Maximilian Buddenbohm's Blog, page 389
February 19, 2013
Weiter, immer weiter
Beim Frauenarzt der Herzdame war ich nicht mehr, seit dort der letzte Ultraschall vom noch im Bauch befindlichen Sohn II stattgefunden hat, und das ist schon eine ganze Weile her. In der letzten Woche musste ich aber doch einmal dorthin, um ein Rezept für die Herzdame abzuholen, die einfach keine Zeit hatte, um selbst hinzugehen. “Herr Buddenbohm!” riefen die Arzthelferinnen, als ich bei ihnen vor dem Empfangstresen auftauchte, “Wir freuen uns hier alle schon so auf ihr Nächstes!”
Und ich habe zwei, drei Sekunden tatsächlich etwas panisch überlegt, was genau mir die Herzdame eigentlich nach ihrem letzten Besuch beim Arzt alles erzählt hatte. War da was? Man hört ja nach langjährigen Ehen nicht mehr bei jedem Satz so gut zu, man rechnet doch sowieso nur noch mit dem immer gleichen Routine-Blabla, da kann einem schon einmal eine wichtige Botschaft entgehen, wer weiß? Und eingedenk des etwas speziellen nordostwestfälischen Humors der Herzdame, wäre es denn nicht tatsächlich möglich, dass… Mir wurde für einen Moment etwas heiß.
Bis eine der Arzthelferinnen, die meinen verwirrten Blick sah, ergänzte: “Buch! Wir meinten das nächste Buch! War klar, oder?”

February 18, 2013
Walle! Walle! Manche Strecke…
Na, haben Sie die Zeile auch gerade im Kopf mit “dass zum Zwecke Wasser fließe…” fortgesetzt? Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht so klein, denn das Gedicht ist eines der bekanntesten in der deutschen Literaturgeschichte, der Zauberlehrling von Goethe. “Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben, und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.” Das haben meine Eltern in der Schule noch auswendig lernen müssen, ich auch, die Herzdame auch, und vielleicht steht es sogar heute noch auf den Lehrplänen, es würde mich überhaupt nicht wundern. Wenn die Herzdame und ich unsere Erinnerungen zusammenwerfen, dann können wir immer noch ein paar Versgrüppchen von dem Gedicht rekonstruieren, ohne nachsehen zu müssen. Und wenn wir nachsehen, dann bekommen wir es danach auch mit ein wenig Üben wieder hin, das ganze Gedicht aufzusagen. Es ist ein wirklich gutes Sprechgedicht, man kann es flott aufsagen, es wird dadurch eher besser als schlechter. Es hat eine gut nachvollziehbare Story, im Grunde ganz schlicht. Es hat sehr eingängige Reime, es hat ein schwungvolles Ende mit einer allseits bekannter Redewendung. Man kann das sogar höchst modern vertonen, ohne dass es peinlich wirkt. Wenn man dieses Video gesehen hat, betont man das Gedicht danach allerdings womöglich doch etwas anders als vorher.
Und jetzt ein Knaller-Tipp für Eltern von etwa fünfjährigen Kindern: Lassen Sie das Kind die Vorbereitung nicht mitbekommen und sagen sie dann aus heiterem Himmel einmal so etwas wie den Zauberlehrling vor dem Nachwuchs auf. Komplett. Ruhig mit ordentlich Drama in der Stimme und in der Gestik, immerhin geht es um Hexenwerk, das ist ja nicht irgendwas. Das Kind wird mit offenem Mund vor ihnen stehen und der althergebrachte Zusammenhang zwischen Lyrik und Zauberei wird sehr, sehr deutlich zu spüren sein. Wenn das Kind die Geschichte nicht ganz verstanden hat, einfach kurz erklären und dann alles wiederholen. Kinder lieben Reime, Kinder lieben solche Geschichten. Kinder lieben es, wenn es einen Meister gibt, der zum Schluß alles löst. Und Kinder lieben es, wenn die Eltern ganz erstaunliche Sachen können. Manchmal ist es gar nicht so einfach, Kinder im Vorschulalter noch zu beeindrucken, aber komplett durch eine generationenlang getestete Ballade durchzugaloppieren – Sie werden staunen, wie das wirkt.
“In die Ecke, Besen, Besen! Sei’s gewesen!”
Das ist wirklich einladend, das bekommt man gut hin, diesen Höhepunkt auch sprachlich richtig darzustellen, auch wenn man sonst nicht gerade dauernd Gedichte als Frühsport aufsagt, und wer tut das schon.
Natürlich sind es Kinder gewohnt, dass man ein gewisses Repertoire an Liedchen und Abzählreimen auswendig kann. Vielleicht auch ein nettes Gedichtchen oder zwei, irgendwas mit Blümelein und Vögelein, was die Bilderbücher eben so hergeben. Nichts gegen James Krüss und Konsorten, versteht sich, da gibt es ganz wundervolle Werke voller Spaß und Witz, die sind hier auch sehr geschätzt. Aber eine ernste, großkalibrige Langstreckenballade mit immer neuen Wellen von wogendem Wortgeklingel, das ist der Hammer. Probieren Sie es aus, Sie werden staunen.
Sohn I: “Wow, das war aber gut!”
Ich: “Ja, das ist toll, was? Von Goethe.”
Sohn I: “Hat der noch mehr geschrieben?”
Ich: “Och.”

February 17, 2013
Woanders – diesmal mit Elternabenden, Wohnungssuche, Sexarbeit und anderem
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich schon einmal auf Nikos Grundsatzartikel über Elternabende verlinkt hatte. Macht aber auch nichts, das kann man ruhig öfter lesen. Ich habe da zwar erst sehr wenig Erfahrungen, nur ein paar Elternnachmittage im Kindergarten und Versammlungen bei den ersten Kennenlernterminen in der Grundschule, aber ich weiß jetzt schon: es ist alles wahr.
Sven Dietrich beschäftigt sich intensiv mit einem in Hamburg stark verbreiteten Hobby, der Wohnungssuche. Und er hat, was alle Hamburger Suchenden begeistern dürfte, eine unfassbar umfangreiche Linksammlung zum Thema zusammengestellt und veröffentlicht. Ich nehme an, das gab es in dieser Form noch nicht.
