Maximilian Buddenbohm's Blog, page 298

October 26, 2015

Kleine Szenen (6)

Ich lese Meldungen in den Refugee-Support-Gruppen auf Facebook, da geht es oft auch um den Hamburger Hauptbahnhof. Bei der Deutschen Bahn haben jetzt mehrmals Menschen angerufen und sich beschwert: Wenn die Suppe der Hilfsinitiativen aus dem Stadtteil hier an die Geflüchteten ausgegeben wird, dann bilden die Hungrigen vor dem Versorgungsstand im Zelt auf dem Bahnhofsvorplatz eine Schlange. Und diese Schlange ist anderen Menschen im Weg, die müssen dann nämlich darum herum gehen. Und so geht es ja nun nicht.


Immer wieder fallen mir, wenn ich morgens durch den Bahnhof zu meiner S-Bahn gehe, in den Grüppchen der Geflüchteten, die da hinter den Helfern her zu einem Gleis gehen, Menschen auf, die weniger Gepäck dabei haben als die Hamburger Büroangestellten auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch. Und Menschen mit viel Gepäck, also etwa mit einer Menge, die wir nach Mallorca mitnehmen, sieht man fast gar nicht.


Ein kleines Mädchen aus, na, sagen wir Syrien, füttert Tauben vor dem Bahnhof, lacht und freut sich, weil die Vögel tatsächlich kommen und an ihren Krümeln picken, die sie aus einem Brötchen zupft. Gibt es Tauben in Syrien? Ich habe keine Ahnung. Neben dem Mädchen stehen zwei vermutlich deutsche Rentnerinnen, kopfschüttelnd: Taubenfüttern! Das auch noch!


Ein erstaunlich warmer Herbstabend, nachdem es hier schon früh im Jahr ziemlich kalt, nass und gemein war. Aber heute geht man noch einmal entspannter durch den Abend, freundliche elf Grad, überhaupt kein Wind, die Schultern lockern sich wieder, manche laufen ohne Jacke herum. Am Nachmittag war ein merkwürdiges Licht in der Stadt, fahle Sonne, die Herbstblätter leuchteten darin noch heller als sonst, überall Straßen mit Goldrand. Auf dem Bahnhofsvorplatz liegen jetzt am frühen Abend wieder Menschen einfach auf dem Boden und schlafen eine Stunde oder mehr, bis der nächste Zug nach Norden fährt. Manche schlafen da mit ihren Kindern im Arm. Anorak, Mütze, zwei Decken, das geht. Bei diesem Wetter muss man sich nicht für ein paar Stunden ein Dach suchen, ein Zelt, einen Platz in irgendeiner Einrichtung. Man muss niemanden um etwas bitten. Man kann einfach irgendwo ein wenig schlafen. Für den nächsten Tag ist schon wieder Regen angesagt.


Ohne Titel


Ich gehe um die Alster, es ist ein Sonntagvormittag. Dunkle Wolken ziehen über die Stadt. Aber es riecht noch nicht nach Regen, die Luft ist oktoberklar und zwischen den Wolken bricht alle paar Minuten die Sonne hervor, dass die alten Bäume am Alsterufer im Licht plötzlich aufflammen, jähes Gold, unfassbares Rot. Die Alster liegt dunkelblau, darüber Wolken, die sich immer höher türmen. Jetzt ist eine Wolkenlücke mitten über dem Wasser, dass die Sonnenstrahlen wie schräge Säulen zu den Ufern streben, ein kathedralenhafter Anblick wie aus einem völlig überzeichneten Stadtwerbeprospekt. Ein Windhauch geht durch die Bäume, aus deren sachte bebenden Zweigen sich Laub löst, als würde alles auf einmal losgelassen, immer noch mehr und noch mehr kommt da herunter, obwohl es doch nur ein Windchen war. Die Bätter kapriolen durch die Luft, sie lassen sich Zeit bis zur Landung. Der Herbst wirft mit Gold, es regnet maßlose Pracht auf die Spaziergänger, die stehenbleiben und mit offenem Mund nach oben sehen, weil es ein so überaus perfekter Herbstmoment ist. Sie sehen nach oben in die trudelnden Blätter und dann wieder nach vorne über die Alster. Paare rücken enger zusammen, Handyfotos, zeigende Finger, sprachloses Staunen, es ist schön, es ist so schön hier, guck doch mal, wie schön. Ja. Die Menschen gehen weiter, sie gehen langsam durch all die Schönheit, man hat Zeit und ist beglückt. Man trägt neue Herbstmode und sieht aus wie frisch renoviert, die Kulisse ringsum könnte in keiner Oper ansprechender oder üppiger sein und der Wein an den alten Villen im Alstervorland färbt sich auch diesem Jahr wieder äußerst geschmackvoll rot, auch darauf zeigt man. Wie er das immer hinbekommt, so genau richtig rot zu werden, man könnte heute jede Mauer, jedes Blatt und jeden Zaun für so ein Landlustmagazin fotografieren. Von irgendeinem Elend, von irgendeiner Krise sieht man hier nichts, gar nichts.


Ohne Titel


Ein junger Vater kniet in der Wandelhalle neben seinem etwa sechsjährigen Sohn. Sie knien vor einer Steckdose unter einer Treppe, sie laden da ein Handy auf. Vor ihnen liegen noch mehr Handys, ein ganzes Bündel verwirrter Ladekabel. Der Vater erklärt dem Jungen gerade ein Spiel auf dem Handy, der Sohn ist hochkonzentriert und ganz offensichtlich sehr begeistert. Er legt sich auf den Bauch, man sieht seine Aufregung an den wild zappelnden Füßen. Der Vater sieht ihm eine Weile zu, ob auch alles funktioniert, ob der Kleine alles verstanden hat, sagt noch einen Satz, zeigt noch einmal aufs Display, dann steht er auf und streckt sich. Genau wie ich den Söhnen etwas auf dem Handy zeige. Nur nicht mitten im Bahnhof, abends um halb zehn.


