Maximilian Buddenbohm's Blog, page 385
March 31, 2013
Gelege
March 30, 2013
Osterfeuer im Heimatdorf
Wie die Stammleser bereits wissen, gehört das Osterfeuer im Heimatdorf zu den heiligen Traditionen der Familie, ein Jahreskreis ohne Osterfeuer ist geradezu unvorstellbar. Die Söhne kennen Ostern gar nicht ohne das Osterfeuer hier. Ob sie dort im T-Shirt neben den Dorfkindern stehen oder im Schneeanzug, ob dort wirklich Stimmung aufkommt oder alle nur gelangweilt herumhängen, ganz egal, man muss dabei gewesen sein. Die Freiwillige Feuerwehr fängt schon am Morgen an, den großen Haufen aus Reisig, Büschen und Brettern aufzuschichten, der Bierwagen wird schon am Vormittag in Position gebracht, “Barre Bräu Dein Herz erfreu”. Der Wurstwagen kommt bestimmt auch demnächst. Die Frauen der Feuerwehrmänner schleppen die überdimensionierten Thermoskannen für den Schwatten zum Feuerwehrgerätehaus, natürlich gibt es auch in diesem Jahr wieder das lokale Traditionsgetränk, lauwarmen Kaffee mit Zucker und Korn. Man muss hier geboren sein, um es wirklich zu mögen, und das bin ich bekanntlich nicht. Egal, man muss eben ab und zu etwas leisten, wenn man sich an die Lebensumstände der Nordostwestfalen zumindest ein wenig anpassen möchte.
Auf den Äckern taut jetzt der Schnee, etliche Raubvögel kreisen über den Furchen und warten, was da hervorkommt. Kleine Starenschwärme schwirren in schwarzen Wölkchen über die Wege. Die Sonne kommt manchmal etwas durch, die Leute bleiben stehen und halten dankbar die Gesichter zum Himmel. Plusgrade, dann doch, man wird ja bescheiden. Wenn man die Forsythien ganz genau ansieht, dann erkennt man kleine gelbe Stellen, womöglich werden sie auch in diesem Jahr noch Blüten tragen.
Sohn II fegt den Schnee der letzten Nacht mit einem Besen vom Auto und übt dabei Weihnachtslieder, denn morgen kommt der Weihnachtsmann. Also eigentlich kommt natürlich der Osterhase, aber er hält angesichts des Wetters auch das Auftauchen des Weihnachtsmannes für wahrscheinlich und da ist es vielleicht sinnvoll, ein passendes Lied singen zu können. Ein kluges Kind, keine Frage.
Klug auch Sohn I, der in diesem Jahr verstanden hat, dass die Feuerwehr das Osterfeuer hier ausrichtet und diese Situation so treffend kommentiert, dass dem nichts mehr hinzuzufügen ist:
“Das ist natürlich schlau, dass die Feuerwehr das Osterfeuer macht, denn wenn sie es selbst anzündet, dann ist sie ja auch wirklich schnell da, wenn es brennt.”
Frohe Ostern allerseits.

March 29, 2013
Gelesen im März
Da wird in den letzten paaar Tagen sicher nichts mehr dazukommen, zu viele der Bücher sind noch gar nicht durchgelesen, da kann ich die sehr winterliche Liste ruhig jetzt schon vermelden.
Robert Louis Stevenson: “Der Master von Ballantrea – eine Wintergeschichte.” Neu übersetzt von Melanie Walz. Ach, was schön. Was wunderschön. Aus heutiger Sicht ein Abenteuerbuch, aber erster Klasse. Im Grunde müßte man es an einem Kamin lesen, mit einem leise schnarchenden Jagdhund daneben und ein paar Geweihen an der Wand, aber na gut. Man muss auch mit suboptimalen Lösungen wie etwa einer Zentralheizung zurechtkommen können. Eine Heizung braucht man allerdings, in der Szenerie ist es kalt. Aber noch einmal: was ein schönes Buch. Große Charaktere, schwere Schicksale, beredte Rahmenerzähler mit kratzender Feder bei Kerzenlicht. Ganz große Literatur, ganz müheloses Lesen. Hervorragende Winterlektüre, das passt also vermutlich noch wochenlang.
