Maximilian Buddenbohm's Blog, page 2

August 28, 2025

Summer’s end

In mindestens vier der von mir gelesenen Blogs wurde der Herbst in den letzten Einträgen erwähnt. Mehrfach kam er in dieser Woche auch auf Mastodon und Bluesky vor. Ich gehe also nicht mehr vor und bin gefühlt wieder im Mainstream der Saisonwahrnehmung. Es dürfte eine wenigstens vorübergehende Normalisierung sein.

Das erste Lebkuchenbild sah ich selbstverständlich auch bereits, es versteht sich fast von selbst, jährliche Rituale. Aber da klingt bei mir noch nichts an, da mache ich emotional nicht mit.

Das Licht wurde anders, so schrieb man in den Blogs, oder es fehlte zu gewissen Tageszeiten ganz. Die Temperatur ging außerdem runter, besonders nachts fiel es auf. Man zog mehr und andere Kleidung an, und irgendwas in der Stimmung war auch auf einmal anders, auf eine grundsätzliche Art. So hieß es da, in den diversen sozialen Medien.

Wenn ich vom Fenster aus auf den Spielplatz hinuntersehe, fallen die paar Blätter auf, die im Gebüsch am Rande des Platzes gelbe Markierungen darstellen. Nur wenige sind es. Aber so leuchtend im Farbton, dass man als Betrachter nicht eben dezent auf das Ende des Sommers hingewiesen wird und die Regieanweisung für den Kulissenbau vorstellbar wird: „Frühherbst muss klar erkennbar sein.“

Na, meinetwegen gerne.

Sommerabend an der Kleinen Alster, links im Bild die Alsterarkaden, im Vordergrund sitzen Menschen auf den Treppen neben der Kriegsgedenkstelle, man sieht sie von hinten, sie sehen Richtung Jungfernstieg.

Nach alter Tradition singt hier jedenfalls John Prine einen Song von seinem letzten Album, wenn der Sommer endet, denn das gehört so. Im todtraurigen Video, wenn Sie es vielleicht noch nicht kennen, wird Bezug auf Drogenkonsum und Drogentod genommen. Das passt in diesem Stadtteil ohnehin immer und ist keineswegs weit weg.

Der nächste Mensch, der in diesem Kontext mitgedacht werden kann, wird vielmehr jetzt gerade, und ich schreibe es ohne jede Übertreibung, in einem Umkreis von 100, vielleicht 200 Metern da draußen irgendwo auf der Straße herumliegen und auf eine sehr andere Art als ich über kälter werdende Nächte nachdenken.

Mehr zum Song hier.

Der junge Mann, der sich da im Video neben ihnsetzt und mitspielt, ist sein Sohn.

***

Frau Novemberregen schreibt hier über nervige Technik und landet gedanklich auch bei: „Ich hatte immer gehofft, Technik wird einfacher. Dass man alles immer mehr verkomplizieren muss, wegen Sicherheit, finde ich außerordentlich misslich. Vielleicht werde ich irgendwann in Frührente gehen, weil ich mich nicht mehr dazu aufraffen kann, auf die Dinge zuzugreifen und dabei an verschiedene Spielchen wie Passwörter, Codes, Captchas, PINs etc teilzunehmen.“

Das kann ich gut nachvollziehen, sehe aber auch, wenn man es nur ein wenig mehr ins Private verschiebt, dass dies einer der möglichen Wege ist, wie auch unsere Generation irgendwann nicht mehr am aktuellen Technikgeschehen teilnehmen und irgendwann fast unweigerlich die Enkel fragen wird, wie das denn geht heutzutage, wie man wo reinkommt und was wie zu tun ist …

Es wird sich mit großer Selbstverständlichkeit so ergeben, nehme ich an. Schon damit auch unsere Enkel die Köpfe schütteln können und zu Weihnachten unsere Hardware justieren dürfen.

Und wir werden daneben sitzen, ihnen eine Weile zusehen und uns dabei mit mildem Erstaunen an die Erhabenheit erinnern, mit der wir das neulich noch bei unseren Eltern gemacht haben und leise murmeln: „Well, that escalated quickly.“

***

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Published on August 28, 2025 20:34

August 27, 2025

Höhere Persönlichkeiten und Absichten

„Abgesehen von möglichem Regen trocken.“ Wenn das so im Wetterbericht steht, und ich las es gerade eben dort, ist es ein Fall von eklatanter Arbeitsverweigerung? Oder ist es eine passiv-aggressive Variante von „Guck doch aus dem Fenster, du Trottel“? Vielleicht also wieder ein Fall von „Kein Tag ohne Demütigung“.

Oder zehrt am Ende nur diese etwas seltsame erste Woche nach dem Urlaub dermaßen an meinen Nerven, dass ich doch arg empfindsam werde. Quasi aufgerieben vom Alltag?

Fragen über Fragen.

Wie auch immer, eine Empfehlung zum Weiterdenken habe ich jedenfalls heute für Sie. Gestern hörte ich auf dem Rückweg vom Büro einen Podcast über die anhaltende und sich auch jederzeit neu belebende Kultbereitschaft des Menschen. Über unsere Neigung, etwas glauben zu wollen, weit über uns hinaus empfinden und hoffen zu wollen. Über die Verbindung dieser sich seit Anbeginn unserer Geschichte wiederholenden Lust am Übersinnlichen mit dem Numinosen in unserer Zeit. Also mit AI oder KI, wie Sie lieber mögen.

Die österreichische Theologin und Philosophin hat darüber ein Buch geschrieben („Der neue Gott – Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche“, Verlagslink) und sprach darüber im philosophischen Radio beim WDR. Die Folge ist 53 Minuten lang, man wird vielleicht einige Gedanken noch darüber hinaus verfolgen wollen.

Die Kanzel am Altar von St Jacobi, dahinter die bunten Fenster

In diesem Zusammenhang – ich konnte jahrelang mit Reddit nichts anfangen. Zu AI aber lese ich dort bei etlichen Gruppen mit, da ich da auch aus beruflichen Gründen einiges mitbekommen muss. Es ist allerdings ein weiterer und deutlicher Fall von „Unfallgucken auf der Autobahn“. Denn insbesondere in den Beiträgen aus den USA kann man das, was auch in den Medien hier und da vorkommt und worum es in dem eben verlinkten Podcast geht, dass die AI nämlich geeignet scheint, etliche dafür anfällige Menschen in Psychosen und seltsame Kultvorstellungen zu treiben, derart deutlich beobachten, und es geschieht in einer Geschwindigkeit – es hat mich doch etwas schockiert.

Wie viele da eine Softwarevariante im Ernst als hochkompetenten Therapie-Ersatz nutzen und wie viele dieser Technik eine Art höhere Persönlichkeit und damit einhergehend auch ganz selbstverständlich höhere Absichten zusprechen. Es ist gruselig, aber es ist zweifellos auch interessant. Mehr Vertrauen in die Zukunft der Menschheit gewinnt man so allerdings nicht.

