Bastian Sick's Blog, page 19
July 2, 2017
Alter Lustmolch
Angesichts der blonden Dame rechts im Bild kann man nur hoffen, dass Kasper nicht zu früh kommt, denn die will seine Vorstellung bestimmt nicht verpassen.
Gesehen in Magdeburg, eingeschickt von Christine Meinhard
Zum nächsten Fundstück: Neue Saftbar eröffnet
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June 27, 2017
Zum Signieren nach Köln
Am Donnerstag bin ich nach Köln gereist, wo es ein freudiges Wiedersehen mit meinem Verleger und meiner Lektorin gab. Der Anlass für die Reise war eine Signierstunde der besonderen Art: 200 Exemplare des frisch erschienenen Buchs „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“ warteten bei Kiepenheuer & Witsch darauf, signiert und an die Fotoeinsender verschickt zu werden. Das war Akkordarbeit, ausgerechnet am heißesten Tag des Jahres!
Der junge Verlagsassistent Christian Neidhart leistete mir dabei Unterstützung und Gesellschaft. Er erzählte mir, dass er damals als Schüler bei der „größten Deutschstunde der Welt“ in der Köln-Arena dabei gewesen sei. Da merkte ich mal wieder, wie viel Zeit seit diesem Ereignis vergangen ist.
In diesen Tagen dürften nun also alle Fotoeinsender, die sich für ein signiertes Freiexemplar entschieden haben, einen Umschlag aus Köln bekommen – mit einem Exemplar des neuen Buches. Einige bekommen sogar zwei, denn von einigen Einsendern haben es gleich mehrere Fotos ins Buch geschafft.
Wie meine Lektorin mir mitteilte, hat es das Buch „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“ gleich in der ersten Verkaufswoche auf Platz 25 der SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft. Bei einem kühlen Radler am Rheinufer vereinbarten wir anschließend gleich zwei weitere Buchprojekte für 2018 und 2019.
Mit meiner Lektorin Sandra Heinrici und meinem Verleger Helge Malchow
Rückblick ins Jahr 2010: 6x Gold für 4 Millionen
Rückblick ins Jahr 2006: Die größte Deutschstunde der Welt
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Neue Saftbar eröffnet
Der Babar und die Barbara
Gehen abends in die Rhababar.
„Nah und gut“ in Mannheim/Neckarstadt, eingeschickt von Nicole Ellmann
Zum nächsten Fundstück: Am Zahn der Zeit
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June 8, 2017
Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen!
Voller Freude darf Ihnen, verehrte Leserschaft, das Erscheinen des sechsten Happy-Aua-Buchs mit dem Titel „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“ ankündigen. Mit 224 Seiten ist es der bisher umfangreichste Band der Reihe. Er versammelt mehr als 300 Fundstücke aus dem berühmten „Irrgarten der deutschen Sprache“, von dem wir alle inzwischen wissen, dass er mehr irre als Garten ist.
Die Arbeiten an dem „Schnäppchen“-Buch begannen im Oktober letzten Jahres, Abgabe des Manuskriptes war im Januar. Viele meiner Leser haben daher um die Weihnachtszeit herum von mir eine E-Mail erhalten, denn wiederum galt es, für jedes einzelne Foto eine Abdruckgenehmigung einzuholen. Zum Glück habe ich fast alle Einsender erreicht, selbst jene, die zwischenzeitlich geheiratet und einen anderen Namen angenommen hatten. Von einigen Einsendern befinden sich sogar gleich zwei oder drei Fundstücke in diesem Buch.
Ich will die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, all jenen zu danken, die meine Arbeit unterstützt haben – und weiterhin unterstützen, denn die Suche nach Fundstücken geht selbstverständlich weiter. „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“ ist mein 13. Buch bei Kiepenheuer & Witsch, und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn da nicht mindestens noch ein 14. folgen sollte.
Für die Besucher meiner Website gibt es hier exklusiv zwei Kostproben aus dem neuen Buch. Zum einen das Vorwort, das die Entstehung des Titels erklärt und eine kleine Geschichte aus dem Reich der Riesen erzählt, zum anderen das Kapitel „Wenn Orangen Panik kriegen“.
