Maximilian Buddenbohm's Blog, page 274
August 20, 2016
Was schön war
Ich habe den Verdacht, dass dieses Format auf mittlere Distanz am besten funktioniert. Wenn ich an den Tag denke, an dem ich gerade schreibe, fällt mir nichts ein, das ist zu dicht, das muss sich alles erst setzen. Wenn ich an Tage denke, die sehr lange her sind, ist es wieder ein Fall von “Opa erzählt vom Krieg”, das will ja auch keiner. Aber wenn ich ein paar Tage zurückdenke, dann fallen mir sofort Szenen oder Bemerknisse ein, die ich schön fand, und die ich auch nicht schon zehnmal erzählt habe.
In Südtirol, oberhalb von Lana, weit oberhalb sogar, auf einem Wanderweg entlang der Hänge voller Obstbäume. Es ist heiß und irgendwo sitzt eine einsame und vermutlich deswegen sehr laute Grille. Es ist nur eine, aber sie ist weit zu hören, weiter jedenfalls, als ich es bei Grillen überhaupt für möglich gehalten hätte, weiter, als ich es je bei einer Grille gehört habe. Schmetterlinge schaukeln durch die Hitze. Äpfel, viele Äpfel, manchmal Pflaumen, selten Birnen, warum essen die Menschen eigentlich so wenig Birnen? Oder wachsen die in Südtirol nur nicht so gut? Sie stehen hier jedenfalls ganz dicht neben den Äpfeln, man könnte sie fast damit vergleichen, aber das darf man ja nicht. Eidechsen auf den Mauern am Wegesrand, kaum hat man sie gesehen, sind sie auch schon wieder weg, ein Huschen im Augenwinkel. Die Söhne laufen durch die Reihen der kleingehaltenen Bäume und pflücken unter Absingen einer der vielen Hamburger Hymnen ein paar Äpfel. Und das macht einen als Norddeutschen dann doch etwas heidikabelnostalgisch – so wollte man früher auch nie werden! -, was soll man machen. Wenn die eigenen Söhne “Klauen, klauen, Äppel wolln wir klauen, ruckzuck übern Zaun” singen und in die Äste greifen und “ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein” mit fröhlichem Lokalpatriotismus schmettern, die Hosentaschen voller Äppel, das hat schon was, das kann man ja auch einmal zugeben.
Wie es übrigens auch etwas hatte, als dieses Lied vor ein paar Wochen auf einem Straßenfest in unserem kleinen Bahnhofsviertel gesungen wurde, von einem Kinderchor aus einer Kita und einer Vorschule hier. Da standen zehn, zwanzig Kinder auf der Bühne, alle etwa fünf Jahre alt. Kinder aus etlichen Nationen, mit verschiedenen Hautfarben und verschiedenen Hintergründen (“Ach was”, möchte man da als literaturaffiner Mensch kurz und loriotsicher zwischenrufen, schon klar). Und wo auch immer die Kinder oder ihre Eltern oder Großeltern herkamen, aus München, Rio, Danzig oder sogar aus Bremen, jetzt sind sie eben aus Hamburg und singen auf Plattdeutsch das Lied von dem Jung mit dem Tüdelband und von der Deern mit dem Eierkorv, weil das hier nun einmal dazugehört. Es gibt auch schlechtere Traditionen in der Stadt.
Das Lied wurde 1917 im Bieber-Café zuerst aufgeführt, das war bei uns um die Ecke, im Bieber-Haus gleich neben dem Bahnhof. Die Gebrüder Wolf wurden später von den Nazis verfolgt, einer starb im Lager, einer floh nach Shanghai. Das Bieber-Café, meines Wissens war es ein Tanzcafé, gibt es längst nicht mehr, aber im Bieber-Haus wurden bis vor einiger Zeit die vielen Menschen betreut, die in den letzten Monaten vor anderen Regimen und vor Kriegen wiederum zu uns geflohen sind. Und die Kinder neulich sangen das Lied nur ein paar Meter weiter. Man merkt manchmal, wie die Geschichte Pointen setzt und Fäden durch die Jahrzehnte spinnt.