Für die Hilfsinitiativen hier im kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Für die Suppe, die den Geflüchteten am Bahnhof gereicht wird, für so elementar Wichtiges wie Trinkwasser, für die Nachtquartiere, für etwas Hilfe auf dem Weg. Spendenbescheinigung auf Wunsch möglich! Vielen Dank.


 


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Published on October 26, 2015 07:12

October 24, 2015

Woanders – Die elfte Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit

In der letzten Ausgabe dieser Sammlung hatte ich einen Artikel, in dem es um die hochkomplizierte Registrierung der Geflüchteten ging, von bis zu sechs behördlichen Durchgängen mit wahnsinnig viel Papier und etlichen Softwarevarianten war da die Rede – hier sozusagen ein Update dazu.


Deutschland: Bei Johannes Korten ist ein Gastbeitrag im Blog erschienen, und obwohl alles klein geschrieben ist, stammt der Text gar nicht von Felix Schwenzel. Nanu! Ein lesenswerter Text ist es jedenfalls, es geht um vermeintlich falsche Fragen und Integration.


Weltpolitik: Der Großkommentar der Woche reicht vermutlich für einen ganzen Becher Kaffee, er steht in der Zeit und ist von Bernd Ulrich.


Deutschland: Und wenn man schon bei Kommentaren ist, Sascha Lobo hat etwas über den braunen Frühling in Deutschland geschrieben, mitten im Herbst.  Man möchte hoffen, dass er falsch liegt, aber woher soll man die Hoffnung nehmen?


Deutschland: Und der Herr Prantl sortiert auch noch einmal die Lage durch.


Deutschland: Ein weiterer Kommentar bei Carta, dort ist insbesondere der Hinweis darauf wichtig, dass dieses Land hier nicht seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ein aufgeklärtes, liberales, tolerantes Wundermodell für den verstockten Rest der Welt ist. Da betreiben nicht wenige Menschen, besonders aus dem eher konservativen Spektrum, gerade munter Geschichtsfälschung, als wären  die 68er schon hundert Jahre früher durch Berlin gelaufen. Sind sie nicht, und sie waren bitter nötig, da wo sie waren und genau zu dem Zeitpunkt. Wie übrigens auch die Emma, wie auch die Friedensbewegung, wie auch die ersten Grünen im Bundestag. Und die waren alle quasi eben gerade erst, nicht direkt nach dem Rückzug Napoleons. So viel Vorsprung haben wir nun wirklich nicht, das Ross sollte doch lieber nicht ganz so hoch sein.


Deutschland: Sarah Connor hat Flüchtlinge aufgenommen und schreibt selbst darüber. Und auch Familien aus Wildeshausen – wo auch immer das ist – nehmen Menschen auf. Beim NDR gibt es einen Film über Menschen, die nicht hinnehmen wollen, dass andere im kalten Hamburger Herbst in Zelten übernachten müssen. Und hier macht jemand einfach mal einen Besuch.


Deutschland: Bei dem Text über Wildeshausen kam kurz der Anruf einer Mutter vor, hier wird das noch etwas länger ausgeführt. Da unterhalten sich zwei Mütter.


Deutschland: Im Neusprechblog erörtert man rückkehrpolitisch relevante Drittstaaten. Ja, so heißen die.


Deutschland: In ziemlich überraschender Deutlichkeit nennt die Welt Sprecher der Polizeigewerkschaft Steigbügelhalter der AfD, NPD etc.  Es ist mittlerweile immer überraschender, welcher Text auf welcher Seite erscheint.


Deutschland: Bei der Deutschen Welle geht es um das Geschäft mit den Flüchtlingen, ein Thema, bei dem mit ziemlicher Sicherheit noch der eine oder andere Skandal zu erwarten ist.


Deutschland: Zum Jahrestag der Pegida-Bewegung gab es viele Kommentare, hier einer in der Jüdischen Allgemeinen. Im Text kommt der Name Rothschild vor, ich habe an dem Tag, an dem ich diesen Link hier eingebaut habe, gleich dreimal in irgendwelchen Kommentaren unter Meldungen zum Thema Flucht und Migration Hinweise auf die Weltherrschaft der Familie Rothschild gelesen. Da guckt man dann auch noch einmal fragend auf den Kalender, in welchem Jahr und in welchem Jahrhundert man eigentlich gelandet ist.


Deutschland: In diesem Zusammenhang ein Blogartikel aus SPD-Basisperspektive, der die Frage aufwirft, ob das alles jetzt der Anfang ist. Und obwohl ich dem Verfasser darin zustimme, dass es in den Parteien, natürlich nicht nur in der SPD, viele engagierte Menschen gibt, sehe ich gerade bei der SPD keinerlei Verbindung mehr zur Politik in Berlin. Das hängt inhaltlich nicht mehr zusammen, auch bei den Grünen übrigens nicht.


Deutschland: Da die Meldungen sich so schnell überschlagen, gehen ordnende Texte schnell unter, hier noch einmal eine sehr vernünftige und hilfreiche Liste der Kritikpunkte an der letzten Asylgesetzänderung, das nach neuerer Kenntnis schon ab diesem Wochenende gilt.