Slow comments – ich finde immer mehr Artikel, die sich mit dem Problem der alten Blogpostings beschäftigen, die eben nicht veraltet sind, nur sozusagen ziemlich weit nach unten gerutscht. Hier geht es um das Kommentieren dieser älteren Artikel. Ich finde das Thema des still, wohl allzu still ruhenden Blogarchivs immer wichtiger und interessanter, je länger ich darüber nachdenke.
Das Blog The Happy Whore möchte ich generell empfehlen, hier schreibt eine Sexarbeiterin, eine Hure, und das ist wirklich sehr lesenswert, wenn man einmal mehr als die üblichen Vorurteile über diesen vermeintlich so speziellen Beruf erfahren möchte. Da kann man ruhig mal ein wenig rückwärts im Blog lesen, das bildet ganz ungemein.
Und es gibt einen neuen Feiertag in Deutschland! Gewissermaßen. Den Indiebookday. Erfunden vom feinen Hamburger Mairisch-Verlag, der z.B. Stevan Paul verlegt.
Noch einmal zur Buchbranche, gewissermaßen jedenfalls. Auf kwerfeldein der Hinweis auf das Projekt “Verbrannte Orte”, hier geht es um aktuelle Aufnahmen der Plätze, an denen 1933 Bücher verbrannt wurden.
Bei MC Winkel gibt es eine Sammlung von Führerscheinbildern. Johnny Cash, Walt Disney, Hemingway… Mein Favorit ist auf jeden Fall Janis Joplin. In dem Zustand hätte ich womöglich auch schon in der ersten Prüfung bestanden.
Das Lieblingsbild der Woche. Auch in diesem Blog ruhig zurückblättern, wenn Sie es nicht kennen. Könnte Sie aber die eine oder andere Stunde kosten. Klick auf das Bild wechselt jeweils zum nächsten Bild.
Wie Johannes Mirus Karsten Speck kennenlernte und dann nicht wusste, was aus ihm wurde.
Journelle findet drei Sachen gut.
Bei der Alltagsforschung geht es um den positiven Effekt von Ritualen. Da es heute Trend ist, sich über jedes Ritual spöttisch oder zynisch zu erheben, kann man das ruhig einmal zur Kenntnis nehmen. Man darf natürlich über Rituale spotten, vielleicht sollte man das sogar – man muss sie aber dennoch ausführen. So einfach ist das wohl.
Wie Glumm unter Einfluß der gefährlichen Droge Enid Blyton angefangen hat, Bücher zu zu schreiben. Mit elf Jahren.
Ich hatte nicht unerheblichen Spaß beim Anhören des Albums “Heute hier, morgen dort – Salut an Hannes Wader”. Coverversionen von Wader-Songs, teils großartig (Anna Depenbusch mit “Nach Hamburg”! Hammerlied!) teils furchtbar (Herr Poisel mit “Heute hier, morgen dort”, man möchte ihm ein Bier reichen, auf die Schulter klopfen und etwas wie “Junge, das wird schon wieder” murmeln), teils erfrischend (Slime mit einer Punkversion von “Heute hier, morgen dort”), teils schlicht unhörbar (Max Prosa! Meine Güte!). Alles in allem äußerst interessant. Hören Sie mal rein. Hier eine Besprechung zum Album in einem ansprechenden Musikblog, gerade erst entdeckt.
Wer beruflich gerade Fehlleistungen zu verantworten hat, hier ein kleiner Trost: Es geht immer noch schlimmer. Sehr schöne Sachen dabei. Ich habe ja tiefes Verständnis für solche Entgleisungen.
An Rudi Carrell erinnert man sich sicher noch – aber wahrscheinlich nicht so. Mein Lieblingsfund der Woche auf Youtube.
Das beste Essen der letzten sieben Tage gab es nicht, das war alles nur Ernährung, aber kein gutes Essen. Schlimm! Und wieso liegen hier überall Flips herum?

February 16, 2013
Karneval (3)
Die Erzieherinnen in der Kita haben mit den Kindern am Aschermittwoch über das Ende des Karnevals gesprochen. Über den früheren Sinn des Festes, über die kirchliche Bedeutung, über die Fastenzeit. Fastenzeit im Mittelalter, im letzten Jahrhundert und Fastenzeit heute, wirklich kein einfaches Thema für kleine Kinder. Es gibt da also Erwachsene, die nach den Partyexzessen etliche Wochen lang auf etwas verzichten, aus Gründen, die nicht unbedingt sofort einleuchten. Ein Fünfjähriger kann sich natürlich nicht vorstellen, wie lange sieben Wochen sind, er hat nur eine ungefähre Vorstellung davon, dass das wahrscheinlich sehr, sehr lang ist. Einem Fünfjährigen fällt es auch schwer, sich sinnvollen Verzicht vorzustellen, abstrakte Begriffe wie Buße, Einkehr, Umkehr, Besinnung, Mäßigung sind dann doch alle ein wenig zu abgehoben für die Altersklasse. Die Verzichtsübungen der Erwachsenen beziehen sich heutzutage oft auf Alkohol, Zigaretten oder Schokolade. Alkohol und Zigaretten konsumieren Kinder nicht, auf Schokolade zu verzichten ist ein grotesker, abartiger Gedanke, wenn man fünf Jahre alt ist. In meinem Umfeld verzichten einige auch auf Facebook oder Twitter oder auf das Fernsehen, das kommt alles bei den Kindern nicht recht an.
Dennoch ist es natürlich richtig, den Kleinen zu erzählen, was an den Feiertagen warum passiert, ich finde, das kommt oft viel zu kurz. Ich halte auch nichts davon, Themen auszulassen, nur weil sie schwierig sind. Ob man es nun eher als Geschichtsunterricht begreift, wie ich, oder als Religionsunterricht, wie es viele andere tun, es ist wirklich sinnvoll, unsere Alltags- und Festkultur zu verstehen.
Beim abendlichen Gespräch an der Bettkante hat Sohn I immer noch über das Thema Verzicht reden wollen, das hat ihn den ganzen Tag sehr bewegt. Er hat mir aufgezählt, was die Erzieherinnen alles als Beispiel genannt haben. Er hatte es tatsächlich ganz gut verstanden, worum es ging. Er erzählte mir, dass die Erzieherinnen gefragt hätten, ob die Kinder auch auf etwas verzichten könnten, ob ihnen denn da überhaupt etwas einfallen würde und dass sie da alle lange geredet hätten. “Und ich mach das jetzt auch, weißt du”, sagte Sohn I dann zu meiner Überaschung. “Ach?” sagte ich, “tatsächlich? Sieben Wochen ohne? Hab ich ja noch nie gemacht. Willst du das wirklich?” “Ja”, sagte der Sohn und kuschelte sich an mich, “ich mach da jetzt mit.”