Zum Ausgleich habe ich dann noch das von Fontane gehört, was vom Titel her einfach immer passt. Was außerdem angenehm kurz ist und zudem eine nahezu perfekte, überaus klug durchkomponierte Liebesgeschichte darstellt, zumindest aus der Schublade „Ohne Happy-End“: Irrungen, Wirrungen.

In der ARD-Audiothek ist es verfügbar, schön gelesen von Jutta Hoffmann.

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Published on August 27, 2025 20:58

August 26, 2025

Wenn man vorher weiß, wie es ausgeht …

Ich sah auf arte noch eine weitere Filmdoku, diesmal über Wim Wenders. Besonders gegen Ende fand ich es interessant, bei den Berichten zu den Dreharbeiten an „Perfect Days“. Den ich auch noch vor mir habe.

Es wurde dabei mit den Methoden des Dokumentarfilms gearbeitet und Wim Wenders sagt da, dass er generell bei Geschichten nicht an ersten, zweiten und dritten Akt glaubt. Der Hauptdarsteller, Koji Yakusho, überlegt sich, was ich nicht überraschend, eher angenehm bestätigend finde: „Wenn man eine Person intensiv beobachtet und eine Zeit lang filmt, entsteht allein dadurch schon ein Film.“ Wobei Film austauschbar ist. In der Literatur gilt es auch, auf diese Art können Geschichten, Romane etc. aller Art entstehen.

Wenn man schon bei Wim Wenders ist, kann man sich auch noch „Don’t come knocking“ mit Sam Shepard von ihm ansehen. Ich habe es mit Gewinn getan.

Paris, Texas“ ist ebenfalls verfügbar. Weil ich dabei mit den Filmen durcheinanderkam, habe ich eher versehentlich eine Weile zwischen dem vorher angefangenen „Himmel über Berlin“ und seinen anderen Werken hin und her geschaltet und hatte dadurch ein erfreuliches Aha-Erlebnis. Denn wenn man so herumklickt, erkennt man auf einmal deutlich die Ähnlichkeiten in den Rhythmen der Filme, im Schnitt und in den Einstellungen, überhaupt in der Ausführung. Erkennt also die Handschrift des Regisseurs.

So markant fällt mir derartiges sonst nicht unbedingt auf. Weil ich vielleicht auch nicht kundig genug zusehe. Das fand ich gut und erhellend.

Dann hörte ich Alles gesagt mit Wim Wenders. Das ist ein immerhin siebenstündiger Podcast, also eher schon ein Hörbuch. Über seine Geschichte und über sein Filmen. Ein Stück deutscher Geschichte ist es unweigerlich auch, allein schon die Passagen über Fritz Teufel und die damalige Nachbarschaft lohnen.

Ich habe nicht erwartet, dass mich ein Podcast in dieser Überlänge tatsächlich bis zum Schluss interessiert. Ich dachte, ich höre da nur mal rein, dann bin ich aber doch dran- und also hängengeblieben. Erfreulich unterhaltsam fand ich es, auch lehrreich. Es machte darüber hinaus Lust auf noch mehr Filme.

Nette Zitate konnte ich nebenbei einsammeln, etwa diesen Satz von Wim Wenders über das Beginnen von Filmprojekten, quasi das Mantra der Wir-plotten-nicht-Fraktion, denn auch das wird übertragbar auf andere Erzählformen sein: „Wenn man vorher weiß, wie es ausgeht, ist es geschummelt.“

Heruntergefallene Spielkarten auf dem Pflaster, daneben schon herbstliches Laub

Und einen wunderbaren Widerspruch gab es außerdem noch, der während des Gesprächs keinem der drei redenden Herren aufgefallen ist. Denn im Verlaufe der Erzählung lobt Wim Wenders da zuerst die wilden und eher rabiaten Umschwünge in Karrieren, das Wechselhafte und das Abbrechen, die Kurven im Lebenslauf. Mit der Erläuterung, dass es der (kreative) Tod sei, zum Experten zu werden. Dass man also immer wieder neu beginnen müsse. Um frisch zu bleiben etc., man kennt das.

Ich halte das für eine Aussage, bei der man unbedingt eine Art Survivorship-Bias mitdenken muss. Denn all jene, die an solchen Umschwüngen krachend gescheitert sind (es wird doch wohl die überwiegende Mehrheit sein), von denen man nach einem solchen Wechsel nie wieder etwas gehört hat, die ihre Karrieren mehr oder weniger mutwillig auf diese Art schwungvoll an die Wand gebrettert haben – die werden kaum noch ein Loblied auf diese edel klingende Methode singen. Man kann so etwas nur propagieren, wenn man auf eine so attraktive Gesamtstrecke wie Wim Wenders zurückblickt.

Es taugt als Lebensweisheit also nur ex post, nicht aber als Leitlinie und Maxime für junge Menschen.

Etwas später in der Sendung geht es dann um die berühmten japanischen Handwerker. Die so viele Jahre damit zubringen, eine Fertigkeit bis zu einer Präzision und Meisterschaft zu beherrschen, die sich nur noch in Geschichten, Gleichnissen und Filmen ausreichend loben und darstellen lässt. Die da also nicht nur irgendwie Löffel schnitzen, wie es Kunsthandwerker überall auf der Welt tagein und tagaus machen, sondern die jedes Mal in einem weihevollen Akt DEN Löffel schnitzen. Die damit also für eine Form der Perfektion stehen, die in der westlichen Welt in dieser Ausprägung und mit diesem Assoziationsraum keine wirklich entsprechende Tradition hat.

Dies ist aber das Gegenteil der zuerst gemachten Aussage. Hier ist dann das Expertentum nicht mehr der Tod, sondern vielmehr die Vollendung. Und die vielleicht naheliegende, mystische Gleichsetzungen der beiden Begriffe Tod und Vollendung lassen wir heute mal aus. Man kann sich auch nicht immer um alles kümmern.

Ein Widerspruch jedenfalls, ein eklatanter Widerspruch, möchte man da vielleicht dazwischenrufen, wenn einem so etwas auffällt. Was bei Podcasts aber Gott sei Dank nicht geht. Wodurch man gnädig vor schlimmer und auch vollkommen unangemessener und außerdem arg boomerhafter Besserwisserei bewahrt wird.

Denn es ist nun gewiss nicht so, dass man selbst in der Lage wäre, sieben Stunden lang über sein Leben zu reden, ohne sich dabei gründlich und vielleicht auch peinlich in den Widersprüchen all der Versatzstücke zur eigenen Lebensweisheit zu verstricken. Nehme ich an.

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Published on August 26, 2025 21:24

August 25, 2025

Ein weiteres Mängelexemplar

Am Montag der erste Arbeitstag. Ich bewege mich in etwas unerwartet schneller Eskalation von einem morgendlich munteren „Ach komm, man könnte auch mal wieder was wegarbeiten, nach so langer Pause“ zu einem von früher noch erinnerbaren „Es tut gleichmäßig weh“, etwa ab den zweistelligen Uhrzeiten.

