Maximilian Buddenbohm's Blog, page 300
October 3, 2015
Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im September
Gelesen
Ich habe verblüffend wenig gelesen im September, ich hing nur noch vor Nachrichtenseiten und las permanent Updates zur Situation der Geflüchteten in Südosteuropa, in Deutschland und natürlich vor unserer Haustür. Das lässt mich immer noch nicht los, ich komme dadurch wirklich seltener zu Büchern.
Kristine Bilkau: Die Glücklichen
Auf dem Schutzumschlag geht der Blick über eine Wohngegend, Dächer und Zimmer an einem blaudunklen Winterabend, es wird einem schon kalt vom Bild und die Kälte passt natürlich zu dem, was dann kommt. Die beiden Hauptfiguren wohnen in gentrifizierter Gegend, sie haben gerade ein Kind bekommen und gehen kreativen Berufen nach, er in den Medien, sie als Cellistin. Man lebt auf hohem Niveau, es ist alles goldrichtig oder fast. Dann verliert er seinen Job, wie das bei den Medien mittlerweile so ist, sie hat plötzlich ein Zittern in der Hand, die doch souverän den Bogen führen soll. Das wird dann geradezu grausam detailliert geschildert, wie sie langsam aus dem Netz der wohligen Sicherheit und der feinen Gewohnheiten fallen, wie sie merken, dass es nicht sofort fröhlich weitergeht, dass es womöglich überhaupt nicht weitergeht. Oder nur ganz anders. Wie sie allmählich realisieren, dass sie sparen müssen, dass sie über Geld nachdenken müssen, dass sie vielleicht wegziehen müssen, dass die Situation die Beziehung ruiniert, dass all die anderen um sie herum ganz normal weiterleben. Exzellent dargestellt, wie sie nicht miteinander reden oder aneinander vorbei, wie sie sich Gedanken über den anderen machen, die nicht treffen, wie das Gemeinsame jeden Monat mehr zerfällt. Die Sprache unprätentiös und ohne jede Ausschweifung, das kann man so auch mal wieder gut vertragen. In der Wohnung der beiden findet sich unter den alten Tapeten ein Tresor, den man nicht öffnen kann, man sieht die armen Germanistikstudentinnen geradezu vor sich, die sich an diesem Bild in den nächsten Jahren abarbeiten werden. Ich habe das Buch hier überall empfohlen, feine Lektüre. Ein Horrorroman für die Bewohner der Szeneviertel, es wird einem Angst und Bange bei der Lektüre und ab und zu überlegt man, ob man selbst auch so … Wirklich schlimm. Also ja, ein wirklich gutes Buch. Über uns und unsere Ängste.
Thomas Meyer: Wolkenbruchs wundersame Reise in die Arme einer Schickse
Mordechai Wolkenbruch, ein Züricher Jude aus sehr traditionsverbundener Familie, entzieht sich den Verkuppelungsversuchen seiner Mame, also seiner Mutter. Das hat natürlich fatale Folgen, wie immer, wenn man nicht auf seine Mutter hört. Zumindest in diesen eng geschnürten Traditionsgeflechten. Der Humor des Buches ist vorhersehbar und etwas flach, es finden sich dennoch etliche schöne Szenen. Es ist wie bei einem lustigen Film im Kino, bei dem man alle 15 Minuten lacht – wenn man alle fünf Minuten lachen würde, wäre er eben besser. Mir hat das Buch dennoch Spaß gemacht, weil es in einem Gemisch aus Jiddisch und Deutsch geschrieben ist. Man entdeckt Wortperlen wie etwa Blizbrif für E-Mail, alleine diese Vokabel hat schon die Lektüre gerechtfertigt. Blizbrif, wie schön ist das denn. Außerdem ist es faszinierend, sich in diesen Tonfall einzulesen. Am Ende des Buches ein langes Glossar mit jiddischen Begriffen, man kommt aber auch ohne dauerndes Nachschlagen recht weit.
Mordechai wird von seiner Mutter von einem der endlos vielen erfolglosen Dates abgeholt, sie fragt ihn, wie es gewesen ist. Er will nicht sagen, dass er die Frau abstoßend fand, weil sie genau wie seine Mutter aussah.
Also sagte ich: “Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame.”
“Kejn funk!” rief die mame. “Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj!”
Doch, die Sprache ist schon wirklich schön.
Türkei vegetarisch
Ich gehöre ja zu den Leuten, die Kochbücher durchlesen, auch dann, wenn ich gerade nicht auf Rezeptsuche bin. Kochbücher sind beruhigend, in Kochbüchern ist alles gut, es wird wieder einen Morgen geben, es wird wieder Essen geben, es wird aus der Küche gut riechen und alle werden satt. Kochbücher sind super. Demnächst wird hier im Blog auch wieder gekocht, und zwar z.B. aus “Türkisch vegetarisch”, dem nächsten Band in der herausragend guten Serie der Herausgeberin Katharina Seiser. Diesmal in Kooperation mit Orhan und Orkide Tançgil. Die türkische Küche wird eh immer unterschätzt, für mich ist sie eine der besten – ich freue mich sehr aufs Nachkochen.
Claudia Seifert, Gesa Sander, Nelly Mager und Julia Hoersch: Kinder an den Herd: Wir kochen, experimentieren und staunen
Das ist der Fortsetzungsband von “Kinder kocht!, den hatten wir hier im Blog auch schon. Nelly, eine der Autorinnen, ist eine Mutter aus unserem kleinen Bahnhofsviertel, das hat den Nebeneffekt, dass die Söhne hier einige der im Buch abgebildeten Kinder kennen. Immer schön, wie ein Buch dann plötzlich sehr, sehr interessant wird. Auch aus diesem Buch gibt es dann demnächst etwas.
Vorgelesen
Heinz Janisch und Aljoscha Blau (Bilder): Rote Wangen
Das Buch ist ein Wunder, es ist nämlich pädagogisch wertvoll und funktioniert tatsächlich. Ein Großvater erzählt seinem Enkel Geschichten aus seiner Jugend er wird dabei immer älter und durchsichtiger, irgendwann ist der Enkel gar nicht mehr so sicher, ob der Großvater noch da ist, die anderen sagen, er sei schon vor einem Jahr … Das ist ein Buch, das hier tatsächlich und programmgemäß zu ganz wunderbaren Gesprächen geführt hat. Große Empfehlung.
