Maximilian Buddenbohm's Blog, page 363
October 19, 2013
Woanders – diesmal mit Eventisierung, Flohmärkten, Blogrolls und anderem
Pia Ziefle über die Eventisierung der Kindheit. Recht hat sie. Aber sowas von. Link der Woche, mit Gold, am Band und überhaupt.
Patsy Jones über Flohmarktmenschen. Ich gehe seit Jahren nur noch auf spezielle Flohmärkte für Kinderbedarf. Schade eigentlich.
Der Kiezneurotiker über mangelnde Vernetzung und das Aussterben der Blogroll, das ich auch beklagenswert finde. Es ist ein Unding, Blogs nicht zu rollen, da bin ich altmodisch.
Librarian Shaming. Man staunt. Aber ich fand die Typen schon im Studium alle sehr seltsam.
Ein paar Gedanken zu Sobooks und den Aggregatzustand von Büchern. Das Bild mit den Zuständen finde ich gelungen.
Antje Herden, Kinderbuchautorin, über Honorare.
Und apropos Bücher und Medien: sind in der Branche jetzt eigentlich alle verrückt geworden?
Und nun noch ein Sicherheitshinweis. Zur Huffington Post siehe aber auch hier.
Dieser Text hier enthält den wunderschönen Begriff Ding-Dong-Theorie und ich finde, den sollte man kennen, der macht doch wirklich was her.
Bilder: Weit, weit fortgeschrittene Modellfotografie. Modell, nicht Model. Bevor hier jemand enttäuscht ist.
Bilder: Sehr schicke Bilder von Büsum und Helgoland. Helgoland! Da müsste man auch mal wieder hin. Im Herbst war ich da noch nie. Gute Idee eigentlich.
Bilder: Da um Vancouver herum sieht es ja auch ganz nett aus. Nein, im Grunde sind wohl nur die Bilder hübsch. Egal.
Bilder: Ein Museum für gewöhnliche Dinge.
Bilder: Halloween-Partygerichte für Fortgeschrittene. Für weit, weit Fortgeschrittene, sollte man vielleicht hinzufügen.
Bilder: Historische Persönlichkeiten in modernen Kostümen. Via Extramittel, bei der es auch ab und zu schicke Links zu finden gibt. An wen erinnert mich den bloß dieser Lord Nelson da? Da gibt es doch irgendwen, der auch so aussieht? Politiker? Manager? Komme ich nicht drauf.
Alsterrunde
Terminerinnerung
October 17, 2013
Himmel und Erde
Weiter in dieser Reihe.
Man kann ja nicht immer nur Suppe kochen, also gab es heute in meiner kleinen Kochreihe etwas mit festerer Konsistenz auf den Tisch: Himmel und Erde. Ein Essen, das man wohl nicht in ganz Deutschland kennt, ein erklärungsbedürftiges Essen also. Es heißt so, weil es Äpfel und Kartoffeln vereint. Äpfel wachsen oben, grobe Richtung Himmel, die Kartoffeln wachsen in der Erde, so einfach ist das, das leuchtet jedem sofort ein.
“Das finde ich nicht”, sagte Sohn I, “Äpfel wachsen nämlich gar nicht im Himmel. Die wachsen an Bäumen und es müsste also Bäume und Erde heißen.” Ich erklärte ihm, dass man Bäume aber nicht isst, also könne es so nicht heißen, woraufhin er mir erklärte, dass man den Himmel und die Erde auch nicht esse. Triumph im Blick, das Kinn herausfordernd weit nach oben gereckt. Bei Kindern ab sechs Jahren muss man wohl doch allmählich das ganze Hirn zuschalten, wenn man mit ihnen argumentiert. Schlimm.
Zwei bis drei Äpfel braucht man, über deren Sorte man quasireligiöse Diskussionen führen kann, besonders wenn man eine Herzdame im Haushalt hat, es waren dann am Ende aber nur solche der Sorte Jonagold, also nicht gerade originell. Ich bin hier als Anhänger des Boskoops eine kleine radikale Minderheit. Vier Zwiebeln, drei Handvoll Kartoffeln, Majoran, Petersilie, Sahne, Milch, Butter und Apfelsaft, mehr braucht man nicht, da geht der Einkauf schnell und leicht, das freut den Vater ohne Zeit, der fast alles an einem einzigen Marktstand erledigen kann.
