Axel Hacke's Blog, page 11
January 18, 2022
Mein Impf-Lebenslauf
Im ältesten Aktenordner, den ich besitze, habe ich im Jahr 2020 eine Klarsichthülle mit Zetteln und amtlichen Bescheinigungen gefunden. Eine davon – sie stammt vom 25.1.1956, da war ich fünf Tage alt – weist meine erste Impfung überhaupt nach, gegen Tuberkulose. Sogar die Nummer des Impfstoffs ist vermerkt. Blöderweise hat mein Vater an dieser Stelle die Karte gelocht, um sie abzuheften. So ist nur die letzte Zahl erkennbar, eine 4. Schade eigentlich. Vielleicht gibt es, Klassentreffen ähnlich, ab und zu Versammlungen von Leuten mit der gleichen Impfstoffnummer. Könnte man mal hingehen, aber besser nach der Pandemie.
Diese Zettelsammlung scheint ziemlich vollständig zu sein. Mein Vater hat alles, was irgendwie amtlich war, aufgehoben, ich tue das auch. Mehrere Polio-Impfscheine sind da, 1962 gab es die Schluckimpfung gegen Typ I, 1963 gegen Typ II und 1964 gegen Typ III. Der Slogan, mit dem für diese Impfung geworben wurde, lautete Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam. Wir bekamen in der Schule ein Stück Zucker, darauf wurde das Vakzin geträufelt, ein unvergessliches Erlebnis, noch dazu, weil ich 1962 zu den ersten Kindern in der Bundesrepublik gehörte, die auf diese Weise geimpft wurden.
Was den Pockenschutz angeht, so hat Vater nicht nur den Impfschein von 1968 (gezeichnet Dr. Möhle, Stadtärztin) aufgehoben, sondern sogar die vorausgehende Aufforderung zur öffentlichen Pockenschutz-Wiederimpfung; bei Pocken galt ja die Impfpflicht, was dazu beigetragen hat, das Virus weltweit auszurotten, als einziges bisher.
Unser Leben hatte seine Ordnung, und so kann ich auch beweisen, dass ich 1960 wegen einer Stirnplatzwunde eine Injektion von „1500 Einheiten Tetanus-Serum vom Pferd“ bekam. Nur der Name des Pferdes fehlt. Ich war auf die Straße gelaufen, vor einen Motorroller. Der Freund, dem ich ohne zu schauen gefolgt war, hatte Glück, ihm passierte nichts. Aber ich brach mir den Arm und hatte eben diese Wunde. Die Narbe sieht man heute noch. Der Freund ist später Kriminalhauptkommissar geworden.
Bei der Bundeswehr bekam ich 1974 mein erstes Impfbuch, das Impfbuch Bw, ein irreführender Begriff, denn es handelt sich um ein 45 Zentimeter langes, faltbares Stück dicken Papiers. Oben steht: Sorgfältig aufbewahren! Jawoll, Herr Hauptfeldwebel, Befehl ausgeführt! Es ist ziemlich schmuddelig, wer weiß, wie oft ich damit in Uniform durch den Dreck gerobbt bin. Aber immerhin kann ich ihm entnehmen, dass ich der Blutgruppe 0 angehöre, das hatte ich vergessen. Ich glaube, bei Covid-19 ist das ein kleiner Vorteil, immerhin.
Mein richtiger Impfpass stammt von 1979, wobei, gerade sehe ich: Korrekt heißt das gelbe Heft Impfbuch gemäß § 16 Bundes-Seuchengesetz. Vor etlichen Jahren hatte ich das Ding verlegt und bekam vom Arzt ein neues, diesmal aber gemäß §22 Infektionsschutzgesetz. Dann habe ich das alte wiedergefunden. Nun habe ich zwei, quasi eine doppelte Impfbürgerschaft. Auf beiden aber steht vorn World Health Organization. So ein Ausweis besitzt, muss ich sagen, eine große Magie, weil damit so Abstraktes wie Forschung, Fortschritt, Gesundheitspolitik und Seuchenbekämpfung greifbar werden und beweisen, dass all das mich tatsächlich ein Leben lang geschützt hat. Und der Impfpass ist fast bedeutender als Reisepass und Personalausweis, wobei: Im Alltag benutzt man nun das Zertifikat im Handy, da funktioniert die Digitalisierung nun.