Woanders – Mit einer Zeitschrift, Textauswertung, Angst und anderem
Michalis Pantelouris über die Zeitschrift Mare.
Als Mensch, der gerne mal Sachen in Excel zählt, kann ich Distant Reading ziemlich interessant finden.
Ein Artikel über Angststörungen. Man beachte den kleinen Satz mit der Angabe “100 Prozent”. Been there, done that, got the t-shirt.
Zahlen zu Elektroautos in Hamburg. Sehr kleine Zahlen. Man muss sich dazu vielleicht ergänzend vorstellen, wie intensiv z.B. Kinder wie unsere Söhne das Aussterben der Benziner herbeisehnen, weil sie eine Stadt ohne Lärm und Gestank für ziemlich erstrebenswert halten. Sicher sieht die Lage auf den Straßen schon ganz anders aus, wenn sie in das Führerscheinalter kommen. Na, man hofft so vor sich hin.
Aljoscha Brell über Lychen. Von Lychen habe ich noch nie etwas gehört, aber vielleicht sollte man da mal in diesen Gasthof. Oder in den See. Schon der Begriff Flößerstadt ist doch ausgesprochen anziehend.
Ein Text über die Swing-Jugend in Hamburg. Die Herzdame und ich gehören ja zu den Leuten, die an den Schauplätzen von damals wieder Swing tanzen. Die alten und sehr alten Leute, die da ab und zu stehenbleiben und gucken, die haben in ihrer Jugend mittlerweile vermutlich eher Rock’n Roll als Swing getanzt, aber es bleibt doch so eine Tanzerinnerungslinie in der Stadt, wenn man öffentlich und draußen tanzt. Wie mir gerade eine Dame am Rande eines Tanzabends in Planten & Blomen zuflüsterte, als sie sich die Paare ansah: “Das konnte ich auch alles. Mit so Überschlag, wissen Sie? Und ganz schnell. Ach, man kriegt gleich wieder Lust.”
Wo wir schon beim Tanzen sind: Alice und Ellen Kessler werden 80.
Rufus Wainwright singt Shakespeare. Beim ersten Hören fand ich es nicht überzeugend, aber nach zwei, drei Versuchen – was für ein schönes Stück.
August 18, 2016
Gelesen – Petra Gust-Kazakos: Ganz weit weg – Leselust und Reisefieber
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 13. Jul 2016 um 10:35 Uhr
Petra Gust-Kazakos ist vielleicht von ihrem Blog bekannt, es ist dieses hier. Sie hat ein Buch über Reisen und Bücher geschrieben, ich habe es auf der Zugfahrt von Hamburg nach München gelesen, was natürlich, bei aller Bescheidenheit, ein äußerst cleverer Schachzug von mir war. Denn besser kann ein Buch für so eine Zugfahrt in Länge und Inhalt kaum passen, machen Sie das also ruhig nach.
Allerdings hatte die Lektüre auch Nachteile, die sollen hier nicht verschwiegen werden. Denn es geht in dem Buch um andere Bücher, und ich bin leider äußerst anfällig für die bei solcher Lektüre entstehenden Wünsche. Weswegen jetzt noch rund zehn weitere Titel auf meiner ohnehin ellenlangen Buchwunschliste stehen, es ist wirklich schlimm.
Und wieder gemerkt: Ich habe eine seltsame Schwäche für Sekundärliteratur. Ich lese ausgesprochen gerne, was andere über Bücher schreiben und an ihnen herumerklären, wenn sie Geschichten dazu erzählen und Hintergründe schildern. Ich habe dabei gar keinen Ehrgeiz, etwas zu lernen, ich finde es tatsächlich einfach unterhaltsam. Und ich lese so etwas sogar so gerne, dass ich es so gut wie nie dazu kommen lasse, weil ich sonst vermutlich gar keine Romane und Erzählungen mehr lesen würde, um die es doch eigentlich immer geht. Romanführer und dergleichen fallen für mich klar unter Suchtmittel.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 2. Aug 2016 um 0:53 Uhr
August 17, 2016
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Einige Meldungen zu Konsum und zu Nachhaltigkeit, die passen noch ganz gut zur letzten Woche, in der wir ein paar Produktionsbedingungen von landwirtschaftlichen Produkten thematisiert haben.