Die Zwiebeln werden geachtelt und bei milder Hitze glasig gebraten. Dann werden sie mit ein paar Blättchen Majoran bereichert, mit Salz und Zucker gewürzt und mit Apfelsaft oder Weißwein abgelöscht. Und dürfen dann noch etwas vor sich hin brodeln und einen überaus erfreulichen Geruch entwickeln.
Nebenbei schon mal die Kartoffeln anwerfen.
Äpfel in Scheiben schneiden und in Butter und Öl anbraten, bis sie goldbraun sind und alles extrem gut nach Kindheit riecht, weil die Zwiebeln und der Majoran ja auch schon die ganze Zeit vor sich hinduften und was war das denn bloß nochmal, was immer so roch, damals als ich Kind war? Da komme ich noch nicht drauf, also brate ich erst einmal weiter. Äpfel zu braten macht Spaß und wenn man die Zwiebeln zu den Äpfeln wirft, dann riecht das Gemisch so dermaßen gut, dass man sofort sehr viel probieren muss und sich gar nicht in Ruhe um die Kartoffeln kümmern kann, die jetzt gepellt und mit aufgekochter Sahnemilch gestampft werden sollten. Ein Hauch Muskat, fertig. Alles auf einen Teller drapieren, Petersilie drüber, Foto machen, bloggen.
Oder erst essen, versteht sich. Das schmeckt richtig gut und kann kaum schiefgehen, das Essen ist eine wirklich sichere Bank. Ein Geschmack, der allen gefällt, außerdem einer, den ich seit Ewigkeiten kenne, und zwar aus der Heimat, damals in Lübeck , da schmeckte das auch so, wenn Oma kochte und jetzt fällt es mir auch endlich ein, was das war. Diese Kombination aus Äpfeln und Zwiebeln , die gab es bei uns immer zur Leber. Das ist natürlich eine etwas unpassende Assoziation bei einem vegetarischen Kochbuch, aber was soll man machen. Ich gehörte zu den wenigen Kindern, die Leber mochten, die ist ja sogar bei vielen Erwachsenen schwierig. Aber es gab aber immer ein kleines Problem, den sie schmeckte nur so zwei, drei Bissen lang wirklich gut, danach eher nicht mehr, die zweite Hälfte der Porton war eher eine Pflichtübung. Während die Beilagen natürlich immer gut schmeckten, das hat sich bis heute gehalten. Die Leber finde ich mittlerweile doch entbehrlich, die würde außer mir hier sowieso keiner anrühren. Und ich wüsste auch gar nicht mehr, von welchem Tier die früher war, Rind oder Schwein. Kartoffeln und Äpfel kann ich aber problemlos jedem im Haushalt andrehen und das mache ich ab jetzt sicherlich auch öfter.
Auch dieses Essen schmeckt, wie schon die Kartoffelsuppe mit Pfifferlingen, so dermaßen nach Herbst, dass man plötzlich Lust auf einen Ausflug bekommt, irgendwo ins Grüne, was mittlerweile eher das Bunte ist. Und dann sehr, sehr lange spazieren gehen, durch zunehmenden Nieselregen oder aufsteigenden Nebel, an abgeerneteten Feldern vorbei und über vermatschte Äcker, während der Himmel immer dunkler wird und mit dem aufkommenden Abendwind noch mehr Regehn herantreibt, so dass einem langsam doch etwas kalt wird – und dann irgendwo reinkommen und dieses Essen steht schon auf dem Tisch und die Bude ist komplett voll von diesem Apfelzwiebelbratduft. So müsste das sein.
Das Kochbuch empfiehlt dazu Apfelwein oder Cidre, ich trank dazu ein Riedenburger Emmerbier, das passte auch. Emmer ist eine alte Getreidesorte, aus der man früher Bier gemacht hat, merken Sie sich das. Am Ende kommt es irgendwann bei Jauch, man weiß nie.