Man sollte niemals, wirklich niemals unterschätzen, worauf Menschen ab etwa fünf Jahren schon durch Nachdenken kommen können, wir starten alle als Philosophen ins Leben. Ich sah den Sohn an, mir fiel wieder auf, dass er schon wie ein Schulkind aussieht, wie ein wirklich Großer. “Und”, fragte ich, “worauf verzichtest du denn jetzt?”
“Ich gehe jetzt einfach sieben Wochen nicht mehr in die Kita”, sagte der Sohn und machte sehr breit grinsend die Augen zu.

February 14, 2013
Karneval (2)
Als wir vor etlichen Wochen erfuhren, dass die Karnevalsparty in der Kita in diesem Jahr unter dem Motto “Ägypten” stehen sollte, war mein erster Gedanke, dass der Schlauberger, der diese tolle Idee gehabt hatte, doch bitte als Kamel gehen möge. Ich meine, Ägypten, das ist wirklich nicht so einfach. Also abgesehen von dem Standardscherz mit der Mumie aus Toilettenpapier, den ich in letzter Zeit etwa hundertmal gehört habe, betont konservativ geschätzt. Es gibt nicht allzu viele fix und fertig lieferbare Kostüme mit dem Thema Ägypten, jedenfalls nicht für Kinder. Und überhaupt, wer braucht denn für den Karneval ein Motto? Kann nicht jeder herumlaufen, wie und als was er will? Soll es nicht eine quasi anarchische Veranstaltung sein? Nein, man braucht ein Leitmotiv. Warum auch immer.
Dann begann eine verblüffende Bildungsoffensive im Kindergarten. Das historische Ägypten wurde wieder und wieder auf viele Arten thematisiert. Bücher, Fotos, Filme, Bilder, alles wurde gezeigt, diskutiert, besungen und immer wieder besprochen und ich habe nicht wenig gestaunt, zu welchen Experten schon kleinere Kinder werden können, wenn das Interesse erst geweckt ist. Sohn I sah sich kurz vor Rosenmontag Reiseberichte über Ägypten auf Youtube an und murmelte dabei routiniert die Namen der Tempel und Heiligtümer, sobald sie ins Bild kamen. Göttinnen und Götter wurden souverän an ihrem Zubehör erkannt und ich habe abends an der Bettkante nicht mehr Gutenachtlieder gesungen, sondern sehr ernsthaft mit ihm Details von Kleopatras Selbstmord diskutiert. Das mit dem Motto, das war vielleicht doch keine schlechte Idee, wenn so etwas dabei herauskommt, dachte ich, zur Bildung kann man irgendwie nicht nein sagen. Die Herzdame, die einmal kurz etwas Ägyptologie studiert hat – was mir bis dahin gar nicht bekannt war, man staunt, welche Abgründe sie nach all den Jahren noch zu bieten hat – saß mit Sohn II lange über ihren alten Fachbüchern und Semesterunterlagen, es war wieder ein strahlender Triumph ihrer mir generell eher lästigen Grundhaltung nie etwas wegzuwerfen. Man kann nicht immer gewinnen.
Allerdings gab es ein kleines Problem bei der Karnevalsvorbreitung, denn mit vertiefter Sachkenntnis stiegen auch die Anforderungen an das Kostüm signifikant. Wer sich auskennt, der wirft sich eben nicht eine Decke als Kaftan über und sagt lässig “Ich bin jetzt Ägypter”. Wer sich auskennt, der will Pharao sein, und zwar richtig. Sohn II war da mit seinem Wunsch “Königstiger” noch vergleichsweise einfach zu bedienen, wenn auch nicht recht authentisch ägyptisch, aber Sohn II ist auch erst drei Jahre alt, da macht das nichts. Sohn I ist aber schon fünf, und mit fünf Jahren ist man heutzutage anscheinend ein Topchecker. Also ein richtiger Pharao, bitte. “Mit alles wie in echt.”
Es sah ganz danach aus, als hätten wir etwas basteln müssen. Mein Verhältnis zum Basteln kann ich recht einfach zusammenfassen: ich hasse es. Ich hasse es aus tiefstem Herzen. Ich habe Fluchtreflexe, wenn irgendwo Strohsterne liegen, mir stellen sich die Nackenhaare auf, wenn ich nur das Wort Kunsthandwerk höre und ich kriege Beklemmungen in Läden für Bastelbedarf. Ich werde sehr, sehr schlechtgelaunt, wenn mir jemand vorschlägt, ein Problem dadurch zu lösen, dass ich “irgendwas mal schnell selber mache”. Ich kann Probleme nicht in 3D lösen, ich kann nur Bilder und Texte, wenn ich überhaupt etwas kann. Wenn ich etwas bastel, sieht es immer so aus, als müsse man Mitleid mit mir haben, das ist furchtbar, ich will das nicht erleben.
Ich habe traumatische Erinnerungen an den Werkunterricht in der Schule, wo man aus Holz kleine Schiffe bauen musste. Mein älterer Bruder, der auf derselben Schule war, hatte das vorgemacht, er hatte ein großartiges Holzschiff hergestellt, einen Dampfer mit mehreren Etagen, Schornsteinen und Fenstern, wirklich schön. Als ich in die Klasse mit dem Werkunterricht kam, brachte ich schließlich ein seltsam verformtes Stück Holz nach Hause. Es sah aus wie eines dieser schwer erkennbaren Dinger, von denen Archäologen manchmal annehmen, sie könnten vor zehntausend Jahren einmal von einer unterentwickelten Kultur am Rande der Welt als Einbaum genutzt worden sein. Mein primitiver Holzklotz schwamm in der Badewanne neben dem prächtigen Vergnügungsdampfer meines Bruders durch den Fa-Schaum der Siebziger Jahre. Wenn ich das Wort Bastelarbeit höre, dümpelt immer noch ein ungeschlachter Einbaum vor meinem inneren Auge, ein Einbaum, der in kleinen Kreisen immer wieder linksherum fahren musste, weil der Rumpf so schief war. Heute ist mein Bruder Handwerksmeister und ich verlasse meinen Schreibtisch nicht freiwillig, es hat sich alles ganz folgerichtig entwickelt.
