Maximilian Buddenbohm's Blog, page 270
October 18, 2016
Was schön war
Gleich vorweg, hier bei Anke sind noch ein paar andere SchönfinderInnen verlinkt.
Ich bin nach langer Zeit einmal wieder in einem Buch versumpft, so sehr sogar, dass ich – wie lange mag das letzte Mal her sein! – deswegen eine Busstation verpasst habe. Und dann erstaunlich weit durchs wilde Bahrenfeld zu Fuß gehen musste, mit mehreren Stops an Straßenlaternen, weil es schon zu dunkel war, um noch einfach so ohne künstliches Licht zu lesen, ich aber noch das Kapitel beenden wollte. So interessant fand ich das Buch. Interessant, nicht etwa spannend, es handelte ich also um ein Sachbuch, so etwas kommt mir ja eher selten in die Finger.
“Eine Geschichte des Lesens” von Alberto Manguel, aus dem Englischen von Chris Hirte. Klingt vielleicht nicht gerade wie ein Reißer, war es aber für mich. Das ist ein Buch zur Geschichte des Schreibens, der Texte und des Buches, zur Technik und Kulturgeschichte des Lesens, auch zu Bibliotheken, zur Buchsammelei, -schreiberei, sauferei und immer so weiter, auch zum Übersetzen, zum einsamen Lesen und zum Lesen in Gesellschaft, zum verbotenen Lesen und zu Büchernarren. Äußerst kundig und quellenreich zusammengestellt von Herrn Manguel, der vermutlich über eine Allgemeinbildung verfügt, neben der man selbst eher gar nix weiß, das ist ja auch immer ganz gesund, so etwas wahrzunehmen, so etwas schützt vor Arroganz. Aber gut, der Herr hat seine Berufslaufbahn unter anderem als Vorleser bei Borges in Buenos Aires begonnen, das war auch ein klein wenig intellektueller als mein erster Bürojob damals nach der Schule, in dem ich hauptsächlich am Kopierer stand.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 28. Aug 2016 um 2:46 Uhr
Ein gut zu lesendes, angenehm süffiges Sachbuch also, überreich an Details und doch nicht verschwurbelt. Wunderbar dick, satte 400 Seiten. Und warum macht mir das nun so viel Spaß? Weil ich gar nicht wenig aus dem Inhalt schon einmal gelesen habe, in anderen Büchern, in anderen Worten, vor recht langer Zeit. Nämlich in meinem Studium, das damals mit dem charmant-albernen Titel Dipl-Bibl. endete und in dem es auch um die Geschichte des Lesens und des Buches ging. Ich fand das immer schon interessant, ich hatte schon damals ein Faible für die Fachbegriffe aus dem Buchwesen, die ich auch in meinem Nebenjob als Antiquar anwenden konnte, auch wenn der Laden, in dem ich arbeitete, nicht so fein war, dass dort Inkunabeln oder dergleichen über den Tisch gingen. Man konnte doch immerhin mit Kunden und Kollegen über den Buchdruck reden, über Einbände, Typographie, Erstausgaben, Publikationsgeschichten und das alles. Das “Wörterbuch des Buches” von Hiller war mir so etwas wie ein Vokabeltrainer, das lag immer neben der Kasse. Aber das ist natürlich alles längst vergessen, mit dem Buchhandel hatte ich nach dieser Zeit nie wieder etwas zu tun.
Daran habe ich lange, jahrelang nicht mehr gedacht. Aber als ich jetzt dieses Buch las – das war wie bei Tänzern, die sich nach Jahren wieder an eine bestimmte Figur in einem Tanz erinnern, das ist auch so eine beglückende Erfahrung, wenn einem so etwas wieder einfällt, eine bestimmte Drehung etwa, erst zwei, drei unsichere Schritte und plötzlich dieses Aha! und dann weiß man wieder und dreht eine Rumba übers Parkett, als hätte man es nie vergessen. Genau so beglückend kamen mir die Erinnerungen an das einmal gehabte Fachwissen zum allmählichen Übergang von Schriftrollen zum Buch wieder hoch, auch das zur Geschichte der Leihbibliotheken im neunzehnten Jahrhundert und so weiter, letzteres war sogar irgendwann mal ein Prüfungsthema. Das ist eben auch ein Stück geistige Heimat, was man einmal studiert hat, selbst wenn es nur so ein kleines Nebenbeistudium war.