October 16, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Da es womöglich Menschen gibt, die es nicht schaffen, sich durch alle Links hier zu lesen, ich hörte gerüchtehalber davon, fangen wir mit einem besonderen Prachtexemplar von Link an, damit es auch alle mitbekommen. Gepflegtes Nachdenken über Bio und Konsum und Kooperation und Landwirtschaft und Einkaufsmotivation und überhaupt – ein Gespräch mit der Professorin Gabriele Sorgo. Mit dem schönen Titel “Warum bio oft egoistisch ist”. Ein langer und lohnender Text. Der enthält auch z.B. das wunderschöne Wort “entbetten”, das könnte man doch einmal im Smalltalk über anstehende Konsumfragen oder Produkte auf dem Weltmarkt geschickt unterbringen. Oder natürlich beim morgendlichen Wecken der Kinder.
Und damit man sich nach dem reichlichen Text-Input gleich wieder entspannen kann, hier ein paar schicke Erntebilder aus der ganzen Welt. Passt schon.
Archaisch, nicht wahr? Trotz aller Modernisierung gibt es immer noch diese Bilder, die sich von den Szenen vor tausend Jahren nicht groß unterscheiden. Eine Hand greift wühlend in die Erde oder reckt sich zu einem Baum, damit man etwas auf dem Tisch hat. Fast immer übrigens ist bei der Ernte die nächste Hand nicht weit, Landwirtschaft ist meist eine Frage der Gemeinschaft. Der Mensch als soziales Tierchen, auch das sieht man auf den Bildern.
Das ist, wenn ich mal kurz zwischenbilanzieren darf, auch eine der Erkenntnisse aus diesem Wirtschaftsteil. Wenn Sie den schon länger lesen, werden Sie bemerkt haben, wie oft wir hier bei sehr, sehr komplizierten Fragen landen, bei unklaren Zuständen, bei “ich weiß es doch auch nicht”, oder bei “es könnte aber auch ganz anders sein” oder sogar bei “soll doch jeder irgendwas machen, mir doch egal, man versteht es eh nicht”. Kaum eine Konsumfrage ist leicht zu beantworten,auch keine der Ernährung, der Umwelt, der Sozialpolitik, des Weltmarktes und so weiter. Nichts als Rätsel um uns herum, kryptische Gesamtgefüge unüberschaubarer Größe. Wir möchten gerne, dass bestimmte Antworten leicht sind, dass alles einfach mit “bio”, “öko”, “regio”, “natürlich”, ”nachhaltig”, “chemiefrei” etc. zu lösen ist, aber so ist es oft gar nicht. Es gibt Tricks und doppelte Böden, Fallen und Rückschläge und die erste Idee ist oft gar nicht beste oder die einfachste Lösung. Die Begriffe überlagern sich, lösen sich ab, gehorchen Moden. Regio ist jetzt das neue Bio und Käse ist der neue Kuchen, wer soll da schon durchblicken.
Was aber anscheinend immer gut ist, das ist die Zusammenarbeit von Menschen. Wenn Menschen sich zusammentun, um etwas zu lösen, zu “sharen”, also zu teilen, zu erarbeiten, sich zu helfen, dann ist das meist der richtige Weg. Wenn sich eine Gemeinschaft findet, die etwas zusammen angeht, scheint in der Regel nichts dagegen zu sprechen, sondern nur vieles dafür, schon gar dann, wenn es nicht um Profit geht, sondern um andere Werte. Etwa um gesunde Ernährung oder die Umwelt. Wir scheinen tatsächlich besser zu werden, wenn wir gemeinsam übergeordneten Zielen folgen. Einfach, nicht wahr? Aber das nur nebenbei.
Das sollte man jedenfalls im Kopf behalten, das Soziale, wenn man z.B. über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenkt. Das müsste da mit anklingen, wie auch in diesem Artikel hier. Da geht es um große Themen, um eine letztlich revolutionäre Sicht auf die Wirtschaft, das ist ein großes Fass, das da aufgemacht wird. Davon liest man endlich auch in den klassischen Medien.