Aber was soll’s. Erste Tage, nicht wahr. Was heißt es schon (sagen Sie jetzt nichts).

Nach der Arbeit in Hammerbrook gab es dann noch familiäre Verwicklungen, Planungspannen, Terminprobleme und organisatorische Kalamitäten. Insgesamt war es also ein etwas gebraucht wirkender Wochenanfang, schadhaft an den Rändern und gut lesbar als Mängelexemplar abgestempelt.

Weiter warten auf den Hauptgewinn in der Tageslotterie.

Ein Hamburger Mülleimer mit dem Aufdruck: Hier Deine Sorgen einwerfen

***

Christian Buggisch schreibt über die Zeichen der Zeit, unter sinniger Berufung auf Nils Minkmar. Und landet immerhin bei Kant, womit er aus meiner Sicht auch nicht verkehrt liegt.

Bevor man das Thema aber, nur weil es nun einmal naheliegend scheint, als Verbitterungstirade alternder Menschen auffasst und damit doch zu schnell abtut – es ist, soweit ich weiß, mittlerweile soziologisch unterfüttert, was er da schildert. Wir leben in einer Gesellschaft mit einem nicht mehr so dezenten Regelverlustproblem.

Oder, wenn man es kurz umdreht, mit einem millionenfachen Egoproblem.

***

Noch etwas zur abebbenden Reisesaison: Sven beobachtet einen KI-Trend bei Touristen, der mir hier bisher noch nicht aufgefallen ist. Ich nehme aber an, dass es bald alle auch hier so machen werden, in Kürze schon. Es kommt mir erwartbar vor.

Wenn ich da dann durchs Bild latsche, dann sagt die fast allwissende Software vielleicht zu den Reisenden: „Im Hintergrund ein Blogger, der schreibt nachher über sie.“ Und dann gucken die sich wahrscheinlich alle misstrauisch um, die aus den Reisegrüppchen, und machen erst einmal gar nix mehr. Sicherheitshalber.

Und vielleicht ist das dann auch gut so.

***

Hier noch ein KI-Erfahrungsbericht aus Autorinnensicht. Wobei ich lustigerweise die überflüssige Verfloskelung, die sie in der ausgegebenen Sprache der Software da feststellt und bemängelt, auch als typisches Merkmal der sich ändernden Berufswelt bemerke. Jüngere und sehr viel jüngere Menschen schreiben immer öfter so, dass ich mich im Vergleich dazu wie ein alter, bulliger Drill-Sergeant fühle, mit meinen telegrammartig gebellten Antworten, also aus deren Sicht.

Es geht mir dermaßen gegen den Strich, eine berufliche Kommunikation, die mit zwei Worten zu erledigen wäre, zeitgemäß mit dem trendgerechten „Ich hoffe, es geht dir gut, du hast eine glückliche Familie und die Sonne scheint auf allen deinen Wegen“ zu beginnen, wobei ich jetzt nur minimal übertreibe. Dabei möchte ich doch nur kurz, knapp und schnell sein.

Wie auch immer. Wie weit ist es noch bis zur Rente? „Aushielt er, bis er das Ufer gewann.“ Ich denke vermutlich irgendwann nur noch in Fontane-Zitaten, und das wird dann auch schön sein.

Zumindest für mich.

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Published on August 25, 2025 20:50

August 24, 2025

Urlaubslektüre, Abschlussbericht zur korrekten Pflege der Chronik

In diesem Text geht es heute ausschließlich um konsumierte Literatur. Wenn Sie das nicht interessieren sollte, schalten Sie bitte morgen wieder ein, dann finde ich wieder andere Themen. Glaube ich.

Ich hörte auf den Urlaubsspaziergängen noch einmal den Stechlin von Fontane (ARD-Audiothek, es liest Hans Paetsch), obwohl ich den Roman dank mehrfacher Lektüre im Laufe des Lebens schon mitsingen kann, wie man so sagt. Das Buch ist aber Bestandteil meiner geistigen Heimat, seelisches Wohlfühlmobiliar. Dann darf ich es auch nahezu jährlich konsumieren, habe ich beschlossen.

Bei jedem Durchgang merke ich, dass ich zumindest gefühlt immer weiter auf manche der wohlig-resignativen, vergnügt-fatalistischen Haltungen des alten Dubslav Stechlin hinlebe. Dass ich seine Erkenntnisse mit jedem Jahr immer öfter und immer eindeutiger zitierwürdig finde: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt’s überhaupt nicht. Und wenn es welche gibt, dann sind sie langweilig.“

Oder hier, seine eindeutig schönere Variante meines so oft wiederholten „Man macht was mit“: „Man muss eben allerhand über sich ergehen lassen.

Davon abgesehen könnte man allein mit dem Stechlin von Fontane und dem Zauberberg von Mann so viel deutsche Geschichte erklären – schon diese beiden Bände ersetzen aus meiner Sicht ganze Regalmeter Geschichtswissenschaft, denke ich immer wieder. Auch deswegen kann man sie mehrfach konsumieren.

Ich las dann, vollkommen unpassend zum Stechlin, „Die Interessanten“ (Wikipedia-Link) von Meg Wolitzer, Deutsch von Werner Löcher-Lawrence. Und fand das Buch so ansprechend, dass ich es ohne jede Boshaftigkeit und Abwertung als „gut für den Urlaub“ beschreiben würde. Viele Figuren, lange, lebensumspannende Handlungsbögen, wie man sie auch von Irving kennt, sinnige Spiegelungen gesellschaftlicher Themen im Privaten, ein behaglich mildes Ende … das passte schon.

Vor allem aber freute ich mich dabei, und freute mich sogar sehr, mal wieder einen Wälzer konsumiert zu haben. Es ist eine so ausgesprochen schöne Sache, ein gelesenes und sogar dickes Buch wieder wegzulegen. Längst war ich mir in den letzten und außergewöhnlich arbeitsreichen Monaten viel zu schlecht geworden in dem, was ich stets für meine andere Kerndisziplin neben dem Schreiben halten möchte, also dem Lesen.

Diese paar wenigen Seiten am Abend, die ich gerade eben noch geschafft habe, stets schon erschöpft wegdämmernd … Kaum habe ich noch wahrgenommen, worum es überhaupt ging. Innerlich schon nach Minuten wieder wegklappend, direkt nachdem ich das Buch aufgeschlagen hatte. Es war doch ein erbärmliches Szenario, welches ich da bot, das sollte so nicht mehr weitergehen. Damit ging ich vor mir selbst kaum noch als Leser durch.

Dieses unschöne Unvermögen, mehr als zehn, zwanzig Seiten am Stück zu lesen, fing an, wichtige Teile meines Selbstbildes ernsthaft zu bedrohen. Als eher konservativer Mensch möchte ich in meinen wesentlichen Eigenschaften aber stets und nach Möglichkeit verlässlich bleiben. Und zwar innerhalb meiner Komfortzone und wie gewohnt.