Im Herbst und im Frühjahr werde ich unter dem Motto „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“ wieder in zahlreichen deutschen Städten Lesungen halten. Die bisher feststehenden Termine finden Sie in der rechten Spalte sowie in der Navigation unter „Termine“. Ich bin sicher, es kommen noch weitere hinzu. Nun aber erst einmal viel teuflisches Vergnügen mit dem neuesten Happy-Aua-Buch!
Ihr Bastian Sick
Vorwort – genauer gesagt: Vorwörtchen
Kapitel 6: Wenn Orangen Panik kriegen
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May 20, 2017
Am Zahn der Zeit
Puls und Zahn kann man schon mal verwechseln, vor allem, wenn man zu viel Kaffee getrunken hat und der Puls der Zeit an einem nagt.
Aus der „Westdeutschen Zeitung“ vom 20.5.2017, eingeschickt von Frank Tesche, Wuppertal
Nur noch wenige Tage bis zum Erscheinen des neuen Happy-Aua-Buchs „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“! Freuen Sie sich drauf!
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April 25, 2017
Nationalspeise
Bunt war gestern. Der Renner der Saison: Eis mit Zuckerstreusel in den Bundesfarben schwarz, rot, gold!Angebot einer Eisdiele im Allee-Center in Magdeburg, fotografiert von Charlotte Kränzke
Zum nächsten Fundstück: Paradies der Rentner
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April 21, 2017
Paradies der Rentner
Einen passenderen Ortsnamen hätte man nicht erfinden können!
Entdeckt in der Fränkischen Schweiz von Renate Herzke, Berlin
Zum nächsten Fundstück: Immerhin nicht mit „z“ geschrieben
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April 18, 2017
Immerhin nicht mit „z“ geschrieben
In Aurich hat sich jemand einen Scherz erlaubt und dem Abfahrtstag ein „u“ untergejubelt. Wenn man es laut liest, entsteht dabei ein allzu vertrautes Nebengeräusch.
Entdeckt in Norddeich (Niedersachsen) von Andreas Gindorf aus Beckingen
Zum nächsten Fundstück: Frühlingsgefühle
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Stimm-Zettel für die Brief-Wahl von dem Land-Tag
Am 7. Mai sollen die Schleswig-Holsteiner einen neuen Landtag wählen. Dazu hat jeder Wahlberechtigte eine Benachrichtigung erhalten. Darin ist allerdings nicht von Landtag, Wahlschein und Briefwahl die Rede, sondern von irritierend zerstrichelten Dingen wie Land-Tag, Wahl-Schein und Brief-Wahl. Das amtliche Schreiben ist nämlich in sogenannter Leichter Sprache aufgesetzt – nur wird dem Wähler das mit keinem Wort erklärt.
„Sehr geehrte Bürgerin, sehr geehrter Bürger, in Schleswig-Holstein wird der Land-Tag gewählt.“ So beginnt das Schreiben, das in den vergangenen Wochen an alle wahlberechtigten Bürger im nördlichsten Bundesland verschickt worden ist und das flächendeckend für Irritation gesorgt hat – bei vielen gar für Verärgerung.
Der Grund: Das Schreiben wurde in „Leichter Sprache“ aufgesetzt – einer stark vereinfachten Form der gesprochenen und geschriebenen Sprache, die für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Lern- oder Leseschwierigkeiten entwickelt wurde, um ihnen zu helfen, Bedienungsanleitungen, Hausordnungen und Formulare zu verstehen. Ein sehr löbliches Projekt, das Unterstützung verdient. Wenn die „Leichte Sprache“ allerdings nicht gezielt eingesetzt, sondern nach dem Gießkannenprinzip über allen Bürgern ausgegossen wird, erzeugt sie nicht unbedingt mehr Klarheit und Verständnis, sondern Verwirrung und Ablehnung. So war es jedenfalls in Schleswig-Holstein der Fall, wo sich viele Bürger verschaukelt fühlten und erzürnte Leserbriefe an ihre Lokalzeitungen schrieben.