Na, und wenn wir das mit der Arbeit und dem Einkommen erst sozialer sehen, dann können wir ja auch noch schnell den Weltmarkt sozialer regeln, und schon ist die Welt eine bessere. Dann noch die Ausbeutung vor der Haustür abschaffen, die miesen Arbeitsbedingungen ändern, was hält uns eigentlich auf?
Irgendwas ist ja immer. Da möchte man vielleicht spontan mit dem Auto zur nächsten Demo für eine bessere Welt, aber vorher fällt einem noch ein, dass Autofahren schlecht für die Eierstöcke ist und man die Frauen daher besser zuhause lässt. Und schon ist die Demo nur noch halb so groß. Schlimm!
Ob das wohl gerade die absurdeste Nachricht der Woche war? Geht es noch bekloppter? Wer weiß, vielleicht ist es ja noch irrer, ein Atomkraftwerk in erdbebengefährdetes Gebiet zu bauen? Oder es ist alles das gleiche Maß des Irrsinns. Kann sein.
Dann sind wir jetzt vielleicht bereit für die Frage “Darf es noch ein Fahrrad zum Kaffee sein?” Die klingt allerdings nur irre, die ist eigentlich ganz sinnig. Das haben wir also auch noch am Hals, dass wir bei dem ganzen Irrsinn um uns herum immer fragen müssen, ob nicht doch etwas Sinnvolles dabei ist.
Der Designlink der Woche widmet sich einer Blase, im weitesten Sinne sogar der Immobilienblase. Aber irgendwie dann doch anders, als man vermuten könnte. Das gibt es tatsächlich, was Sie da nach dem Link gleich sehen, das ist keine Design-Studie. Vielleicht sollte man sich einmal in so eine Hotel-Bubble zurückziehen und über seine Filter-Bubble nachdenken?
Szenen aus Sankt Georg (2)
Es ist für dieses Blog nicht ganz untypisch, dass dauernd Reihen angefangen werden, die keine Fortsetzung finden, es ist alles ganz wie im echten Leben. Die Szenen aus Sankt Georg etwa habe ich vor schon ziemlich langer Zeit mit der Beschreibung eines Ladens auf dem Steindamm begonnen und damals die Nummer 1 hinter die Überschrift geschrieben, dann kam ich aber davon ab. Er kam zwar zu nix, aber doch von allem ab, das beschreibt mein Schaffen überhaupt ganz anschaulich, glaube ich.
Die Nummer 2 der Reihe hatte ich damals noch längere Zeit im Sinn, aber die spielte im Herbst und dann wurde es Winter und der Text passte nicht mehr recht. Der Nummer 3 ging es ähnlich und dann waren natürlich längst andere Ideen wichtiger. Aber ich möchte jetzt doch gerne auf die Reihe zurückkommen, mit einer neuen Nummer 2. Das liegt auch an den rechtlichen Begrenzungen der Straßen-Fotografie in Deutschland, man darf nicht ungefragt Bilder von Fremden veröffentlichen, auch wenn sie noch so dekorativ irgendwo herumlungern. Man müsste ihr Einverständnis haben, dafür müsste man sie ansprechen, das ist heillos kompliziert. Man darf Fremde aber ansehen, sich das Bild merken und dann versuchen, es zu beschreiben, so wie damals bei den Szenen auf dem Steindamm. Es gibt diese berühmte Reihe “Pictures I did not take”, das wird der eine oder andere vielleicht kennen, ich finde gerade das Ursprungsblog nicht, Textbeschreibungen von Bildern, die man nicht aufgenommen hat. War es nicht ein Gemeinschaftsblog? Egal. Bilder, die man nicht aufgenommen hat also. Weil es nicht ging, weil man nicht durfte, weil man keine Kamera dabei hatte, warum auch immer. Bilder, die man aber doch so als Motiv erkannt hat, dass sie ein wenig in Erinnerung bleiben. Ich glaube, in diesem Sinne führe ich die Szenen aus Sankt Georg jetzt doch wieder weiter. Zur Selbstmotivation bekommen sie auch gleich eine eigene Kategorie.