Deutschland: Ordnen kann man auch historisch, das geschieht hier mit einer praktischen Übersicht der Migrationsbewegungen aus und nach Deutschland. Ohne den zweiten grauen Kasten von oben gäbe es mich auch nicht. Mit dieser Welle kam mein Urgroßvater Jean-Stanislaus aus einem Dorf in der Gegend um Lodz nach Gerresheim, wo es damals Arbeit für Glasbläser gab. Er hatte einen Sohn und vier oder fünf Töchter, ich habe sie als alte Damen noch höchst bemerkenswert und mit größeren Mengen Alkohol feiern sehen. Schon die nächste Generation konnte dann aber kein Wort Polnisch mehr. Außer schisskojenno, aber das ist ja auch ein wichtiges Wort, das kam bei mir noch an.


Deutschland: Es gab einen Artikel in der Zeit, in dem es um die Frage ging, ob einige der gerade mehr oder weniger prominenten Radikalrechten Nazis sind oder nicht, der Artikel wurde sehr oft geteilt. Bei der Ennomane kann man eine Gegenposition lesen, der Zeit-Artikel, um den es geht, ist dort ebenfalls verlinkt. Der in den Texten gemeinte Björn Höcke spielt auch eine Rolle in diesem Kommentar in der taz zur Frage der Mitverantwortung am Terror von rechts.


Deutschland: Ein Bericht aus der Notaufnahme, unter besonderer Berücksichtigung der Clambofylzieen. Da staunt nicht nur der Laie.


Syrien: Bei den Krautreportern – gerade noch ohne Paywall – wird der Syrienkrieg noch einmal ganz von vorne erklärt. Kann auch nicht schaden, denn wer kann diese Geschichte schon aus dem Stegreif aufsagen.


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Published on October 24, 2015 07:39

October 22, 2015

Doppeldank

Gleich zwei Postsendungen haben uns erreicht, wir haben zu danken – und zwar einerseits  der Leserin I. aus Irland für die Oliver-Twist-CD, die Sohn I bereits mit “sehr gut, krasse Geschichte” beurteilt hat. Mal sehen, ob ich ihm demnächst noch mehr Details entlocken kann.


Oliver Twist (Hörbuch)


Und zum  anderen für den Comic “Q-R-T” von Ferdinand Lutz, den uns der Leser D. geschickt hat. Mit Begleitbrief in bemerkenswert schöner Handschrift, das gibt’s ja heute kaum noch. Die Besprechung erfolgt im November durch Sohn I, auch wenn ein Buch natürlich kein Elektrospielzeug ist, aber da sind wir flexibel.  


Q-R-T Comic


Ganz herzlichen Dank!

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Published on October 22, 2015 10:30

October 21, 2015

Woanders – Der Wirtschaftsteil

Es geht um TTIP, und sozusagen als Lockerungsübung vorweg gibt es eine Liste der Stichwörter, die dazugehören.


TTIP ist ein schwieriges Thema, eine komplizierte Materie. Inhaltlich teils vollkommen unklar und geimnisvoll. Und da, wo es halbwegs klar ist, worum es geht, ist es auch nicht gerade leicht, die Folgen einzuschätzen. Eine einheitliche Expertenmeinung gibt es nicht, man möchte fast sagen: schon gar nicht.


In den Medien ist das Abkommen kein Dauerthema, und die Positionierung etlicher Blätter dazu ist manchmal so rätselhaft wie das Abkommen an sich. Umso erstaunlicher, dass es neulich eine riesige,eine wirklich enorm große Demo gegen TTIP und CETA gab. Und auch verblüffend, dass in Umfagen so viele gegen das Abkommen sind, und nicht einfach “mir doch egal” oder “weiß nicht” sagen. In den Medien kam diese Riesendemo in Berlin allerdings eher bescheiden vor. Dazu ein paar Gedanken im Cicero.


In der taz nimmt man an, dass diese Demo Folgen für die Politik der SPD haben könnte, mit einer recht interessanten Begründung, da ist man dann wieder beim ganz großen Schachspiel. Und wenn man noch größer denkt, global sogar,dann fallen einem auch die Entwicklungsländer wieder ein, die mit dem Abkommen sehr wohl etwas zu tun haben, auch wenn es um sie zunächst gar nicht geht.


Kurzer Exkurs, weil es gerade so gut zu Entwicklungsländern passt: der neue Wirtschaftsnobelpreisträger hat da einige originelle Gedanken zum Thema Entwicklungshilfe und Flucht.


Zurück zu TTIP – was heißt nun diese vollkommen ungewöhnliche Teilnehmerzahl bei der Demo? Interessieren sich also trotz reihenweise niedriger Wahlbeteiligungen in Deutschland doch viele Menschen für Politik? Die Zeit bejaht das und macht einen Artikel über diese Demo mit einem beeindruckenden Bild auf, das auch die Dimension der Veranstaltung erahnen lässt.


Zu TTIP abschließend noch schnell ein aktueller Literaturtipp, in “Der Unfreihandel” von Petra Pinzler, das ist auch die Autorin des eben gerade verlinkten Textes. Das Buch ist im September bei Rowohlt erschienen.Hier noch ein Interview mit Petra Pinzler im Deutschlandfunk.


Wobei man übrigens, wenn man schon bei großen Abkommen ist, auch einmal über TPP nachdenken könnte. Und das ist jetzt keine Abkürzung, in der ein I fehlt, die heißt wirklich so. Und die Abkürzung sollte man wohl auch kennen, hier gibt es mehr darüber, inklusive typisch europäischer Endzeitgedanken.