In der Zeit geht es um das, was deutsche Firmen durch Verpflichtung der Zulieferer tun können. Oder die Regierung. Oder alle zusammen. Optimistische Meldungen klingen allerdings anders.
Dennoch gibt es natürlich Produkte, hinter denen intensive Bemühungen um Fairness und Verantwortung auch im globalen Sinne stehen. In der brandeins sieht sich der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich einige Produkte genauer an, darunter auch das Fairphone, das hier schon mehrfach vorkam.
Wobei man übrigens viel leichter Artikel findet, die aus Konsumentensicht und auch für Konsumenten geschrieben werden, als Artikel, die sich an die Wirtschaft und ihr Führungspersonal richten. So wie hier etwa.
“Wie viel Konsum ist normal?” Das wird bei den Krautreportern erörtert, und nahezu zwingend landet der Artikel dann bei der Konsumkritik an sich.
Da kann man gut einen kleinen Scherz einfügen, nämlich ein paar Produkte, die in dieser Präsentation recht klar nicht normal sind (wobei die Grenzen fließend sind). Man möchte das nicht im Einkaufswagen haben, oder? Weil einem sofort auffällt, wie irre das ist. Warum gibt es das überhaupt? Hat das nicht auch einen Bezug zu unserer Einstellung gegenüber Lebensmitteln, die vermutlich genau so gravierend im Wandel ist, wie unsere Einstellung zum Kochen? “Die sinnliche Welt der kulinarischen Genüsse gerät zu einer ähnlichen Nische wie die der Ölmalerei, des Klavierspiels oder der Poesie.” Und das fängt nicht in der Küche an, das beginnt im Laden.
Wenn man nicht nur die Produkte mit der Plastikverpackung eben, sondern mehr und mehr Konsum für eher irre hält, dann landet man wieder beim Minimalismus. Bei dem man aber auch nicht stehenbleiben muss, man kann ja weiterdenken, etwa zum Solarpunk, endlich einmal ein ganz neuer Begriff. In einem der weiterführenden Links am Ende des Artikels wird Solarpunk so definiert: “A collaborative effort to imagine and design a world of prosperity, peace, sustainability and beauty, achievable with what we have from where we are.” Das klingt so positiv, das kann man ruhig mal ausdrücklich erwähnen.
In diesen Zusammenhang passt etwas weiter gefasst noch ein Text im Spiegel über den Zusammenhang des Heimwehs der digitalen Weltbürger mit ihren zahlreichen selbstgemachten Produkten.
Da sind wir dann noch einmal bei sinnlichen Genüssen, eine gute Gelegenheit für einen Link, der sich mit dem Geruchssinn befasst, der kommt sonst eher selten vor. Man könnte das auch noch auf Solarpunk beziehen, machen wir doch mal etwas ganz anders und neu. Hier entlang zum Osmodrama, warum soll es nicht auch neue Kunstformen geben.
Auf dem Burger-Hof in Lana/Südtirol
Ein Text von Jojo Buddenbohm, acht Jahre alt, mit Ergänzungen von Johnny Buddenbohm, sechs Jahre alt, sowie Fotos von Maximilian Buddenbohm, deutlich älter.
Wir waren in den Bergen, in Südtirol in Italien, auf dem Burgerhof. Das war in Lana, das ist eine kleine Stadt dicht bei Meran.
Der Burger-Hof ist schön, auch wenn er für Kinder nicht ganz so viel bietet. Aber er hat einen großen Pool im Garten, in dem mein Bruder Johnny und ich sehr oft waren, ich bin da immer wieder hinein gesprungen. Der Pool wird nicht beheizt, aber das Wasser war trotzdem okay, in Südtirol ist es meistens sehr warm im Sommer.
Es gab keine Tiere, das ist ein Bio-Obsthof hauptsächlich mit Äpfeln und ein wenig Wein.
Auf dem Hof sind oft auch andere Kinder, mit denen kann man dann spielen und wenn man eine Wohnung über denen wohnt, kann man sich auch Briefe mit einer Schnur von oben nach unten schicken. Das haben wir oft gemacht, weil wir dort zwei Kinder kennengelernt haben.