Simon Mason: Die Quigleys, Band 1. Bilder von Susann Opel-Götz, Deutsch von Gabriele Haefs
Geschichten über das irrsinnige Familienleben der Quigleys, das auch nur so irrsinnig ist, wie bei uns allen. Die Geschichten, pro Band sind es vier, sind nicht in der typischen Vorleselänge, sie sind deutlich länger, darauf muss man sich einstellen. Bei den Jungs kam das Buch sehr gut an, ich fand die Schlusspointen der Geschichten etwas unterwältigend. Aber um mich geht es dabei ja nicht unbedingt.
Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz. Bilder von Ilon Wikland, Deutsch von Anna L. Kornitzky
Da fehlte beim Vorlesen immer noch das Ende, ich hatte da gewisse Hemmungen, das Ende vorzutragen. In Erinnerung an meine eigene Kindheit, das Ende hat mich damals doch etwas mitgenommen. Für die Söhne allerdings ist dieses Ende heute nur die Ankündigung eines weiteren Levels. O tempora o mores!
Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz
Das kennen die Jungs jetzt als Theaterstück, Film, Hörbuch, Hörspiel und Buch – und es funktioniert in allen Varianten. Da hat er sich schon eine ziemlich tolle Geschichte ausgedacht, der Herr Preußler.
Daniel Napp: Schnüffelnasen an Bord
Eine ziemlich spannende Geschichte für Kinder ab 6, das Buch kam sehr gut an und die Fortsetzungen wurden mit einer gewissen Dringlichkeit eingefordert. Sohn I sagt: “Das war aufregend und lustig, von dem können wir mehr lesen.”
Sebastian Lybeck: Latte Igel reist zu den Lofoten. Mit Bildern von Daniel Napp
Noch ein Fortsetzungsbuch, Latte Igel ist hier mittlerweile sehr beliebt. Sohn I sagt: “Das ist auch sehr spannend und lustig und mehr muss man dazu ja nicht sagen. Gut ist eben gut.” Und wir Eltern haben klammheimlich nachgesehen, wo denn noch einmal diese Lofoten genau liegen. Schlimm!
Gesehen
Nichts. Macht nichts.
Gehört
Harry Belafonte: September
Ich bin musikalisch ja Traditionsmensch durch und durch. Und im September hört man eben September, gerne auch öfter. Wobei ich von diesem sanften, schönen, melancholischen September in diesem Jahr tatsächlich überhaupt nichts gespürt habe. Draußen war eben irgendein Wetter und für Melancholie war überhaupt keine Zeit. Goldener Oktober anyone?
Ansonsten höre ich natürlich viel Musik, die zu meinem Tanzkurs passt, also ziemlich altes Zeug. Wobei ich nach bisher nur vier Stunden bisher natürlich immer noch bei “I can’t dance” bin. Aber es wird.
Eines der besten Stücke um Lindy Hop zu üben ist übrigens das textlich gar nicht mal so vergnügliche Sixteen Tons. Den Song kennt jeder, die Geschichte vielleicht nicht – die gibt es hier.
October 1, 2015
Woanders – Die siebte Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit
Vorweg eine Premiere auf dieser Seite, ein Hinweis auf eine gute Sache und eine Möglichkeit, sinnvoll zu spenden. Das kleine Bahnhofsviertel, über das ich hier dauernd schreibe, ist von der aktuellen Situation ganz besonders betroffen, die durchreisenden Menschen auf der Flucht kommen durch unseren Bahnhof. Dort wird ihnen in privater Initiative geholfen, von Menschen aus Hamburg und aus dem Viertel. Sie werden verpflegt und evtl. auch mit dringend notwendigen Dingen, wie etwa festem Schuhwerk versehen, Übernachtungen werden organisiert, Reisepläne werden erstellt usw. Hinter dem Bahnhof das Viertel, in dem sich immer mehr Hilfstruppen organisieren und Aufgaben übernehmen. Es wimmelt in Sachen Hilfe, die Gruppen vernetzen sich, organisieren sich. Die befreundeten Eltern etwa kochen in dem kleinen Haus auf dem Spielplatz vor unserer Haustür jeden Tag Suppe. Das ist so eine Sache, die ganz einfach klingt. Aber es ist sehr, sehr viel Suppe, am Hauptbahnhof werden mehr als zweihundert Liter pro Tag ausgegeben.
Schon zum Kochen dieser Suppe gehört viel. Viel an Ausstattung und Küchengerät, viel an Arbeitszeit, viel an gespendeten Lebensmitteln, die erbeten, geholt und zubereitet werden müssen, dazu gehört auch die Abstimmung mit den umliegenden Hotels, die ebenfalls zuliefern. Man versteht das Ausmaß solcher noch klein wirkenden Aktionen erst, wenn man das einmal direkt mitbekommt. Die Kirchen und Moscheen hier nehmen Menschen für eine Nacht auf, bereiten Frühstück, versorgen Babys, da stehen Helferinnen in freiwilligen Nachtschichten und schmieren Brote, am Bahnhof werden Menschen auch medizinisch versorgt, es gibt sehr, sehr viel zu tun.
Es gibt jetzt die Seite “Sankt Georg hilft”, dort kann man für all diese Bemühungen spenden – mit Spendenbescheinigung. Die Spenden werden auf die Initiativen im Stadtteil verteilt, zuständig dafür sind die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde – und die Herzdame. Die hatte übrigens gerade eine Woche bezahlten Sonderurlaub, um hier um die Ecke am Bahnhof und anderswo zu helfen, dafür großen Dank an ihren Arbeitgeber. Vielen Dank auch an jeden, der ein wenig Geld spenden mag! Wenn wir es schaffen, werden wir in nächster Zeit über die Projekte noch mehr berichten und vielleicht auch einige der Helferinnen vorstellen. Das Geld kommt u.a. direkt im Suppentopf und auf jeden Fall bei den Geflüchteten an. Spenden kann man hier auch direkt über Paypal:

Deutschland: In der brandeins geht es lang und interessant um Wanderungsbewegungen, Hunnen und Immobilien. Und um Stadtentwicklung: “Bewegung ist normal”. Der Text liest sich vielleicht zwischendurch so, als ginge er am Thema hier vorbei, ruhig dennoch dranbleiben. Da passt schon vieles und um Immobilien geht es im Zusammenhang mit den Geflüchteten gerade in jeder zweiten Meldung.