Zum Schluss ein Link, der gar nicht ausdrücklich für den Freundeskreis Fahrrad ist, in dieser Gemeinde aber dennoch ziemlich sicher viele Freunde finden wird. Es geht um die deutsche Autobahn und um die ebenso deutsche Raserei, dazu gab es in der FAZ gerade einen längeren Artikel, der auf Facebook, Twitter etc. sehr oft herumgereicht wurde. Ein ungewohnt persönlicher Artikel.


GLS Bank mit Sinn


 

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Published on October 21, 2015 21:47

October 19, 2015

Elektrospielzeug: “Unter meinem Bett”

Unter meinem Bett


Hier ist wieder Jojo, ich bin jetzt acht Jahre alt und ich habe eine CD von Oetinger geschickt bekommen, um darüber zu schreiben. Die CD heißt “Unter meinem Bett”. Ich habe sie richtig oft gehört, mein Bruder auch. Die CD hat mir sehr gefallen, besonders diese Lieder:


“Der Tee von Eugenia” von Francesco Wilking und Moritz Krämer


“Den ganzen Sommer lang” von Bernd Begemann


“Große Pause” von Desiree Klaeukens


“Gegenteiltag” von Peter Licht


“Kommissar Ärmchen” von Olli Schulz


“Grimmiger alter Mann” von Jan Plewka


“Der Habicht und der Hahn “ von Käptn Peng


“Lied von den Wölfen” von Wolfgang Müller


“Unter meinem Bett” von Nils Koppruch, der ist schon tot, aber das Lied ist sehr lustig


Kommissar Ärmchen ist das allerbeste Lied, das ist am witzigsten. Und der Tee von Eugenia ist der beste Ohrwurm, das kann man immer wieder und wieder hören. Richtig doof war gar kein Lied. Die CD ist ungefähr für Kinder von 5 bis 9 Jahren, schätze ich,und sie ist bestimmt gut als Geschenk. Meinen Eltern hat sie aber auch gefallen, obwohl die ja älter sind. Ich finde Cro zwar noch besser, aber “Unter meinem Bett” ist meine zweitbeste CD in diesem Jahr.


Zum Lied “Immer muss ich alles sollen” von Gisbert zu Knyphausen gibt es auch schon einen Film:



Und am 29.11. gibt es in der Fabrik in Hamburg ein Release-Konzert, so heißt das, wenn die CD rauskommt. Da kommen die, die diese Lieder gemacht haben. Und da gehen wir auch hin, dass finde ich sehr toll, einfach klasse.


 


 

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Published on October 19, 2015 07:43

October 18, 2015

Woanders – Die zehnte Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit

Es sind doch wieder mehr Artikel geworden, nachdem die Anzahl der Funde in der letzten Woche etwas zurückging, das scheint einer Wellenbewegung zu folgen. Ich lasse mich jetzt etwas zurückfallen, da ich bei diesen Sammlungen keinen Zeitdruck haben möchte, deswegen schaffen es eher Kommentare, abgelegene Meldungen, längere Texte und Blogartikel in diese Liste. “Normale” Meldungen veralten nach zwei, drei Tagen und kommen wohl nicht mehr vor. Es ist vermutlich ganz gut, auch bei diesem aktuellen Thema eine Woche zu warten und zu sehen,ob eine Meldung dann wirklich immer noch interessant ist – und auch noch nicht von anderen Medien widerlegt.


Hamburg: Ich gucke gerade, ob ich mich bei “Dialog in Deutsch” irgendwie nützlich machen kann, das ist vielleicht auch für andere Hamburger interessant. Ein niedrigschwelliges und offenes Angebot – just come along – der Hamburger Bücherhallen. Klingt gut.


Deutschland: Ein Rückblick auf die Flüchtlingskrise in Bayern, aber nicht auf die letzten Wochen, sondern auf die Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg.  Geschichtsuntericht kann so sinnvoll sein.


Deutschland: Im Sprachlog geht es um die seltsame Wortschöpfung “Asylbefürworter”. Es ist ein wenig kompliziert.


Cottbus: Die Polizei wurde dort also überrannt. Wie isses nun bloß möglich? Man kommt immer wieder zum Schluss: würde die Gewalt von der linken Szene ausgehen, es wäre ganz sicher nicht möglich.


Europa: Auf SPON ein Artikel, der etwas versucht, was mir gerade viel zu selten probiert wird, nämlich Zusammenhänge herzustellen. Wie hängen die diversen Krisen der letzten Zeit eigentlich zusammen? Da hätte auch gerne noch mehr kommen können, der Text wirkt etwas kurz.


Deutschland: Der MDR über die Bürokratie der Flüchtlingsregistrierung: “… die Computer der beiden Behörden verstehen sich nicht.” Es ist und bleibt für mich eine der erschütterndsten Erkenntnisse der aktuellen Lage, wie schlecht dieses Land organisiert ist und wie unfähig auf eine besondere Situation reagiert wird. Von wegen deutsche Effizienz und Ordnung, nichts ist davon zu spüren, gar nichts. Ich habe es wirklich nicht gewusst, dass hier so dermaßen wenig funktioniert.


Deutschland: Was dann aber doch funktioniert, das ist die Überwachung. Hier eine Meldung zu markierten Rufnummern von Flüchtlingen. Man staunt. Oder staunt man schon gar nicht mehr?