Jonathan Franzen: “Weiter Weg – Essays”, diverse Übersetzer. Ich glaube, ich verstehe ihn einfach nicht. Der Mann ist außerdem ein wenig arrogant, ist er nicht? Oder bin ich überempfindlich? Wieder weggelegt. Aber vielen Dank an Pia Ziefle für die überaus freundliche Zusendung jedenfalls! Eine Revanche ist postalisch unterwegs und ich bin sehr gespannt auf ihre Meinung dazu.
Luigi Pirandello: “Sechs Personen suchen einen Autor”. Also das geht nun einfach überhaupt nicht, wirklich völlig unlesbar, was für ein Desaster. Allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern nur weil meine Arme dafür schlicht nicht lang genug sind. Reclam-Heftchen ohne Lesebrille sind dann doch zu anstrengend geworden. Demnächst mal beim Optiker vorbeigehen! Das Buch würde mich dann schon noch interessieren.
Gerhard Henschel: Jugendroman. Die Fortsetzung vom Kindheitsroman und ich bin immer noch begeistert. Grandios, wie aus der bruchstückhaften Kleinkindperspektive des ersten Bandes langsam eine andere Darstellung erwächst, wie das Bild immer schneller, in immer flotteren Strichen weiter gemalt wird. Ich glaube tatsächlich, näher sind mir die westdeutschen 70er Jahre literarisch noch nie gekommen. Keine Ahnung, ob man vielleicht dabei gewesen sein muss, um es so zu verstehen, das ist mir auch egal. Wie diese Familienbeziehungen mit jedem Kapitel deutlicher hervortreten, wie die Gesellschaft immer mehr wahrgenommen wird und immer deutlicher Geschichte stattfindet, das ist schon sehr überzeugend.
Gerhard Henschel: Liebesroman. Die Fortsetzung vom Jugendroman. In diesem Band ist man dann endgültig nicht nur bei der Liebe, sondern auch bei der Politik und Kultur angekommen. Der Heranwachsende interessiert sich für vieles, was unerreichbar ist und findet, man erkennt sich da sofort wieder, alles – aber auch wirklich alles – langweilig, was für ihn erreichbar ist. Und zwar entsetzlich langweilig. Das vergisst man leicht, als Erwachsener, diese endlose, unfassbare Langeweile der pubertären Zeiten, in denen alles doof war, farblos, grau, zäh und bleiern, wir reden hier, versteht sich, über Zeiten ohne Internet, womöglich ist das heute anders. Wir hatten ja nix! Das Kaff, in dem man wohnte, die blöde Sippe, in die man hineingeboren wurde, die dämlichen Nachbarn, die nervtötenden Mitschüler, das maue Fernsehprogramm, das Gesabbel im Radio, Himmel, wie grauenvoll war das. Diese sehr spezielle Art der schlechtgelaunten Langeweile der Adoleszenz unterhaltsam zu schildern, das ist auch eine Leistung. Und was für eine. Natürlich ist es aber auch faszinierend für Menschen, die in etwa zur Generation des Autors gehören, dieses Hineinwachsen in die Gesellschaft noch einmal nachzulesen. Wie man damals ganz allmählich mitbekam, wie die Politik lief. Die mordende RAF, der pöbelnde Franz-Josef Strauß, der grantelnde Wehner, endlos verhandelnde Gewerkschaftsbosse, unfassbar öde Tagesschaubeiträge über irgendwas in Bonn. Verbiesterte Altnazis in allen Positionen, junge Langhaarige dagegen, das klingt schon so, als wäre es im Geschichtsbuch irgendwo ganz hinten, dabei war es doch gerade erst gestern. Konkret und die National-Zeitung fast nebeneinander am Kiosk. Ich kann das nicht ohne Nostalgie lesen, selbstverständlich war ich damals auch links, was sonst, da ähneln sich die Erfahrungen schon sehr. Die geschilderten Wahlplakate habe ich noch vor Augen, die haben meine Eltern damals sogar aufgehängt, der Vater die CDU-Variante, die Mutter die SPD. Abgesehen von der literarischen Glanzleistung sind die Bände auch als Geschichtsunterricht allemal auch eine Empfehlung wert, und zwar eine dringende.
Gerhard Henschel: Abenteuerroman. Die Fortsetzung vom Liebesroman und der letzte Band der Reihe. Die Hauptfigur zieht nach dem Abitur in die Welt, ähnlich planlos wie ich damals. Der Roman läßt einen mit dem großen Problem zurück, dass es noch keinen fünften Band der Reihe gibt. Verdammte Sauerei.
