Maximilian Buddenbohm's Blog, page 416
June 18, 2012
Gelesen: „Als Vater sich den Bart abnahm“ von Wolfdietrich Schnurre
Die meisten werden irgendwas von Schnurre kennen, den bekannteren Band „Als Vaters Bart noch rot war“ zum Beispiel, oder diese eine Geschichte, die jahrzehntelang Pflichtlektüre im Deutschunterricht war: „Jenö war mein Freund“. Falls sich jemand nur dunkel erinnert: Aus dieser Geschichte wissen nahezu alle Menschen meines Alters, dass und wie man Igel auch essen kann, und wissen auch, bei welchem Volk das vor nicht allzu langer Zeit noch gängig war. Oder heute sogar noch ist, ich habe eigentlich keine Ahnung. Schnurre wird, abgesehen von dieser einen Geschichte, von vielen leider auf die eher heiteren Vater-Sohn-Geschichten reduziert, was sehr schade ist, denn gerade die die bitteren Töne darin, die in diesem Band dann lauter und lauter werden, sind das eigentlich Faszinierende an dem Werk. Die Geschichten spielen in finsterer Zeit, 1933, sie spielen unter armen und bitterarmen Leuten. Die Freunde von Vater und Sohn sind altgediente Kommunisten, die keinen Widerstand mehr leisten können oder wollen, gesellschaftliche Verlierer und Sonderlinge aller Art, Juden, die ahnen, was auf sie zukommt und Menschen, die sich gerade eben irgendwie über Wasser halten, von einem Tag zum anderen. Der Vater bleibt in dieser Zeit Mensch, und man weiß heute, das war eine ungeheuerliche Leistung. Ein feinsinniges Buch, dezent und melancholisch immer am Abgrund zum härtesten Drama entlang. Dialoge, die man mehrmals nacheinander lesen kann,
Schnurre war übrigens ein unglaublich guter Dialogschreiber. Es gibt von ihm auch ein Buch – „Ich brauch Dich“ – das nur aus Partnerschaftsdialogen besteht, keine einzige Zeile Handlung ringsherum, alles erklärt sich nur aus den Gesprächen. Vermutlich gerade nicht lieferbar, aber wenn man es gebraucht findet: Unbedingt mitnehmen.
Und immer wieder beeindruckend, mit wie wenigen Sätzen Schnurre dieses Berlin der dreißiger Jahre wieder auferstehen lässt, wie deutlich man das vor sich sieht, wie man das riechen kann, fühlen kann. Wie man das miterlebt, die Kälte in den Wohnungen der Armen, die Lust an der einen Frikadelle oder dem einen Solei in der Eckkneipe, weil es sonst tagelang nichts Richtiges zu essen gab. Wie man den hundsgemeinen Winter in der Stadt spürt, der die Ärmsten umbringt und nicht mehr in den Frühling lässt. Wie man schließlich die furchtbare Veränderung in der Stadt empfindet, wenn die Uniformierten häufiger marschieren, Fahnen heraushängen und die Macht übernehmen.
Immer noch und immer wieder absolut lesenswert. Die Geschichte über das Grüppchen von kampferprobten Kommunisten, das sich irgendwo in der Vorstadt, wo die ersten Äcker anfangen, im Versteck trifft und etwas planen will, um die Fackelmärsche der Nazis nach der Machtergreifung zu stören, und das dann nach langer Besprechung schließlich doch nichts tut, weil es zu gefährlich ist, weil sie Kinder haben, weil sie Frauen haben, weil sie keinen Sinn mehr sehen, weil sie sich nicht trauen, weil es schließlich irgendwie schief geht – diese Geschichte kann souverän ein paar Kapitel aus dem Geschichtsbuch ersetzen.
June 17, 2012
Auf dem Arbeitsweg
June 16, 2012
Aus dem Leben in der Minderheit
Die Reaktionen reichen von Verwirrung bis zu heller Empörung. Manche schütteln nur den Kopf und sehen mich an, als sei ich irre geworden, manche gucken misstrauisch, als hätte ich gesagt, ich würde täglich Insekten frühstücken. Manche glauben mir einfach nicht und warten ab, wann ich endlich zugebe, nur einen Scherz gemacht zu haben. Das alles sind sehr seltsame Reaktionen.
Dabei habe ich nur gesagt, dass mich Fußball nicht interessiert. Und zwar nicht im Sinne von: Gar nicht. Null. Daraus ergibt sich logisch, dass ich mir Fußball nicht ansehe, weder zuhause noch unterwegs auf dem Handy oder auf dem iPad. Ich viewe auch nicht public, wie man so schön sagt. Ich lese später nicht nach, wer wie gespielt hat, ich kenne die Namen der Spieler nicht und weiß generell eher nicht, worum es gerade geht. Wie es eben ist, wenn man sich nicht interessiert. Ich weiß ja auch nicht, wie die letzten Minigolfweltmeisterschaften ausgingen, oder die im Forellenangeln. Ich ignoriere die Zeitungsmeldungen und die Sportschauen, ich schweige höflich in Gesprächen über die Spiele. Ich schweige ziemlich viel, zurzeit.