Deutschland: Auf N-TV wird Deutschland jetzt in arabischer Sprache erklärt.
Berlin: Und noch ein Artikel zu Lageso, zum immer wiederkehrenden “Ich verstehe es nicht” derjenigen, die gedacht haben, dieser Staat können etwas organisieren. Ich erlebe es nicht in Berlin, sondern in Hamburg, und hier ist die Lage mittlerweile geklärt – der Staat kann gar nichts. Aktuell ist die Unterbringung einiger Menschen aus den Messehallen in einem Gebäude in Bergedorf so grandios schiefgegangen, dass man daraus ein Lehrstück über organisatorisches Versagen machen könnte.
Berlin: Und weil der Staat nichts kann, springen die Bürger ein. “Schatz, die Flüchtlinge kommen” ist ein Text über ungewohnte Gäste.
Hamburg: Die Hilfe am Hauptbahnhof ist für manche Helferinnen auch ein Déjà-vu (Film).
Deutschland: Zum Sprachgebrauch beim Thema Flucht gab es schon einige Artikel, hier erzählt ein Syrer, warum er nicht Flüchtling genannt werden möchte. Und bevor man wieder eine Überdosis Political Correctness vermutet, ich sehe es auch so, dass der Begriff eine gewisse Schwäche suggeriert. Betroffenen kann das nicht recht sein.
Deutschland: Einer der eher seltenen Artikel, die darauf hinweisen, dass die aktuelle Situation nicht überraschend kam. Nicht! Man muss das ab und zu betonen, es gerät sonst ganz fix in Vergessenheit, zumal Politiker gerne behaupten, man hätte ja nix wissen können. Doch.
Deutschland: Nicht überraschend ist auch, dass manche Menschen ein Geschäft mit der Not anderer Menschen machen.
Deutschland: Christian Fischer erklärt Spannungen in Flüchtlingsheimen – die übrigens wirklich verblüffend wenig Menschen verstehen, das ist ganz erstaunlich. Eine glatte Verleugnung aller Lebenserfahrung.
Deutschland: In der FR geht es um Roma und um die Ökonomie der Armut, mit ein paar Zusammenhängen, die sonst in den Medien eher zu kurz kommen, in der Forschung aber wohl allgemein akzeptiert sind. Wie überhaupt Migrationsforscher und andere Experten gerade verblüffend wenig zu melden haben. Also sie haben natürlich schon, es dringt nur nicht durch.
Sachsen: Und während sächsische Politiker immer öfter öffentlich jammern, dass das Image ihres Bundeslandes so unverdient schlecht sei, wundert man sich als Nachrichtenleser eher überhaupt nicht mehr. Es geht eben um ein Volksfest des Rassismus. In Kanda gibt es eine Reisewarnung vor Ostdeutschland, das ist keine Meldung vom Postillon, das ist das Handelsblatt. Ab und zu findet man Versuche, das Verhalten der Sachsen zu erklären, sie überzeugen mich bisher alle eher nicht, aber ich habe auch gar keine Ahnung von Sachsen.
Deutschland: Bevor man sich zu sehr auf Sachsen konzentriert, auch mal diese Liste der taz durchsehen.
Deutschland: Nicht ganz zufällig in diesem Zusammenhang eine Meldung aus der Welt, die den wirklich sensationell dummen Begriff “robuste Begrüßung” enthält. Wie überhaupt der ganze Text sich als inhaltlich faul erweist, wenn man etwas genauer hinsieht. Wenn man Zeit hätte, man könnte Satz für Satz zerlegen und aufzeigen, wie die rechte Position an den Fakten vorbei in den Inhalt rutscht. Ein Text sozusagen, den man robust durchkorrigieren müsste. Allein diese kleine, aber durch und durch perfide Nebenerwähnung der “florierenden Helferindustrie”.
Europa: Einige Porträts von reisenden Menschen.
Deutschland: Fotos von den Freedom Skaters.
Hamburg: Porträts junger Helfer am Hauptbahnhof. Bitte auch die Texte unter den Bildern lesen, in denen sie erklären, warum sie da helfen.
Europa: “Humans of New York”, ohnehin eine der besten Seiten im Internet, bringt im Moment Bilder von Menschen auf der Flucht, Bilder von Menschen, die in Europa ankommen oder umherirren. Mit kurzen Texten, die einen umhauen, wenn man denn überhaupt noch etwas fühlt bei dem Thema.
Europa: Wo die Kinder schlafen. Noch mehr Bilder. Eltern zerlegt es das Herz, anderen womöglich auch.
Syrien: Nils Minkmar über die aktuellen Entwicklungen im Spiel der Großmächte um Syrien – “Wer noch kein Tagebuch führt, sollte damit anfangen.”
Neuseeland: Und den ersten anerkannten Klimaflüchtling gibt es übrigens doch noch nicht. Aber womöglich gibt es bald, zumindest in Deutschland, eine Liste “klimatisch sicherer Herkunftsländer”? Ja, so wird es kommen.
September 30, 2015
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Wenn Sie diese Kolumne im Büro lesen, dann haben Sie Ihre Arbeit vielleicht gerade dafür unterbrochen? Sie können dennoch einfach behaupten, dass Sie sich mit der Arbeit beschäftigen, denn es geht in dieser Folge tatsächlich um Arbeit, das passt schon.
Wir fangen mit einer Meldung an, die vielleicht seltsam antiquiert wirkt. Eine Gewerkschaft fordert den Schutz des Sonntags? Bitte? Aber darüber nachdenken kann man ja mal, wenn schon etwa 14% der Beschäftigten sonntags arbeiten. Was übrigens auch etwas mit der am Sonntag online und nebenbei getätigten Bestellung zu tun hat, auf die wir natürlich alle nicht mehr verzichten wollen. Arbeitgeber finden Sonntagarbeit sowieso super, eh klar. Die Arbeitgeber wollen aber ganz im Stillen auch noch ein paar andere ganz nützliche Regeln abschaffen.
Wobei das mit dem Sonntag gar nichts macht, wenn die Arbeit Spaß macht. Könnte man jedenfalls entgegnen. Aber das klingt dann auch für einige komisch – Arbeit macht Spaß? Wie jetzt? Macht sie aber wohl tatächlich.Den meisten Deutschen sogar. Das passt nicht recht zum Empfinden am Montagmorgen im Bus, schon klar.