Ein Prinzip der Leichten Sprache ist es, Wortzusammensetzungen grundsätzlich mit Bindestrich zu schreiben. Angeblich seien die Wörter so leichter zu lesen. Folglich wimmelt es in der Wahlbenachrichtigung von gestrichelten Schreibweisen wie „Vor-Name“, „Haus-Nummer“ und „Post-Leit-Zahl“. Außerdem werden alle Wahlberechtigten angesprochen, als seien sie kleine Kinder. Denn auch das ist ein Prinzip der Leichten Sprache: Alles wird so einfach wie möglich formuliert, in kurzen Sätzen, so wie es die Großen gern tun, wenn sie den ganz Kleinen etwas zu erklären versuchen.
Das wesentliche Versäumnis des Wahlleiters Schleswig-Holsteins besteht darin, die Wahlberechtigten mit keinem Satz darüber informiert zu haben, dass das Schreiben in „Leichter Sprache“ aufgesetzt ist und man sich also bitte nicht über das ungewohnte Schriftbild wundern möge. Weil der Hinweis auf die „Leichte Sprache“ fehlte, erweckt das Schreiben den Eindruck, dies sei die neue amtliche Rechtschreibung. Was natürlich ein Irrtum ist. Dabei hatte man sicherlich alles nur gut gemeint. Doch wie sinnvoll ist eine Maßnahme, die drei bis fünf Prozent der Wahlberechigten tatsächlich hilft, wenn sich die übrigen 95 bis 97 Prozent vor den Kopf gestoßen fühlen?
„Leichte Sprache“ in einem amtlichen Schreiben zu verwenden, ohne deutlich darauf hinzuweisen, ist auch deshalb problematisch, weil die „Leichte Sprache“ gegen die Regeln der amtlichen Rechtschreibung verstößt. Und an diese Regeln sind die Behörden schließlich gebunden. Bei Wörtern wie „Landtag“, „Briefwahl“ oder „Postleitzahl“ lässt unser amtliches Regelwerk keine zwei Möglichkeiten zu. Die Verwendung von Bindestrichen ist schlichtweg falsch. Einzige Ausnahme: Man darf Bindestriche benutzen, um auf eine zweite Bedeutung hinzuweisen. Wer „Land-Tag“ mit Bindestrich schreibt, kann dies tun, wenn er damit einen Tag auf dem Land meint und eine Verwechslung mit dem Landesparlament ausschließen will. Hier ging es aber kaum um den Hinweis auf eine zweite Bedeutung, sondern um eine Lesehilfe für Menschen, die schon mit der ersten Bedeutung eines Wortes Probleme haben.
Bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft vor zwei Jahren waren die Wahlunterlagen ebenfalls in „Leichter Sprache“ abgefasst worden. Damals schon war die Empörung unter den Bremern groß – erst recht, als man erfuhr, dass die Übersetzung in Leichte Sprache 50.000 Euro gekostet habe. Dieser neue Fall zeigt, dass der schleswig-holsteinische Wahlleiter offensichtlich nichts von seinen Bremer Kollegen gelernt hat. Stattdessen hat er denselben Fehler wiederholt. Früher hätte es für ein derartiges Versagen im Amt wenigstens noch eine öffentliche Rüge mit anschließender Entschuldigung gegeben. Heute heißt es wohl einfach Schwamm drüber und auf zum nächsten Tages-Ordnungs-Punkt.
Einer meiner Nachbarn vermutete, es könne sich um einen gezielten taktischen Zug der Landeswahlleitung gehandelt haben, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich habe ihm nicht widersprochen. Schließlich wird man wohl noch träumen dürfen.
Eine Woche nach Schleswig-Holstein wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ich weiß nicht, ob die dortigen Wahlberechtigten ebenfalls in „Leichter Sprache“ benachrichtigt wurden. Wenn ja, müsste das einen noch größeren Sturm der Entrüstung auslösen. Denn NRW wird in „Leichter Sprache“ zu einem wahren Bindestrich-Monstrum: Nord-Rhein-West-Falen. Ob damit wirklich jemandem geholfen ist? Das könnte eher ein Grund sein, die Wahl zu boykottieren.
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Zum Thema:
Hamburger Abendblatt: „Gut gemeint – schlecht gemacht“
Zwiebelfisch: Leichte Sprache für alle?