Zwei junge Menschen umarmen sich vor der S-Bahn
Mittwochmorgen, 07:30, Hauptbahnhof. Es nieselt und die Menschen gehen mit hochgezogenen Schultern Richtung S-Bahn oder zu den Pendlerzügen in die umliegenden Vororte und Städte, von den Gleisen kommen ihnen andere Pendler in großen Gruppen entgegen. Einige haben in den Zügen geschlafen, zerknautschte Gesichter. Menschenströme, die sich unentwegt vermengen und neu sortieren, das verzweigt sich, verschiebt sich, reiht sich auf, stellt sich an, steigt ein, steigt aus, steht herum. Man stiert auf Werbung, die auf riesigen Bildschirmen zwischen den Gleisen läuft, kauft im Vorbeigehen an den Kiosken Kaffee und Brötchen, streift die Schlagzeilen der Zeitungen mit einem Blick. Schlechtgelaunte Gesichter wohin man auch sieht, Kopfhörer in den Ohren, Blicke auf Smartphones, jeder versucht, die Masse zu ignorieren. Kaffeebecher in den Händen, Franzbrötchenkrümel auf den Jacken, selten mal eine Zeitung, die auch gekauft wurde. Schnelle Schritte, eilig hat es hier um diese Uhrzeit jeder, man muss zum Zug, zur S-Bahn, zur U-Bahn, ins Büro, bloß weiter, geh weg, und jeder steht jemandem im Weg, geht nicht schnell genug oder rennt vor den Füßen herum, rammt andere mit Rollkoffern oder Rucksäcken und steht auf Rolltreppen auf der falschen Seite. Ein kollektiver Unwillen liegt in der Luft und die morgendliche Stimmung der Menschenmenge ist passiv-aggressiv wie an jedem Werktag.
Auf dem S-Bahngleis stehen zwei junge Menschen eng beisammen, vielleicht siebzehn Jahre alt, vielleicht noch etwas jünger. Sie stehen abseits, soweit man auf diesem brechend vollen Gleis überhaupt von einem Abseits reden kann. Sie stehen am äußersten Rand, wo ein paar Mülleimer die hastenden Heerscharen der Berufsttätigen in neue Reihen aufspalten, hinter ihnen öffnet sich die Bahnhofshalle bald zur dunkelgrauen Stadt. Man erkennt in der Ferne ein paar erste Lichter in Bürohäusern und davor noch rote Signalleuchten der Bahn. Sie sehen beide nach spanischer Abstammung aus, was natürlich auch Südamerika oder Gott weiß was bedeuten kann, jedenfalls sind sie beide eher attraktive Menschen, die könnte man vom Fleck weg für einen Werbespot rekrutieren. Sie tragen beide schwarze Kleidung, es sieht aber eher nach Zufall aus, als nach einem modischen Statement, keine Gruftis oder Partisanen aus dem schwarzen Block, eher lässige Freizeitkleidung, heute mal in dunkel, warum auch nicht. Er hat einen Bart, der noch kein rechter Bart ist, da muss man ihm noch ein wenig Zeit geben, ein Jahr vielleicht, dann sieht das gut aus. Sie haben beide lange, schwarze Haare und weil sie sich umarmen, sieht man im Vorbeigehen gar nicht, welche Haare da zu wem gehören und wenn die Szene ein Schwarzweißfoto wäre, nur der Ausschnitt der Haare auf den Schultern, dann wär es ein wenig verwirrend, was denn da eigentlich was ist.
Dieses Zusammenfließen der Haare. die aneinandergelehnten Köpfe, die sich manchmal sachte verschieben, Stirn an Stirn, Stirn an Wange, Stirn an Schläfe. Beide sehen ein wenig nach unten, so dass sie noch mehr füreinander sind. Umeinandergelegte Arme. Man kann sich vorstellen, dass es die erste Liebe ist, das Bild ist dann natürlich gleich noch schöner. Das ist eine Körperhaltung, an die man sich erinnert, besonders jetzt im Herbst, wo die Wehmut eh Saison hat. Damals also, der erste Klammerblues auf der einen Party, da hat man auch einmal so gestanden und so konzentriert hingefühlt und jedes einzelne lange Haar auf der Wange gemerkt und ihren Geruch am Hals und das Gewicht der Arme auf den Schultern und die Wärme zwischen den Körpern und den Druck der Hände am Rücken und den Atem, den hat man die ganze Zeit gehört, jeden Zug, jeden einzelnen Zug, das ganze Lied über.. Und sonst hat man absolut nichts mehr mitbekommen, wenn es damals richtig gewesen ist, die Party nicht, die Musik nicht, die Freunde nicht, man war zu zweit und das war alles und wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, dann wäre es auch für immer gewesen. War es dann aber, große Überraschung, doch nicht, und damit hat natürlich niemand rechnen können.