Alan Bennett: Schweinkram – zwei unziemliche Geschichten. Deutsch von Ingo Herzke: Entzückend. Nein, eigentlich müsste man sagen: fein. Ein durch und durch feines Buch. Und wenn der Herr Bennett ein Schwein ist, dann ein betont feines Schwein. Und der Herr Herzke, der übersetzt bekanntermaßen ganz großartig. Mit großem Vergnügen gelesen. Dazu hat auch Isa was geschrieben, by the way. Und wer Freude am Gebrauch des aussterbenden Semikolons hat, der hat in diesem Buch ein Reservat zu entdecken, in dem es der Gattung noch verblüffend gut geht; man könnte fast eine Auswilderung in Angriff nehmen.
Kim Leine: Die Untreue der Grönländer. Deutsch von Ursel Allenstein, eine preisgekrönte Übersetzung: Eigentlich nur aus Trotz angefangen, weil der Titel so gut zum Hamburger Frühling passt, dann aber auch gleich sehr angetan gewesen. Ein ruppiges Buch mit ziemlich direkten Geschichten. Das rempelt einen gleich an und geht dann gut und laut weiter. Hartes Leben, harter Stoff, harterHumor. Es lebt, liebt und stirbt sich darin wie nebenbei, saukalt ist es natürlich auch und wer skandinavischen Film mag, der wird auch dieses Buch lieben. Also ich zum Beispiel.
Lew Tolstoj: Kreutzersonate. Deutsch von Arthur Luther. Bisher habe ich nur die ersten paar Seiten gelesen, auch dieses Buch wurde quasi aus meteorologischen Gründen beleidigt aufgeschlagen. Les ich eben Winter weiter, wenn es keinen Frühling gibt. Mir doch egal! Nach den ersten Seiten zu urteilen werden die Figuren interessant, auf die philosophischen und sozialen Erörterungen könnte ich gerne verzichten. Aber eine schöne Rahmenhandlung – und ich mag Rahmenhandlungen, um einmal eine klare Minderheitenmeinung zu vertreten.
Eduard von Keyserling: Abendliche Häuser. Ich schätze ihn ja sehr, den Herrn von Keyserling, und ich lese immer wieder in seine Bücher hinein. Es macht ruhige Gedanken, manierlichen Stil und durchdachte Wortwahl, so etwas zu lesen, das ist einer der Autoren, bei denen ich tatsächlich immer ein wenig hoffe, dass etwas von seinem Schreiben auf mich abfärbt. Und das tut man ja nicht gerade bei jedem Schriftsteller. Die Sujetwahl natürlich vollkommen veraltet, deutschsprachiger baltischer Adel, das ist ein Weilchen her. Unwirklich und weit weg, wie griechische Tragödien. Menschen, die sozial ganz weit oben stehen und dabei völlig unfähig zu irgendeinem Glück sind. Aber so plastisch beschrieben, dieses ausgestorbene Milieu, als könne man hineinsteigen, als führe man nachher, in der Dämmerung, zur Baronesse hinüber zum Tee. Wenn denn die Wege nur gut genug für die Pferdeschlitten sind, man weiß es nicht, in diesen ungewissen Zeiten, es soll ja auch Frühling werden, irgendwann. Aber solange es schneit, lese ich noch ein wenig weiter. “Auf Schloß Paduren war es recht still geworden, seit so viel Unglück dort eingekehrt war. Das große braune Haus mit seinem schweren, wunderlich geschweiften Dach stand schweigsam und ein wenig mißmutig zwischen den entlaubten Kastanienmbäumen. Wie dicke Falten ein altes Gesicht durchschnitten die großen Halbsäulen die braune Fassade. Auf der großen Freitreppe lag ein schwarzer Setter, streckte alle vier von sich und versuchte sich in der Novembersonne zu wärmen.”

March 27, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Der Begriff “nachhaltig”, der ist, was meinen Sie wohl, wie viele Jahre alt? Fünfzig? Hundert? Nein, er ist noch viel älter. Dreihundert Jahre! Geprägt vom sächsischen Förster Hans Carl von Carlowitz im Jahr 1713, da darf man ruhig etwas staunen. Im Deutschlandradio Kultur erschien zum Begriffsgeburtstag ein Interview mit einem Experten.
