben uns. Notare, Apotheker, Verleger, Therapeuten und Chefärzte, wenn man diese Rollen für einen Tatort besetzen müsste, man hätte hier jeden Gast nehmen können. Abgesehen von meinem Wanderfreund und mir natürlich, wir wären dann eher die Verdächtigen gewesen. “Zwischentöne sind nur Krampf – im Klassenkampf” dachte mein innerer Sechzehnjähriger, während mein wahres Alter gar nichts mehr sagte und nur noch staunte, wie sehr hier alles nach Karikatur aussah. Das könnte man so in keinem Roman unterbringen, alles völlig überzeichnet.
Bei den Altglascontainern gegenüber tauchte ein älterer Herr auf, auch er sehr fein gekleidet, Brille mit Goldrand, Seidenschal, Wildlederslipper, man möchte beim Schreiben an den Stereotypen ersticken, aber was soll man machen. Ein Gesichtsausdruck, als hätte man schon vor vielen Jahren eine gewisse gelangweilte Blasiertheit hineingestanzt. Er holte Weinflaschen aus einem Lederbeutel. Wechselte die Brille, las das Etikett der ersten Flasche, nickte und warf sie dann ein, mit einem seltsam energischen Nachstoßen der Hand, als wollte er sicher sein, dass sie auch ganz gewiss an den anderen Flaschen im Container zerschellen würde. Eine merkwürdig aggressive, etwas herrische Geste war das, dieses Nachstoßen, irgendwo zwischen angewidert und aufgebracht. Dann nahm er wieder eine Flasche aus dem Beutel, las sorgsam das Etikett durch und nickte, bevor er auch diese so einwarf wie die Flasche davor. Eine ganz langsame Bewegung zur Öffnung im Container hin, ein bedächtiges Verweilen, dann ein kräftiges Stoßen, er lauschte dem Klirren und nickte wieder, bevor er die nächste Flasche hervorsuchte, das ging immer so weiter. Auf die Kurzgeschichte, die diese Szene vielleicht erklärt, könnte man irgendwann einmal zurückkommen. Vor ihm, neben ihm und hinter ihm übrigens Wahlplakate, sie standen so dicht wie in Sankt Georg, allerdings warben sie hier nicht für die SPD, sondern für AfD und FDP.
Mein Wanderfreund und ich sahen uns um, hier war tatsächlich alles voll mit AfD und FDP, es war gar keine andere Partei zu sehen. Das war, wenn man die Wahlergebnisse von Blankenese kennt, auch eine durchaus sinnvolle Maßnahme für diese Parteien.
Das nächste Mal gehen wir dann von Blankenese aus Richtung Süden. Nachdem wir die Fähre benutzt haben, versteht sich. Mal sehen, wie die Leute da herumlaufen.
September 25, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Wollen Sie einmal den Preis für ein Kilo Tomatensaat raten? Also dieses Saatgut, das Großgärtnereien ankaufen? Legen Sie sich nur spaßeshalber einmal kurz fest und fragen Sie ruhig auch Ihre Kollegen, so etwas belebt das Großraumbüro doch immer ungemein. Lesen Sie das hier danach und staunen Sie.
Ja, die Landwirtschaft. Immer für eine erstaunliche Zahl gut. Wir wollen hier aber auch noch etwas auf der Textilwirtschaft herumreiten, da wird man auch immer so schön leicht fündig. Fragen wir uns mit dem Tagesanzeiger, warum sich eigentlich Pelz wieder so überaus erfolgreich verkauft.
Werfen wir nun einen Blick in ein Land, in dem es gar keinen Markt für Mode gibt, weil es quasi überhaupt keinen Markt mehr gibt und nein, ich meine gar nicht Nordkorea, sondern Haiti, die Republik der Hilfsorganisationen. Wie fremd ist das denn?
Und dann gibt es natürlich auch noch Meldungen, die unser Verständnis vom Markt in der Dimension irgendwie übersteigen. Wieviel wird da verkauft, wie groß ist das? Für solche Flächen musste man früher schon eine Prinzessin ehelichen oder einen Nachbarstaat überfallen.