Von den Wohnungen aus gab es einen tollen Blick ins Tal. Wenn es dunkel wurde und die Lichter überall angingen, sah das immer sehr schön aus, wie kleine Funken aus einem Feuer, nach denen man greifen könnte. Die Berge auf der anderen Talseite und einen kleinen Wasserfall sah man auch sehr gut und weiter weg sogar die Dolomiten.
Papa und ich sind morgens zum Brötchenholen gegangen, der Weg ging steil ins Tal und war auf dem Rückweg dann richtig anstrengend.
Man kann von dem Hof aus die Gaulschlucht gut zu Fuß erreichen, das ist eine Wildnis an einem Gebirgsbach, das ist wundervoll da. Nach Lana kann man auch gut zu Fuß, das ist besser als immer mit dem Auto zu fahren, auch für die Umwelt. In Lana gibt es die Bäckerei und Supermärkte und Eisläden und abends auch Veranstaltungen mit Musik. Im Nachbardorf Tscherms gibt es die Pizzeria Helden, die war gut, die kannten wir schon vom letzten Jahr.
In Lana selbst gibt es auch einen Wasserfall, zu dem man zu Fuß gehen kann, unter den haben wir uns sogar gestellt. Das haben wir noch nie vorher im Leben gemacht.
Man kann vom Hof in kurzer Zeit nach Meran und dann mit der Seilbahn auf Meran2000, da kann man auf eine Sommerrodelbahn. Das ist sehr toll, und ab neun Jahren kann man auch alleine fahren. Also nächstes Jahr.
Am letzten Tag sind wir gewandert, einen sehr langen Weg, das fand ich nicht so gut, weil es so lange bergauf ging und weil es da Kreuzottern gibt. Das war ein Rundweg, wenn man zurückgeht, geht es bergab, das war immerhin gut. Wir haben es jedenfalls alle geschafft, aber wir waren wirklich sehr kaputt.
Ergänzungen von Johnny: Auf dem Hof gibt es ein Trampolin, das fand ich gut, und die Äpfel schmecken da auch, ich habe welche gepflückt. Der Apfelsaft vom Hof ist der beste Saft überhaupt, den kann man da auch kaufen und mitnehmen.
Das Vigiljoch ist nicht weit weg vom Hof, das ist der Berg nebenan. da kommt man mit der Seilbahn rauf und dann noch weiter mit dem Sessel-Lift. Kinder ab acht Jahren können da schon alleine fahren, also mein Bruder. Sessel-Lift ist super., das kannte ich noch nicht, das möchte ich aber gerne wieder machen.
August 16, 2016
Vom Zerstreuen der Sorgen
Kennen Sie das Gefühl, vollkommen unnötiger Weise Angst vor etwas Neuem gehabt zu haben, vor einer Änderung, vor einer Herausforderung? Natürlich kennen Sie das, wir alle kennen das gut. Denn wir neigen dazu, uns lieber ein paar Sorgen mehr zu machen, selbst wenn sie vermutlich eher irrational sind. Das fühlt sich immer noch tausendmal besser an, als allzu sorglos in irgendein Unheil gerannt zu sein, nicht wahr? Wir sind so. Es gibt so ein unangenehmes Trottelgefühl, irgendein Risiko nicht bedacht zu haben, frohgemut gegen irgendeine Wand gelaufen zu sein. Ganz komisch, unberechtigte Sorgen fühlen sich lange nicht so dumm an wie unberechtigte Freuden. Die Bilanz nach jedem großen Schritt fühlt sich wesentlich sauberer an, wenn wir uns vorher ordentlich gefürchtet haben.
Und man findet wohl nie im Leben das rechte Maß, man kann sich nie leicht entscheiden, welche Dimension von Sorge die genau richtige ist. Also man selbst kann das für sich nicht. Andere können das manchmal schon für einen. Ein kurzes Gespräch unter Freunden und zack – alle Sorgen und Bedenken weg. Das fühlt sich sehr gut an, jemandem so helfen zu können, man sollte das oft versuchen, es macht wirklich Spaß, wenn man Sorgen wegfliegen sieht. Ich hatte da gerade ein Gespräch mit einem Sechsjährigen, einem Kumpel meines Sohnes. Der steht gerade vor seiner Einschulung, und da macht man sich natürlich Gedanken. Da hat man vielleicht auch ein paar Befürchtungen. Schule, da hört man ja so viel! Er sagte: “Vor Mathe habe ich keine Angst. Mathe ist leicht, Mathe ist ja nur Rechnen. Aber Mathematik – da wird es bestimmt richtig schwer.”