Ich beschloss daher, anders zu lesen. Daraufhin las ich abends nicht mehr liegend im Bett, sondern fing sitzend auf dem Sofa an. Ferner setzte ich mir ein Ziel. Weil ich ein eher schlichter Mensch bin, der auf selbstgesetzte, messbare Mikroziele seltsam gut anspricht. So albern und lebenshilferatgebermäßig das auch klingen mag. 50 Seiten, so dachte ich mir, das könnte doch eine vernünftige Buchseitenmenge pro Tag sein.

Das hat dann auch einwandfrei funktioniert. Ab diesem Moment sah ich das Lesen wieder deutlich sportlicher, blieb stoisch und halbwegs ehrgeizig einfach dran. Schaffte prompt an mehreren Tagen nacheinander 50 Seiten und bald auch mehr. Dabei wurde, was kein Wunder ist, das Lesen auch wieder wesentlich interessanter. Weil bei 50 Seiten und mehr im Kopf eben signifikant mehr passiert als auf bloß zehn Seiten. Die viel zu wenig wecken können an Assoziationen, Vorstellungsvermögen, Musterverständnis, Personenerinnerungen, Verständnis für Handlungsbögen etc. Der Film im Kopf ruckelt doch sehr, wenn man bei der Prosa nur allzu kurze Strecken liest.

Na, wie auch immer. Ich liebe es jedenfalls, wenn ein Plan funktioniert.

Die „Gerettete Zunge“ von Elias Canetti habe ich danach gelesen, den einigermaßen unvorstellbaren Bericht über seine Kindheit. Danach habe ich in der Wikipedia ungern zur Kenntnis genommen, was man gegen seinen Charakter eventuell einzuwenden hat, und bin, aber nicht deswegen, noch nicht sicher, ob ich auch die beiden weiteren Teile seiner Lebensbeschreibung noch lesen werde. Das mal später entscheiden.

Dann las ich mit erheblichem Vergnügen „Wiedersehen in Howards End“ von E. M. Forster, Deutsch von Egon Pöllinger. Es ist mir etwas rätselhaft, dass ich dieses Buch noch nicht kannte und sogar den Film damals (1992) verpasst habe, aber angenehm war es so. Und tröstlich war es außerdem, dass es verlässlich so bleiben wird.

Nie werde ich durch sein, nie werde ich auch nur alles das gelesen, gesehen oder gehört haben, was ich dringend noch konsumieren möchte. Von dem ich schon weiß, dass es mir mit hoher Wahrscheinlichkeit gefallen wird. Was mich also sicher interessiert und nach dem ich ein gewisses Verlangen habe. Vom vermutlich immerhin mittelguten, mittelinteressanten, riesigen Rest und vom unermesslichen Meer des vollkommen Unbekannten, Überraschenden, welches es womöglich ebenfalls wert wäre, von mir entdeckt zu werden, ganz zu schweigen.

Im Grunde ist es doch ein Schlaraffenland, die Literatur. Oder überhaupt die Kultur. Da hat man es wenigstens in einem Lebensbereich doch gefunden, wenn man es recht bedenkt. Und frisst sich also genüsslich durch den unendlichen Vorrat an süßem Brei, bis man platzt.

Schön, schön.

Dann habe ich einen schmalen Galsworthy passend zum Forster nachgelegt: „Das Herrenhaus“ (Verlagslink), Deutsch von Lise Landau und Leon Schalir. Galsworthy rutscht auf dem deutschen Markt allmählich ins Vergessen, zumindest nach den Regalen in der großen Buchhandlung zu deuten, in der ich im Urlaub mehrmals war. Das halte ich für bedauerlich, denn Galsworthy macht immer noch Spaß, und seine Forsyte-Saga ist nach wie vor grandios, eine unbedingte Empfehlung. Er war, was die Gesellschaft betrifft, ein seltener Topchecker. Auch aus heutiger Sicht.

Gleich hinterher gab noch den nächsten Forster, „Zimmer mit Aussicht“, Deutsch von Werner Peterich. Es war mir ein Fest, ein großes.

Um halbwegs in Zeit und Stil zu bleiben, ging ich dann zu Somerset Maugham über und las drei seiner größeren, bekannteren Romane weg, die hier noch herumlagen und die mir teils schon bekannt waren, aber nicht mehr recht erinnerbar. Wieder war ich nachhaltig beeindruckt von seinem Talent, eine Erzählung voranzutreiben.

Es gab „Auf Messers Schneide“, Deutsch von N. O. Scarpi (Wikipedia-Link dazu). Einer der ersten Aussteiger-Romane war das, inklusive des später so oft in der Literatur und in Filmen thematisierten Trips nach Indien und dem langen Aufenthalt bei einem Guru dort, zum Zwecke der Erkenntnis von allem.

Anschließend „Silbermond und Kupfermünze“, Deutsch von Susanne Feigl, wieder ein Wikipedia-Link. Sein Roman über eine Figur in Anlehnung an Paul Gauguin, für alle Kunstinteressierten empfehlenswert. Mit einer der interessantesten, strikt und durchgehend unsympathisch bleibenden Hauptfiguren, an die ich mich erinnern kann. Das hat man beim Lesen nicht so oft, dass man bei gewissen Figuren denkt: Die fällt wirklich raus, und zwar fast aus allem, die ist anders. Also ganz anders.

Und zum Schluss las ich noch „Theater“ (Wikipedia), Deutsch von Renate Seiler und Ute Haffmanns. Ebenfalls mit einer begrenzt sympathischen, diesmal weiblichen Hauptfigur, die aber beneidenswert plastisch und glaubwürdig vorgestellt wird. Allerdings kam mir beim Lesen immer wieder der aus der Wikipedia aufgenommene Gedanke in die Quere: Dieses Buch wurde mit Lili Palmer verfilmt. Ich finde solche Kenntnisse manchmal enorm störend.

Als Hörbuch gab es noch versuchsweise Rilkes „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ aus der ARD-Audiothek. Aufzeichnungen, mit denen ich aber auch im xten Versuch nicht warm werde. Nicht einmal dann, wenn sie von Gert Westphal gelesen werden, und das will etwas heißen. Manche Bücher sind nicht für einen gemacht, man muss es dann auch einsehen.

Also wechselte ich zum Jahrmarkt der Eitelkeit von William Makepeace Thackeray. In einer gekürzten Fassung gibt es das ebenfalls in der ARD-Audiothek, gelesen von Percy Adlon. Gekürzte Fassungen schrecken manche Menschen stark ab, ich weiß. Es gibt aber durchaus Werke, da kommt mir das entgegen. Ich möchte vielleicht gerne einen ausreichenden Eindruck davon haben, aber ich möchte nicht gerade Wochen damit verbringen.