Vielleicht haben die genervt aussehenden Menschen im Bus alle Kinder – und arbeiten deswegen viel länger als andere, wenn man Haushalt und Job gemeinsam betrachtet. In der FAZ gab es dazu ein paar interessante Auswertungen, wer wie viele Stunden für Arbeit und Haushalt aufwendet, da kann man sich einmal mit dem Durchschnitt vergleichen. Und vielleicht auch noch einmal überlegen, ob das eigentlich so richtig ist.”Für Eltern gilt die 60-Stunden-Woche” – inklusive Sonntagarbeit und Nachtarbeit, versteht sich. Wenn man noch einmal an den SZ-Artikel weiter oben denkt, wo es um die Abschaffung des Achtstundentages ging – als Elternteil hat man dann evtl. eine dezidierte Meinung. Vielleicht darf es daher auch einmal etwas weniger sein? Sechs Stunden etwa? Da muss man mal über Göteborg nachdenken. Und ganz unabhängig von obskuren Experimenten in Schweden, ist es vielleicht einfach nicht mehr zeitgemäß, sich acht Stunden am Tag an einen Ort zu binden? Das fragt das Capital-Magazin. Oder, noch einmal andersherum gedacht, holt man sich die Familie zumindest in Teilen besser einfach an den Arbeitsort?
Die Bindung zum Büro löst sich vielleicht tatsächllich auf, in der SZ steht sogar “das Wesen der Arbeit löst sich auf”. Da geht es um die Gig-Economy, noch so ein schönes neues Schlagwort, das man in diesem Zusammenhang wohl jetzt kennen muss.
Kurz vor Schluss noch ein Link, der in dieser Woche bemerkenswert oft herumgereicht wurde, der Text erschien gleich in mehreren Medien. Frank Behrendt, Vorstand der Kommunikationsagentur fischerAppelt, beweist, dass er seinen Job versteht, er bringt sich mit seinen Thesen zur Arbeit aber sowas von ins Gespräch. Vor allem wegen der Nummer zehn, das sei gleich vorweg genommen. Wobei dies ein Punkt ist, über den Menschen mit dezidiert sinnvollen Berufen vielleicht sogar anders denken? Aber wie auch immer, ein nettes Thema für das nächste Teammeeting sind die Thesen allemal. Alle zehn. Bitte hier entlang.
Und ganz zum Schluss wie fast immer noch der Link für den Freundeskreis Fahrrad, es geht um den toten Winkel am Lastwagen, also um einen der größten Feinde der Radfahrer im Straßenverkehr. Es gibt mittlerweile Technik zu überschaubaren Kosten, die den toten Winkel entschärfen kann, allerdings befindet sie sich noch in fast keinem Fahrzeug. Im Text wird eine Fresnel-Linse erwähnt, die kennt man vielleicht aus ganz anderem Kontext, nämlich aus dem Phsyikunterricht oder aus Meldungen zur Solar-Energie: mit der kann man auch kochen.
September 27, 2015
Saisonal und regional
Ich habe schon diverse Male über die hohe Kunst der Essensplanung im Familienhaushalt gesprochen, aus aktuellem Anlass ein Update dazu.
Immer noch ist es prinzipiell so, dass ich am Sonntag in stundenlanger Kreativ- und Recherchearbeit einen Plan für die kommende Woche mache, den ich dann von Montag bis Sonnabend mit teils beachtlicher Erfolglosigkeit gegen die Launen des Schicksals, der Herzdame, der Söhne und eventueller Gäste verteidige. Wobei die Herzdame, das ist neu, plötzlich ein Faible für regionale und saisonale Produkte entwickelt hat. Weswegen sie jetzt, gänzlich ungeachtet meiner detaillierten Pläne, irgendwo auf einem Wochenmarkt steht, Kürbis sieht und Kürbis kauft, denn der ist ja dran. Sonst würde er ja da nicht liegen. Er ist natürlich nicht dran, weil er nicht auf meinem Plan steht, aber da sind wir noch ganz am Anfang der Kompromissfindung.
Die Herzdame geht dabei auch geschickt vor, sie geht nämlich morgens zum Wochenmarkt, wenn ich schon im Büro bin und mich nur schlecht wehren kann. Sie steht auf dem Markt vor dem Stand mit dem Zeug aus der Region, vom Hof vor den Toren der Stadt. Sie steht und überlegt, dann schickt sie mir eine Nachricht: “Was essen wir heute?”
Ich antworte, was auf dem Plan steht, also etwa Süßkartoffelcurry. Die Herzdame schickt mir ein Bild eines Hokkaidos und schreibt triumphierend : “Über Nachhaltigkeit schreiben aber nicht wissen, was Saison hat. Ja, ja.”
Man sieht, das ist ein konfliktträchtiges Thema, das auch nicht besser wird, wenn ich mich in vorauseilendem Gehorsam orientiere, was nun gerade nach saisonalen und regionalen Gesichtspunkten dran ist und sogar noch vor ihr morgens über den Wochenmarkt schleiche, um im Bild zu sein. Denn dann kommt man auf schräge Lebensmittel, die man vielleicht noch gar nicht kennt, was übrigens einigermaßen erstaunlich ist. Ich werde bald fünfzig Jahre alt und habe immer noch nicht alles gegessen, was hier wächst und nach der Erfahrung meiner Vorfahren als essbar gilt. Verblüffend! Aber auch diese noch unbekannten Produkte bergen Risiken, die teilweise schon in der Bezeichnung liegen.
Morgendlicher Dialog per Nachricht auf dem Handy:
Die Herzdame: “Was essen wir heute?”
Ich: “Fette Henne.”
Wobei die Fette Henne, es handelt sich um einen Speisepilz, auch Krause Glucke genannt wird, was den Dialog aber auch nur ansatzweise verbessert hätte.
Das ist jedenfalls ein Pilz, ein essbarer Pilz, der ganz hervorragend schmecken soll, wohl ähnlich wie die Morcheln, wobei er allerdings ganz und gar nicht so aussieht. Er sieht eher aus wie ein todesbleicher Naturschwamm. Man steht also nicht gerade vor dem Marktstand und denkt “Hei, das wird lecker!” Nein, man denkt eher wie im Büro an Challenges, denen man einsatzbereit und hochmotiviert begegnen muss.