Und da habe ich seine Sorgen mal eben zerstreut, es kostete mich nur einen Satz. Wenn es doch bloß immer so einfach und klar wäre.
(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)
August 15, 2016
Was schön war
In meiner aktuellen Versuchsreihe, asiatische Bratnudeln so hinzubekommen, dass sie so junkfoodmäßig gut wie am Imbiss oder sogar noch besser schmecken, habe ich einen Zwischenerfolg mit einem Bratnudelrezept aus dieser App (nein, keine bezahlte Werbung), in der die Sauce nämlich aus 2 TL Reisessig, 2 TL Honig, 4 EL Sojasauce und 2 EL Sesamöl besteht. Sesamöl, darauf war ich noch nicht gekommen, Sesamöl bringt die Sache deutlich nach vorne. Manchmal ist es ja einfach.
Aber es geht womöglich auch noch besser. Ich brate weiter.
Woanders – Mit einem Vater, einer Alten, Tweets und anderem
Ein Vaterschicksal.
Gar nicht mal so unpassend nach dem ersten Text: Ein Fels in der Brandung.
Die aktuelle Ausgabe der von mir sehr geschätzten unlustigen Tweetsammlung “Keiner davon ist witzig”.
Mek macht ja jetzt neuerdings, was Anke auch dauernd macht, das finde ich schön. Und das könnte man wohl auch mal machen, warum eigentlich nicht? Und warum nicht gleich? Wozu ich aber erst noch etwas schön finden muss. Moment.
(Endlich mal ein Cliffhanger. Kann aber dauern, mir fällt gerade nichts ein. Also nichts für heute jedenfalls, generell natürlich schon.)
August 14, 2016
Krückstockgefuchtel
Früher war nicht alles besser, früher gab es aber einiges noch nicht, das wird man ja noch feststellen dürfen. Und vielleicht ist es ohnehin spannend, ein wenig mehr Aufmerksamkeit (fast hätte ich Achtsamkeit geschrieben, so weit kommt es noch, Maximiliano Buddenbohmelho, Gott bewahre!) auf die kleinen Änderungen im Alltag zu richten, vielleicht mache ich das jetzt öfter, man will doch merken, wie die Gegenwart einen allmählich überrollt.
Vermutlich betrifft die im Folgenden geschilderte Form des Genervtseins von speziellen Phänomenen der Gegenwart noch gar nicht so viele Menschen, sie ist mir aber in letzter Zeit gleich zweimal aufgefallen. Ich hatte das hier schon einmal ansatzweise, in den Bergen von Südtirol gab es eine Fortsetzung.
Da sind wir mit der Seilbahn auf einen Berg gefahren, in ein hochgelegenes Wandergebiet, bekannt für uralten Baumbestand, flechtenbehangene Lärchen, sehr schön und märchenhaft, wirklich bemerkenswerte Bäume. Eine autofreie Zone, Naturschutz und alles, da geht man hin, wenn man seine Ruhe haben will. Und dort, ausgerechnet über diesen wirklich entlegenen Waldwegen, ließ jemand eine Drohne über uns fliegen. Nicht speziell über uns, aber doch über den paar Wanderern im Gebiet und damit immer wieder auch über uns. Ob man nun zwischen den Bäumen stand oder am Seeufer entlangging oder über eine Alm, immer wieder war dieses Ding in mäßiger Höhe hinter uns her. Eine motorisierte Drohne mit beständigem Surren, ziemlich laut sogar, ein Geräusch, das man unmöglich romantisieren kann, wir sind hier ja nicht bei Star Wars.