Ein ausgesprochen gehässiges Buch ist dieser Roman, in den Schilderungen der diversen Figuren erkennt man boshafteste Karikaturen. Und wenn man beim Hören durch die belebte Innenstadt geht, so wie ich es oft mache, sieht man verblüffend oft Passendes in der Mimik und Gestik der Passantinnen und Passanten, die einem entgegenkommen. Weil sich so etwas wie Hoffart, auch ein leider bereits verschwundener Ausdruck, sowohl zu viktorianischen Zeiten in London als auch heute in Hamburg ganz selbstverständlich in Gesichtern und Körperhaltungen abbildet.

Mitunter waren die Typen, die ich beim Hören dieses alten Textes leibhaftig in der Gegenwart vor mir sah, dermaßen korrekt zur vorgelesenen Darstellung passend – es war fast schon eine eigene Kunstform.

Farbe und Kreide auf dem Pflaster, eine gemalte Sonne und der Text: Lieb sein.

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Und dann war der Urlaub auch schon vorbei. Kaum liest man ein paar Seiten und gewöhnt sich wieder daran, mit und in Büchern zu leben, schon sind drei Wochen um.

Schlimm.

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Published on August 24, 2025 21:12

August 23, 2025

Tand, Tand

Am Sonnabendmorgen wache ich bei 12 Grad und Regen auf. Heimattemperaturen, Herbststimmung und klischeekorrektes Hamburgwetter. Man kann wieder atmen, man kann sich bewegen und alles, sogar in Dachgeschosswohnungen. Außerordentlich schön ist das. Ich genieße den Moment nach Kräften an der weit offenen Balkontür, intensiv Frischluft ziehend.

Die Ringeltauben klingen auf einmal ganz anders, wenn es regnet. Irgendwie septembriger klingen sie, gemütlicher. Auf den Gehwegen unten sehe ich zu früher Stunde nur einzelne Personen, die unter schwarzen Schirmen und Schauern lautlos um Ecken hasten, Hunde hinter sich her schleifend. Keine wankenden, grölenden Partyrestfiguren aus allzu lauen Sommernächten mehr, die sich vor unserer Haustür zum Abschluss der Feierei noch einmal in die Haare kriegen. Die sich dort lauthals bepöbeln oder auch direkt an die Wäsche gehen. Vorkommnisse, von denen es, warum auch immer, in diesem Sommer eine rekordmäßige Anzahl gab.

Es hat immer auch etwas Befreiendes, wenn das Sommertheater in der Großstadtmitte gegen Ende August wieder aufhört. Der Wechsel der Jahreszeiten ist eine feine Sache, ebenso unterhaltsam wie anregend.

***

Die Herzdame fuhr mit einem Sohn nach Berlin, in die noch größere Stadt. Es wird gerade die ganze Strecke auf dem Weg dorthin saniert, weswegen alles etwas länger dauert. Mindestens 45 Minuten sind es, die man nun jeweils mehr im Zug verbringt. Es wird auch eine längere Zeit etwas länger dauern. Geplant sind die vielfältigen Bauarbeiten immerhin für neun Monate.

Man fährt da also schon mit der Erwartung los: Es könnte gewisse Probleme geben. Die Herzdame sah von ihrem Sitz aus ab und zu auf die digitale Anzeige mit den Informationen zur Fahrt, und sie schickte mir dann irgendwann ein Foto und etliche Ausrufezeichen: Die Ankunft in Berlin, so stand es nämlich da, sollte sich von 12:02 auf 20:46 verschieben. Da sieht man doch zweimal hin.

Das sind dann nämlich Dimensionen, die man nicht mehr wie nebenbei veratmen kann. Ausmaße sind es, die einen wieder überlegen lassen, ob eine Postkutsche mit frischen Pferden für diese Kurzreise nicht doch geeigneter gewesen wäre. Wozu haben wir eigentlich diesen ganzen Technikklimbim erfunden, entwickelt und mühsam in die Landschaft verbaut … Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Work in Progress

Es war dann aber nur ein Anzeigefehler. Der als Test immerhin gut geeignet war, weil sich vermutlich sämtliche Menschen im Zug kurz gefragt haben, ob das wirklich und ernsthaft so möglich sei. Ob alles tatsächlich so schlimm sein könne, ob also das Land, die Bahn, die Schienen und alles längst derart vor die Hunde … Und die Antwort darauf, was man durchaus beunruhigend finden sollte, war vermutlich in den meisten Fällen ein klares Ja.

Ja, man hält das mittlerweile alles für möglich. Und gut ist das wahrhaftig nicht. Na, das ist dann so die Nebenbei-Erkenntnis bei kleinen Anzeigefehlern.

***

In diesem arte-Filmchen (YouTube-Link) über das mich stets interessierende Thema Zufall mochte ich besonders die Stelle (14:37), bei der eine Geschichte berichtet wurde, die ich noch nicht kannte. Dass nämlich die erste Shuffle-Funktion von Apples iPod von den Programmiererinnen damals nach einer Weile überarbeitet und dabei ausdrücklich weniger zufällig gemacht wurde, um für die Kundinnen zufälliger zu wirken. Weil der „echte“ Zufall dem Publikum dann doch allzu seltsam vorkam.

Aber auch die nachfolgende Lincoln-Kennedy-Geschichte ist schön.

***

In der Podcastreihe „Alles Geschichte – der History-Podcast“ gibt es drei neue Folgen, in denen es um das Reisen geht, gerade noch saisonal passend: Einmal über die „Grand Tour“ der Eliten, einmal über den Bau der transsibirischen Eisenbahn und einmal über das Unterwegssein im Mittelalter. Je rund 20 Minuten, gerne gehört.

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Der Beitrag Tand, Tand erschien zuerst auf Buddenbohm & Söhne.

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Published on August 23, 2025 20:35

August 22, 2025

Dass niemand ihm irgendeine Gunst erweise

Frau Klugscheißer greift ein Thema auf und schreibt hier über das Nichtstun: „Langeweile finde ich immer noch nicht besonders schön. Meine Therapeutin meinte dazu trocken, das sei besser als garnix spüren, und da muss ich ihr schon recht geben.

***

Mit Interesse habe ich diese arte-Doku (YouTube-Link) über Erik Satie gesehen. Obwohl und auch weil die klassische Musik bei mir nach wie vor Bildungsbrachland ist. Besonders mochte ich die Stelle, bei der uns ein Pianist berichtet, dass ihm beim Spielen der monströs langen Vexations (Wikipedialink) etwas Seltsames passierte und etwa bei der 700. Wiederholung der immer gleichen Tonfolge sein ganzes Leben an ihm vorbeizog.

Ich nehme stark an, auch Satie hätte darüber gelacht. Also zumindest mit etwas Abstand von der Zeit der Komposition, in der er Liebeskummer hatte. Der eine oder die andere aus der heutigen Zeit wird den Effekt vielleicht auch schon vor anderen Tasten, nämlich bei repetitiver Büroarbeit, erlebt haben. Vielleicht demnächst auch mal Satie im Home-Office hören, das mal vormerken.

Aber auch beim Einkauf war er mir gestern dann im Nachklapp zu der Sendung schon sehr angenehm.