Deutschland: In der Tagesschau ein wütender Kommentar zum Unfug der Transitzonen. Deutlich und treffend. Wobei man sich auch bei Transitzonen das Wort etwas genauer ansehen sollte.


Deutschland: Einige Hinweise darauf, wie rechte Propaganda funktioniert, auf die linke Variante wäre das natürlich ähnlich anzuwenden. Das weiß man irgendwie alles, es ist dennoch sinnvoll, es sich noch einmal strukturiert klarzumachen. Dann staunt man bei manchen Artikel noch mehr. Ebenfalls in diesem Zusammenhang interessant ist ein Text, der Pegida mit der NSDAP zusammenbringt.


Deutschland: Eine Zahl, über die man nicht einfach weglesen sollte: 50 rechte Straftaten pro Tag.


Deutschland: Die Dachauer Tafel möchte Flüchtlingen lieber kein Essen abgeben, die wollen ja eh nur Kichererbsen. Bitte? Doch. Genau so.


Deutschland: Eine Reportage über Lüchow, wo es etwas anders läuft als anderswo.


Deutschland: Im Landkreis Meißen können Geflüchtete Häuser bauen, den beteiligten Baufirmen laufen daraufhin prompt Mitarbeiter weg.


Deutschland: Anne mit Momentaufnahmen aus Deutschland.


Deutschland: Journelle über unterlassene Hilfeleistung.


Deutschland: Im Halbtagsblog geht es um ein Schulprojekt zum Thema Flucht.


Deutschland: Meike Winnemuth geht Grenzen ab, man kann ja auch in diesem Land mal über Heimat nachdenken. Wobei mir wieder einfällt,dass ich wirklich gerne um Schleswig-Holstein herumgehen möchte, aber man kommt ja zu nix. Schlimm.


Deutschland: Ein zorniger – zornig hier im Sinne von Georg Schramm,  er hat vor längerer Zeit einmal sehr schön über das Wort doziert, über die Bedeutung des Zorns, das entscheidende Zitat von Papst Gregor lautete “Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht” – ein zorniger Kommentar also von Andrej Reisin zu Martenstein und Aust. Ich halte das für einen sehr guten Kommentar.


Deutschland: Und noch ein zorniger Kommentar, diesmal zur aktuellen Schulpolitik und womöglich jetzt schon versemmelten Integration der geflüchteten Kinder.


 


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Published on October 18, 2015 09:40

October 17, 2015

Kleine Szenen (5)

Auf dem Bahnhofsvorplatz steht eine geflüchtete Familie, der kleine Sohn ist etwa drei, vier Jahre alt. Sie sind alle müde und verfroren, der Sohn ist aber so müde, dass er kaum noch stehen kann. Er gähnt unentwegt, die Auge fallen ihm dauernd zu, er steht schwankend und taumelnd hinter seinem Vater. Dabei hält er sich an einem der Riemen fest, die von dessen Rucksack herabbaumeln. Seine Hand klammert sich an diesen Riemen, der Vater steht und spricht mit einem der Helfer vor den Versorgungszelten. Er tastet ab und zu nach hinten, ob der Junge noch da ist, streicht ihm kurz übers Haar. Der Junge lehnt den Kopf an den zum Vater hochgereckten Arm und macht die Augen kurz zu, wieder auf, wieder zu, dann bleiben sie erst einmal zu. Der Winterjackenärmel ist weich wie ein Daunenkissen, er würde so gerne schlafen, sicher hat er schon viel zu lange nicht mehr geschlafen. Er schreckt zusammen, wenn sein Arm sinkt, wenn seine Finger sich vom Riemen lösen, den er immer weiter umklammert, ganz, ganz fest. Der Vater geht weiter, hinten auf dem Platz wird Kaffee ausgegeben. Der Kleine trottet hinterher, immer dem Vater nach, dem Rucksack nach, dem Riemen nach, dem eigenen Arm nach, dabei muss man die Augen gar nicht lange aufmachen, immer nur hinterher, er kann mit geschlossenen Augen gehen, er ist so unendlich müde. Es ist schlimm, nicht schlafen zu können, aber es ist noch schlimmer, diesen Riemen loszulassen, durch den er mit seinem Vater verbunden ist, mit den Geschwistern, mit der Familie. Wer weiß, was alles weg ist, wenn er auch nur kurz loslässt.