Ich glaube aber, ich bin trotz meines Desinteresses am Fußball ein ziemlich normaler Mann, geistig zurechnungsfähig und alles, es sind zumindest keine besonderen Auffälligkeiten bekannt.
Desinteresse am Fußball ist, nach allem was die Wissenschaft bisher weiß, überraschender Weise auch gar nicht krankhaft. Und ich hege außerdem keine Absichten, andere zu missionieren, meinetwegen kann jeder so viel Fußball gucken, wie er will. Mir doch egal. Insgesamt geht von Leuten wie mir also gar keine Gefahr aus, wir richten keinen Schaden an.
Sie könnten also aufhören, verstört zu reagieren, wenn Menschen wie ich sich freimütig zu ihrer seltsamen Veranlagung bekennen. Wir wollen gar nicht bewusst im Abseits stehen.
Was auch immer das ist.
Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und der Ostsee-Zeitung.
Wochenende
Gelesen: „Sitzen vier Polen im Auto“ von Alexandra Tobor
Die schlechte Nachricht zuerst: Das Buch ist ein klarer Kandidat für den allerdämlichsten Buchtitel des Jahres und wer auch immer sich das überlegt hat, er sollte künftig vielleicht doch lieber Werbetexte für Gebrauchtwagen schreiben. Himmel! Was für ein Unsinn! Der Untertitel „Teutonische Abenteuer“ macht es keineswegs besser.
Davon abgesehen ist das aber ein hinreißendes Buch, interessant, unterhaltsam und auf die denkbar angenehmste Art lehrreich. Ein Mädchen kommt mit acht Jahren aus dem noch sozialistischen Polen nach Deutschland, ihre Familie „fährt raus“, wie man das in Polen nennt, „macht rüber“ hätte man wohl in der DDR gesagt. Raus oder rüber ins Paradies der Quelle-Kataloge, das sie mit Auffanglagern empfängt, mit Notunterkünften und Aluschalen-Essen. Welten kollidieren, nichts passt zusammen, zwischen den beiden Gesellschaften scheinen Jahrhunderte und Galaxien zu liegen. Wie sich die Familie durchschlägt, wie sie lernt, sich vorsichtig anpasst, ohne sich aufzugeben, wie sie ihren Stolz bewahrt, wie die ersten Kontakte hergestellt werden und wie sie langsam, sehr langsam in der BRD ankommen, das liest man in einem Rutsch durch und wünscht sich dann noch, das es noch etwas länger hätte dauern können.
Und das ist ja mit das Beste, was man von einem Buch sagen kann, dieses „ach, schon zu Ende?“-Gefühl auf der letzten Seite, wenn man weiß, es gibt noch gar keinen zweiten Band. Na, kann ja noch werden.
Ich verstehe nach der Lektüre jedenfalls jetzt viel besser warum meine Kollegin aus Polen neulich mit offenem Mund vor mir stehen blieb, als ich ihr erzählte, dass ich hier jeden Tag koche, nicht die Herzdame. Und dass die Herzdame gar nicht kochen kann. Und ich verstehe, warum sie misstrauisch nachfragte, was ich denn zum Beispiel genau an dem Abend kochen würde. Und für wie viel Personen denn. Und mit welchen Zutaten. Doch, so etwas versteht man deutlich besser, wenn man das Buch gelesen hat.
Davon könnte ich übrigens gerne mehr lesen, von diesen Büchern aus der Welt der Migranten, die aus welchen Gründen auch immer bei uns gelandet sind. Hinweise auf lohnende Titel nehme ich gerne entgegen. Bitte hier in die Kommentare.
June 14, 2012
Veranstaltungshinweis: Bogdan & Buddenbohm im Literaturhaus Hamburg
Am 02.August 2012 gibt es im Literaturhaus Hamburg einen Abend mit Isabel Bogdan und mir zum schönen Thema „Vom Blog zum Buch“.
Wir lesen Geschichten aus unseren Blogs und den Büchern und sprechen auch ein wenig mit Antje Flemming vom Literaturhaus über den Weg zur Printversion.
Wenn vielleicht noch jemand Werbung für diese Veranstaltung machen möchte, in seinem Blog, auf Twitter, auf Facebook oder Gott weiß wo – wir wären entzückt. Aber so was von. Da passen nämlich eine Menge Leute rein.
Und, hey, das ist das Literaturhaus! Das wird also ein total seriöser Abend. Echt. Beginn 19:30.
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