Und wenn man da so in prächtigster Landschaft steht, umgeben von uralten Bäumen, noch älteren Bergen und seltenen Tierarten wie etwa dem Auerhahn, den man zwar nicht sieht, von dem man aber doch weiß, dass er dort noch vorkommt und man ihn also immerhin jeden Moment sehen könnte, wenn man so naturbegeistert, wie man es als überzeugter Städter eben sein kann, sich entschlossen erholungswillig in grandioser alpiner Kulisse umsieht, dann ist das Allerletzte, was man braucht, ein permanent brummender Motor mit Flügeln, der einen von oben verfolgt, wohin man auch geht. Das Erlebnis wird damit ziemlich gründlich versaut.
Weswegen wir auch eher nicht nach Auerhähnen oder Gämsen Ausschau hielten, sondern zu viert kreative Gewaltphantasien über Drohnenabwehr austauschten. Man kann da auf viele Ideen kommen, allerdings sind sie durchweg nicht recht anwendbar, wenn man nur Wanderstöcke und Tannenzapfen zur Hand hat, auch wenn man damals noch so viel MacGyver gesehen hat.
Gab es in Deutschland wohl schon erste Fälle von mit Steinen oder großen Ästen oder sonstigen rustikalen Mitteln vom Himmel geholten Drohnen, weil jemand einfach seine Ruhe wollte? Das wird auf jeden Fall so kommen.
August 13, 2016
Komm an den Tisch …
Ich habe in Südtirol zehn Tage lang im Garten am Hang geschrieben, an einem kleinen Tisch neben dem Pool, in dem sich die Söhne bemerkenswert ausdauernd amüsierten. Da saß ich auf einem wackeligen alten Stühlchen aus morschem Holz, mit abblätternder roter Farbe und verrostetetem Gestänge. Der Tisch stand unter einem jungen Obstbaum, ein längst sonnenverblichenes Wachstuch lag darauf und WLAN gab es ganz und gar nicht, nur meinen Text, das kann tatsächlich auch einmal hilfreich sein.
Und weil hin und wieder kaum zu deutende Musik von irgendwo vorbeiwehte, hatte ich zehn Tage lang immer mal wieder den ollen Degenhardt im Kopf, mit “Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen”, das ist ein Lied, bei dem man den weiteren Text auch besser nicht mehr nachlesen sollte, du meine Güte.
Aber es ist und bleibt doch ein schöner Anfang: „Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen, der Hammel ist gar überm Lauch. Paprika soll uns im Halse brennen, der reife Kartoffelschnaps auch …“ – den kann man sich ja ein paar Tage lang ausleihen, um einer Nostalgie zu frönen, die sich auf etwas bezieht, was man selbst gar nicht erlebt hat. Leihnostalgie, geborgte Romantik, warum auch nicht, dazu ist Musik ja da, auch nur ganz vage vorüberwehende. Man hat ja auch nicht neben Alice gewohnt oder jemals irgendwas in Lindenbäume an Brunnen geschnitzt, nicht wahr, und dennoch erwischen die Lieder den einen oder anderen.
Zehn Tage lang dachte ich zwischendurch jedenfalls immer wieder, dass ich vermutlich noch nie im Leben an einem Tisch unter Pflaumenbäumen gesessen habe, schon gar nicht mit Freunden, schon gar nicht mit Hammel und Paprika und Schnaps, solche Landlustepisoden habe ich immer eher vermieden. Und wenn man ausreichend nostalgisch eingestimmt ist, dann denkt man so etwas mit ein wenig Wehmut, denn es gibt auch eine Nostalgie des Nichterlebten, in der man sich natürlich mit jedem Lebensjahr mehr und länger suhlen kann. Ein paar Tage lang macht das auch durchaus Spaß. Und dann ist man aber froh, wenn man in diesem Gefühl nicht hängenbleibt.
In einem anderen Teil des Gartens stand ein alter Pflaumenbaum, stattlich und üppig tragend. Der Boden darunter voller gefallener Früchte, mit Wespengewimmel und süßlich faulem Geruch. Ob man da nun unbedingt sitzen muss – ich weiß ja nicht. Und Hammel schmeckt eh nicht jedem, sagt man.
Geschrieben im erstaunlich herbstlichen Hamburg, mit Regen vor dem Fenster, am eigenen Schreibtisch. Und das ist auch gut so.
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