Ich gehe mit Sohn I am frühen Morgen aus dem Haus, er muss zur Schule, ich ins Büro, wir gehen ein Stück gemeinsam. An einer Hauswand sehen wir ein neues Graffiti, es ist ein ungelenk gesprühter Schriftzug PKK, daneben Hammer und Sichel in der gekreuzten Version, an die man sich als Erwachsener noch dunkel erinnert. Der Sohn fragt etwas erstaunt, ob das Zeichen da ein Buchstabe sei, den würde er ja gar nicht kennen. Ich erkläre ihm die Sache mit dem Hammer und den Arbeitern, mit den Bauern und der Sichel. Er fragt weiter und weiter nach, wir kommen irgendwie auf Monarchie und Revolution und Republik und Kommunismus, auf absolute Herrscher, hungernde Weber und Arbeiter, reiche Fabrikanten und Gutsherren. Es ist ganz erstaunlich, wie viele Themen auf wenige Meter Schulweg passen, wenn jede Antwort immer noch eine Frage erzeugt. Im baufälligen Gemäuer meiner Allgemeinbildung zieht es bei dem Gespräch allerdings eiskalt durchs morsche Gebälk, hier und da wackelt ein Ziegel, und es wird reichlich Staub in lange verschlossenen Kammern aufgewirbelt. Ich denke hektisch nach, wer war wann und was, was kam wovon und seit wann ist das eigentlich so und wie kann ich das erklären, kann ich überhaupt irgendwas erklären? Wie war das denn damals noch im Schulbuch? Und was hat das mit heute zu tun, mit der PKK in der Türkei, mit den Parteien in Deutschland? Der Sohn und ich landen kurz vor dem Schultor bei den Rechten und den Linken, ich erkläre ihm, wieso die so genannt werden und dass es damals, als das alles in Frankreich anfing, um ganz andere Themen ging, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten vielleicht schon nicht mehr. Oder? Europa diskutiert gerade wieder über Grenzen und es ist der Tag mit dem Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung in Berlin, das Volk im Generalverdacht. Im Grunde ist es ein schlechter Witz, wie alles zusammenhängt. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, man möchte direkt lossingen. Ich höre mich über geschichtliche Zusammenhänge reden, ich müsste aber selbst mal wieder dringend darüber nachdenken. Vielleicht wäre es angebracht, wieder in ein Geschichtsbuch zu sehen, man sollte sich nichts auf sein Halbwissen einbilden. Der Sohn fragt nach den Rechten und den Linken, er findet es blöd, dass die Rechten böse sind. Denn als Rechtshänder findet er rechts eigentlich okay. Es wäre ihm lieber, wenn man die Rechten die Linken nennen würde.


Die Söhne reden beim Einschlafen über Flüchtlinge, über die Spendenaktionen bei Edeka und Budni. Die Lage am Bahnhof ist hier dauernd Gesprächsthema, weil man die Menschen vor unserer Haustür nun einmal nicht übersehen kann. Sohn I sagt: “Man kann für die Flüchtlinge Sachen kaufen und dann spenden. Aber wenn man alles klauen würde, das wäre mehr Robin Hood.”


Ich gehe mit der Herzdame auf den verregneten Wochenmarkt und frage Händler mit wetterbedingt novembriger Laune nach Gemüsespenden für die Suppenaktion. Für die Welcome Soup St. Georg, die hier von Eltern und anderen jeden Tag hundertliterweise zubereitet wird, damit die durchreisenden Flüchtlinge am Bahnhof etwas Heißes essen können. Da muss man sich schon ein wenig überwinden, einfach so fragen zu gehen, das macht man sonst nicht. Können wir den Chef sprechen? Können Sie noch einmal etwas spenden? Für die Suppenküche? Bitte? Lächeln, weiter lächeln, fragende Blicke aushalten, die Herzdame kann das viel besser als ich, das ist nichts für mich. Aber die Händler machen mit.


Ich gehe abends über den Steindamm, ich habe hier schon einmal über diese Straße geschrieben, die nicht wie andere Straßen ist. Es ist kalt und es regnet, ich habe eine Mütze und eine Kapuze auf, ich sehe wie durch einen Tunnel, immer nur einen schmalen Ausschnitt der Straße im Blick. Nasses Gemüse und Obst in Auslagen ziehen durchs Bild, viel mehr Sorten als in jedem deutschen Supermarkt, die Schilder daran handgeschrieben in verschiedenen Sprachen, etliche versteht man nicht, einige sind längst im Regen verlaufen. Es gibt in diesen Läden Gemüse, das ich noch nie gegessen habe, eingeflogen aus Afrika oder Indien oder woher auch immer. Riesige Früchte, auf deren Namen ich nicht komme, und seltsames Grünzeug, was ist das, Tang? Irgendwelche Schlingpflanzen? Keine Ahnung. Türkische Imbisse, einer nach dem anderen, immer noch einer, Läden nur für türkisches Gebäck, Regalmeter um Regalmeter nichts als Kekse und Kuchen. Dann ein afghanisches Restaurant, ein indischer Laden, es gibt noch kein Restaurant mit syrischem Essen. Das wird aber sicher nicht mehr lange dauern, und die syrische Küche soll gut sein. Diese Straße ist wohl das, wovor die Demonstranten in Sachsen und anderswo solche Angst haben, diese Straße sieht nicht aus wie die durchschnittliche Einkaufsstraße in einer deutschen Kreisstadt. In dieser Straße kann man gut einkaufen.


Im Drogeriemarkt im Hauptbahnhof stehen drei vermutlich arabische Männer vor dem Regal mit den hundert Sorten Zahnpasta. Einer hält eine Packung in der Hand, die anderen sehen ihm über die Schulter, während er das Ding hin und her dreht und versucht, etwas darauf zu entziffern. Sie sprechen kein Englisch und kein Deutsch und kein Französisch, helfen kann ich ihnen nicht, wobei ich auf Französisch auch nur sinnlose Sätze wie etwa “es ist kalt heute” und “der Bahnhof ist groß” sagen könnte. Die Männer sehen auf die Packung, schütteln den Kopf, sie wissen nicht recht. Einer greift nach der nächsten Packung. Die ist genauso rätselhaft. Sie diskutieren leise, sie sehen alle Packungsseiten an, sie sehen sich an, sie kommen zu keinem Schluss. Es ist schwer. Alles ist schwer.


Für die diversen Hilfsgruppen in unserem kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Geld für eine heiße Suppe, für ein Nachtlager im Stadtteil, für etwas Versorgung der Menschen auf der Flucht.


 


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Published on October 17, 2015 05:28

October 14, 2015

Woanders – Der Wirtschaftsteil

Es ging in dieser Kolumne schon verblüffend lange nicht mehr um Lebensmittel, dann wollen wir mal sehen, was da in den letzten Wochen hängengeblieben ist.