***

Gesehen habe ich außerdem Walther Zieglers Vortrag über Platon (YouTube-Link). Das mit dem Höhlengleichnis kenne ich allmählich, wie man so sagt, bis zum Erbrechen. Was allerdings nicht heißt, dass man nicht dennoch und heute besonders, was aber wohl zu allen Zeiten jemand gedacht haben wird, erneut darüber nachdenken könnte.

Gegen Ende war es für mich aber spannender, als es um die Kritik an der Demokratie, um die Staatsform und um die „Philosophenkönige“ ging.

Um Philosophenköniginnen, wie man von heute aus sicher ergänzen möchte.


***

Und apropos Platon, also Philosophie. Ich kam neulich auf Spinoza, bekomme aber nicht mehr zusammen, warum eigentlich. Sagen wir, er wartete in irgendeinem Kaninchenloch. Da lungern bekanntlich zu allen Zeiten alle möglichen Gestalten herum.

Im weitesten Sinne stand es vermutlich mit Gedanken im Zusammenhang, die auch bei Felix im Blog vorkamen, wie vor ein paar Tagen bereits verlinkt. Es ist aber auch egal.

Ich habe jedenfalls dann einiges zu Spinoza nachgelesen und meine klaffenden Wissenslücken zumindest notdürftig geschlossen. Also in der Form, dass ich jetzt immerhin zwei, drei Sätze und Schlagwörter korrekt mit ihm in Verbindung bringen kann, ich habe mich quasi aufmunitioniert für einen Spinoza-Smalltalk. Zu dem es in diesem Leben zwar noch niemals kam, aber egal. Besser, man ist vorbereitet.

Dann sah ich auf YouTube noch ein paar Filmchen über ihn, über seine Thesen und Annahmen.  Was man so macht, wenn man Zeit und keine lästigen Pläne hat.

Es geht mir für diesen Text aber gar nicht um Philosophie, sondern nur darum, dass Baruch Spinoza wegen seiner ketzerisch anmutenden Erkenntnisse damals (1656 war es) aus seiner religiösen Gemeinschaft, also aus der jüdischen Gemeinde, geworfen wurde. Da wurde es nämlich sprachlich interessant. In der Wikipedia wird der Bannfluch zitiert, mit dem er feierlich belegt wurde, und der Fluch hat, wenn man sich vielleicht auch für Lyrik, alte Sprache und dergleichen interessiert, durchaus etwas. Also etwas Unheimliches, versteht sich, aber man liest es vielleicht auch mit Respekt vor den Formulierungen.

„Nach dem Beschlusse der Engel und dem Urteil der Heilgen bannen, verwünschen, verfluchen und verstoßen wir Baruch de Espinoza, mit Zustimmung des heiligen Gottes, gepriesen sei Er, und dieser ganzen heiligen Gemeinde […], mit dem Bannfluche, womit Josua Jericho fluchte, mit dem Bannfluche, mit dem Elisa den Knaben fluchte, und mit all den Verwünschungen, die im Gesetz geschrieben stehen. Verflucht sei er am Tage und verflucht sei er bei der Nacht; verflucht sei er, wenn er sich niederlegt, und verflucht sei er, wenn er aufsteht, verflucht sei er bei seinem Ausgang und verflucht sei er bei seinem Eingang.

Möge Gott ihm niemals verzeihen, möge der Zorn und Grimm Gottes gegen den Menschen entbrennen […] und seinen Namen unter dem Himmel austilgen, und möge Gott ihn zu seinem Unheil ausscheiden von allen Stämmen Israels […] Wir verordnen, daß niemand mit ihm mündlich oder schriftlich verkehre, niemand ihm irgendeine Gunst erweise, niemand mit ihm unter einem Dach verweile, niemand auf vier Ellen in seine Nähe komme, niemand eine von Ihm verfaßte oder geschriebene Schrift lese.“

Beeindruckend. Würden einem wohl Menschen einfallen, die man mit einem ähnlichen Bann verfluchen möchte? Aber hallo. Und seien sie im fernen Amerika.

Ebenso betörend ist dann allerdings später die Formulierung einer Rede, in der es 1927 um die Aufhebung des Bannes ging, zu der es dann aber nicht kam. Etwa jene Stelle: „Unser Bruder bist du, unser Bruder bist du, unser Bruder bist du.“

Groß im Verstoßen, groß im Verzeihen. Manchmal ist eine gewisse Dosis „Drama, Baby, Drama“ doch recht attraktiv. Zumindest sprachlich.

Ansonsten fand ich: Spinoza kann man ruhig einmal nachlesen. Und sei es nur, um zur Kenntnis zu nehmen, wie frei Menschen zu allen Zeiten denken konnten.  Einige zumindest.

Schrift mit Edding auf einem Pfeiler:

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Published on August 22, 2025 22:00

August 21, 2025

Von damals und von dieser Zeit

Und nun ist es so, dass der Sommerurlaub in Kürze endet. Es ist auch so, dass ich bereits Pflaumen gegessen hab. Und dass die Küche außerdem voller Wespen ist, wenn ich koche. Ferner ist es so, dass der Holunder vor der Haustür, wie erwähnt, schon schwarze, reife Früchte zeigt. Sogar lilafarbene Astern habe ich bereits gekauft und auf dem Rückweg zur Wohnung die entsprechenden Zeilen von Gottfried Benn pflichtgemäß vor mich hingemurmelt. Was man als Möchtegernbildungsbürger so macht. Zuhause habe ich dann aber in angemessener Selbstkritik nachgesehen, wie richtig ich da beim Rezitieren eigentlich gelegen habe. Um auch da Benn zu zitieren, wenn auch aus einem anderen Gedicht: „Teils-teils.“

Es ist, mit anderen Worten und Temperaturen hin oder her, dann doch recht eindeutig Frühherbst. Wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, kippt der Rest des Jahres nach dem Sommerurlaub stets verblüffend schnell weg. Wie ich früher einmal schrieb, ist es meist rutschbahnmäßig, wie man sich da auf einmal in seltsamer Beschleunigung auf das ganze Jahresendgeraffel zubewegt. Mit Weihnachtszeit und allem.

Was ich hier aber nicht erwähne, um Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern nur mit dem Gedanken, dass die Reihe der Geschenktipps, die ich neulich fast aus Versehen begonnen habe, nun ruhig fortgesetzt werden kann. Wenn ich doch schon dabei bin! Ich werde Ihnen daher bei Büchern, die mir gefallen haben, einige Hinweise zur Geschenkzielgruppe machen. Wie klein die manchmal auch sein mag. Vielleicht ist dann irgendwann auch für Ihre Suche eine kleine Erleichterung dabei.

In diesem Sinne: Ich hörte ein Buch vom geschätzten Uwe Timm. Und zwar seine Erinnerungen an die Jugend- und Ausbildungszeit, in der er gemäß Familientradition das Handwerk der Kürschnerei erlernte. Bevor er sich dann in einer kühnen Lebenslaufkurve ganz dem Schreiben zuwandte: „Alle meine Geister“ heißt das Buch. Hier der Verlagslink und hier die Perlentaucherseite, auf der es einhellig positiv zugeht.