Kurz auf dem Handy nachgesehen, gibt es dazu auch einfache Rezepte? Natürlich, man kann die Fette Henne so vernudeln, wie in Deutschland sowieso alles zu Pasta gereicht wird, also mit Zwiebeln angebraten und mit Sahne angesuppt. Das geht mit nahezu jedem Gemüse, das geht auch mit Pilzen, das geht dann auch mit Fetten Hennen. Foodblogger, die ja auch humorige Autoren sein können, schreiben zu den Rezepten gerne noch etwas von stundenlanger Reinigung des Pilzes, na, so schlimm wird das schon nicht werden.
Wurde es dann aber doch. Das versteht man erst, wenn man sich den Pilz genauer ansieht, der quasi als aufgefalteter Schwamm durch den Waldboden kommt, weswegen sich auf jedem Quadratzentimeter Pilz eine ordentliche Portion Waldboden und Waldbodenbewohner befindet, die sich weder durch Schütteln, Baden, Brausen oder Übergießen mit kochendem Wasser entfernen lässt. Was daran liegt, dass der Sand teils eingewachsen ist, aber darauf kommt man erst nach sehr gründlicher Betrachtung der Pilzproblemzonen. In einem Blog finde ich den Hinweis eines Pilzfreundes, dass er die Fette Henne schließlich mit seiner Munddusche gereinigt habe, das habe zwei Stunden gedauert und es sei dann gar nicht mehr sooo viel Sand übrig gewesen. Was man nicht findet: irgendwelche Abkürzungen oder Tricks.
Es ist also ein Produkt aus der Region, das Besinnung erfordert. Da muss man das Handy einmal weglegen, sich konzentriert dem Pilz und damit auch seiner Gegend widmen, da muss man wieder einmal mit dem Boden in Kontakt kommen, mit dem Pilz und, was weiß ich, dem Universum in jedem Sandkorn oder wie das heißt, das ist eher so eine meditative Nummer. Ich kraule konzentriert die Fette Henne, Sand bröselt ins Spülbecken. Ich kratze mit dem Fingernagel, ich erforsche sorgsam die Furchen und Ritzen der Pilzoberfläche. Sand bröselt ins Spülbecken. Ich sehe genauer hin, ich atme durch, ich sammele mich, ich kratze ruhig und entschlosssen am Pilz herum. Sand bröselt ins Spülbecken. Ich stehe wie ein fleißiger Küchenmönch konzentriert mit dem Pilz in der Hand, es ist ruhig um mich herum, man hört nur ganz leise den Sand rieseln. Das mache ich lange, sehr lange. Also mindestens fünf Minuten, Geduld ist eher nicht meine wichtigste Stärke. Ich habe in dieser Zeit immerhin einen etwa centgroßen Teil des Pilzes oberflächlich vom Sand befreit. Ich starre den Pilz an und rechne hoch. Dann beschließe ich, eher nicht bis Mitternacht Zeit zu haben. Ich entsorge die Fette Henne im Mülleimer, was ihre Zubereitung natürlich dramatisch vereinfacht. Dann improvisiere ich mit dem, was sonst noch in der Küche herumliegt, irgendwas muss man ja essen. Ich schnippele grüne und saisonal korrekte grüne Bohnen, koche sie zehn Minuten, schwenke sie etwas in einer Pfanne mit saisonal auch völlig okayen und geschmolzenen Tomaten, die auf roten Zwiebeln und frischem Knoblauch gerade in sich zusammengesackt sind, ich werfe noch etwas Bohnenkraut und ein paar Feta-Trümmer locker über die Pfanne. Ein ausgezeichnetes Abendessen, schnell gemacht, gesund und köstlich. Da wäre ich ohne die Fette Henne gar nicht drauf gekommen!
Es hat also durchaus Sinn, sich saisonal korrekt durch alle regionalen Lebensmittel zu testen, wir wollen das jetzt weiterhin so halten.
September 25, 2015
Woanders – Die sechste Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit
Deutschland: In “Wenn das Heimweh anklopft” geht es um einen Dreizehnjährigen und seine Mütze.
Deutschland: Noch einmal aus diesem Blog. Ami, die erst seit kurzer Zeit so heißt, über Teambildung und afghanischen Familiensinn.
Deutschland: Und es gibt natürlich eine ganze Reihe kleiner, unspektakulärer Integrationsgeschichten. Auch in den Regionalzeitungen. Vermutlich müsste jetzt jeder Verein, jeder Club, jede Initiative, jeder Freizeittreff, jede Freiwillige Feuerwehr überlegen, ob nicht zwei, drei neue Leute ganz gut wären. Dieser neue Chorsänger da kommt auch in einem Spiegelartikel vor, da klingt das dann allerdings schon wieder weniger idyllisch.
Deutschland: Martin Gommel war auf einer Nazidemo.
Deutschland: Sehr passend zum letzten Link ein paar erhellende Bemerkungen dazu, wie man eigentlich Demonstranten zählt.
Deutschland: In der NZZ geht es noch einmal um den Hippie-Staat Deutschland. Ein bisschen Hippie ist schon okay, um es kurz zu fassen.
Deutschland: Ein wenig Geschichtsunterricht, besonders interessant für den Innenminister.
Deutschland: Ein syrisches Foodblog, gefunden via Nutriculinary.
Hamburg: Noch ein Bericht über das erstaunliche Phänomen in den Hamburger Messehallen.
Deutschland: Andere fragen sich, ob die freiwilligen Hilfstruppen den Traum der FDP leben. Nachvollziehbare Wut und drängende Fragen, was die Leistungen des Staates angeht. Fragen übrigens, die in den Medien gar nicht mal so intensiv gestellt werden. Es ist irritierend, ist es nicht? Ich finde es höchhst irritierend, die letzten Wochen haben mein Bild von diesem Staat tatsächlich verändert. Und ganz gewiss nicht zum Vorteil.
Deutschland: Aber ohne Ehrenamtliche wird es eh nicht gehen, wird vermutlich gar nichts gehen. Ehrenamtliche, die am Bahnhof Suppe austeilen – oder Ehrenamtliche, die Schwimmunterricht geben. Bedarf ist überall.
Deutschland: Im Abendblatt geht es um den Zusammenstoß von Ordnung und Realität. Und um Formulare, immer schön und wichtig.