So also sehen die beiden aus und so gucken sie auch. Sie haben diesen waidwunden Blick frischer Liebespaare, die sich gleich loslassen müssen und die genau wissen, dass der Rest der Welt sie nicht versteht, sie auch gar nicht verstehen will und mit diesem Blick sehen sie ab und zu hoch und ganz kurz in die Menge oder auf den hundsgemeinen Anzeiger der S-Bahn-Abfahrten. Und die Menschen in der Menge, die das Pärchen vermutlich alle sehr wohl verstehen, die lächeln manchmal sogar, wenn sie das Paar so sehen, aber das merken die beiden gar nicht, weil sie ja keiner verstehen kann, denn sie erfinden es doch gerade erst neu, dieses ganze Verliebtsein, mit allem Drum und Dran. Das gab es so noch nie, das steht doch ab morgen erst überall dran, mit grellroten Sonderaktionsaufklebern überall in der Stadt: “Neu! Jetzt auch mit Liebe!”
Dann kommt die Bahn und die beiden müssen sich wirklich trennen, obwohl sie vielleicht gerade, wer weiß, die Nacht gemeinsam verbracht haben und von dieser unglaublichen Weltsensation so erschüttert und sprachlos sind, wie wir es alle einmal waren. Waren wir nicht? Müssen sich trennen, weil das Leben auf so etwas nun einmal keine Rücksicht nimmt, das Leben nicht und auch sonst keiner, mir doch egal, geh weg, steh hier nicht rum. Nichts als Rücksichtslosigkeiten und Zumutungen in diesem Leben, dauernd kommt etwas dazwischen, sogar zwischen frische Pärchen, da darf man schon einmal betroffen und pudelig begossen ausehen, besonders wenn man erst siebzehn Jahre alt ist oder noch jünger. Und wie groß diese besonders bittere und gnadenlose Zumutung der einfahrenden S-Bahn gerade ist, das sieht man den beiden jetzt mehr als deutlich an. Weiter hinten zeigt eine Frau mit dem Finger auf die beiden und stößt ihre Freundin an, lachend verdrehte Augen. Das merken die beiden Liebenden natürlich auch nicht, die küssen sich, umarmen sich, trennen sich, gehen einen Schritt, gehen doch lieber schnell einen Schritt zurück, umarmen sich schon wieder, küssen sich lieber doch noch einmal, ein einziger Kuss geht dann noch, nur einer noch und doch noch einer. Hände in den Haaren, Hände am Hals, Händen an den Händen. Wieder auseinander, noch ein Schritt, wieder zurück. Kein einziges Wort dabei, nur immer diese bedeutungsschwangeren Blicke, die jedem Stummflim angemessen wären, alles völlig übersteigert, also alles genau richtig. In einem Zeichentrickflim würde man sie Fäden ziehen lassen, während sie sich mühsamst trennen, Fäden, die immer dünner werden, während sie in verschiedene Bahnen steigen und in verschiedene Richtungen fahren, in die Schule, in die Uni oder ins Büro. Hauchdünne Fäden wären das schließlich nur noch und in der nächsten Einstellung würde man dann sehen, dass all die verliebten Pärchen diese Fäden ziehen, wenn sie sich morgens an der Bahn verabschieden, Tausende von Pärchen würde man sehen, Helikopterperspektive, ein Gespinst von Fäden über der Stadt. Romantik! – wie Sven Regener an dieser Stelle mit griesgrämigem Gesicht und gereckter Faust von der Bühne rufen würde. Und dann käme ein schöner Song über Trennungen.