Auf Seite 20 steht Indikations- und Reiseimpfungen. Anfangs dachte ich, da kämen dann auch Covid-19-Verabreichungen hin. War aber nicht so. Stattdessen: Seite 18, bei Schutzimpfungen gegen Influenza (Virusgrippe). Grippeimpfung habe ich seit 2020 auch jedes Jahr, man muss mit der Zeit gehen und mit den Notwendigkeiten. Man muss ja auch mit dem eigenen Alter Schritt halten.
Und dann, hier, mein ganzer Stolz: Comirnaty, 6. April 2021, 18. Mai 2021 und der Booster am 14.11.2021. Platz ist noch für sieben Impfungen, oha, das könnte knapp werden …
January 16, 2022
Ein Ei, bitte!
Es ist die Zeit nicht mehr fern, in der, weil wir es so wollen, die grausamen Hühnerfarmer und Hähnchenbarone ins Gefängnis müssen, ins große Hühnerzuchthaus nämlich. Dann werden die Hühner frei sein. Sie werden auf dem Land leben und sich ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie jeden Tag persönlich in die Stadt kommen, um uns ihre Eier selbst zu bringen. Sie stehen früh auf, fahren mit Bussen und Bahnen in die Siedlungen und gehen gackernd durch die Straßen. Wer ein Ei wünscht, der ruft aus dem Fenster hinunter: »Ein Ei, bitte!« Dann kommt das betreffende Huhn die Treppe hinauf und legt das Ei auf den Tisch. Dafür bekommt es Futter und bleibt noch ein bisschen am Tisch sitzen, und wir lesen ihm aus alten Hühnerbüchern vor.
Aus: Hackes Tierleben
January 9, 2022
Raumfliegerin
Leserin S. schrieb, sie habe im Alter von sechs Jahren mit anderen Kindern im Garten eines Kinderheimes gesessen. Man habe darüber gesprochen, was die jeweiligen Eltern von Beruf seien. Ein Junge habe berichtet, seine Mutter sei Raumfliegerin. S. schreibt: „Oh, ich war voller Bewunderung. Eine Mutter zu haben, die Raumfliegerin war! Wie ich diesen kleinen Jungen beneidete. Aber gleichzeitig wunderte ich mich darüber, dass dieser Junge in einem städtischen Kinderheim war. Seine Mutter war doch Raumfliegerin! Ich erklärte es mir damit, dass seine Mutter wohl zur Zeit im Raum fliegt und deshalb keine Zeit für ihren Jungen hatte. Es vergingen Tage der Bewunderung und des Neides, bis mich ein Betreuer aufklärte, dass es sich bei der Raumpflegerin um eine Putzfrau handelte.“
Aus: Das Beste aus aller Welt 2008
December 22, 2021
Wann geht die nächste Galeere nach Naxos?
Leser F. schreibt mir: „Eine Freundin war vor Jahren mit Freunden in Griechenland auf Reisen. Man wollte per Fähre auf eine der Inseln übersetzen, niemand sprach Griechisch. Auch fand sich am Hafen niemand, der deutsch oder englisch sprach. Die Freunde konnten dann jemanden aus der Gruppe überreden, seine verblassten Kenntnisse in Altgriechisch zu aktivieren und sich nach einer Fähre zu erkundigen. Das tat er, schüchtern und redlich – und seine Darbietung löste bei den Griechen große Heiterkeit aus. Wenig später fand sich ein Grieche ein, der als Gastarbeiter in Deutschland gelebt hatte und sehr gut Deutsch sprach. Er konnte dann erklären, was der ‚Dolmetscher‘ gefragt hatte: ‚Wann geht die nächste Galeere nach Naxos?‘ Meine Freundin und ihre Gruppe wurden in der Folge immer wieder winkend und lachend gegrüßt, verbunden mit der Geste einer zweihändigen Ruderbewegung …“
December 20, 2021
Eine Kolumne zweipunkto
Anfang Dezember erschien Das Beste aus aller Welt im Süddeutsche Zeitung Magazin als Liebeserklärung an das kleine o. (Wer mag, kann das hier nachlesen, es kostet aber etwas, wie so vieles in der Welt): https://sz-magazin.sueddeutsche.de/das-beste-aus-aller-welt/booster-bedeutung-impfung-90978)
Warum das o? Warum nicht da z oder das ä?