Bevor man sich über die Kürschnerei aufregt, muss man fairerweise bedenken, dass die Aspekte, die wir heute berechtigt kritisch damit verbinden, in der beschriebenen Zeit weder als Gedanke noch als sozialer Druck vorkamen. Wie sie dann langsam aufkamen und die Branche in der Folge nahezu auslöschten, das wird nachvollziehbar und ausführlich behandelt.

Uwe Timm habe ich auf Lesungen erlebt, und es fällt sowohl dabei als auch bei der Lektüre seiner Bücher seine doppelte Liebe zu Begriffen und zu Begreifbarem auf. Vor allem seine Neigung zu Dingen mit Geschichte und Würde. Er ist also bestens geeignet, über alte Handwerkskunst zu schreiben und dabei die Fachbegriffe aus der Vergangenheit noch einmal zu verwenden, die wir sicher bald verlieren werden. Ob es nun ein Verlust ist oder nicht, erst einmal ist es eine Tatsache.

Das Buch ist also bestens geeignet für Menschen mit Interesse an (altem) Handwerk. Besonders an den Handwerksvarianten mit angeschlossenem Laden, denn ein wenig Geschichte des Einzelhandels ist auch ableitbar. Natürlich passt es aber auch für Menschen mit Interesse am Schreiben und an deutscher, neuerer Literaturgeschichte. Wenn jemand sogar beide Neigungen in sich vereint – Bingo.

Drittens ist es wunderbar für Menschen, besonders für solche im besten Boomer-Alter, die sich für die Geschichte der Linken in der BRD nach 1945 interessieren, denn auch dieses Thema wird reichlich bedient. Uwe Timm, das wissen Sie vielleicht nicht, war ein Freund von Benno Ohnesorg. Er hat auch darüber ein Buch geschrieben, das hier noch vorgemerkt ist: „Der Freund und der Fremde“.

Ich habe zufällig zwischendurch einen Podcast mit Wim Wenders gehört, dazu schreibe ich separat noch einmal, und Wim Wenders war in seiner Ausbildungszeit ein Nachbar von Fritz Teufel. Was gerade in dieser Kombination erneut meinen Eindruck verstärkte, dass die namhaften und geschichtlich relevanten westdeutschen Linken, und darunter vor allem jene, welche eher Linksaußen gespielt haben, von allen persönlich gekannt wurden, die einem sonst irgendwie im Kontext dieses Themas einfallen können. Als habe diese ganze Geschichte nicht in einem Staat von halbwegs respektabler Größe, sondern in einem kleinen gallischen Dorf stattgefunden, in dem sich mit großer Selbstverständlichkeit alle kannten, dauernd trafen und immer wieder interagierten.

Ein Aufkleber auf einem Mülleimer: Kapitalismus ist kein Naturgesetz

Was mir übrigens zum ersten Mal damals in meiner Antiquariatszeit kurz nach dem Abitur aufgefallen ist. Als die gestandenen Altlinken, die im Laden nicht so selten waren (und womit ich dann also auch in den Rahmen passe), anfingen zu erzählen. Von damals und von dieser Zeit erzählten sie, und sie landeten dabei immer irgendwann bei der Meinhof und den anderen, mit denen sie in oder noch kurz vor der wilden Phase …

So klar erwartbar waren diese Zusammenhänge, dass es mir gelegentlich wie inszenierte Satire vorkam.

Aus dem Buch von Uwe Timm kann ich gleich noch eine zweite Empfehlung ableiten, die hier vor Jahren schon einmal vorkam. Nämlich Brehms Tierleben als Hörbuch, gelesen von Thomas Holtzmann oder Roger Willemsen oder anderen. Man findet da auch interessante Ausschnitte auf YouTube und kann sich verleiten lassen. „Wissenschaftsdeutsch, am bürgerlichen Realismus geschult“, so beschreibt es Uwe Timm. Recht hat er damit, es ist ein erstaunlich beruhigendes Werk mit reicher, wunderbarer Sprache.

Man kann es hervorragend hören oder lesen, um am Abend herunterzukommen, wie man so sagt. Und wer hätte daran keinen Bedarf.

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Published on August 21, 2025 20:56

August 20, 2025

Bitte beachten Sie die Sicherheitshinweise

Apropos Urlaub: Im Zusammenhang mit Buchungen gibt oder gab es gerade Sicherheitsprobleme, zu denen ich seltsam wenig Berichte sehe. Aber hier hat es jemand verbloggt und hier war schon im Juni davon die Rede.

Die Herzdame, die im Gegensatz zu mir doch gerade ein wenig umtriebig herumreist, war da betroffen. Da Dienste dieser Art sicher auch von Leserinnen hier genutzt werden, habe ich sie gebeten, mir Notizen darüber zuzuwerfen. Was sie auch tat, ich machte daraus einen kurzen Bericht mit ganzen Sätzen wie folgt. Es ist also eine Art Koproduktion:

„Ich habe vor einem Monat ein Hotelzimmer bei „Numa“ in Berlin gebucht. Das läuft alles komplett digital über die App der verbundenen Buchungsplattform, zusätzlich gibt es noch E-Mails und WhatsApps über Numa direkt. Über diese Kanäle kommen auch der Check-in-Link und der digitale Türcode. Die Kommunikation läuft also über drei Kanäle, kapiert habe ich schon das nicht so richtig. Als Zahlungsmethode hatte ich Paypal angegeben. Kostenlose Stornierung war noch längere Zeit möglich.

Kurz vor der Reise bekam ich eine Benachrichtigungsmail von Numa über das Plattformsystem, dass ich jetzt einchecken könne und für einen reibungslosen Ablauf bitte meine ID verifizieren solle. Hier waren auch folgende Buchungsdetails hinterlegt: Vor- und Nachname, Buchungsnummer, Buchungszeitraum, Zimmerkategorie, Anzahl Gäste.

Zwei Minuten später bekam ich eine weitere Benachrichtigungsmail, auf den ersten Blick über den gleichen Weg: „DRINGEND: Es ist Zeit für den Online-Check-in.“ Ansonsten ein sehr ähnlicher Text und die echten Kontaktdaten von Numa. Alles war allerdings deutlich schöner und professioneller gestaltet als die Textwüste in den Benachrichtigungsmails der Plattform.

Vor allem aber waren sämtliche Buchungsdetails auch in dieser zweiten und gefälschten Mail korrekt angegeben. Selbst der Check-in-Link sah echt aus, exakt wie in der anderen Mail. Da ich nirgendwo geklickt habe, weiß ich nicht, an welcher Stelle man auf eine Fake-Seite weitergeleitet werden würde. Einzig die Absenderadresse war verdächtig, mit einigen weiteren Zeichen vor dem Domain-Namen. Das habe ich aber erst später nachgeschaut.