Als ich den Bus verpasste, ging es in dem Buch gerade um ein Antiphonar, das ist nun wirklich ein einigermaßen abgedrehter Fachbegriff, den wird man schwerlich jemals anwenden können, wenn man nicht gerade viel mit Kirchen oder Orden zu tun hat. Aber falls bei Freunden einmal so etwas auf dem Coffeetable liegen sollte – ich weiß Bescheid. Und das ist doch ein herrlich beruhigendes Gefühl – ebenso sinnlos wie angenehm.
October 17, 2016
Buchverlosung: Kinder-Party-Küche
Ich habe ein Rezensionsexemplar der Kinder-Party-Küche erhalten, das ist ein weiterer Band von Claudia Seifert, Gesa Sanderfreie, Julia Hoersch und Nelly Mager, wir hatten das Team im Blog schon mehrfach, etwa hier.
Das Buch enthält auch für Kinder gut umsetzbare Rezepte für Dschungelabenteuer, für die Teeparty, für Fußball-Events, Weltraumfeiern etc., dazu noch Bastelideen für Deko, und spätestens bei diesem Stichwort wird klar – das ist eher nichts für uns. Denn das ist zwar wieder ein schicker Band geworden (mit Kindern aus unserem Stadtteil auf den Bildern!), aber wenn hier eines nicht stattfindet, dann ist es Bastelei. Und das gilt auch für Deko und Motto-Essen und so weiter. Ich finde es immer nett und schön, wenn das jemand macht, aber ich mache das nicht, wir machen das nicht, die Söhne vermissen es nicht. Ich werde diese Rezepte also nicht ausprobieren, bin aber dennoch einigermaßen sicher, dass sie wieder gut gewählt sind.
Deswegen geht dieses Buch sofort weiter an Menschen, die es vermutlich mehr zu schätzen wissen und also auch mehr Spaß daran haben werden. Bitte einfach bis Mittwoch, 19.10. einen Kommentar hinterlassen, in dem zum Nutzen aller mitlesenden Eltern genannt wird, was beim letzten miterlebten Kindergeburtstag als Hauptmahlzeit auf dem Tisch stand, das ist ja immer eine spannende Frage. Wir haben uns mit einem völlig unspektakulärem Picknick mit Frikadellen, Käse, Fladenbrot, Rohkost und immerhin selbstgebackenem Kuchen aus der Affäre gezogen, aber auch dieser Kuchen ist hier auf besonderen Wunsch der Söhne ein ganz schlichter Zitronenkuchen, da ist nicht einmal etwas obendrauf, keine Herzchen, keine Perlen, keine Muster.
Wir ermitteln am Donnerstag per Zufallsgenerator die Gewinnerin, der Versand erfolgt wie immer nur innerhalb Deutschlands.
October 15, 2016
Watertown
Watertown kannte ich bisher nicht, die Geschichte der Platte passt aber ganz gut in eine Woche, in der Bob Dylan den Nobelpreis erhalten hat und zu diesem fast schon novembrig anmutenden Wetter passt sie sowieso. Es handelt sich um eine Platte von Frank Sinatra, und zwar um eine Ausnahmeplatte (das schreibt sich übrigens ganz seltsam, dieses Wort Platte, lange nicht mehr benutzt).
Es ist Sinatras einzige Platte, bei der er zu vorgefertigten Orchesteraufnahmen im Studio gesungen hat, sonst waren die Musiker immer live dabei. Es ist seine einzige Platte, die ein spektakulärer Flop war und ich glaube, es ist auch überhaupt die einzige, die man als durchgehende Geschichte hören kann, die Song für Song weitererzählt wird. Und vermutlich ist es auch die einzige mit einem völlig von allen anderen abweichenden Cover – ganz ohne Superstarallüren, sogar ganz ohne Frankie himself, nur mit einer alltäglich anmutenden Zeichnung, ein Bahnhof, ein Zug. Die Lieder klingen auffällig anders als all die Ohrwurmsongs, die man sicher zuerst mit Sinatra assoziiert, die Melodien sind komplizierter, weniger gefällig, fast ganz ohne schmalzende und schmelzende Refrains, ohne tanzbare Elemente, ohne Swing und Kawumm und ohne Geigenlieblichkeit. Die Texte sind nicht schlagerhaft, eher etwas lyrisch, vorsichtig erzählend, andeutend und kryptisch.