Armut in Deutschland, da gab es doch neulich gerade erst Streit um die Definition? Hans-Ulrich Wehler hat ein Buch über soziale Ungleichheit in Deutschland geschrieben, in der FR kann man dazu ein Interview mit ihm nachlesen, es enthält ein paar interessante Kennzahlen. Und es liest sich gar nicht so, als sei es vor Drucklegung von der Bundesregierung überarbeitet worden.
Das Reisen mit der Bahn ist sehr umweltfreundlich, gar keine Frage. Allerdings sind Bahnfahrten mit erheblichen Belastungen verbunden, Mitreisende genannt, die ein enormes Risiko für die Nerven darstellen. Nico Lumma hat da einmal einen sinnvollen Vorschlag, wie Bahnreisen wesentlich attraktiver werden können.
In der Zeit geht es um den Gender Pay Gap oder, wenn das zu modern klingt, um die immer wiederkehrende Frage, warum Frauen schlechter bezahlt werden als Männer. Siehe dazu auch bei kleinerdrei.org. Und wenn jemand an der Gehaltslücke dann doch noch irgendwelche Zweifel hat – die können hier ganz elegant durch Fakten aufgelöst werden.
Wenn der Chef am Jahresende eine schwarze Null ganz zufrieden für ein gutes Ergebnis hält, dann ist man wohl in der Kulturbranche, etwa bei einem Verlag. Der Chef des Verlags Matthes & Seitz ist promovierter Philosoph und gelernter Buchhalter – welches Programm kommt dabei wohl heraus? Das kann man hier in der NZZ nachlesen.
Von der Buchbranche ist es nicht weit zu den Medien und für die Menschen dort gibt es vom Berufsverband Freischreiber ein neues Blog, in dem man nachlesen kann, was freie Journalisten verdienen. Mit teils erschütternden Beispielen.
Und wenn man in diesem Freischreiberblog genug kleine Zahlen gelesen hat, kann man hier zur Abwechslung ein paar große Summen sehen – die teuersten Apps für Smartphones. Darunter sogar sinnvolle! Man staunt.
Im Frühjahr 2013 wird es anscheinend keine Gentechnikfreilandversuche in Deutschland geben. Dafür hat man allerdings bei den Anläufen zur Gentechnik in der Landwirtschaft ganz ordentlich Geld versenkt. Von wegen blühende Landschaften und so.
In der letzten Woche hatten wir einen Zeit-Artikel verlinkt, in dem es um die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums ging. Mittlerweile gibt es eine Replik auf diesen Artikel. Man liest das – und man möchte sofort in irgendeiner hübschen kleinen Uni in einer attraktiven Stadt Professor sein, finanziell gut versorgt und saturiert, und man möchte diese beiden Zeitungsartikel vielfach fotokopiert an engagierte jungen Menschen austeilen und nur kurz anmerken “Diskutieren Sie” – und sich dann zurücklehnen und genußvoll zuhören und hoffen, dass der akademische Nachwuchs mit Anlauf in die richtigen Schwachstellen des zweiten Textes grätscht. Oder doch des ersten? Ein wunderbares Thema.
Und falls Sie sich in dieser Woche wieder über Ihren dummen Chef geärgert haben, über Ihre geistig begrenzten Kollegen oder Ihre überforderten Lehrer, lesen Sie doch einmal die aktuelle Kolumne von Gunter Dueck nach. Da ist für viele etwas dabei, die morgens monströs schlecht gelaunt zur Arbeit fahren. Und das ist ja die eindeutige Mehrheit, wie ein kurzer Blick in einen völlig beliebigen Bus an einem Werktag um 07:30 beweist.
Und dann hätten wir da noch einen vertikalen Wald, denn ohne Architektur sind wir hier ja nicht vollständig. Ist das hier nicht wunderschön? Doch. Aber sowas von.
J.
Ich habe vor Monaten einmal über meine Freundin J. geschrieben, einige erinnern sich vielleicht, die Offline-Freundin. Das war dieser Text hier.