Tendenziell ist das Bastel-Problem in letzter Zeit allerdings schlimmer geworden. Denn ich kenne mehr und mehr Eltern, dadurch auch mehr und mehr Mütter und dadurch auch unweigerlich mehr und mehr skilled experts for advanced Schickschnack. Also die Mütter, die für das all das verantwortlich sind, was man sich auf Pinterest oder in Magazin wie etwa Landlust, Landliebe etc. ansehen kann. Mütter, die alles basteln können, alles nähen, stricken, häkeln, töpfern, backen, kochen, flechten, filzen, schnitzen, schweißen, laubsägen, was weiß ich. “Da nimmst Du einfach…” “Da kaufst Du einfach…” “Da hab ich neulich ein Bild gesehen, das machst Du so, guck hier…” Mütter, bei denen alles im Haushalt süß und niedlich aussieht, wenn nicht sogar bezaubernd oder gar hinreißend. Und wenn man in einem solchen Haushalt ein paar Stunden zu Gast war, geht man irgendwann nach Hause, sieht sich um und denkt, man lebt im Slum.
Eine dieser Mütter erzählte uns, dass man den typischen Kopfschmuck der ägyptischen Fürsten ziemlich einfach mit einem Tuch herstellen könne, seht Ihr so, und sie nahm ihren Schal, faltete etwas daran herum, drehte ihren Gürtel hinein, setzte ihn auf und zack! Es sah tatsächlich so aus wie auf den Bildern, völlig irre. Sehr einfach, kann wirklich jeder, das haben wir gleich eingesehen. Wir gingen nach Hause und machten das sofort nach. Die Herzdame nahm ihren Schal, faltete etwas daran herum, drehte einen Gürtel hinein, setzte ihn auf und zack! Sie sah aus wie eine deutsche Kabarettistin, die eine Raumpflegerin mit Migrationshintergund spielte. Die Herzdame ist beim Basteln leider nur dezent begabter als ich.
Andere Mütter wiesen uns darauf hin, dass man mit ein wenig Blumendraht, ausgesägten Ornamentli und reichlich Goldlack ziemlich einfach ein ägyptisches Zepter herstellen könne. Die Herzdame und ich sahen uns an und schüttelten in stillem Einverständnis die Köpfe, warteten bis die Mütter weg waren und murmelten dann spöttisch “Ornamentli. Sie haben Ornamentli gesagt.” Und dann haben wir beschlossen, dass es nicht sein kann, dass wir beide an einem blöden Karnevalskostüm scheitern. Wir haben uns darauf besonnen, dass auch wir sehr wohl bei solchen Problemen lösungsorientiert vorgehen können, Basteltrauma hin oder her. Und wir sind zur Buchbinderei um die Ecke gegangen und haben gefragt, ob sie uns nicht vielleicht helfen könnten. Eine Buchbinderei restauriert oder bindet normalerweise Bücher, schon klar, aber dort kennt man sich auch mit allem aus, was man aus Pappe machen kann. Und die beiden unfassbar freundlichen Buchbinderinnen haben sich die mitgebrachten Ägyptenbücher angesehen, kurz nachgedacht, und dann etwas stabile Pappe genommen, einmal, zweimal freihand geschnitten, etwas gebogen, etwas geknickt, kurz geklebt und zack, war die Krone fertig. Mit Schlange dran und allem. Unglaublich, das waren nur ein paar Handgriffe, jahrelange Erfahrung und Augenmaß, es ist so beeindruckend, wenn jemand sein Handwerk versteht, ich habe wirklich größten Respekt davor. Die Buchbinderinnen gaben dann noch wirklich anwendbare Hinweise, wie das Zepter und das weitere Zubehör herzustellen sei, das war eine Sache von Minuten und wir hatten eine wirklich gute, originelle Ausrüstung. Maßarbeit für Sohn I, der staunend daneben stand und den Beruf des Buchbinders erstmals in die engere Auswahl für später nahm. Die Herzdame hat alles noch mit Goldspray angesprüht, es wurde ein wunderbares Kostüm. Auch wenn Sohn I, als er das alles anprobierte, bemerkenswert trocken anmerkte, dass auf der Krone der Pharaonen aus Unterägypten eigentlich nicht nur eine Schlange, sondern auch ein Adler hätte sein müssen. Am Ende ist zu viel Bildung in frühen Jahren eben doch nicht bekömmlich.
Und ich habe dann tatsächlich der Versuchung widerstanden, die kunstvoll und professionell erstellte Krone anderen Müttern schon lange vor Rosenmontag zu zeigen und zu rufen: “Hier guck, Bastel-Bitch, selbstgemacht! Hah! Mach mal nach! Na los! Ist ganz einfach!” Aber man macht sich keinen Begriff, wie schwer es mir gefallen ist.
In den nächsten Wochen werde ich meine Beziehung zur Leitung der Kita verbessern müssen, damit ich rechtzeitig, weit vor allen anderen Eltern, das Karnevals-Motto des nächsten Jahres erfahren kann. Ich überlege, das Kostüm dann in einem Kunsthandwerkerforum auszuschreiben. Vielleicht kann man so etwas aber auch an der Hochschule für Bildende Künste als Diplom-Arbeit unterbringen? Egal. Auch im nächsten Jahr werden wir wieder für die kreative Lösung schlechthin stehen und den Neid der anderen Eltern genießen. Man muss nur wissen, wie es geht, dann ist es tatsächlich ganz einfach.

February 13, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Der Betreiber einer Website für Unterhaltungselektronik wettert anlässlich eines Fernsehberichtes zu Foxconn gegen Unterhaltungselektronik und unsere ausufernde Sucht nach dem letzten Schrei und dem neuesten Spielzeug. Inkonsequent? Schizo? Heuchlerisch? Ach was, nur menschlich, allzu menschlich.
Falk Schreiber war in einer Ausstellung über Plastikmüll, die zur Zeit in Hamburg gastiert, und war sich nicht ganz sicher, wie er das finden sollte. Die Ausstellung wurde bereits in vielen Feuilletons und auch in Blogs besprochen, Isabel Bogdan z.B. hat die Ausstellung in Zürich auch gesehen.
Im Blog Anmut und Demut ein großartiger Kommentar zum aktuellen Fußballskandal, der ganz zwanglos auf Kapitalismus und Kommunismus kommt, mit einer Schlussfolgerung, der man nur sehr schwer widerstehen kann.