Das liest man alles nicht gern, das ist irgendwie shocking. Sehen wir uns lieber wieder im eigenen Land um, was? Im eigenen Land, wo Milch, Honig und Ersatzflüssigkeit fließen und es für alles, für wirklich alles einen geregelten Markt gibt. Und wo es übrigens ziemlich schwierig ist, in einen etablierten Markt mit einem Produkt einzudringen, das ganz anders produziert wird, als all die anderen Produkte. Und wo Schrebergärten als Baulandreserve gelten, auch schön.
Nicht wahr, das liest sich gleich viel entspannter. Probleme aus vertrautem Kontext, aus einem Land, das wir zu kennen meinen, da hilft das alte BWL-Wissen doch wieder weiter. Ein Land, das allerdings vergreist, ein Land, in dem die Medien die Kitapreise auf Landkarten darstellen, ein Land außerdem, in dem Eltern mit dem Staat unentwegt ringen. Das ist also viel eher unsere Welt.
Ein Land übrigens auch, in dem Top-Manager in Sozialpraktika gescheucht werden und dort nach eigenem Bekenntnis zum ersten Mal erfahren, was es heißt, für andere da zu sein. Und man weiß dann sogar, unter welchem Stein sie vorher gelebt haben.
Diese Linksammlung lässt uns wie immer völlig ratlos zurück, man merkt es jetzt schon. Der Vorhang zu und alle Fragen offen, wie jemand zu sagen pflegte, der nicht in den Wirtschaftsteil gehört. Wir wollen aber dann doch noch zumindest eine Frage präzise und klar beantworten. Eine Frage, die alle Freiberufler unter uns immer wieder umtreibt, eine Frage für alle Pixelschieber, Texter, Designer, Konzepter und so weiter: Soll ich umsonst arbeiten? Hier eine bemerkenswert klare Antwort.
Sollten Sie dennoch immer wieder umsonst arbeiten, nennen Sie es wenigstens nicht mehr eigene Dummheit, nennen Sie es lieber Perseveranz. Das klingt dann zwar ein wenig so, als hätten Sie einen an der Waffel, wenn Sie Ihre heftige Perseveranz beklagen, aber wir Eingeweihten wissen ja jetzt, dass wir alle darunter leiden.
Der Designlink der Woche kümmert sich wieder um ein sehr bodenständiges Design-Thema. Sehr schlicht, sehr auf den kleinen Geldbeutel zugeschnitten, dieses Produkt, um das es gleich geht. Nein, es ist in Wahrheit auf gar keinen Geldbeutel zugeschnitten, es ist für Menschen, die nichts haben, kein Geld und auch sonst nichts und die vor allem eines brauchen: ein Dach über dem Kopf. Hier geht es um das Design dieser Notbehelfsdächer: More than shelters. Ach, und wenn wir schon bei Dächern und Armut sind, hier noch schnell ein gar nicht so niederschmetternder Bericht über einen vertikalen Slum. Ja, vertikal. Man beachte unbedingt auch die Bilder.
In der nächsten Woche macht der Wirtschaftsteil Pause. Schlimm! Am 10.10. sehen wir dann nach, was in der Zwischenzeit passiert ist. Aber was soll schon passieren, in unserer überschaubaren Welt.
Kürbissuppe nach Stevan Paul
Wie hier bereits angekündigt, gibt es in diesem Blog jetzt jede Woche ein Rezept aus diesem Buch. Na gut, fast jede Woche. Nächste Woche etwa gibt es hier kein Rezept, nächste Woche gibt es hier nämlich nichts, gar nichts. Nada, Pause, aus, gone fishing. Übernächste Woche geht es dann aber selbstredend weiter im Programm.
Ich hatte es mir ja ganz nett vorgestellt, in aller Ruhe ein Rezept nachzukochen. Dabei schön Musik hören und wie nebenbei ab und zu ein schickes Foto inszenieren, appetitlich drapierte Zutaten, geschickt ausgeleuchtetes Gemüse auf altem Holz neben dem Familiensilber, na, wie es die Foodblogger eben so treiben, Sie kennen das. Glückliche Kinder, die nach Rohkost schnappen, dankbare Küsse nach dem Nachttisch, das Bier mal aus dem Glas statt aus der Flasche, ach, man hat so Illusionen.