Lübecker Nachrichten: Benefiz-Abend für die Leichte Sprache
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April 12, 2017
Tallinn
Meine jüngste Reise führte mich in ein Land, in dem ich noch nie zuvor gewesen war, obwohl es gar nicht so weit entfernt ist und noch dazu am selben Meer liegt wie mein Zuhause: Estland. Auf Einladung des Estnischen Deutschlehrerverbandes, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert, flog ich für vier Tage nach Tallinn, um auf der Jahrestagung der Deutschlehrer aus meinen Büchern vorzulesen – und um Land und Leute kennenzulernen. In weiser Voraussicht hatte ich meinen Schal und eine Wollmütze eingepackt, denn in Tallinn war es noch ein paar Grad kühler als bei uns.
Am Flughafen empfing mich Helen vom Goethe-Institut, die meinen Aufenthalt aufs Gründlichste vorbereitet und geplant hatte. Beim gemeinsamen Mittagessen in einem modernen Restaurant gegenüber der Oper erhielt ich erste Einblicke in jene Sprache, die mit dem Finnischen verwandt ist und in unseren Ohren einfach drollig klingt: Üks, kaks, kolm – das heißt eins, zwei, drei. Der große Vorteil beim Estnischen: Es wird genauso gesprochen, wie es geschrieben wird. Dafür hat die Sprache 14 Fälle (wenn nicht noch mehr), was einem natürlich Respekt einflößt. Wenn Esten Deutsch lernen, haben sie mit unseren vier Fällen daher die geringsten Probleme. Dank zahlreicher deutscher Lehnwörter findet man sich als Deutscher erstaunlich gut zurecht: Auf der Speisekarte gab es „forellifilee“. Meine kühne Vermutung, das könne nur „Forellenfilet“ bedeuten, erwies sich als richtig.
Nach der Stärkung ging es direkt in die Tallinner Altstadt, zu einem alten Haus, in dem das Deutsche Kulturinstitut untergebracht ist. Die Leiterin Anne ist eine Frohnatur, deren Lachen einfach ansteckend ist. Der Weg hinauf in den 1. Stock führte über eine gewundene Steintreppe, die mindestens aus dem 16. Jahrhundert stammt. Um sie zu erklimmen, braucht es eine gewisse Kondition und Geschicklichkeit. Nach der Wende war hier für kurze Zeit auch die deutsche Botschaft untergebracht. Inzwischen befindet sie sich in einem eleganten kleinen Schlösschen in der Oberstadt – mit Treppen, für die man kein Bergsteigerdiplom braucht.
Die dritte Dame im Bunde ist Signe, die Vorsitzende des Deutschlehrerverbandes. Zu viert gehen wir am Abend ins angesagteste Restaurant Tallinns, das „Pegasus“. Hier gibt es zum Essen das köstlichste Brot, das ich je in meinem Leben gegessen habe: ofenfrisch und saftig wie ein Kuchen, eine regelrechte Offenbarung. Das Land habe eine große Brotbacktradition, erfahre ich, und es sei wieder groß in Mode, sein Brot zu Hause selbst zu backen. Die Esten sollten ihr Brot in alle Welt exportieren, schlage ich vor. Zum Beispiel nach Holland, wo man bis heute nur schwammiges Weißbrot kennt.
Ein Stück der gut erhaltenen Tallinner StadtmauerAm nächsten Vormittag steht eine Stadtführung auf dem Programm. Meine Stadtführerin ist eine Deutschlehrerin mit dem interessanten Namen Õie, den selbst nicht einmal alle Esten richtig aussprechen können, geschweige denn die Deutschen. Das „Õ“ mit der Tilde ist nämlich kein „Ö“, sondern ein Quetschlaut zwischen „U“ und „Ä“. Wie mir Martin von der Deutschen Auslandsgesellschaft erklärt, müsse man zunächst ein „U“ formen und sich dann einen Kugelschreiber in den Mund stecken, dann bekäme man ein „Õ“. Õie führt mich in die Altstadt, entlang der eindrucksvollen Mauer mit ihren Wehrtürmen. Über Treppen geht es von der Unterstadt hinauf in die Oberstadt, wo sich das Parlament, der Dom und die russisch-orthodoxe Kirche mit ihren typischen Zwiebeltürmen befinden. Vom Domberg hat man einen herrlichen Blick über die Stadt mit dem markanten Turm der gotischen Olaikirche, der einst der höchste Turm der Welt war. Dahinter die Ostsee mit Fähren und Kreuzfahrtschiffen. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor seien die Finnen, erklärt Õie, die mit der Fähre aus Helsinki kämen, um hier günstig einzukaufen, vor allem natürlich Alkohol, der in Finnland sehr teuer sei. Inzwischen sei allerdings auch Tallinn teurer geworden, sodass die Finnen jetzt von der Fähre in den Bus umsteigen und sich nach Lettland fahren lassen, wo sie günstiger einkaufen können als in Estland.