Es geht um die Geschichte eines Manne aus einer Kleinstadt (“Watertown”), der von seiner Frau verlassen wird, sang- und klanglos hätte ich fast geschrieben, aber das passt natürlich nicht, und der mit zwei Söhnen (“Michael and Peter”) zurückbleibt, während sie – was auch immer, so klar wird das nicht. Er arrangiert sich mühsam und verzagt mit dem Alltag, lost in day to day, er lässt sich von der Schwiegermutter helfen, er sieht verzweifelt zu, wie die Söhne wachsen und wachsen, was sie nicht mehr mitbekommt, was ihm keine Ruhe lässt, wie kann sie das denn nur verpassen? Er schreibt ihr Briefe voller Banalitäten, es gab Regen im Frühjahr, der Sommer war wärmer, die Rosen wachsen am Haus, er möchte immer nur sagen: “Komm zurück”. Er liebt sie nach wie vor, er liebt sie immer weiter und er würde sich auch jederzeit wieder in sie verlieben (“I would be in love anyway”), die Stücke schildern nach und nach in zeitlich richtiger Reihenfolge Details dieser heillosen Situation (“What’s now is now”). Bis er endlich am Bahnhof steht und auf den Zug aus der großen Stadt wartet, im Regen wartet, bebend vor Hoffnung wartet und man weiß doch nach all diesen Liedern, dass ein Happy-End aber so was von unwahrscheinlich ist, obwohl er sich selbstverständlich die größte Mühe geben wird, “we’ll talk about the part of you, I never understood”. Man hört es doch ohne jede Erwartung.
Der entscheidende Twist findet sich dann erst ganz am Ende des Albums im Song “The train” und da gibt es einen kleinen Haken: die entscheidenden Zeilen fehlen in einigen Ausgaben der Verse, die man online findet. Frank Sinatra singt aber sehr deutlich, man versteht es wohl auch alles so und dann ahnt man auch, wie die Geschichte weitergeht.
Die Geschichte wurde geschrieben von Jake Holmes, who has a particular talent for writing clever, perceptive lyrics, wie Wikipedia sagt. Der Stoff hätte auch für einen Roman gereicht, gar keine Frage. Holmes dichtet da eine hundsgemeine Trennungsgeschichte, gemein in ihrer Banalität, abgründig im Gewöhnlichen, das fängt schon bei der Art an, wie sie einfach geht, ich habe habe das Lied unten eingefügt, goodbye, said so easily. Schon darüber kommt er nicht weg, wie einfach sie ging, stand auf und war weg. There is no great big ending.
Die Texte kann man alle online nachlesen, die Musik findet man komplett bei Spotify (dort fehlt nur das letzte Stück, der Epilog, das ist aber nicht entscheidend) und bei anderen Diensten, auch auf Youtube, dort auch als ganzes Album. Die Kritiker waren sich nie einig, einige hielten dies für Sinatras beste Aufnahmen überhaupt, einige konnten damit überhaupt nichts anfangen. Es war kein junger Sinatra, der das aufgenommen hat und er singt die Rolle wirklich überzeugend, finde ich. Und ich habe vom Singen selbstverständlich überhaupt keine Ahnung, aber es klingt doch so, als seien die Songs nicht gerade einfach zu singen, man hört das auch beim Lied von ihrem Abschied.
Doch, das kann man sich an einem Herbstsonntag ruhig einmal anhören.
October 14, 2016
Woanders – Mit intellektuellem Widerstand, einem Kapitän, Refind und anderem
“Der Traum vom intellektuellen Widerstand”, es geht um die Rolle von Museen und Theatern in der Politik und in der Aufklärung. Siehe dazu auch Frau Berg.
Die letzte Kolumne von Kapitän Schwandt.
Noch ein Text für die Geschichtsbücher, warum der Merkel-Einfluss eher gering war.
Eine Geschichte vom Brexit. Ganz privat, ganz klein, ganz unfassbar und entsetzlich.