Tatsächlich war es aber prompt so, dass ich an dem Tag keine Sekunde Zeit für dieses Projekt über hatte, also die Herzdame in die Küche schickte und selbst wieder an den Schreibtisch ging. Die Deadline, die Deadline. Zuvor haben wir den Söhnen noch froh verkündet, dass es Kürbissuppe geben sollte. Das war klug von uns gewählt, dachten wir, denn Kürbissuppe mögen beide Söhne, wir wollten die Reihe bewusst mit einem gelungenen Essen für alle beginnen. “Menno”, antwortete Sohn I, was ich als souveräner Vater sofort dahingehend deuten konnte, dass er heute gerade keine Kürbissuppe mögen würde. Der Geschmack von Kindern ist unergründlich. Dieser Verweigerung schloss sich sein Bruder spontan zwanglos an und beide griffen mit verbiesterten Gesichtern nach den Lebensmitteln, von denen sie hier sowieso größtenteils leben. Sohn I also zu Schwarzbrot und Heringssalat, Sohn II zu Dosenmais. Die Herzdame und ich sind darüber hinaus, uns über so etwas noch aufzuregen.
Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und fing an zu tippen, wurde aber nach zehn Sekunden gestört, weil die Herzdame merkte, dass sie einen Hokkaido nicht ohne die Bärenkräfte ihres Mannes zerlegen kann. Ich säbelte den Kürbis für Sie durch und ging zurück an den Schreibtisch. Neuer Satz, neues Glück. Nach drei Silben fragte die Herzdame, ob ich nicht noch eben die Zwiebel? Weil sie das doch nicht so gut abkönne, mit den Augen?
Die Stimmung wurde etwas gereizt, Hektik ist meist nicht gut für Beziehungen. Ich machte die Küchentür entschlossen wieder hinter mir zu und ließ die Herzdame diskutierend mit den Söhnen zurück, die irgendwas wollten oder nicht wollten, weiß der Kuckuck, ich hatte wirklich keine Zeit mehr. Ich fing wieder an zu schreiben, wurde dabei aber von Sohn II gestört, der mit einer Tüte Kürbiskernen aus der Küche gekommen war und mich fragte, was das denn wieder sei. Und ob man das am Ende essen könne? Ich nahm die Finger von der Tastatur und erklärte dem Kind Kürbiskerne. Er probierte und ging dann versonnen nickend und knabbernd weiter, eine üppige Kürbiskernspur hinter sich lassend, in Richtung Kinderzimmer, wo er ohne Zweifel seine Beute im Bett verstecken wollte. “Oh Hänsel, mein Hänsel”, sagte ich zum Sohn, der mich verständnislos ansah. Kannte er etwa Hänsel und Gretel nicht? Die Spur aus Brosamen? Habe ich das am Ende noch nie vorgelesen? Und wozu gibt man das Kind eigentlich in eine Kita? Was machen die da den ganzen Tag?
Ich schilderte ihm das Märchen in Kurzfassung und ging zurück an den Schreibtisch, wo sich zwischenzeitlich allerdings Sohn I hingesetzt hatte und größere Mengen Heringssalat in meine Tastatur massierte. “Papa, ich schreib auch was!” rief er mir vergnügt entgegen. Manche Tage sind deutlich anstrengender als andere.
Die Herzdame kochte währenddessen den angedünsteten Kürbis mit Kartoffeln, einer Zwiebel und einem Apfel in Brühe und Sahne und würzte das, darauf wäre ich nicht gekommen, mit Anis und Honig. Merken Sie sich das, es ist nämlich toll. Dann briet sie in einer Pfanne Mandelblättchen und Kürbiskerne, die wir Sohn II erst wieder mühsam entwenden mussten, fragen Sie nicht. Die Suppe wurde püriert, mit Apfelessig, Pfeffer und Salz abgeschmeckt und mit saurer Sahne serviert.