“Wenn wir weniger arbeiten, können wir die Erderwärmung stoppen.” Ein Artikel in der Zeit mit dem Inbegriff der gefälligen Kernaussage, man möchte quasi sofort unterschreiben. Und dann nach Hause gehen.
In diesem Zusammenhang noch ein Artikel (englisch) – warum wir eigentlich mehr Geld ausgeben, wenn wir mehr arbeiten. Im Grunde ein simpler Gedankengang, dem man kaum widersprechen kann und den auch meine eigene Erfahrung bestätigt. Vielleicht sollten wir statt der nächsten Gehaltserhöhung doch lieber ein paar Stunden weniger Arbeitszeit verhandeln und dadurch dann Geld sparen. Wunder des Alltags!
Ein Elternthema: Im Supermarktblog einige nicht unbedingt naheliegende Gedanken zu den neuerdings in Mode kommenden süßwarenfreien Kassen. Wird das Einkaufen für Eltern tatsächlich leichter, wenn die Quengelware nicht an der Kasse liegt? Oder ist das nur ein weiterer Marketing-Schachzug? Mir würde es ja reichen, wenn man diese Nougat-Riegel aus dem Kassenbereich entfernen würde. Ich halte es für vollkommen nmöglich, in hungrigem Zustand Nougat-Riegel nicht zu kaufen, und das hat mit Kindern rein gar nichts zu tun.
Ein Paar in den USA lässt sich scheiden (englischer Text), um -zigtausend Dollar Steuern zu sparen. Ist das nicht erstaunlich? Und ist das nicht wahnsinnig romantisch? Die beiden sind Investmentbanker, also quasi Finanz-Emos. Oder nennt man das jetzt Business-Punks?.
Im Netz von Goldman Sachs. Erwin Pelzig erklärt uns die verworrene Welt der Hochfinanzpolitik. Ziemlich kompliziert. 10 Minuten Film, die sich wirklich lohnen.
Im Geschichtsblog eine kleine und unbedingt lohnende Artikelreihe über die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich in mehreren Teilen. Hier geht es zu Teil 1 – das ist schnell gelesen und klärt doch über vieles auf.
Auf Kleiner Drei ein Artikel zu unserem Verhältnis zum Fleisch. Warum wir das essen und warum wir das fotografieren und warum das vielleicht etwas unpassend ist. Ein angenehm ideologiefreier Text, das ist man bei dem Thema gar nicht mehr gewohnt. Hier denkt jemand nach, ohne gleich Pappschilder hochzuhalten.
Slowenien beschließt Netzneutralität – an der Nachricht ist vielleicht das Interessanteste die Frage, warum das in Deutschland nicht auch längst beschlossen worden ist? Ist Netzneutralität nicht ein Ziel, das es zweifellos zu erreichen gilt? Bisher gibt es eine entsprechende Regelung in der EU nur in den Niederlanden und in Slowenien. Belgien bereitet immerhin so ein Gesetz vor, in Deutschland ist das bisher kein prominentes Thema.
Im Blog Formschub geht es um Kapselkaffee und die Frage, warum wir alle uns als Konsumenten so überaus seltsam benehmen.
Es ist ein schmaler Grat zwischen öffentlichem Sicherheitshinweis und Anprangerung. Durch das Internet kommen da ganz neue Möglichkeiten ins Spiel, das beschäftigt auch die Gerichte. Beim Lawblog geht es um eine Bäckerei und Verstöße gegen Lebensmittelvorschriften, die durch eine Behörde öffentlich gemacht werden sollten. Sehr spannend, diesen Fall weiterzudenken, wer wann was darf und was da eigentlich überwiegt. Das öffentliches Interesse oder doch die weiteren Marktchancen der Betroffenen, wie kommt man da zu einem vernünftigen Urteil?
Gleich noch einmal juristisch – Katharina Schneider fasst im Handelsblatt zusammen, was gerade in Bezug auf Bankmanager debattiert wird, die sich beruflich danebenbenehmen. Ab in den Knast? Oder doch nur leicht gekürzte Boni? Gleich gnadenloses Berufsverbot? Da klingt schon wieder das Mittelalter an, wie bei dem Pranger eben, interessant eigentlich. Krawatte abschneiden? Ach nee. Aber doch spannend genug, dass man überhaupt neue Gesetze braucht, um hier etwas zu regeln.
Im Blog “Neusprech” eine kurze Sprach-Analyse zum Ausdruck “geringfügig beschäftigt”. Wenn Sie da schon hinklicken – das Blog lohnt oft einen Blick.
Die FAZ berichtet ausführlich über die Machenschaften der “Libor Bande”, die über Jahre hinweg die Leitzinsen manipuliert hat. Das ist kompliziert und sagt einem vielleicht erst einmal wenig, wenn man von Banken und Bankgeschäften nicht viel versteht. Die Lektüre lohnt aber dennoch, etwa wenn man schon einmal paar Krimis gelesen hat oder sich für menschliche Abgründe interessiert. Oder für Gamification.
Anarcho-Unternehmen Deutsche Bahn? Wer hätte das gedacht? Ein lesenswertes Streitgespräch mit ziemlich ungewohnten Aspekten in der WiWo Green.
“Lobbyplag” – der Begriff ist neu und wird uns sicherlich noch reichlich beschäftigen. Bei Richard Gutjahr kann man nachlesen, worum es geht. Und dann wundert man sich vielleicht etwas weniger über seltsame Gesetzesvorhaben in der EU und im Land. Hier noch ein Interview im Tagesschaublog mit Gutjahr.
Und noch einmal Pelzig. Diesmal zum wichtigen Thema “Menschenrecht Wasser”. Bzw. was die EU damit so vorhat. Sehenswert wie auch der Monitor-Beitrag “Handelsware Wasser” aus dem Dezember. Und nicht zuletzt die Empfehlung, sich die ebenfalls verlinkte Petition durchzulesen und bei Gefallen und Zustimmung zu unterzeichnen. Das ist übrigens die erste erfolgreiche Bürgerinitiative auf EU-Ebene überhaupt, also die erste mit genug Unterschriften aus immerhin sieben Staaten.
Deutschland hat eine Autostadt, China hat demnächst eine tatsächlich komplett autofreie Stadt, die allerdings erst noch gebaut werden muss – aber das geht dort ja entschieden zackiger als nach den Maßstäben, die für deutsche Großprojekte zu gelten scheinen. Ein paar vertriebene Bauern stören da bekanntlich nicht weiter. Hier kann man Bilder sehen, was da geplant wird. Text englisch.