Ein Hinweis für alle aus dem Großraum Hamburg, es gibt eine interessante Ausstellung in zwei Hamburger Museen, die Eis-Zeiten. Und weil der Kurator des Archäologischen Museums, Michael Merkel (evtl. von hier noch bekannt) so fleißig Filmchen zur Ausstellung auf Facebook postet, wollen die Söhne da jetzt hin. So sinnvoll ist also Social-Media-Arbeit für Museen, quod erat demonstrandum.
Ich poste fast alle meine Links übrigens auch auf Refind, ich finde das recht praktisch. Man kann mir auch dort folgen. Falls jemand auf Twitter ist und einen Invite für Refind möchte – einfach Bescheid geben.
Mek über Sekt aus Mölten.
Die NZZ über den Niedergang der Familienalben.
Zum 75. Geburtstag von Paul Simon hier ein Artikel über “Like a bridge over troubled water”. Man sollte nicht glauben, alles über den Song zu wissen.
Ein Interview mit dem Übersetzer von Bob Dylan, Gisbert Haefs. Ich habe mich ja sehr gefreut über die Wahl des Preisträgers. Man muss, wenn es um die Musik geht, eben die Cover-Versionen hören. Oder die, wo er mit Partnern singt. Und ansonsten hier, was Frau Gomringer sagt. Der Literaturbegriff ist bei einigen doch verblüffend eng durchdefiniert.
Terminhinweise für eher südliche LeserInnen
Ich lese am 23.10. vormittags um 11:30 im Kulturzentrum Merlin in Stuttgart. Das ist eine Lesung im Rahmen des Merlin-Geburtstags, 33 Jahre gibt es das, da wird richtig groß gefeiert. Es wird im üppig bestückten und mehrtägigen Jubiläumsprogramm (Bernd Begemann und die Befreiung! Gisbert zu Knyphausen! Enno Bunger!) auch eine Lesung mit dem Titel “Meine Familie, das Chaos und ich” geben, da geht es also um tendenziell heitere Texte mit Elternthemen aus meinen Büchern, aus dem Blog und aus den Zeitungskolumnen. Parallel können zuhörende Eltern ihren Nachwuchs einen Raum weiter die Sendung mit der Maus gucken lassen, das ist sehr passend. Mehr dazu hier, Karten an den üblichen Vorverkaufsstellen und natürlich im Merlin, Kasse direkt = 11 Euro.
Am 10.11. lese ich abends um 19:00 in Forchheim in Oberfranken. Das kostet 7 Euro und es wird eher autobiografische Texte über meine Jugendzeit ohne Bezug zu Kindern geben, also abgesehen davon, dass ich damals selbst natürlich ein Kindskopf war. Da geht es dann also eher um die Bücher, die bei Rowohlt erschienen sind – und es geht auch um das Meer, da soll es ja in der Gegend einen gewissen Mangel geben. Ein paar aktuellere Artikel passen aber sicher auch noch rein. Mehr dazu hier.
Ich freue mich sehr, wenn ich dort LeserInnen treffe, in beiden Orten war ich noch nie – sagen Sie mir doch bitte Bescheid, wenn ich Sie von Twitter, Facebook oder aus den Kommentaren hier kenne, ich versage sonst im Erkennen leider kategorisch. Avatarbilder auf echte Personen zu übertragen ist dann doch eine ziemlich hohe Kunst, die ich eher nicht beherrsche.
October 12, 2016
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Es geht um Aspekte der Ungleichheit, wir fangen mit einem Text an, der in den letzten Wochen schon weit herumgereicht wurde. Weil es nach wie vor beim Thema Hartz IV um etwas geht, das Ungleichheit manifestiert und evtl. die Gesellschaft vergiftet. Zu hart formuliert? Vielleicht nicht. Der Artikel enthält auch Verweise auf das bedingungslose Grundeinkommen, und von dieser argumentativen Seite haben es vielleicht noch nicht alle gesehen. Aber warum sollte man ethische Argumente übersehen? Und, ein kurzer Schlenker ins Politische bietet sich hier wirklich an, wenn diese Art der Ungleichheit offenkundig dem Rechtspopulismus Auftrieb gibt, was ist denn eigentlich mit dem Linkspopulismus, der doch die gleiche Zielgruppe hat? Eine berechtigte Frage, auch wenn man jede Form des Populismus ausdrücklich ablehnt.