Tallinner MarktplatzAm Nachmittag ist es Zeit für meinen Vortrag. Der Sitzungssaal im „Hotell Euroopa“ ist bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar die österreichische Botschafterin ist gekommen. Beim Quiz mit dem Publikum mache ich mit einer weiteren typisch estnischen Eigenheit Bekanntschaft: Kaum jemand meldet sich. Die einzigen, die die Finger heben, sind Deutsche. Wie mir eine Estin später erklärt, melden sich Schüler im Unterricht so gut wie nie. „Bis auf die Streber“. Sie habe daher die Namen ihrer Schüler auf Stäbchen geschrieben und ziehe bei jeder Frage ein Stäbchen. Dadurch hätten alle die gleichen Chancen, und weil jeder immer damit rechnen müsse, dass sein Name gezogen wird, könne es sich keiner erlauben, unvorbereitet zu sein. Ganz schön clever, diese estnischen Lehrer, dachte ich.
Und im Unterschied zu Lehrern in Deutschland, die immer häufiger von schlecht erzogenen Eltern beleidigt werden, genießen Lehrer in Estland noch ein hohes Ansehen, sowohl bei den Eltern als auch bei den Schülern. Das zeigt sich jedes Jahr am 5. Oktober auf besondere Weise. Dann nämlich ist Lehrertag. An diesem Tag gestalten die Schüler den Unterricht selbst. Die Lehrer haben entweder solange frei oder schlüpfen in die Rolle der Schüler. Gegen Mittag finden sich alle zusammen ein und essen Kuchen, den die Schüler für ihre Lehrer gebacken haben. Und natürlich wird gesungen. Am Lehrertag werden die Lehrer geehrt. Das sollte man auch bei uns in Deutschland einführen. Ich wäre sofort dafür!
Jugendliche führen spontan einen Volkstanz aufAm Abend gab es einen Empfang in der deutschen Botschaft, zum dem auch die österreichische Botschafterin geladen und ein paar famose Sacher-Pralinen beigesteuert hat. Der deutsche Botschafter schilderte mir ein Phänomen, das man seit den 90er-Jahren beobachten konnte: Bei einigen estnischen Schulanfängern waren überraschenderweise Deutschkenntnisse festgestellt worden, obwohl weder in ihrem Elternhaus noch im Kindergarten deutsch gesprochen wurde. Es kam von Pro7, das ins estnische Kabelfernsehen eingespeist wird und das am Sonntagvormittag zahlreiche Cartoons im Programm hat, die sich die Kleinen gerne anschauen. Auf diese Weise lernen sie passiv deutsch. Welch hübsche Ironie, dachte ich, dass ausgerechnet eine amerikanische Trickserie wie die „Simpsons“ zur Verbreitung der deutschen Sprache beiträgt.
Nach dem Empfang zogen ein paar von uns noch weiter in ein uriges Altstadt-Lokal namens „Peppersack“, wo wir uns bei estnischem Bier zuprosteteten: „Terviseks!“ Das ist die estnische Entsprechung unseres „Zum Wohl“. Das Bier schmeckte köstlich, und es wurde sehr gemütlich. Irgendwann stimmte eine der estnischen Lehrerinnen namens Tiiu ein deutsches Volkslied an. Sofort fielen die anderen ein. Den Esten wird nachgesagt, dass sie schweigsam seien und sehr zurückhaltend, aber wenn es ums Singen geht, dann gibt es für sie kein Halten mehr. Womöglich sind sie das sangesfreudigste Volk der Erde. Und ihre Leidenschaft wirkt ansteckend. Als Schüler oder Student wäre es mir vermutlich peinlich gewesen, Volkslieder zu singen; jetzt genoss ich es. Bei der 2. Strophe von „Hoch auf dem gelben Wagen“ musste ich zwar passen, aber glücklicherweise ließ sich der Text mit dem Handy googeln.