Die Herzdame und ich waren begeistert, das ist tatsächlich viel besser als meine eher einfallslose Kürbissuppe, die ich sonst immer gekocht habe. Das kommt hier jetzt nur noch so auf den Tisch. Fleisch vermisst bei dem Rezept vermutlich kein Mensch. Die Kombination von gerösteten Mandelblättchen und Kürbiskernen finde ich so gut, ich wäre fast geneigt, sie als Hauptspeise mit einem leichten Kürbissuppendressing zu essen.
Abschlussurteil der Herzdame: “Sehr lecker.”
Abschlussurteil Sohn I: “Suppe? Welche Suppe?”
Abschlussurteil Sohn II: “Wo sind meine Kerne? Das sind meine Kerne!”
September 24, 2013
Kurz und klein
Pardon, hier gibt es gerade ein kleines Darstellungsproblem. Wird später repariert. Vermutlich.
September 23, 2013
Im Alten Land
Ich war für meine Kolumne “Kind und Kegel” in der Online-Ausgabe des Hamburg-Führers zum Apfelpflücken im Alten Land.
Der Text findet sich hier, ein paar mehr Bilder noch hier unten.
Neun Jahre
Schon neun Jahre verheiratet. Und während ich noch überlege, was mir dazu einfällt – wobei mir gar nichts einfallen muss, denn wenn man den neunten Hochzeitstag nachliest, dann steht da überall, dass man nicht mehr viel reden muss – während ich das also überlege, schenkt sie mir Karten für das Rainald-Grebe-Konzert heute in Hamburg. Ich bin ein großer Rainald-Grebe-Fan, die Herzdame kennt ihn allerdings kaum und ich staune etwas, dass sie mich zum Hochzeitstag in ein Konzert begleitet, dass dann doch eher etwas für mich ist.
Ich: “Na, hoffentlich gefällt dir das dann auch?”
Die Herzdame: “Ach, ich war doch auch mit dir bei Torfrock. Was man eben alles so macht, aus Liebe.”
Was war das doch für eine überaus kluge Entscheidung, sie zu heiraten. Sicher die beste, die ich je getroffen habe.
September 22, 2013
Woanders – diesmal mit dem alten Elbtunnel, einem kleinen Hotel, Skizzen und anderem
Ein Artikel (engl.) über den alten Elbtunnel. Einen Artikel über den neuen Elbtunnel würde man ja auch nicht verlinken, ne.
Ein beklemmender Artikel über die Bildungskluft in Deutschland.
Nicht weniger beklemmend die Reportage über ein kleines Hotel an der syrischen Grenze. Denn einige reisen dahin, zum Krieg. Um mal zu sehen, wie das so ist.
Und Kriegserfahrungen kann man übrigens vererben. Aber das haben wir natürlich schon immer geahnt.
Eine Deutschlandkarte mit Kitapreisen.
Ein Text über Zwei- und Mehrsprachigkeit.
Frank Schirrmachers Nachruf auf Marcel Reich-Rancki.
Und eine Sammlung mit Zitaten von M2R aus dem Fernsehen.
Der Kiezneurotiker weist auf eine neue Medienseite hin, und die sieht in der Tat interessant aus. Da werden aus den diversen Mediatheken die wirklich lohnenden Filme ausgewählt.
Das Nuf über Hosenauthentizität.
Bilder: Ein Skizzenbuch. Ein ziemlich tolles Skizzenbuch sogar. Auch das Blog dort ist interessant. Und der ganze Rest der Seite.
Bilder: Knöpdedrücken in den Siebzigern.
Film: Jerry Lee Lewis spielt Bobby McGee. Die Aufnahme kannte ich nicht. Es kostet mich ja immer wieder Mühe, Youtube nicht tagelang nach so etwas zu durchwühlen. Laut hören lohnt! Und wenn der Anfang nicht überzeugt – abwarten bis etwa 2:25. Die Stelle vermittelt auch einen schönen Eindruck, wie ich kurz vor der Deadline tippend am Notebook sitze.
Dialog am Morgen
Sohn I: “Was machen wir heute?”
Ich: “Wir fahren ins Alte Land zur Apfelernte.”
Sohn I: “Das habe ich nie so beschlossen.”
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