Die Zielgruppe, um die es dem Populismus da geht, wird oft als sozial schwach bezeichnet – bei den Krautreportern regt man sich begründet darüber auf (ein Teil dieses Textes liegt hinter einer Paywall, der Teil davor ist aber lesenswert genug, um ihn dennoch hier zu verlinken). Oder geht es um den kleinen Mann? Auch dazu gibt es einen Artikel. Mit einem letzten Absatz, auf den man gesondert hinweisen muss, so bemerkenswert ist er. Und am anderen Ende des Spektrums, wo etwas oder sehr viel mehr Geld ist – da ist übrigens keiner. Oder zumindest glauben die meisten nicht, dass sie da hingehören.
In der NZZ wird auf die Schwangerschaft als Urgrund der sozialen Ungleichheit verwiesen, ein sicher heikles und enorm kompliziertes Thema. Zumal es hier nur auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist, als sei er der Gipfel der menschlichen Erkenntnis und Sinnfindung. Das kann man sicher anders sehen, aber dennoch, man findet im Text Aspekte, über die man etwas nachdenken kann.
Ein anderer Artikel, der in den letzten Tagen ziemlich viel Aufmerksamkeit fand, ist die Meldung über die fast ausschließlich männlichen Chefredaktionen deutscher Lokalzeitungen. Und in der Tat ist die Zahlenlage beeindruckend und man wird wenig Argumente zur Verteidigung dieses Ungleichgewichts finden – und dass die Frauen einfach nicht wollen, das klingt nun wirklich nicht sehr wahrscheinlich. Was würde es wohl am Journalismus ändern, wenn die Verhältnisse anders wären? Überhaupt etwas? Dass nur ein Geschlecht über die Nachrichtenlage dominiert – kann das denn folgenlos sein? Und kann es richtig sein? Noch im Zusammenhang mit der schwachen Frauenquote in Führungspositionen: Eine Anregung zur Männerquote. Warum auch nicht.
Es gibt auch Buchneuerscheinungen zum Thema, etwa von Anthony Atkinson – mit Rezepten, die einem seltsam vertraut vorkommen. War da nicht einmal etwas mit sozialer Marktwirtschaft? Man müsste wohl in den Geschichtsbüchern nachsehen.
Und wer im Smalltalk zum Thema jetzt noch ein paar flott aufbereitete Zahlen braucht – bitte sehr, die haben wir auch.
“Das wesentliche Rekrutierungsprinzip der Elite ist Rekrutierung nach Ähnlichkeit. In der Wirtschaft sieht man das sehr gut am Geschlecht.” Das ist ein Satz aus einem Interview mit dem Eliteforscher – auch eine schöne Berufsbezeichnung – Michael Hartmann. In Bezug auf unser Thema Ungleichheit ein recht ergiebiges Gespräch. Noch mehr dazu in der Zeit, und hier kann man dann auch noch einmal einen Bogen zur frühkindlichen Betreuung schlagen, die im Artikel zur Schwangerschaft schon angesprochen wurde.
Zum Schluss aber wie fast immer noch ein schöner Link für den Freundeskreis Fahrrad, nämlich diesen blau leuchtenden Radweg. Etwas gespenstisch sieht der vielleicht aus, aber das passt ja zum Herbst.
12 von 12 im Oktober
Wer 12 von 12 nicht kennt, die Erklärung ist hier. Und die anderen 12-von-12-Ausgaben des Oktobers finden sich dort. Bei mir werden meist ein, zwei Bilder gegen Videos getauscht, das ist im Grunde ganz regelwidrig, machen Sie das lieber nicht nach.