Hamburg: Ein Film über die Helfer am Hauptbahnhof.
Hamburg: Und da dann etwas länger nachdenken – ist es einfach eine Nachricht, wenn die Stadt laut überlegt, Flächen zu beschlagnahmen? Ist es Stimmungsmache, wenn ja, in welcher Richtung eigentlich, ist es am Ende ein guter Plan? Schwer zu sagen. Aber nebenbei bemerkt, ich komme schon auf meinem eher kurzen Arbeitsweg von St Georg nach Hammerbrook an ausreichend Leerstand für alle vorbei, so isses ja nun nicht.
Berlin: Eine etwas genauere Erklärung der Schlangen vor dem Lageso. Flüchtlinge versinken im Behörden-Chaos.
Osteuropa: In der NZZ versucht man noch einmal, die ablehnende Haltung in den osteuropäischen Ländern gegenüber den Migranten historisch zu erklären.
Serbien: Kekse in Belgrad.
Griechenland: Eine Reisebloggerin schreibt über Kos.
Jordanien: Ein Interview zur Lage in den jordanischen Lagern. Da ist jemand wütend, undman kann es verstehen.
Syrien: Bei der Tagesschau geht es um die Lage in Syrien, um die Städte Damaskus und Aleppo.
Syrien: Der Krieg führt auch zur ersten “Abhebung” aus dem Saatguttresor der Menschhheit, eine Szenerie fast wie aus einem James-Bond-Film.
Migration weltweit: Im Standard werden noch einmal die 3% betont, die auch schon in anderen Medien vorkamen, eine Zahl, die einem vielleicht erstaunlich niedrig vorkommt: “Der gesamte Anteil der nicht im Geburtsland lebenden Menschen beträgt laut Uno etwa drei Prozent.”
Migration weltweit: Wer sich mit dem Thema Flucht befasst, der kennt das Logo unter dem Schriftzug “Refugees welcome”. Hier ein wenig mehr zu der Grafik und ihrer Geschichte.
September 23, 2015
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Wir fangen mit etwas von allem an, denn in dieser Buchrezension von Thomas Brasch stecken all die Themen, die hier regelmäßig vorkommen. Es ist ein fulminanter Verriss des Romans “Greenwash Inc.” von Karl Wolfgang Flender. Unabhängig von der Frage, ob man das Buch danach noch lesen möchte, die Rezension ist allemal höchst interessant. Hier zum Ausgleich dann aber auch noch eine deutlich freundlichere Kritik.
Ganz gut passend zum Tonfall der ersten Buchbesprechung ist die Beschreibung einer neuen App auf Wiwo-Green, da geht es nämlich genau um die bewussten Konsumenten und ihren Bedarf, in diesem Fall an Lieferkisten für die Küche. Aber man merkt doch irgendwie, dass da jemand beim Verfassen des Artikels permanent den Kopf darüber geschüttelt hat, welche Blüten gewisse Szenen noch treiben können. Wobei es bei der Lebensmittellieferung schon um einen Markt geht, den man interessant finden kann, auch ganz abseits der Nachhaltigkeitsfrage.
Aber dann findet man auch wieder Artikel, die den bewussten Konsumenten ausdrücklich einfordern, weil man ihn braucht, um die Welt zu ändern. Der Konsument ist in der Verantwortung, schreibt die NZZ. Und in der Zeit kann man gerade nachlesen, dass man etwa in der Landwirtschaft gar nicht unbedingt das so oft bemühte Bewusstsein braucht, um sich nachhaltigen Methoden zuzuwenden. Es reicht vielleicht auch schon Mangel. Der Umkehrschluss geht dabei übrigens auch, wer keinen Mangel hat, der kann seinen Überfluss auch nicht nachhaltig produzieren. Da hätte man fast schon selbst drauf kommen können.
Zum bewussten Konsumenten gehört jedenfalls immer, dass er sich mit den Geschichten seiner Lebensmittel beschäftigt, dass er weiß, was er da isst. Etwa beim Fisch, der unbedingt weißfleischig sein soll, was wiederum Folgen hat, z.B. beim Pangasius.
Und zu diesem Thema gehört auch noch eine fast schon spaßig zu nennende Volte der Fleischindustrie, da geht es um die Idee, bewusstes Kaufverhalten durch den Erwerb von Industriefleisch zu fördern. Wie bitte? Doch, doch, genau so.
Zum Schluss aber wie fast immer noch der Link für den Freundeskreis Fahrrad. Da ist es allmählich gar nicht mehr so einfach, noch neue Aspekte zu finden, die über die Verkehrspolitik in bestimmten Metropolen hinausreichen, aber manchmal gelingt es dann doch noch. Wie bei dieser Meldung über die Zwonullifizierung des Fahrrads, pardon, über die Möglichkeit, aus jedem Rad mal eben ein Mietrad zu machen. So wie AirBnB aus jeder Wohnung eine fix vermietbare Ferienwohnung macht.
September 20, 2015
Woanders – Die fünfte Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit
Und noch einmal die Texte der letzten Woche, die mir besonders aufgefallen sind. Da sich das Thema vermutlich in den nächsten Tagen nicht in Luft und Wohlgefallen auflösen wird, habe ich jetzt für die Texte und Links dazu auch eine Kategorie im Blog eingerichtet, siehe hier.
Hamburg: Ein Artikel über die Lage am Hauptbahnhof, wo die Stadt organisatorische Mängel offenbart, die man sich so gar nicht vorstellen konnte oder wollte. Zum gleichen Thema auch die taz, mit dem schönen Satz “Die Behörden halten sich zurück.” Das kann man wohl sagen, möchte man als Anwohner da ergänzen, die halten sich in der Tat extrem zurück, die sind so wahnsinnig dezent, die sind womöglich gar nicht existent. Was man da am Bahnhof sieht, das ist ein Festival der Nichtzuständigkeit. Unfassbar. Jede Freiwillige Feuerwehr aus einem Vorortkaff hätte die Lage da vermutlich in Kürze im Griff. Die Stadt hofft aber lieber auf Freiwillige (die es immerhin gibt und die es dann auch mit viel Improvisation und Engagement hinkriegen, so isses ja nicht – aber dennoch).
Deutschland: Martin Kaul über Fluchthelfer damals und heute.