Ich schrieb: „Das o kommt vor in schönen Wörtern wie Sonne und Mond. In besseren Zeiten hieß unsere Hauptstadt Bonn. An meinem linken Ringfinger steckt ein kleines goldenes o, das viel mehr als jedes Herz das Zeichen großer Liebe ist. Und alle Begriffe mit o sind doch von echtem Schrot und Korn: Tor, Lob, Brot, Ross, Tod, Kopf, Rost, Post, Kohl, Volk, Rot, Zorn – o Gott, voll toll!“
Das mit Bonn hat mir natürlich gleich jemand übel genommen. Frau K. schrieb: „Als in der DDR aufgewachsene Leserin sind für mich die besseren Zeiten angebrochen, als Berlin Hauptstadt des vereinigten Deutschlands wurde.“
Na ja, natürlich. Für mich auch. Man soll halt nichts aus einer Laune heraus so hinschreiben. Niemals! Was habe ich nicht alles für begeisterte Texte über die Wiedervereinigung geschrieben! Alles vergessen! All das geopfert für einen billigen kleinen Gag!
So doof!
Aber die meisten Briefe kamen natürlich, weil ich Omikron vergessen hatte. Leser F. schrieb, ich hätte „eine ganze Kolumne über das kleine o geschrieben, ohne DAS kleine o, das kleinste o, das mikroskopisch kleine o, das o-mikron, zu erwähnen, das wie das Boostern
im Moment in aller Munde ist. Kann das wirklich sein?“
Ja, war so.
Ich hatte mich über den Booster verbreitet, das war ja der Anlass der Kolumne. Aber Omikron, das kleine griechische o? Kam nicht vor bei mir. Das lag zum Teil daran, dass ich den Text zehn Tage vor Erscheinen Anfang Dezember verfasst hatte, da war diese Variante noch nicht so en vogue. Zum anderen aber wollte ich Omikron im Text irgendwie nicht haben, es machte mir schlechte Laune, und es sollte doch ein heiterer, entspannter Text sein.
War aber auch ein Fehler!
Überhaupt würde ich die Kolumne am liebsten noch mal schreiben, weil ich so vieles vergessen hatte. Das kommt manchmal vor, dass einem das Beste erst hinterher einfällt, und die Leserinnen schreiben es einem dann, was man alles außen vor gelassen hat. Und dann ärgert man sich sooooo im Bürooooo!!!!
Was hatte ich vergessen?
Den bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger zum Beispiel, einen Niederbayern, der beim Sprechen grundsätzlich jedes a durch ein o ersetzt, warum auch immer, niemand tut das außer ihm in Niederbayern. Dies führt zu Wörtern wie Opfelsoft, Bonone und eben Oiwonger.
Verschiedene stark o-lastige Orte auf der Landkarte Australiens, auf die mich Leser H. hinwies: Wollongong (südlich von Sidney), Orroroo (weit im Süden, immerhin ein siebenbuchstabiger Name aus nur zwei Lettern), Woolloomoolo (ein Stadteil Sidneys). Dazu noch Indooroopilly, Woolloongabba, Borroloola, Mooloolaba oder Toowoomba.
Großen Donk, Leser Ho.!
Übrigens kamen in der Kolumne auch die vielen Möglichkeiten vor, das o im Englischen auszusprechen: wie o (in fox zum Beispiel), wie a (in blood), wie u (in booster eben) und sogar wie ou (in woke) oder au (in down). Vergessen hatte ich: wie i (in women). Darauf wies Herr G. hin. Und Leser R. auch.
Nun, das sind alles lässliche Dinge!
Unverzeihlich aber sind zwei Versäumnisse.
Erstens, dass ich Judith Holofernes großartigen Song aus ihrer Zeit mit Wir sind Helden vergessen hatte, Leser B. aus München machte mich darauf aufmerksam. Nur ein Wort heißt das Lied, und im Refrain hören wir immer wieder, von Judiths heller, wunderbarer Stimme vorgetragen:
Oh, bitte gib mir nur ein „Oh“
Bitte gib mir nur ein „Oh“
Bitte gib mir nur ein – bitte, bitte gib mir nur ein „Oh“
Bitte gib mir nur ein „Oh“
Bitte gib mir nur ein „Oh“
Bitte gib mir nur ein – bitte, bitte gib mir nur ein Wort.
Zweitens Lefty, den salesman aus der Sesamstraße, der Ernie immer wieder rare Dinge zu verkaufen sucht, ein o eben zum Beispiel. Would You like to buy an o? heißt sein Lied dazu, und im Deutschen hört man Folgendes:
Hallo, wie wär's mit einem O?
Rund wie ein Kreis
Mit ausgeprägtem Körperbau
Günstig auch im Preis
Du kannst singen mit dem O, etwa sooo
Oho, oho, oho.