Die Herzdame liest am Morgen „Leo und der Fluch der Mumie“ von Claudia Frieser vor, und weil das Buch sehr spannend ist, liest Sohn I danach einfach selbst weiter. Das sei hier festgehalten, es passiert nämlich zum ersten Mal. Bisher war das Vorlesen einfach zu schön, da haben die Kinder eben geduldig auf die Fortsetzung gewartet. Das wird anscheinend anders, zack, wieder eine Phase vorbei. In dem Buch geht es am Anfang auch um Nazis, und zwar, wie man heute sagen muss, um die “echten” Nazis von damals, aber die sind ja wichtig, um die neuen Nazis von heute zu verstehen, das wissen die Söhne auch schon. Man führt dann recht merkwürdige Gespräche über solchen Büchern, Gespräche, die ich noch vor ein paar Jahren für eher unmöglich gehalten hätte. Wie man sich überhaupt auch mal klarmachen muss, dass diese Generation eben nicht mehr in der Gewissheit aufwächst, dass die Nazis weg sind. Bei mir damals waren sie zwar auch nicht weg, ein paar waren ja ganz offensichtlich noch da und gaben Sportunterricht etc., aber wir dachten doch immerhin ziemlich lange, sie kommen so leicht nicht als Bewegung wieder. Wir Dummerchen.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 11. Okt 2016 um 22:28 Uhr
Wir haben ein neues Möbelstück geschenkt bekommen, so ein Buffet, das wir immer schon haben wollten. Das steht jetzt im Flur, wo vorher etwas anderes stand, das jetzt in der Kammer steht, wo vorher etwas anderes stand – kennen Sie den Diderot-Effekt? Ich wurde auf Twitter darauf hingewiesen, das werde ich mir merken müssen. Aber egal, wir werden also, langjährige LeserInnen kennen das, im vierten Quartal wiederum Möbel herumschieben und zu Weihnachten im Chaos sitzen, wir lernen es wohl nicht mehr. Noch fragt die Herzdame “Wollen wir gleich Möbel rücken” im fröhlichen Tonfall von “Wollen wir richtig, richtig Spaß haben?”, aber ich weiß, wo es enden wird. Im Schrank übrigens, raffiniert ins Bild gesetzt, der neue Band der Vegetarisch-Reihe von Katharina Seiser, diesmal mit den USA. Der Koch war der Herr Trific, den haben Isa und ich schon einmal interviewt. Einige Rezepte in Kürze sicher auch hier im Blog.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 11. Okt 2016 um 22:33 Uhr
Im Kinderzimmer eine wilde Fischer-Technik-Explosion, Sohn II hat das gerade wieder entdeckt. Es führt dazu, dass er praktisch gar nicht mehr ansprechbar ist, weil er immer noch etwas fertig bauen muss. Und fertig, siehe auch Lego, das gibt es eben nicht. Mich freut Fischer-Technik jedenfalls, da werde ich ganz nostalgisch.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 11. Okt 2016 um 22:38 Uhr
Dann fahre ich, wie sollte es anders sein, ins idyllische Hammerbrook und gehe dort ins Büro, wozu es keine weiteren Bilder gibt.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 11. Okt 2016 um 23:15 Uhr
Auf dem Wochenmarkt in Hammerbrook erwerbe ich nach der Arbeit diesen Spitzkohl. Ein schlimmer Fall von Impulskauf, ich habe keine Ahnung, was ich damit anfangen soll – aber immerhin ist er recht attraktiv in der Küche. Und wohl auch gut zu Fisch, ich erinnere mich da dunkel an etwas.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 5:33 Uhr
Ich setze mich an den Schreibtisch, habe aber ein so überdimensioniertes Formtief, dass ich sofort einzuschlafen drohe. Ich brauche Bewegung und Zuspruch, beides finde ich vor der Tür.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 6:00 Uhr
Ich kaufe eine Mousse-au-Chocolat-Schnitte für die ebenfalls duchhängende Herzdame. Ja, so bin ich.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 6:10 Uhr
Dann setze ich mich wieder an den Schreibtisch und arbeite ernsthaft, mit anderen Worten, ich schreibe genau diesen Text hier.
Dazu läuft schöne Musik von depressiven Menschen. Nick Drake in diesem Fall, auch so ein tragisches Schicksal.
Die Söhne sind am Nachmittag bei Freunden, zwischendurch räume ich schnell den Zettelberg auf, unter denen sich theoretisch ihre Schreibtische befinden müssten. Solche Merksprüche für Buchstaben in der ersten Klasse muss ich kopieren und weglegen, denn wenn er abends darüber nachdenkt und auf einen davon nicht kommt, dann ist an Schlaf nicht mehr zu denken, wenn man das nicht mal eben nachlesen kann. Sohn II ist etwas strebsam, to say the least.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 6:52 Uhr
Ich bereite die Lesungen in den nächsten Wochen vor und suche hektisch in meinen Büchern nach tollen Texten herum. Finde alles doof. Muss doch mehr neue Sachen schreiben. Schlimm! Lese danach auch noch in alten Blogeinträgen und muss wenigstens über den hier lachen. Der ist aber eher nicht so lesegeeinet. Hm (Stimmungstief vor Lesungen ist handelsüblich, keine Sorge, alles gut).