Das können wir uns schenken. Oder etwa nicht? In unserer Überflussgesellschaft ist das ein immer wiederkehrendes Problem. Dabei wäre die Lösung oft einfach. Auf dieser Seite wird vorgeschlagen, Zeit statt Zeugs zu schenken – wenn man bei den einzelnen Rubriken auf den Pfeil klickt, kommt man zu interessanten Zahlen.
Manomama ist in Blogkreisen bestens als Firma bekannt, die sehr viel anders macht als das Branchenumfeld. Hier gibt die Firma eine neue Kooperation bekannt.
Freunde von Science-Fiction dürften von dieser neuen Forschungsstation in der Antarktis begeistert sein – hat man so etwas nicht schon mal irgendwo ganz ähnlich gesehen? Im Kino vielleicht? Man sieht es den Bildern vielleicht nicht sofort an – aber das gibt es wirklich.
February 12, 2013
Business
Ein Update zu meinem letzten Business-Eintrag, ich möchte ab und zu erklären, was dieses Blog finanziell bringt. Ich nehme an, das ist für einige interessant, die auch bloggen, vielleicht aber auch für die, die hier einfach gerne lesen. Ich hatte den Plan, in diesem Jahr mit dem Blog mehr Geld zu verdienen – weil es mir Spaß macht und weil ich daher mehr schreiben möchte. Ich habe bekanntlich keinen Vollzeitjob im Büro und daher ganz banal die Wahl, ob ich mir dazu noch irgendwelche Projekte suche, die gut bezahlt, aber langweilig sind und sich nach Arbeit anfühlen – oder ob ich mit dem Schreiben hier zu etwas Geld komme und also mit Spaß etwas verdiene. Das Blog ist mir dabei natürlich viel lieber. Wobei das Blog in meinem Fall auch generell das Schreiben meint, denn in der Regel erscheinen meine verkauften Texte auch im Blog oder werden überhaupt nur wegen des Blogs gekauft – und unterscheiden sich vielleicht auch gar nicht so sehr von normalen Blogeinträgen.
Zunächst die Konstanten. Ich arbeite weiterhin, und zwar mit großer Begeisterung, mit den Flattr-Buttons. Es wird immer noch so sein, dass Flattr-Gelder direkt in Familienausflüge umgesetzt werden, auch wenn schon länger nichts mehr in dieser Richtung passiert ist, das liegt nur an der Jahreszeit und an akutem Zeitmangel. Flattr-Klicks freuen mich ganz besonders, selbst wenn ein Klick nur ein paar Cents ausmacht. Ich finde, das ist ein wenig so, als wäre man digitaler Straßenkünstler und jemand würde, nachdem er hier vorbeikam und ein wenig zugehört hat, beim Weggehen eine Münze in meinen Hut werfen. Das ist doch eine äußerst ehrbare Art, mit einem Text zu Geld zu kommen, ich verstehe gar nicht, wie man das nicht toll finden kann. Flattr ist daher für mich gleichzeitig technisch neu und inhaltlich ungeheuer altmodisch. Bei Buchbesprechungen setze ich außerdem weiterhin Partnerlinks zu Amazon.
Ich werde auch weiter mit dem Hamburg-Führer arbeiten, das habe ich hier bereits ausführlich beschrieben. Und ich schreibe auch noch wie gewohnt für die Lübecker Nachrichten und die Ostsee-Zeitung meine 14-tägige Sonntagskolumne.
Ab März schreibe ich dann wohl auch noch etwas für eine Werbeagentur, das ist ganz neu und dann die Ausnahme, die die Regel bestätigt, diese Texte werden nicht im Blog erscheinen, das würde allerdings auch nicht passen.
Ich habe außerdem lange über das Thema Werbung im Blog nachgedacht, ein wenig dazu stand bereits im letzten Business-Eintrag. Ich hatte versucht, mir jemanden zu suchen, der für mich die Akquise übernimmt, das hat nicht recht funktioniert (bei Interesse gerne weiterhin melden, das bleibt spannend). Ich finde verschiedene Ansätze für Werbung in Blogs richtig. Zum einen inhaltlich passende, die zum Blogthema oder zur Region passt. In der Region habe ich mit dem Hamburg-Führer tatsächlich einen Kunden gefunden und finde vermutlich auch noch weitere, ein Blogthema, das ich wirklich durchhalten würde, habe ich aber eigentlich gar nicht. Das ist eine ziemlich bunte Mischung hier, im Grunde geht es immer wieder um den Alltag, das ist kein gut verkaufbares Thema. Was wäre also noch Werbung, die mir recht sein kann? Vielleicht für Firmen, die mir wirklich sympathisch sind? Also etwa für Niederegger, die mit dem Grundnahrungsmittel für Lübecker wie mich. Oder für Gut Wulksfelde, den großen Biohof, der etliche Hamburger Blogger mit Gemüse versorgt. Oder für Roeckl, die mit den schönen Handschuhen. Oder für die Büchergilde Gutenberg, die wundervolle Bücher macht, und bei der ich seit vielen Jahren Mitglied bin. Oder für die GLS Bank, die in einem eher kruden Branchenumfeld versucht, ethisch korrekt zu handeln und anständige Geschäfte zu machen, und bei der ich Genosse bin. Da fällt einem schon etwas ein, jeder Mensch wird ein paar Firmen sympathisch finden und ich finde es für Blogger tatsächlich richtig, auf genau diesem Weg weiter zu denken.
Da fallen aber natürlich einige Firmen auch gleich wieder raus. Ich habe hier nun einmal kein modisches Umfeld für Roeckl, auch wenn die Herzdame noch so viele Produkte der Marke im Schrank hat, das hat also vermutlich überhaupt keinen Sinn.