Es geht nicht mit den allerneuesten Trends im veganen oder vegetarischen Bereich los, es geht mit dem Ende eines alten Trends los. Ein Artikel über den letzten Tag eines kleinen und noch selbst schlachtenden Fleischereibetriebs, von denen es in einer Großstadt wie Hamburg mit einiger Sicherheit weniger gibt, als man so denkt. Nur zwei? Für mehr als eine Million Kunden. Und nach ihnen die Fleischindustrie, kann einem das nun recht sein?


Die handwerklichen Betriebe verschwinden also, das Fleisch kommt selbstverständlich dennoch auf den Teller. Das ZDF mit den Details zur Tierfabrik Deutschland, die man im Prinzip alle schon einmal gehört hat – es schadet aber nicht, sie ab und zu geballt zur Kenntnis zur nehmen. Das Problem geht nämlich nicht von selbst weg. Übrigens auch dann nicht, wenn man sich das Zeug von hippen Lieferdiensten bringen lässt. Und industriell bleibt es auch dann, wenn man Teile der Nahrungskette auf Insekten umschwenkt. Der folgende Artikel lohnt sich zu diesem Thema schon wegen des letzten Satzes.


Zur Tierfabrik Deutschland gehört auch die Milch, dazu aber kein Horrorartikel, sondern ein Bericht im Landlebenblog über ein Milchhäusle, in dem man Tag und Nacht selbst zapfen kann. Ja, auch nachts um drei.


Und ein Kommentar muss auch noch sein, nämlich einer aus der SZ, da geht es nicht nur um Milch, da geht es um die ganze Ausrichtung der deutschen Landwirtschaft und um den Weltmarkt. Und um die Verbraucher, um die geht es auch. Der Satz “Viele wünschen sich eine schonende Landwirtschaft, in der etwa weniger Gift auf den Feldern versprüht wird …” ist irgendwie geradezu niedlich. Ein bisschen Frieden, ein bisschen weniger Gift. Bescheidenheit können wir wohl. Man kann den Kern des Problems auch noch deutlicher benennen: die Landwirtschaft bringt sich um.Ein Kasandra-Ruf in der Berliner Zeitung.


Es gibt auch Meldungen zu Obst und Gemüse, die kann man entspannter lesen als die zum Thema Fleisch, also ohne dauernd an Leid und Elend zu denken. Selbst wenn es um unschönes Gemüse geht, um “culinary misfits”. Man kann verbeultes Gemüse einfach essen und dabei vernünnftig handeln.


Wobei man für Obst und Gemüse Boden braucht, und mit dem gibt es auch ein paar Probleme, hier an einem Beispiel in Brandenburg dargestellt.


Eine Meldung bei der man ganz nostalgisch werden möchten, wissen Sie noch, damals die atomwaffenfreien Gemeinden in Deutschland? Na gut, es ist schon eine ganze Weile her. Aber es gibt wieder Gemeinden, die sich von etwas befreien, diesmal von Pestiziden. Nicht in Deutschland, aber in Südtirol gibt es diese Premiere, denn das wird es wohl sein.


Zum Schluss doch einmal ein Link in einen Bereich, in den wir fast nie verlinken, in den Sport. Und da geht es dann doch noch um die vegane Ernährung: Fleischlos in der Bundesliga.


GLS Bank mit Sinn

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Published on October 14, 2015 21:41

October 13, 2015

Kategorien-Update

Weil sie tatsächlich schon mehrfach nachgefragt wurden, habe ich dem Blog noch zwei Kategorien hinzugefügt, damit man gewisse Artikel leichter wiederfinden kann. Nämlich zum einen “Gelesen, vorgelesen etc.” und zum anderen “Die Herzdame backt”. Alle Kategorien sind immer rechts in der Randspalte zu finden.


 

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Published on October 13, 2015 08:06

October 11, 2015

Kleine Szenen (4)

Eine Szene aus der Vergangenheit der Herzdame. Als sie nach der Schule nach Hamburg zog, machte sie hier ein Freiwilliges Soziales Jahr, dabei arbeitete sie in einem evangelischen Altersheim. Eine der dementen Bewohnerinnen dort gab immer wieder denselben Satz von sich, immer wieder und wieder, tagelang: “Ach nein, ach nein, muss es denn ein Flüchtling sein!” Ob sich der Satz auf eine selbsterlebte Liebesgeschichte in der Nachkriegszeit bezog oder ob es eine ganz andere Erklärung dafür gab, das hat man nie erfahren.


Eine Szene aus der jüngeren Vergangenheit, es ist vielleicht vier Jahre her. Irgendeine Kinderparty auf einem Spielplatz in einem Nachbarstadtteil. Der Spielplatz ist umzäunt, ein halbhoher Metallzaun, über den man als Erwachsener mit etwas Anlauf auch springen könnte. Es ist ein privat betriebener Platz, wir können ihn an diesem Nachmittag nutzen, wir haben den Schlüssel für das Tor im Zaun und auch für das kleine Haus mit den Toiletten, Spielsachen, Bobbycars. Die Kinder spielen, die Erwachsenen stehen am Grill und am Bierkasten, es ist ein ziemlich entspannter und sonniger Nachmittag, jedenfalls bis Sohn II das Karussell mit dem Gebiss bremst, aber das ist eine andere Geschichte, darum geht es nicht. Kinder, die nicht zu unseren Kindern gehören, kommen zwischendurch vorbei, sie sind etwas größer als die in unserem Rudel. Sie klettern über den Zaun und gehen zur Schaukel, ohne sich um uns zu kümmern. Das wird hier ihr Revier sein. Der Mann neben mir, ein türkischer Vater, fragt mich, ob die das denn dürfen. Die würden ja nicht zu uns gehören und der Platz sei doch für uns reserviert. Ich sage, dass hier nun einmal ein Spielplatz sei, dass es doch völlig egal sei, ein paar Kinder mehr. “Pardon”, sagt der türkische Vater, “aber da ist ein Zaun und das Tor ist geschlossen. Und ich bin hyperintegriert, ich kann so etwas nicht ab.”