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 6:56 Uhr
Zwischendurch sehe ich mir Motivationsfilmchen an, da ich demnächst noch einen weiteren Tanz erlerne. Die Herzdame war der Meinung, Lindy-Hop könne auf Dauer nicht reichen. Und sie ist mir auch mit dem nächsten Tanz wieder ein Jahr voraus und kann schon alles. Balboa also, eine ziemlich schnelle Geschichte, entstanden in überfüllten Ballsälen, das ist eher nicht raumgreifend, ganz im Gegensatz zum Lindy. Hervorragend geeignet für Gipsy-Swing, das ist natürlich ziemlich verlockend. Dummerweise habe ich mich da jetzt mit einer der besten Tänzerinnen angemeldet, die mir bisher in Hamburg begegnet sind, da werde ich mir also auch noch richtig Mühe geben müssen. Vorsicht bei der Wahl des Freizeitsports!
Und damit zum Feierabendbier. Eher weniger als mehr verdient.
Ein von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) gepostetes Foto am 12. Okt 2016 um 8:22 Uhr
October 9, 2016
Fallende Blätter/Feuilles mortes/Autumn leaves
Es regnet, es ist dunkel und grau, die Blätter fallen, es ist alles sehr schön so. Und der Herbst ist ja nicht nur modisch die einzige überhaupt akzeptable Jahreszeit, er ist auch musikalisch deutlich weiter vorne als die konkurrierenden Teile des Kalenders.
Weswegen ich hier zum wiederholten Male die fallenden Blätter aufführe, wenn Sie das hier also schon länger lesen, dann bitte gleich weitergehen, es gibt nichts Neues zu sehen.
Für die neu Zugestiegenen aber doch die entscheidenen Versionen der Feuilles mortes, wofür man sich zum Einstieg noch einmal an die “Normalversion” erinnern muss, gesungen von Yves Montand, selbstverständlich. Ein trauriges Liebeslied, leicht dahingesungen, fast möchte man sagen geträllert, aber ohne es abwertend zu meinen. Ein sentimentales Liedchen.
Den Text dürfte in Frankreich fast jeder auswendig können. Das Lied wird wesentlich eindrucksvoller, wenn der Sänger selbst im Herbst steht, wie hier beim gealterten Montand, der den Anfang in der berühmten Olympia-Version nur langsam spricht, dann erst vom Nordwind und kalten Nächten singt und später dann, wenn das Meer die Spur der Liebenden am Strand auslöscht, mit einem ganz einfachen Lichteffekt … ach, es ist zu und zu schön. Man achte bitte auf seinen Gesichtsausdruck nach diesem Auftritt, und plötzliches ist es alles andere als ein kleines Liedchen. Es ist eine Chanson-Hymne auf die vergangene Liebe.
Oh, je voudais tant que tu te souviennes
Des jours heureux où nous étions amis
En ce temps-là la vie était plus belle
Et le soleil plus brûlant qu’aujourd’hui.
Les feuilles mortes se ramassent à la pelle
Tu vois, je n’ai pas oublié
Les feuilles mortes se ramassent à la pelle
Les souvenirs et les regrets aussi.
Der Text ist von Jacques Prévert, die Musik von Joseph Kosma. Eine Übersetzung gibt es hier.
Et le vent du nord les emporte
Dans la nuit froide de l’oubli
Tu vois, je n’ai pas oublié
La chanson que tu me chantais.
Wie grandios und souverän Montand war, das erkennt man auch in der Talkshowversion, in der er einfach so aus dem Stand bzw. aus dem Sitzen singt, ganz schlicht, ganz pur, ganz unvermutet. Furchtbare Bildqualität, aber egal.
Manche Versionen brauchen auch etwas länger, bis sie bei einem ankommen, manchen Videos muss man erst einmal eine Chance geben. An dem Lied hat sich alles abgearbeitet, was Rang und Namen hat, es gibt auch Größen darunter, deren Versionen ich auch beim zehnten Hören nicht für gelungen halte, etwa Hannes Wader oder Bob Dylan. Aber spannend ist es doch, was aus einem Lied alles werden kann.