Da ich per se allergisch auf Sätze mit „DRINGEND“ reagiere [kann ich bestätigen. MB] und dann noch diese beiden Mails direkt hintereinander bei mir ankamen und ich auch theoretisch noch rund eine Woche Zeit zum Stornieren hatte, habe ich das erstmal ignoriert.

Zwei Stunden später bekam ich dann über WhatsApp schon die nächste Nachricht, dieses Mal aber auf Englisch, ohne deutsche Übersetzung (was mich auch schon wieder bockig gemacht hat, denn wäre ich z. B. meine Mutter, ich könnte gar kein Englisch). Beim Security-Checks sei festgestellt worden, dass meine „Card Details“ nicht verifiziert werden konnten, sogar mit Screenshot der Buchungsplattform als Beleg. Dazu Hinweise auf „new policy to improve booking security“ … und dann die Aufforderung, die Karte jetzt über den angegebenen Link zu verifizieren. Da muss man auch erstmal genau hinschauen.

Dies kam mit den beiden Antwortoptionen, ob man die Reservierung aufrechterhalten oder canceln möchte. Das hat mich doch etwas irritiert, weil es auf der einen Seite klar nach Spam aussah, u.a. anderem gab es da eine Nummer mit indischer Vorwahl. Das könnte aber auch ein Callcenter sein, was ja nicht mehr unüblich ist. Auf der anderen Seite waren aber auch hier wieder sämtliche korrekten Buchungsdetails und meine persönlichen Angaben enthalten. Kurz nach den beiden E-Mails, von denen nur eine echt war. Das war alles sehr gut gemacht und ich wäre fast darauf reingefallen.

Ich habe Numa via Plattform angeschrieben und nachgefragt. Parallel dazu bekam ich kurz hintereinander zwei weitere Benachrichtigungsmails (eine echte und eine immerhin gutgemachte, aber doch zweifelhafte Version) mit dem Hinweis auf Sicherheitsprobleme und der Erklärung, dass einige Gäste Phishingmails bekommen hätten.

Einen Tag später gab es von einem anderen WhatsApp-Account eine neue Nachricht, wieder auf Englisch, dass ich jetzt wirklich schnell meine Daten verifizieren müsse, weil sonst meine Reservierung storniert werden würde. Und noch einen Tag später schrieben sie wieder, um mitzuteilen, dass es sich dabei um keine Zahlung handeln würde und ich kostenfrei stornieren könne, dass durch die Überprüfung aber sichergestellt sei, dass die Person, die die Reservierung vornimmt, der rechtmäßige Karteninhaber sei.

Gestern hat sich das Hotel dann direkt auf meine Anfrage gemeldet und mitgeteilt, dass es gerade Sicherheitsprobleme gibt.“

Soweit die Herzdame. Und ich denke, das war jetzt eine Premiere für uns. Denn Spammails etc. haben wir vermutlich alle mittlerweile zigtausendmal erlebt, aber Phishing-Mails mit abgegriffenen und auch noch brandneuen Original-Daten von einem größeren Anbieter, das hatten wir bisher noch nicht.

Es scheint mir auch ein weiteres Beispiel für die Enshittification von allem zu sein. Also ein Prozess, den man bis in den Abgrund modernisiert hat.

Na, man lernt nicht aus. Freiwillig oder unfreiwillig.

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Published on August 20, 2025 21:39

August 19, 2025

Auch mal in alles passen und richtig sein

Kid37 schreibt über unheimlichen, wespenartigen Besuch, der dann doch etwas Besonderes ist und der auch noch töpfern kann. Was es alles gibt!

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Am Vormittag sitze ich in einem Wartezimmer herum und tue das, was der Name des Raumes in angenehmer Deutlichkeit vorgibt. Hier wurde gerade alles renoviert. Neue Möbel, neue Farbe an den Wänden, es sieht alles noch etwas nach Prospekt aus und riecht auch noch so. Nach Werbebroschüren für gepflegtes Wartezonendekor sieht es aus, so macht man das jetzt, in diesem Style lässt man zeitgemäß warten.

Cremeweiß überwiegt. Oder ist das Chamois, ist es Elfenbein, eine teuer anmutende Variante von Beige vielleicht, irgendwie im Ton auf jeden Fall an Sand erinnernd und hier und da belebt durch einige wenige dunklere, wärmere Elemente. Kamel, Reh und Fuchs. Dazwischen nur ein Hauch von Chrom, die Beine der Sitzmöbel, mattglänzend.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Fucking ChiChi

Außer mir sitzt nur noch ein weiterer Mann in diesem Raum und nach einer Weile fällt es mir auf – wir passen beide farblich geradezu lächerlich gut in dieses Ambiente. Jedes Kleidungsstück haben wir im begrenzten Spektrum dieser Töne gewählt, die sicher beruhigend auf die Menschen wirken sollen, die dort geparkt werden. Und, auch das fällt mir etwas verzögert auf, wir sind, und da wirkt es dann endgültig so, als habe man uns in dieses Setting hineinretouchiert, gegenläufig im Farbverlauf. Sein Sakko und meine Hose im dunkleren Segment, seine Hose und mein Sakko cremefarben wie die Wände.

Es sieht auch gar nicht aus wie ein Prospekt, denke ich dann weiter, es sieht eher aus wie ein AI-Bild. Ich bin offensichtlich in die Plastikwelt geraten und müsste eigentlich dringend im nächsten Spiegel prüfen, ob meine Falten im Gesicht noch da sind. Ob ich noch so unrasiert bin, so wie ich hier hereingekommen bin. Etwas unangenehm dekogerecht fühle ich mich, und es ist ein überaus seltsames Gefühl. So muss es Models wohl gehen, wenn man sie für ein Event aufgebrezelt hat.

Wer mag das denn gepromptet haben, frage ich mich, und kommen dann erst nach dem Verlassen der Praxis auf etwas, das heute vielleicht naheliegt. Ich hätte nämlich – wenn man schon in einem KI-Bild sitzt! – jemanden bitten sollen, diesen Raum zu fotografieren. In der Komplettansicht mit mir und dem anderen Mann, und ich hätte dann zum Zwecke der Selbsterkenntnis irgendeine AI-Variante bitten sollen: „Beschreibe möglichst genau den Prompt, mit dem dieses Bild erstellt werden kann.“

Und dann hätte die Software vielleicht etwas ausgeworfen wie: „Ein elegant, modern und neugestaltet anmutendes Wartezimmer mit wenigen, sesselartigen Sitzgelegenheiten. Ein junger Mann und ein älterer Schrat in fast ironisch anmutender, zum Mobiliar exakt passender und vermutlich gerade erst erworbener, gepflegt wirkender Kleidung …“

Oder etwas ganz anderes? Na, ein wenig schade ist es schon. Es wäre doch zum Verifizieren der eigenen Schrathaftigkeit wahrhaftig interessant gewesen.

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Published on August 19, 2025 21:31

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Maximilian Buddenbohm
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