Mein letztes Buch hat sie im Winter erst gelesen, wir hatten uns vorher ziemlich lange nicht gesehen, sie war auf Reisen. Sie hat es dann vielfach zu Weihnachten verschenkt und war sehr begeistert davon. Sie konnte sich wie kein zweiter Mensch für etwas begeistern, auf eine äußerst eigensinnige Art, vollkommen unbeeindruckt von all den anderen Meinungen in der Welt. Wenn sie etwas toll fand, dann war es über jeden Zweifel erhaben. Sie hat gesagt, ich müsse unbedingt mehr schreiben, viel mehr, vor allem mehr Bücher, und ich hab “ja, ja” gesagt. Was man eben so sagt, wenn man nicht recht überzeugt ist. Jedesmal, wenn wir uns trafen, fragte sie, warum ich nicht mehr schreiben würde. Sie hat nie verstanden, dass ich neben dem Schreiben auch noch andere Dinge für Geld tue, das hätte sie selbst nie getan. Sie hat dann die Kinder als Entschuldigung dafür akzeptiert, aber nur widerstrebend. Warum machen alle Leute immer Sachen, die sie gar nicht wollen? Sie hat sich dieser Mehrheitsfraktion nie angeschlossen. Sie hat immer radikal und kompromisslos ihr Ding gemacht, glühend und leidenschaftlich und völlig vernagelt und immer in irgendwas verliebt und verrannt und verloren. Was für ein Charakter.
Ihre Freundschaft war immer mehr als nette Anteilnahme am anderen, sie war ein wirklich intensiver Mensch. Wenn man sie traf, dann wusste man gleich, die ist seltsam, die ist nicht wie andere, die ist nicht irgendwer. Ich habe andere Freunde, die sie nur vor zehn oder noch mehr Jahren ganz kurz gesehen haben, die wissen bis heute ganz genau, wer das war. Wenn sie jemanden mochte, dann war ihre Begeisterung, als würde einem ein ganzes Stadion zujubeln, und Ihre Freundschaft war, ach, das kann man gar nicht sagen. So viel. Was hatte ich Glück.
Heute haben wir sie beerdigt, sie wurde nur 43 Jahre alt. Von ihrem Tod habe ich erst durch einen Brief erfahren, natürlich, wie hätte es auch anders sein können. So ein Brief mit schwarzem Rand, den man aus dem Kasten holt und dann starr stehen bleibt, minutenlang. Den man dann aufmacht und in dem man liest, was man ohnehin schon verstanden hat und den man dann lange, lange ansieht. Immer wieder.
Ich hoffe, ich kann mir ihre Begeisterung noch lange vorstellen. Ich habe manchmal Geschichten geschrieben und zwischendurch gedacht, das hier, das wird sie bestimmt gut finden, und dann konnte ich beim Schreiben schon lachen, weil ich mir ihr Gesicht vorgestellt habe und ihren Blick und ihre Hand auf meinem Arm.
Ach.
Ach.
Ich muss mir das weiter vorstellen. Und mehr schreiben. Vielleicht hilft es und es hätte ihr sicher gefallen und doch, das kann sehr motivierend sein, so eine Vorstellung. Fast wie eine Hand auf dem Arm. Und nach Beerdigungen soll es ja gut sein, etwas zu tun zu haben. Und einen Schnaps.
Prost. To absent friends.
March 26, 2013
Integration für Anfänger
Als ich die Söhne heute zur Kita brachte, habe ich noch ein wenig bei ihnen im Spielraum gesessen, weil ich viel zu früh war und die Erzieherinnen der Gruppe noch etwas zu besprechen hatten. Ein neues Kind, das gerade erst nach Deutschland gekommen und auch erst seit gestern in der Kita ist, kam zu uns und sprach uns an. Ein sehr gut gelaunter Junge war das, ausgesprochen munter, offensichtlich fand er die aberwitzige Fremdheit der Umgebung gar nicht einschüchternd, sondern eher amüsant. Ein Junge aus dem portugiesischen Sprachraum, aus Brasilien vielleicht. Er redete auf uns ein, ein melodiöser portugiesischer Wortschwall, von dem wir kein Wort verstanden. Dann sah er uns erwartungsvoll an, kichernd und glucksend. Wir schüttelten die Köpfe. Er redete weiter und weiter, ab und zu machte er Pausen, um uns die Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen, aber wir verstanden natürlich weiterhin gar nichts.