Autumn leaves wiederum gibt es natürlich in endlos vielen Versionen, halbwegs heiter plätschernde, swingende, rockende, langweilige, schlagerhafte und so weiter, es gibt auch Versionen, zu denen die Herzdame und ich Lindy-Hop tanzen könnten. Man kennt sicher eine der Aufnahmen von Nat King Cole oder die von Frank Sinatra, hier in einem etwas ungewohnten Arrangement mit Flöte. Warum auch nicht.
Man kann Stunden damit zubringen, sich Versionen des Stückes anzusehen, man findet immer noch neue Varianten.
Die traurigste, hinreißendste und umwerfendste Version ist für mich aber die von Eva Cassidy. Und sie wird noch viel trauriger, wenn man ihre Geschichte kennt.
Und wer auf Spotify ist, der kann sich das übrigens auch einmal auf Plattdeutsch anhören, gesungen von Ina Müller, da hat es dann den Titel “Schnee fällt bald”und ist ziemlich dramatisch. Leider nicht auf Youtube verfügbar, aber allemal interessant. Siehe dort auch noch die Version von Cannonball Adderley und ach, man könnte immer so weitermachen. Hildegard Knef!
Es ist Herbst, die Blätter fallen, es regnet. Ist es nicht schön?
Und ruhig auch einmal völlig unbekannte Menschen zuhören. Gilt ja auch sonst im Leben.
October 8, 2016
Woanders – Mit Migranten, Linken, Hass und anderem, mit eher mehr als wenig Politik
Ziemlich großartige Bilder von Migranten. Schon etwas älter. Also die Bilder.
Noch mehr Bilder, wieder alte, diesmal aus der Schweiz.
Ein Soziologe über Rechtsextremismus und Linke in Europa.Bei den historischen Fehlern der Linken möchte ich ihm mittlerweile zustimmen, ich finde, es liegt auf der Hand. Das Unglück begann mit der Agendapolitik, ich möchte es krückstockfuchtelnd immer wiederholen. Siehe auch die Lebenslage der “arbeitenden Mitte”.
Nationalstaaten lösen nix mehr. Nämlich.
Anne Mattuschek erklärt, warum Hass keine schützenswerte Meinung ist. Und dann noch Peter Breuer dazu.
Und dann noch die Sache mit der Unfreundlichkeit und den Fehlern.
Einige Anmerkungen zur Jugend von heute und zur Verklärung des Gestern, mit schönen Anmerkungen zu meiner Generation. Kann man ja alles nicht oft genug erklären. Die Passage mit Lemmy Kilmister ist schön und treffend.
Ein wunderbarer Text über den ach so elenden Lokaljournalismus. Halbwegs passend dazu ein Text der Kaltmamsell über ihre erste Zeit in einer Redaktion.
Constantin Seibt macht etwas Neues, sehr spannend.
Ich bin ganz verliebt in die Überschrift “vifes Fossil”, ich möchte bitte auch eines Tages so genannt werden. Vifes Fossil! Ich kriege mich gar nicht mehr ein, so schön ist das.
Ein seltsamer Tag.
Frankreich liest die Liebesbriefe von Mitterand.
Über Stefan Zweig und sein Heimweh. Ich habe vor einiger Zeit einmal über Ricardo geschrieben, der nach dem Dritten Reich aus Südamerika nach Deutschland zurückgekehrt ist. Der hatte dann manchmal Heimweh nach Argentinien – und vermutlich auch nach seinem komplett untergegangenen und unvorstellbar veränderten Heimatland von vor 33, worüber er allerdings nie gesprochen hat.
Danke!
(Ein Text von Johnny Buddenbohm, sieben Jahre alt)
Wir haben Paket aus Kanada bekommen, von einer Leserin, die dort wohnt. Da war Kaugummi und auch so Fruchtzeug drin, das war so wie eine Lakritzschnecke nur kürzer und dicker. Das Fruchtzeug schmeckte mir nicht so gut, das hat dann nur mein Bruder gegessen, der mochte das. Das Kaugummi war aber wirklich sehr gut, das müsste es hier auch geben. Und man kann es auch sehr gut aufteilen.
Das war supernett von der Dame, ich möchte mich bedanken. Mein Bruder Jojo bestimmt auch, aber der ist gerade nicht da, der holt Brötchen. Ich finde es überhaupt immer sehr toll, wenn Leserinnen etwas schicken.
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