Dieses Blog lesen ein paar tausend Menschen am Tag. Vergleichsweise viel für ein Autoren-Blog ohne Fachthema und klare Ausrichtung, vergleichsweise wenig im landesweiten Vergleich mit anderen Seiten. Überhaupt nichts, versteht sich, im Vergleich zu erfolgreichen amerikanischen Blogs oder zu deutschen News-Seiten. Welchen Preis ist das nun wert? Nach meinen Erfahrungen ist die Lage äußerst verquer. Blogger und Werbekunden nennen teils absurd geringe Preise für Banner, teils sagen Kunden aber auch bei eher hohen Werten sofort zu. Einen Preis, den ein funktionierender Markt erfolgreich geregelt hätte, scheint es für direkt akquirierte Werbung in Blogs noch gar nicht zu geben. Aber es gibt ja auch noch keine einheitliche Meinung, wie Blogs für Werbetreibende überhaupt zu gewichten sind. Nach Reichweite? Nach Relevanz? Nach dem Image der Seite? Wie genau? Muss man dabei eigentlich von Credibility und TKP faseln oder kann man noch normale Gespräche führen?
Wenn man als Blogger von einer Firma ein vergleichsweise hohes Honorar haben möchte, muss man im Moment entweder viel Reichweite, viel Relevanz oder etwas ganz anderes zu bieten haben. Ich habe also überlegt, was ich hier zu bieten habe, wem ich wohl Text oder auch andere Leistungen verkaufen kann. Andere Leistungen, wie etwa das Sammeln von Links oder Tweets, was ich seit einiger Zeit intensiv mache und was beim Publikum viel besser ankommt, als ich jemals gedacht hätte. Die Rubrik “Woanders” ist verblüffend beliebt und droht ständig eher zu groß als zu klein zu werden.
Ich habe ein wenig telefoniert und mit einem anderen Blogger gemeinsam herumgedacht, gepriesen sei das gepflegte Netzwerk. Und so entstand in erstaunlich kurzer Zeit eine Versuchsanordnung mit der GLS Bank. Auf den ersten Blick ist eine Bank als Partner für mich vielleicht absurd, auf den zweiten hoffentlich nicht. Die GLS Bank versucht tatsächlich, eine gute Bank zu sein, man kann das z. B. hier nachlesen. Sie investiert also z.B. nicht in Rüstung, Atomkraft etc., sie investiert stattdessen in Kindergärten und Umweltprojekte. Sie ist vollkommen transparent und hat letztes Jahr den Preis als nachhaltigstes Unternehmen Deutschlands gewonnen, das ist also ein Betrieb, der sich in mancher sozialer Hinsicht wirklich viel Mühe gibt.
Und das passt natürlich sehr gut zu mir, denn ich investiere mein Geld auch überhaupt nicht in Rüstung oder Atomkraft, sondern sehr stark in Kindergärten und mein Leben ist verblüffend transparent. Kleiner Scherz, das passt natürlich einfach deswegen zu mir, weil ich es gut und richtig finde. Ich mag es, wenn Firmen noch andere Ziele als den Profit haben, ich meine sogar, dass das so sein muss, auch wenn die Meinung nicht populär und zeitgemäß ist. Ich halte Profit für absurd überschätzt und langfristigere Ziele für genauso unterschätzt – ohne etwas gegen Profit zu haben, versteht sich. Das Thema ist kompliziert und ich weiß es zu schätzen, wenn sich eine Firma solchen Fragen stellt. Die GLS Bank wird den Bannerplatz oben rechts für ein paar Monate belegen. Da ich mich aber wohler fühle, wenn ich auch Arbeit verkaufe, wohl ein seltsames Erbe meiner protestantisch geprägten Herkunft, wird die Rubrik “Woanders” jetzt einen Ableger bekommen: “Woanders – der Wirtschaftsteil”. Jeden Donnerstag veröffentliche ich im GLS Blog und natürlich auch hier die aus meiner Sicht spannendsten, interessantesten, abwegigsten und lehrreichsten Links aus der Wirtschaft.
Was ich unter den Wirtschaftsnachrichten spannend finden werde, das sind ganz gewiss keine Börsenkurse der Großindustrie.. Das sind eher Meldungen dazu, wie Wirtschaft anders sein kann. Meldungen zu Unternehmen, die sich anders benehmen als der Markt es angeblich verlangt. Meldungen, die sich eher um kleine und kleinste Unternehmen und Branchen drehen, als um den Club aus dem DAX. Meldungen aus dem Bereich 2.0, Meldungen zu ethischen Fragen, zu Nachhaltigkeitsthemen. Sicher auch absurde Meldungen und seltsame Randerscheinungen mit Unterhaltungswert. Artikel zu der hochspannenden Frage, wie man richtig lebt und sein Geld richtig ausgibt, also zu den essentiellen Herausforderungen des Bionade-Biedermeiers. Oder zur Frage, ob das dann vielleicht doch alles wieder falsch ist, nur eben ganz anders und irgendwie auf höherer Ebene. Das wird also auch keine reine Leseliste für den mehr oder weniger ambitionierten oder auch völlig verbiesterten Gutmenschen sein, ich möchte der alten Weisheit “Es ist kompliziert” auch bei diesem Thema möglichst gerecht werden. Wenn sich Meldungen aus den Bereichen Umwelt, Politik, Gesellschaft dort hinein verirren – kann passieren.
Die Linksammlungen erscheinen hier als “In Kooperation mit”, werden aber keine Werbung für die GLS Bank beinhalten. Johannes Korten von der GLS Bank, einigen in Blogkreisen sicher als der von der Jazzlounge bekannt, wird sich am Sammeln beteiligen und wir werden versuchen, etwas hinzubekommen, das so unterhaltsam wie die ursprünglichen Ausgaben von “Woanders” ist, die übrigens schon immer einen guten Teil Wirtschaft enthalten haben und die dann wiederum mehr Platz für Kultur und das bieten, was in Zeitungen unter “Panorama” zu finden ist. Am Rest vom Blog ändert sich natürlich überhaupt nichts. Abgesehen davon, dass ich mehr Zeit für das Blog habe.
Mit dieser Kooperation sind natürlich etliche Arbeitsstunden verbunden, da das Erstellen der Rubrik “Woanders” wirklich viel Zeit kostet. Interessante Nachrichten melden sich nicht freiwillig bei mir, die muss ich schon finden. Ich habe mich dafür und für den Werbeplatz mit der Bank auf einen vierstelligen monatlichen Betrag geeinigt. Wir probieren einfach ein wenig herum, eine Mischung aus Werbung und Arbeit gegen Geld, zunächst drei Monate lang – und versuchen dabei, uns als Geschäftspartner anständig zu behandeln, auch noch Spaß zu haben und uns nicht zu verbiegen. Weil es geht.
Die erste Ausgabe von “Woanders – der Wirtschaftsteil” erscheint morgen.