Dann erklärte ihm Sohn II, dass wir nichts verstehen würden und Sohn I sagte, dass sich das ein wenig wie Portugiesisch anhöre, was er da redete, und dass es noch einen anderen Portugiesen in der Kita gebe. Natürlich verstand der Junge auch das nicht. Die drei Jungs redeten durcheinander, Sinn ergab das alles nicht. Weitere Kinder kamen dazu, das Sprachgewirr wurde noch ein wenig bunter, polnischer Akzent, spanischer Akzent, der andere Portugiese war allerdings noch nicht dabei. Dann sagte der Junge einzelne Wörter, er nahm einen Stuhl hoch und sagte das portugiesische Wort dafür. Und Sohn I sagte Stuhl auf Deutsch und dann schüttelten beide den Kopf, denn das passte nun wirklich überhaupt nicht zusammen. Sie versuchten, sich die Wörter nachzusprechen, was große Heiterkeit bei den Umstehenden auslöste. Dann klopfte der Junge auf den Tisch, auf den Boden und an die Tür, er sagte die Vokabeln dazu in seiner Sprache ganz langsam und Sohn I antwortete ebenso langsam auf Deutsch und es klang alles sehr, sehr verschieden.
Schließlich hatte der Junge eine Idee, er kramte in seinen Sachen und holte eine Kinderzahnbürste aus den Tiefen seines Rucksacks. Er hielt sie strahlend hoch, zeigte auf das Bildchen darauf und sagte: “Spongebob!” Und die Söhne sagten sehr angetan auch “Spongebob!” und die anderen Kinder riefen ebenfalls “Spongebob, Spongebob!” Der Portugiese sagte das Wort durchgehend stimmhaft, wie es auch ein Franzose aussprechen würde, es war ein ganz weiches Wort, und die deutschen Kinder sagten es zischend und hart, Sssspontschbop, es klang etwas anders, aber es war doch ganz nah dran. Spongebob war eben Spongebob, da waren sich alle einig. Und Spongebob ist natürlich super. Sohn I sagte “Zahnbürste” und der neue Junge sagte feierlich “Sanbusde” und dann musste ich los.
Positiv auf den anderen zugehen, Gemeinsamkeiten suchen und beachten, ein wenig Geduld. Ist eigentlich ganz leicht. “Babyeierleicht”, wie die Kitakinder in solchen Fällen gerne sagen. Ein wichtiges Wort in ihrem Sprachgebrauch, das der neue Junge vermutlich schon in wenigen Tagen oder Wochen kennen wird. Ein Wort randvoll mit Vokalen, das können Portugiesen gut.

March 25, 2013
Zwischendurch…
… ein herzlicher Dank an die Leserin Astrid K. aus K. für die großzügige Geschenksendung an die Söhne!
March 24, 2013
Woanders – diesmal mit Paris, Pornografie, Grünzeug und anderem
Geschichten, die es nicht geben dürfte. Das hat zwar schon jeder verlinkt, aber das muss auch so sein. Weil es nicht zu fassen ist, das es so etwas gibt.
Und das ist natürlich nicht das einzige unfassbare Thema, nein, nein.
Und wenn man von unfassbaren Themen spricht, dann müsste eine Stimme im Kopf eigentlich fortwährend “Ungarn! Ungarn!” murmeln, nicht wahr?
Jetzt etwas besinnlicher weiter. Peter Praschl über Sommerwochen mit Kind in Paris.
Isabel Bogdan interviewt die Lyrikerin Nora Gomringer und das ergibt ein großartiges Gespräch. Und das hätte fast auch in den Wirtschaftsteil gepasst, denn es geht u.a auch um Geld.
Die Lieblingskinderbücher vom Kind 2.0 vom Nuf.
Die echten Menschen und das Internet. Noch einmal das Nuf, schön, wahr und gut.
In der Zeit gibt es ein Interview mit dem Jean-Paul-Biografen Helmut Pfotenhauer. Wenn man sich nur für das Schreiben interessiert, nicht aber für Jean Paul – die Lektüre ist immer noch ein großer Gewinn. Jean Paul gehört zu den wenigen deutschen klassischen Autoren, die mir überhaupt nichts sagen, aber ich versuche es immer wieder. Vielleicht passt es ja irgendwann. Siehe auch Hölderlin. Alles hat seine Zeit, hat es nicht? Demnächst mal wieder reinlesen.
Eine Bilderreihe zur Kunst des Heilens. Schon das erste Bild ist den Klick wert.
Noch eine Bilderreihe, sogar von ganz besonderer Schönheit: Alte Menschen, die Grünzeug tragen.
Und die letzte Bilderreihe, zu Großeltern. Nein, hier kommt doch noch eine, zu Spielzeug.
Ich ziehe übrigens ernsthaft in Erwägung, einen etwas kindischen Humor zu haben. Oder warum gefällt mir so etwas sonst? Oh, das waren ja schon wieder Bilder. Und warum klicke ich eigentlich voller Interesse vollkommen sinnlose Seiten an, die hier jemand freundlich zusammengestellt hat?