Nicht vergessen: Leftys amerikanische Stimme kommt von einem Mann namens Oz, Frank Oz.
Danke, Frau E. für die Post dazu!
Was wäre ich ohne Leserinnen und Leser?! Nichts als ein Hohlkopf, der zu wenig weiß über das o. Ich danke deshalb allen, die mir schreiben, geschrieben haben und noch schreiben werden, schließe mit meinen besten Wünschen für ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr – und mit einer passenden Zeile aus dem schönen alten Weihnachtslied Als ich bei meinen Schafen wacht‘, das die meisten von uns aus Carl Orffs Weihnachtsgeschichte kennen.
Als ich bei meinen Schafen wacht',
ein Engel mir die Botschaft bracht'. 😐
Des bin ich froh,
bin ich froh, froh, froh, froh, o, o, o!
Benedicamus Domino, benedicamus Domino.
December 16, 2021
Robert Walser, Der Spaziergang, Insel-Bücherei
Kurz vor Silvester habe ich den 338. Spaziergang des Jahres gemacht, mal wieder auf den Alten Südlichen Friedhof in meinem Viertel. Oder war es erst der 327.? So weit kommt‘s, dass ich Spaziergänge zähle!
Ich habe verschiedene Spaziergangs-Konzepte ausprobiert in den Corona-Zeiten, vor allem natürlich in den Lockdown-Phasen. Manchmal bin ich durch fremde Stadtteile spaziert. Dann jeden Morgen eine halbe Stunde über den Friedhof. Dann wieder und wieder durch den Rosengarten in den Münchner Isarauen. An den Wochenenden bin ich mit Frau und Freunden durchs bayerische Oberland gestreunt. Kein Waldweg, kein Aussichtspunkt, kein Bachsaum blieb mir fremd rund um das Dorf im Chiemgau, in dem wir eine Wohnung haben.
Nun habe ich Robert Walsers Der Spaziergang gelesen, es lag im Schaufenster einer Buchhandlung, die ich passierte. Aber da blieb es nicht, weil ich reinspazierte und es mitnahm.
Walser hat es im August 1916 geschrieben, ein rätselhaft-schönesBüchlein, das ich bestimmt noch mal lesen werde, im Versuch, es wirklich zu verstehen. Wir bekommen es auf Walsers Wegen mit so seltsamen Figuren wie dem Riesen Tomzack oder dem Präsidenten der Steuerkommission zu tun, auch mit Frau Aebi, die unseren Mann stets zum Essen einlädt und füttert bis er nicht mehr kann und darüber hinaus.
Spazieren ist für Walser eine Daseinsform gewesen, das Buch ein Schlüsselwerk des leider nie wirklich berühmt gewordenen Autors, der schrieb, wie er ging: schlendernd. „Spazieren“, heißt es bei ihm, „muss ich unbedingt, um mich zu beleben und um die Verbindung mit der lebendigen Welt aufrechtzuerhalten.“
Der Spaziergänger ist ja einer, der seine Zeit verschwendet und seine Aufmerksamkeit dem Unauffälligen, Belanglosen, sonst Übersehenen widmet. Vermutlich werde ich nie wieder so viel spazieren gehen wie 2020 und 2021. Ehrlich gesagt hoffe ich das sogar. Es wird mir zu viel. Sicher werde ich aber in Zukunft mehr spazieren als vor der Pandemie. Man entdeckt dabei so viel, das man nicht gesucht hatte, sogar ein kleines Buch eines wunderbaren Schriftstellers.
Robert Walser, Der Spaziergang. Insel-Bücherei Nr. 1449. 14 Euro
Katja Oskamp, Marzahn mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin, Suhrkamp
Katja Oskamp habe ich im Dezember 2021 im Dortmunder Wortklub kennengelernt, das ist eine Veranstaltungsreihe, die regelmäßig in der Jazzbar domicil stattfindet. Wir saßen zusammen mit dem Moderator auf der Bühne. Ich kannte sie nicht, hatte noch nie von ihrem Buch gehört: Marzahn mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin.
Ich hielt sie anfangs tatsächlich für eine Fußpflegerin, die Schriftstellerin geworden war und über ihren Alltag ein paar lustige Geschichten geschrieben hatte.
Dabei ist sie eine Schriftstellerin, die den Beruf der Fußpflegerin ergriffen hatte.
Und die Geschichten: lustig? Nach ein paar Minuten des Zuhörens bei ihrer Lesung war klar, dass wir hier von anderen Kategorien reden, genau jener Literatur nämlich, von der wir in Deutschland zu wenig haben.