Meinem Vorsatz, mehr Zeit zum Schreiben zu haben, werde ich damit tatsächlich zumindest im ersten Quartal gerecht. Wahrscheinlich fällt mir also ab morgen Abend nichts mehr ein, was ich bloggen könnte. Spannend!

February 11, 2013
Karneval (1)
Als ausgewachsener Hanseat hat man natürlich mit Karneval nichts zu tun, rein gar nichts, das liegt uns ganz fern. Man feiert das wohl im Kleinkindalter im Kindergarten, vielleicht auch noch in der Grundschule, aber mit etwa zehn Jahren wird das dann schlagartig uncool und man hat mit dem Thema garantiert lebenslang nie wieder etwas zu tun und ignoriert so vor sich hin. Nicht feindselig, wir sind hier ja tolerant, aber doch entschieden desinteressiert. Karneval ist irgendwo da draußen.
Es sei denn, man hat selbst Kinder. Deswegen war ich heute nachmittag mit einem kleinen Königstiger unterwegs zum Kinderarzt. Mit einem Königstiger, der die Party in der Kita gerade noch geschafft hatte, danach aber kurz mal wegen einer Lappalie einem Arzt gezeigt werden musste. Sohn II, der da im Königstigerkostüm gefährlich gewandet und wild geschminkt neben mir hertrottete, fauchte ab und zu Passanten an, war ansonsten aber eine mustergültig gezähmte Raubkatze. Wir gingen zum Bahnhof, hinunter zur U-Bahn. Anscheinend hatten alle Teilzeitangestellten in der Hamburger Innenstadt gerade gleichzeitig Feierabend gemacht und strebten kollektiv dem frühen Feierabend entgegen, die Bahn war rappelvoll, an einen Sitzplatz war überhaupt nicht zu denken. Mensch an Mensch, Schulter an Schulter. Oder, aus der Sicht von Sohn II: Knie an Knie. Normalerweise hätte ich ihn auf den Arm genommen, allerdings standen wir so verkeilt, dass ich mir erst Platz hätte freiboxen müssen, um ihn überhaupt hochstemmen zu können. Ich weiß nicht, wie viele Menschen in so einen U-Bahnwagen passen, hundert? Noch mehr? Wohl eher noch mehr. Über hundert Menschen, die schweigend und muffelig stadtauswärts fuhren, auf ihre Handys starrten oder angestrengt an den anderen vorbei, ins Leere. Schlecht gelauntes Schweigen im Waggon, jeder nahm den anderen übel neben ihm zu stehen, auch da zu sein, so entsetzlich nervtötend präsent zu sein. Keiner sprach, man hörte nur den Lärm der Bahn und eine leise, komplett unverständliche und verraschelte Durchsage durch die Lautsprecher.
Und man hörte nach ein paar Minuten eine sehr gut verständliche, deutlich gebrüllte Ansage vom komplett unsichtbaren Sohn II, der von ganz unten durch die Menge rief: “KEINE ANGST! ICH FRESSE KEINE ERWACHSENEN!”

February 10, 2013
Woanders – diesmal mit Ballast, einer Favela, Studenten in München und anderem
Im Blog Alltagsforschung eine faszinierende Meldung über Ballast auf den Schultern und auf der Seele, und was das eine mit dem anderen zu tun hat. Und man sieht Heerscharen von Esoterikern langsam, ganz langsam eine Braue heben und man hört sie leise fragen: “What else is new?”
Ein Bericht über ehrenamtliche Arbeit in einer Favela. Ja, klingt eher trocken und nicht so spannend. Und dann sitzt man da und hat am Ende eventuell eine Träne im Auge. In dem Blog ruhig weiter zurücklesen, Entdeckung der Woche.
Die Kaltmamsell beobachtet ausgeflogene Kinder in München.
Das Nuf trinkt Kaffee im Zug. Eigentlich eine leichte Übung.
In der taz ein Artikel über eine sehr spezielle Bibliothek. Es lohnt sich, sich das etwas genauer vorzustellen, was da beschrieben wird.
Immer grandios ist die Reihe “Daily life” – von The big picture. Ganz besondere Bilder.
Noch einmal Bilder: Die Shortlist des Sony World Photography Award.
Hier die Mütze der Saison, wenn Sie mich fragen. Ich bin in Versuchung. Seriös und doch originell – und auch bei eher großen Ohren kleidsam. Quais für mich gemacht.
Der Hamburger Fotograf Stefan Groenveld war auf einem Seminar zum multimedialen Storytelling. Dabei entstand als Teamwork mit anderen Teilnehmern ein sehenswerter Film über einen jungen St. Pauli-Fan. Ich mag diese Form der Erzählung sehr, so etwas kann ich mir stundenlang ansehen. Wer so etwas auch mag, kann ja einmal bei 2470media vorbeisehen, die produzieren z.B. die wunderbare Filmreihe mit den Berlinporträts für die taz.
Ein langer Artikel (englisch) über das Fliegen mit Kleinkindern und warum man hinterher mehr Urlaub braucht, als einem je im Leben zustehen wird. Es ist alles, alles wahr, ich habe da einschlägige Erfahrungen.
Extramittel über Karneval und Toleranz.
Ein kurzer Film (englisch) über ein israelisch-arabisches Orchester, das überall auf der Welt auftritt, nur nicht in der Heimat. Aus Gründen, wie man das wohl nennt.
Oliver Driesen kauft Wasser.
Wie Christian Fischer einmal Karneval mit einer richtigen Krachertruppe gefeiert hat.
Keine Woche, na gut, fast keine Woche, ohne eine Meldung aus dem Bereich der Statistik, diesmal geht es um die aktuelle Grippewelle. Ist es eine Welle, ist es eine Monsterwelle oder doch nur eine ganz normale Häufung, ganz gewöhnlich für die Jahreszeit? Hier die Zahlen dazu. Und eine sinnvolle Empfehlung. Ich mach dann mal einen Termin.
Ina Marinescu über die Türkei, die türkische Sprache und Reisen in die Türkei. So muss das wohl sein, mit der Reiselust, ich kenne das ja nur aus der Theorie.
Und zum Schluß wie immer das beste Essen der letzten sieben Tage: Rindfleischsuppe mit Graupen. Ungefähr so. Lustigerweise schütteln sich viele Menschen schon bei dem Wort Graupen. Dabei schmecken die nach gar nix, die machen nur satt. Das aber zuverlässig.

Februar
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