Anderntags bestieg ich den Turm der Olaikirche, was ein richtiges Abenteuer war, denn die Stufen der alten steinernen Treppe sind hoch und eng; ein Geländer gibt es nicht, stattdessen ein Tau. Und wenn einem von oben jemand entgegenkommt, heißt es Bauch einziehen und gut festhalten! Die Mühen des Aufstiegs wurden mit einem fantastischen Ausblick in alle Richtungen belohnt. Tallinn ist einfach wunderschön. Die Olaikirche ist heute eine Baptistenkirche. Die zweitgrößte Kirche Tallinns, die Nikolaikirche, wurde zu einem Museum für Kirchenkunst umgebaut. Dort gibt es einen Teil des ursprünglich 30 Meter langen „Totentanz“-Gemäldes des Renaissance-Malers Bernt Notke zu sehen sowie einen prächtigen, zweiflügeligen Altar mit Heiligenszenen des Lübecker Malers Hermen Rode.
Zu Fuß marschierte ich weiter durchs moderne Rotermann-Quartier, ein Neubaugebiet in Hafennähe mit interessanter Architektur, vergleichbar der Hamburger Hafencity. Da der Hafen Tallinns zu Sowjetzeiten wegen seines Ostseezugangs Sperrgebiet war, gab es praktisch keine Wohnhäuser mit Wasserblick. Die entstehen erst jetzt; nach und nach schließen sich die Lücken zwischen dem Hafen und der Altstadt.
Mein nächstes Ziel war das Kumu, das Kunstmuseum, das am Rande einer großen Parkanlage im Osten der Stadt gelegen ist. Der Museumsbau an sich ist schon eine Besichtigung wert, die darin versammelte estnische Kunst aber auch. Mir gefielen vor allem die Bilder des Expressionisten Konrad Mägi, eine Art estnischer Van Gogh.
Am Tag meiner Abreise holte mich Helen wiederum vom Hotel ab, um mit mir noch zu einem Freilichtmuseum im Nachbarort Viimsi zu fahren, wo man sehen und „nachfühlen“ kann, wie estnische Bauern und Fischer vor hundert Jahren gelebt haben. Schließlich kehrten wir noch in einem ausnehmend schönen Lokal ein, dem „Noa“ (deutsch: Noah), von dem man – bei klarer Sicht – über die Bucht einen herrlichem Blick auf Tallinn hat. An diesem Tag war es zwar recht bewölkt, aber das ließ die sich schemenhaft vor dem diesigen Grau abzeichnende Silhouette Tallinns nur umso märchenhafter erscheinen.
Der Abschied stimmte mich fast ein wenig wehmütig, denn in diesen vier Tagen war mir Tallinn sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht, weil es ebenso eine Marzipanstadt ist wie meine Geburtsstadt Lübeck. Vielleicht, weil die Stadt die Anmut vergangener Jahrhunderte mit der kühnen Eleganz moderner Architektur zu verbinden versteht, ohne dass es wie ein unversöhnlicher Gegensatz wirkt. Vielleicht, weil dort Jugendliche mitten auf dem Marktplatz spontan einen Volkstanz aufführen. Bestimmt wegen der estnischen Küche, die so ist, wie ich mir die deutsche oft wünsche. Ganz sicher aber wegen der Menschen, die mir mit einer Herzlichkeit, Höflichkeit und Liebenswürdigkeit begegneten, die mich tief beeindruckt hat. Dass es in Estland meistens ein paar Grad kühler ist als in Deutschland, sagt nichts über das wahre Temperament seiner Bewohner aus – denn wenn die Esten singen – und das tun sie sehr oft –, kann es draußen noch so kühl sein: im Herzen ist Sommer.
Das Tallinner Rathaus ist das älteste Rathaus Europas
Der Beitrag Tallinn erschien zuerst auf Bastian Sick.
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