Viel zu wenig.
Katja Oskamp hatte mit 44 Jahren nach einer Zeit als Dramaturgin und Schriftstellerin, die übrigens mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde, ihre Probleme mit dem Leben in diesen Berufen und auch sonst. Ein Manuskript fand keine Abnehmer, das Kind zog aus, der Mann wurde krank.
Was tun?
Sie fing noch mal von unten an, von ganz unten, bei den Füßen eben. Machte eine Ausbildung (dauerte acht Wochen), arbeitete auf Stundenbasis (22 Euro, in Marzahn, in Charlottenburg wären es 65 gewesen, aber da war sie nun mal nicht, es hatte sich nicht ergeben).
Sie schrubbte Füße, schabte Hornhäute, schnitt Nägel – und zwar nicht Luxuslatschen im Westen, sondern einfacher Leute Gehwerkzeuge.
Frau Guse, Herr Pietsch, Frau Frenzel, die Eheleute Huth, auch Herr Hübner. Der hat Füße, deren Zustand jeder Beschreibung spottet, und rückt mit zwei Sozialbetreuerinnen an.
Katja Oskamp hat, was jede gute Autorin und jede gute Autorin haben sollte: eine große Zuneigung zu den Menschen, von denen sie erzählt. Ich vermeide das Wort Figuren, das an dieser Stelle gerne verwendet wird, es klingt papieren, lebensfern, technisch. Nichts davon ist in den Geschichten, die ich hier gelesen habe. Dafür ist alles andere da, das man haben will: Schicksal, Realismus, Härte, Zartheit, Neugier, Zugewandtheit, Humor, Interesse.
Bei der Kundschaft Oskamps handelt es sich um sogenannte einfache Leute, Rentnerinnen, heruntergeschuftete Umzugsarbeiter mit ihren kaputten Füßen, einsame frühere SED-Kader, Ex-Facharbeiter für Plaste und Elaste, zur Nageldesignerin umgeschulte Tresenkräfte. Es sind die Leute, für die man sich in der Mittelstandsliteratur unserer Tage nicht sehr interessiert. Man müsste ja zu ihnen gehen und sie fragen, wie es um ihr Leben steht – und wo wohnen die denn überhaupt? Da bleibt man lieber bei den eigenen Neurosen und Verzweiflungen, das recherchiert sich leichter auf dem Sofa daheim.
Einfache Leute? Kleine Leute? Ach ja, ach nein. Hier ist nichts einfach und schon gar nicht klein, dafür stehen die Leute vor dir, wie sie sind, mit all ihrer Unerschütterlichkeit, ihrem Pragmatismus, ihrer Nüchternheit, ihren Hoffnungen und ihrem Lebenswillen, und, jawoll: auch ihrer ganz wunderbaren Lustigkeit.
Katja Oskamp, Marzahn mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin. Suhrkamp. Taschenbuch 10 Euro.
December 9, 2021
Mein Ding im Leben: Bierdose
Die Dose hat mir vor Jahren Peter Kaack geschenkt, weil ihm mein Buch Fußballgefühle so gefallen hatte. Peter war Verteidiger in der Meistermannschaft von Eintracht Braunschweig 1967 und einer der Helden meiner Kindheit. Oft frage ich mich, in welchem Zustand sich der Inhalt dieser Bierbüchse befinden mag. Aber es könnte sein, dass ich es nie erfahren werde.
Mein Ding im Leben: Zahnpasta
Ich stelle die Zahnpasta immer auf den Deckel, wie man es ja auch vernünftigerweise machen sollte. Meine Frau legt sie immer hin. Irgendwann fand ich eine Lösung, die uns beiden gerecht wurde, und unsere Ehe hat bis heute gehalten.
December 2, 2021
Mein Ding im Leben: Kaffeeschränkchen
In meinem Elternhaus wohnte ein Vertreter von Idee-Kaffee als Untermieter. Der hatte solche Schränkchen für seine Kunden. Als Kind saß ich oft davor und träumte von den Orten, die darauf verzeichnet sind: Timor, Celebes und Menado, von Arabien und Abessinien, auch Bahia, Minas Geraes und Sao Paulo. Ich liebte das Design und den Kaffeegeruch aus dem Lager von Vorräten, die der Vertreter im Keller untergebracht hatte. Und zweitens? Ein Mann wie ich braucht im Büro einen Behälter für Ideen, die er nicht sofort verwerten kann und aufheben muss. Die sind da alle drin.
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