“Das normale Leben wird viel zu selten weiterempfohlen.” Der Satz der Woche findet sich diesmal bei Patsy Jones.
Der Hausdrachen kauft ein Geschenk für den Mann. Ich habe von meiner Schwiegermutter tatsächlich einmal Schnaps, Socken und Schinken zu Weihnachten bekommen, und das war eines der sinnvollsten Weihnachtspakete meines Lebens. Und für so etwas muss man erst in nordostwestfälische Familien einheiraten. Schlimm.
Die liebe Nessy und der Geißenpeter. So romantisch!
Der Wader unser erhielt gerade den Echo für sein Lebenswerk, in der Zeit ist in diesem Zusammenhang ein schönes, ein sehr schönes Porträt erschienen. Hannes Wader übrigens demnächst live in Hamburg, in der Fabrik. Ich glaube, da gehe ich hin.
Das beste Essen der letzten sieben Tage war ordinärer Milchreis, da braucht es keinen Link.Selbstgekochter, versteht sich, sogar von der Herzdame. Und ich werde die Firma Müller ewig dafür hassen, dass ich das Wort Milchreis nicht mehr denken kann, ohne diesen saudämlichen Ohrwurm aus der früheren Fernsehwerbung im Ohr zu haben. Der Jingle erreicht auf der nach oben offenen Carglass-Skala einen wirklich immens hohen Wert. Davon abgesehen ist Milchreis aber super. Mit Zimt und Zucker. Alle andere Varianten sind leider ungültig. Wie Sohn I sagen würde: “Das ist so.”

March 23, 2013
Spätere Heirat nicht ausgeschlossen
Sohn I ist verliebt. So verliebt, wie man mit 5 Jahren nur sein kann, und das ist gar nicht wenig. Er beurteilt die Kindergartentage nach der Anwesenheit der Angebeteten, er spricht viel von ihr, er vermisst sie heftig, wenn sie sich rar macht. Er zieht neuerdings sogar ernsthaft in Erwägung, sie später zu heiraten. Heiraten ist schön, da kann man nämlich eine richtig große Party geben, mit allen Freunden, und dabei sehr laut genau die Musik hören, die einem gefällt. Und zwar so lange man möchte, sogar nachts! Das ist ja nun wirklich eine reizvolle Vorstellung. Da kann man dann auch in Kauf nehmen, dass sich der Rest des Tages nur um das Kleid der Braut zu drehen scheint, was er nicht so richtig spannend findet. Aber nach dem Heiraten, da könnte man dann immer zusammen sein, richtig für immer, das Konzept hat er so weit verstanden. Und das lockt tatsächlich. Man würde zusammen leben, vielleicht sogar Kinder kriegen, warum auch nicht. Dann könnte man Vater-Mutter-Kind spielen, sogar jahrelang. Er könnte ja Papa spielen, sagt er, und seine Frau könnte Mama spielen. Und man brauchte nicht einmal Puppen dafür, wenn man dann echte Kinder hätte, sehr praktisch. Im Grunde ist die Zukunft rosig.
Die Sache hat nur einen Haken. Er kann dem Mädchen nicht sagen, dass er sie liebt. All die schönen Zukunftsträume, er kann sie nicht zu zweit träumen. D.h. er könnte schon, theoretisch. Denn das Mädchen scheint ihn auch toll zu finden, das ist nicht zu übersehen. Aber dennoch, die Liebe zu gestehen, das geht beim besten Willen nicht, das muss man verstehen. Denn dann würde sie ihn womöglich küssen wollen, wie eklig ist das denn bitte. Schon von dem Gedanken wird ihm ganz anders. Heirat, Kinder, Zukunft, alles gerne, alles am besten gleich – aber Küssen, nein, also wirklich.
Wir wollen nicht übertreiben.
(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Last order
Hamburgnahe Menschen wollen bei der Wochenendeplanung vielleicht diese Lesung mit mir bedenken – morgen nachmittag in Hamburg-Hamm. Es ist rattenkalt draußen, da kann man lieber reingehen und sich etwas vorlesen lassen, nicht wahr.
Lassen Sie sich von der Sonne draußen nicht täuschen oder zu Spaziergängen verführen, das ist gar nicht die echte Sonne, die wärmt gar nicht.
Maximilian Buddenbohm's Blog
- Maximilian Buddenbohm's profile
- 2 followers