Dann fuhr auch meine Bahn ein. Der Hamburger Hauptbahnhof ist, zusammen mit dem Münchner Hauptbahnhof, der meistfrequentierte Bahnhof Deutschlands.
October 15, 2013
Dialog am Abend
Ich: “Du machst ganz schön viel Streit gerade, was? Findest du nicht auch?”
Sohn II: “Ja, das kann wohl sein.”
Ich: “Das nervt uns alle sehr. Könntest du freundlicherweise in Erwägung ziehen, das zu ändern? Und zwar bald?”
Sohn II: “Reicht es vielleicht auch, wenn ich erst einmal nur darüber nachdenke, mich zu ändern?”
Im Maritimen Museum
Ich war für meine Kolumne “Kind und Kegel” in der Online-Ausgabe des Hamburg-Führers im Maritimen Museum Hamburg. Der Text findet sich dort, ein paar Bilder schon einmal hier.
October 14, 2013
Zwischendurch…
… einen herzlichen Dank an die beiden Leserinnen aus Düsseldorf und Leipzig, die den Söhnen gerade Geschenke geschickt haben!
October 13, 2013
Woanders – diesmal mit einem fetten Plus, Kraków, Spielregeln und anderem
Kid37 ist fett im Plus.
Ein Reisebericht aus Kraków. Auch interessante Bilder dabei.
Novemberregen über Spielregeln.
Constantin Seibt zu seinem Buch, das sofort auf meinem Wunschzettel gelandet ist. Ich mag selten Texte über das Schreiben, aber die von Constantin Seibt sind super.
Ein paar Zahlen zu eBooks.
Ich habe mich mit einem Fuchs unterhalten. Ich wundere mich über gar nichts mehr.
Percanta über Geisteswissenschaften und Pferdebeine.
Ein erhellendes Interview zu Pisa und zur Selbstorganisation und zu Schülern als Ich-AGs. Schlimm.
Die Mode in Berlin-Mitte. Ist tatsächlich in Hamburg noch gar nicht angekommen. Oder ich sehe nicht richtig hin.
Harald Martenstein sehr richtig über Honorare von Autoren. Kann man alles nicht oft genug sagen.
Sascha Lobo über Sobooks. Sehr spannendes Projekt.
Antje Schrupp über den Sonntag. Als Nichtchrist habe ich da eine ganz andere Sichtweise, aber dennoch ist es ein vollkommen einleuchtender Ansatz. Doch, das hat was. Ich muss nachdenken.
Hier gibt es ein Blog über Kinderbücher.
Nett fand ich auch diese Seite mit Übersetzungen französischer Chansons. Kann man gut nebenbei lesen, während das Original läuft. Das macht dann für Menschen wie mich, mit halbvergessenem Schulfranzösisch, die sonst nur Refrains und zwei, drei Zeilen verstehen, solche Titel hier schon verständlicher.
Bilder: Tote Vögel. Sehr spezielle Fotos von einem sehr speziellen Ort. Es geht nicht, wie man zunächst vermuten könnte, um eine Umweltkatastrophe, das gehört da so.
Bilder: Die Menschen von Dalliendorf. Man möchte sofort einen Roman über sie schreiben. Die Seite des Fotografen ist übrigens auch einen Blick wert.
Bilder: Etwas andere Kinderbilder. Via Berlinmittemom.
Bilder: Mehr etwas andere Kinderbilder. Es geht um einen autistischen Jungen, aufgenommen von Timothy Archibald (dem Vater) unter dem Titel “Echolilia”. Auch dort als eBook erhältlich.
Bilder: ein paar bescheidene Ideen für die fortgeschrittene Innenausstattung.
Bilder: Skulpturen von Ron Mueck.
Film: Ich finde Sport so gut wie nie interessant, aber Parkour/Freerunning sehe ich mir gerne an. Besonders die Stelle hier bei 1:31. Toll, toll, toll. Ich habe neulich im Park jemanden diese Sprünge von Mauer zu Mauer üben sehen, wirklich beeindruckend. Aber vermutlich würde ein Zusammenschnitt grandioser Fehlleistungen bei diesem Sport sofort als Horrorfilm durchgehen.
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