Letzte Woche. Vor dem Hamburger Hauptbahnhof spielt die Tochter einer deutschen Helferin mit den zwei Töchtern einer geflüchteten Familie, sie sind alle drei etwa fünf Jahre alt. Sie hüpfen über die Palettenstapel, die man dort aufgebaut hat, damit man sich darauf etwas ausruhen kann, es sind Behelfsmöbel in einem etwas grotesken Loungestil.  Es ruhen dort gerade keine Menschen, es gibt nur diese drei Kinder, die kreischend über die Paletten hüpfen, rauf und runter und rüber von Stapel zu Stapel. Wenn man eine Weile zusieht, so wie Sohn I und ich, dann sieht man, dass dieses Spiel irgendwelchen Regeln folgt. Es geht wohl um eine Reihenfolge, in der man von Palette zu Palette muss, ohne die anderen Kinder zu berühren. Oder muss man sie gerade berühren? Und darf man zwischendurch mit den Füßen auf den Boden oder nicht? Das ist dem Sohn zunächst nicht ganz klar, und den Mädchen ist das vielleicht auch nicht ganz klar, jedenfalls stoßen sie ab und zu wild kichernd zusammen, weil die Choreografie doch noch nicht ganz klappt. Dann rufen sie sich aufgeregte Sätze zu und lachen sich kaputt, weil sie überhaupt nichts verstehen und so komisch fremd klingen. “Die können nicht miteinander reden”, sagt Sohn I, “aber man muss ja auch nicht reden, um zusammen rumzuhüpfen.” Die Mädchen liegen japsend auf den Paletten und kichern, dann kitzeln sie sich laut lachend und hüpfen wieder los und jagen sich über die Holzstapel.


Die Herbstmode sorgt seit ein paar Wochen dafür, dass die Frauen Ponchos tragen. Ponchos in allen denkbaren Größen, Materialien und Farben. Wenn man eine Weile am Hauptbahnhof steht und in das Menschengewirr sieht, sind die Silhouetten der zur Arbeit eilenden Frauen in modischen Ponchos und die der geflüchteten Frauen in übergeworfenen Decken manchmal ganz ähnlich.


Die Herzdame hilft in den Messehallen, wo immer noch gespendete Kleidung empfangen und sortiert wird. Von hier werden jetzt alle Unterkünfte in Hamburg beliefert, von hier wird auch eine mobile Kleiderkammer am Hauptbahnhof versorgt, aus der man den Durchreisenden nach Skandinavien die notwendigsten Dingen gibt, Winterjacken, feste Schuhen, warme Pullover. Immer noch kommen Syrer und andere in Flipflops und T-Shirts an, immer wieder sieht man erbärmlich frierende Menschen. Die Herzdame sortiert in den Messehallen einen Tag lang Damenoberbekleidung für Frauen, die in Europa auf Asyl hoffen, darunter auch dieses bemerkenswerte Stück:


T-Shirt: Hinterm Horizont gehts weiter


 


Zwischendurch fahren wir für ein Wochenende ins Heimatdorf der Herzdame in Nordostwestfalen. Es ist ein kleines Dorf in der Nähe einer nicht ganz so großen Stadt. Wir sehen drei Tage lang keinen einzigen ausländischen Menschen, also zumindest keinen, dem man die Herkunft ansehen würde. Man läuft immer Gefahr, den kleinen Ausschnitt Deutschlands, den man bewohnt, für das Land zu halten, man läuft immer Gefahr, das da vor der Haustür für die allgemeine Lage zu halten. Das kleine Bahnhofsviertel in Hamburg und das kleine Heimatdorf in Nordostwestfalen sind so absurd verschieden, dazwischen könnten auch Kontinente liegen. Und doch reden alle gerade dauernd über Deutschland, als ob das eine vollkommen klare Sache sei, was das nun ist und wie es da zugeht. Aus dem Ausland kommen im Heimatdorf der Herzdame nur ein paar Vögel bei der dörflichen Geflügelschau. Sie sind bestens integriert, wenn man die kleinen Schilder an den Käfigen nicht lesen würde, man käme gar nicht auf die Herkunftsländer. Vögel eben, Tauben oder Hühner. In einigen Nachbardörfern in der Gegend leben viele Russlanddeutsche, Spätaussiedler, wie auch immer sie korrekt benannt werden, ich weiß es gar nicht. Die kamen damals in den Neunzigern. Und die erkennt man auch nicht, nur einige ganz alte Frauen mit bunten Kopftüchern sehen manchmal so aus, dass man Großmütterchen zu ihnen sagen möchte, wie in russischen illustrierten Kinderbüchern. Gegen die Kopftücher dieser alten Damen hat man nie etwas gehabt, glaube ich.


Für die diversen Hilfsgruppen in unserem kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Geld für eine heiße Suppe, für ein Nachtlager, für etwas Versorgung.


 


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Published on October 11, 2015 21:28

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Maximilian Buddenbohm
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