Deutschland: Endlich willkommen in Deutschland – wie es sich anfühlt, wenn man für einen Flüchtling gehalten wird.
Deutschland: Ein sehr lesenswerter Text über die, die immer da sind. Die ehrenamtlichen Helfer, die ohne Applaus einfach machen.
Deutschland: Ein Text über die Hilfe in Berlin. Sehr schön, sehr traurig, wie man es nimmt – oder wie man es aushält.
Deutschland: Sven verweist auf den Film über die Hilfstruppen in den Hamburger Messehallen. Er stellt im Text die für wohl viele naheliegende Frage, warum denn die Geflüchteten nicht auch helfen. Bitte dazu dann auch den ersten Kommentar von Malte lesen.
Deutschland: Im Tagesspiegel ein Bericht über die Hilfe durch die Behörden, bzw. über den bürokratischen Wahnsinn dabei.
Österreich: Und noch ein Hilfsbericht, diesmal aus Wien.
Deutschland: Und was auch hilft: Frisuren.
Deutschland: Bei der Deutschen Welle gibt es eine Sonderseite mit Filmen zum Lager Friedland. “Es fallen keine Bomben mehr, und ich muss mich nicht mehr verstecken.”
Deutschland: Die NZZ mit einer heftigen Kritik an den deutschen Medien und ihren Berichten zur aktuellen Lage. Eine naheliegende Kritik, auch wenn man mit der “Refugees Welcome”-Haltung vollkommen einverstanden ist. Wenn man sich vorstellt, die Medien verhielten sich so wie jetzt bei einem Thema, bei dem man zufällig mal eine andere Meinung hat … weia. Ganz ähnlich dazu auch W&V. Es ist kompliziert.
Deutschland: Werden wir also sofort wieder sachlicher, sehen wir uns Zahlen an.
Deutschland: Und da viele gerade mehr Frauen aus arabischen Ländern als bisher auf den Straßen sehen: Ein erläuternder Text über Burkas, Kopftücher, Verschleierung und Feminismus. Eins von diesen Dingen passt nicht zu den anderen? Es ist kompliziert und lesen lohnt.
Deutschland: Bei Nils Markwardt in der Zeit kann man etwas lernen. Über Zornbanken und “subversive Resignifikation”. Das kannte ich auch nicht, obwohl man sich als Mensch mit Blog direkt ein wenig zuständig fühlt.
Deutschland: Das Funkhaus Europa, ohnehin eine der besseren Radiostationen in diesem Land, startet eine Sendung für Geflüchtete.
Baltikum: Ein paar Informationen zur Lage im Baltikum, warum man da nicht gerade begeistert hilft.
Europa: “Europa ist ein ideen- und visionsloser Kontinent, auf dem sich eine überalternde Gesellschaft mit unveränderter Gier und Uneinsichtigkeit unverantwortlich schützend über ihre Pfründe und Ansprüche wirft.” Recht deutlich formuliert.
Syrien: In der NZZ geht es noch einmal um die Frage, warum die Syrer eigentlich nicht einfach in ein Flugzeug steigen.
Syrien: Bilder aus Syrien bzw. aus Refugee Camps, das zweite von oben unter der Überschrift sollte man sich vielleicht etwas länger ansehen. Es sieht aus wie aus irgendeinem Apokalypse-Thriller, es ist aber wohl echt.
September 19, 2015
Kleine Szenen (3)
Es ist später Abend, ich fahre in der S-Bahn zwischen Holstenstraße und Hauptbahnhof. Ein fortgeschritten betrunkener Mann brüllt herum, allerdings muss er dabei so harmlos verrückt aussehen, dass sich niemand von ihm wegsetzt, obwohl er ab und zu lärmend gegen die Sitze schlägt und tritt und an den Haltegriffen rüttelt. Ich kann ihn von meinem Platz aus nicht sehen, aber er sitzt da, wo noch etliche andere um ihn herum sind. Ich sehe nur das genervte Kopfschütteln der Menschen neben ihm. Ein alter Mann vermutlich, die Stimme ist etwas dünn und brüchig. Er hält Reden über Ausländer und Deutsche. Er beleidigt niemanden direkt, soweit ich es verstehen kann, er ist aber gegen alles, was anders ist, das soll hier nicht anders werden. “Als Deutscher stehe ich hier unter Naturschutz” brüllt er mehrfach. Die Leute neben ihm lachen.
Eine Station weiter gleich der nächste mit Alkoholproblem, er steigt ein, hebt die Arme und deklamiert: “Helmut Schmidt ist die intelligenteste Person Deutschlands. Hel-mut Schmidt! Hel-mut Schmidt!”
Im Hauptbahnhof sitzen wieder Durchreisende auf dem Boden, verschoben zwischen Erstaufnahmeeinrichtungen und irgendwelchen Heimen, vielleicht auch schon seit Tagen oder Wochen unterwegs, von welcher Grenze aus auch immer, auf der Fahrt nach Skandinavien oder in irgendwelche deutschen Städte, unter denen sie sich nichts vorstellen können. Manche haben Zettel, auf denen wohl Ziele stehen, die halten sie in der Hand und gucken immer wieder drauf. Es sind Menschen aus verschiedenen Ländern, es sind Frauen, Männer, Familien,von Säugling bis Greis. Sie alle eint die Müdigkeit, die man in keinem Gesicht übersehen kann, eine unendliche Müdigkeit. Die privat organisierten Helfer reichen Tee und Bananen. Auf dem Boden in der Wandelhalle sitzt auch einer der russischen obdachlosen Trinker vom Bahnhofsvorplatz, ein bekanntes Gesicht, an dem gehe ich oft vorbei, wenn ich von der Arbeit komme. Während in Diskussionen gerade dauernd irgendwelche Schlaumeier fragen, was denn mit den Obdachlosen sei, wer sich denn um die kümmere, wieso denn Hilfe nur für die Syrer und so weiter, während also in Gesprächen gerne Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, sitzen die hier gerade friedlich bei einem Tee beieinander, es ist genug Tee für alle da, die Helfer kriegen auch das hin. Ein großer Kerl ist der Russe, kahlrasierter Schädel, breite Schultern, blutige Kratzer im Gesicht. Er ist stockbesoffen wie immer, und er sitzt da einen Meter entfernt von einem vermutlich arabischen Mann, der neben ihm noch zierlicher wirkt als ohnehin schon. Sie können nicht miteinander reden, und das nicht nur wegen der Sprachschwierigkeiten, auch sonst liegen sicher Welten zwischen ihnen. Der Russe versucht ein paar Sätze, das klappt aber nicht. Er hätte ohnehin zu dieser Tageszeit und nach diesem Alkoholpensum in keiner Sprache mehr die Konsonanten im Griff. Er zeigt auf das Gepäck des Syrers – oder wo immer der Mann herkommen mag -, er gestikuliert irgendwas, sagt noch einmal etwas. Ganz langsam. Ratlose Blicke. Was will der? Der Syrer schüttelt den Kopf und winkt ab, er weiß offensichtlich nicht, was er von diesem Typen da halten soll. Der Russe gibt schließlich auf, pustet in seinen Tee und schüttelt auch den Kopf. Dann sieht er doch noch einmal zu seinem Sitznachbarn, beugt sich rüber zu ihm, stößt ihn behutsam mit dem Ellenbogen an und zeigt ihm einen nach oben gerichteten Daumen, nickt ihm energisch zu. “Wird schon”, sagt er mit seinen Blicken, mit dem Daumen und auch mit einem breiten Grinsen, “wird schon”. Bei ihm selbst wird vermutlich gar nichts mehr, aber für andere reicht das Wünschen dann doch noch.
Es ist nachts gegen zwei Uhr, ich wache auf, weil die Herzdame nach Hause kommt, sie hat am Bahnhof geholfen. Sie erzählt, dass die Helfer dort keinen Strom haben, wenn der letzte Laden in der Wandelhalle schließt. Sie können dann für die Geflüchteten keinen Tee mehr kochen und keine Handys laden. Der meistfrequentierte Bahnhof Deutschlands, und niemand kriegt es hin, nachts eine Steckdose zu organisieren.
Tage später werden endlich große Zelte auf dem Bahnhofsvorplatz aufgebaut, um von dort aus die Geflüchteten zu versorgen, die in Hamburg für ein paar Stunden oder auch für eine Nacht Station machen. Es ist früher Nachmittag, in den Zelten ist nicht viel los, die Lage ist ruhig und halbwegs entspannt. Vor den Zelten sitzen ein paar Kinder und machen Seifenblasen oder pusten Luftballons auf, da wird jemand gerade Spielsachen gespendet haben. Eine Betreuerin hockt bei den Kindern und verteilt die kleinen Geschenke. Die Seifenblasen kommen im leichten Hamburger Nieselregen nicht weit, aber das macht wohl nichts. An den Kindergesichtern sieht man, dass die Seifenblasen dennoch ziemlich toll sind. Sie sind kindgerecht, und das war bei diesen Kleinen sicher nicht viel in den letzten Wochen. Ein paar Meter weiter sitzen die Mütter, denen die Augen zufallen.
September 17, 2015
Zwischendurch ein Dank …
… an die Leserin B.A.K., die den Jungs den Film “Die wilden Kerle” geschickt hat. Auf der DVD die schöne Unterzeile “Alles ist gut, solange du wild bist”. Das wird schon passen! Ganz herzlichen Dank.
September 16, 2015
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Eine Meldung dieser Woche, die in verschiedenen Medien vorkam, verbindet zwei der ganz großen aktuellen Themen. Und es ist eine Verbindung, die wohl nicht jedem klar ist, die zwischen den Geflüchteten und dem Klimawandel. Obwohl man, wir hatten es neulich schon, allmählich doch mehr und mehr Meldungen findet, die aufzeigen, wie sehr der Klimawandel die Menschen in Bewegung versetzt. Manchmal werden da eindeutig sehr bedrohliche Szenarien gezeichnet (englischer Text), die man mitbedenken muss, wenn es um sogenannte politische Lösungen für die Region im Nahen Osten geht. Und manchmal handelt es sich vielleicht nur um ein ganz kleines Dorf am Rande der Welt, dessen Schicksal niemanden besonders aufregt, von den Bewohnern einmal abgesehen, versteht sich. Aber egal, es ist einfach ein weiteres Beispiel, wenn auch vom Ende der Welt. Wobei aus deutscher Sicht das Ende der Welt möglicherweise auf einer Hallig liegt.
Aber falls das wieder alles nach weit weg und geht uns nichts an klingt, wir schlagen sofort den Bogen zum Blick aus dem eigenen Fenster. Was fliegt denn da? Und will das gar nicht weg? So kann man den Klimawandel auch beim Bürokaffee erleben.
Noch eine andere Schlagzeile verband Geflüchtete mit einem anderen unserer Themen, auch wenn sie vielleicht etwas, nun ja, ambitioniert formuliert ist: “Fairer Handel wirkt Flüchtlingsflut entgegen” schreibt das Handelsblatt. Und auch die taz verbindet den Handel mit der Flucht, daraus wird ein tatsächlich wohl naheliegendes “Mehr Hummus!”, verbunden mit einigen Zahlenspielen. Die Industrie freut sich also, das steht da zumindest in dem Artikel. Und das sieht auch die FAZ so. Da geht es etwas allgemeiner um die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland, die sich aus der Zuwanderung ergeben. In der Überschrift werden kritische Folgen angekündigt, die im Text dann gar nicht vorkommen. Oder ich kann nicht gucken. Unterm Strich steht da “ein kleines Konjunkturprogramm.” Und wer kann dazu schon nein sagen? Wie das dann auf der lokalen Ebene ausssieht, das wurde gerade aus Bremen vermeldet, es geht um ein Beschäftigungsprogramm.
Und dann noch eine fast schon absurd zu nennende Auswirkung des Themas Flucht und Migration – man redet in den Medien plötzlich über das Produkt Zaun. Über “European Security Fencing”, den Namen mag man gar nicht glauben. Wobei andere Medien im Moment eher nicht auf spanische Lieferanten tippen. Wir reden, das muss man sich klar machen, über einen ergiebigen Markt (englischer Text).
Zum Schluss fehlt unbedingt aber eine nettere Nachricht, ein ausgesprochen friedlicher Beitrag – Syrer bei der Freiwilligen Feuerwehr in Kalübbe. Das funktioniert doch, von solchen Filmen gibt es hoffentlich bald mehr. Und was bei den Neuankommenden in einem durchorganisierten Land auch funktioniert, das ist die GEZ. Kein Scherz.
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