Maximilian Buddenbohm's Blog, page 375
July 3, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Lebensmittel regional zu kaufen ist der richtige Weg, so viel ist mittlerweile common sense, auch wenn sich kaum jemand daran hält. Allerdings gibt es in diesem Jahr auch ein paar besondere Probleme in deutschen Regionen.
Und manche Produkte kann es aus regionalem Anbau natürlich gar nicht geben, etwa Mangos. Es schadet aber nicht, auch über solche Früchte etwas länger nachzudenken. Mindestens aber doch einen Blogeintrag lang.
Und ein paar Zeilen lang sollte man vielleicht auch über Lachs nachdenken. Bevor man sich die nächste Scheibe auf’s Brot legt zum Beispiel.
Man könnte natürlich auch einfach einmal die Region wechseln, es ist ja immer noch Urlaubszeit. Ab in den Süden, mal sehen, wie Mangos am Baum aussehen – oder woran auch immer die wachsen. Bevor man für die Reise aber ein Kreuzfahrtschiff besteigt, sollte man das hier lesen. Und zu dem Text gibt es sogar noch einen ebenso lesenswerten zweiten Teil mit den Antworten der Reedereien.
Lebensmittel oder Reisen kann man schlecht verleihen, andere Dinge dafür aber umso besser. Die Deutsche Welle über den erstaunlichen Imagewechsel des Leihens.
Und auch beim Recycling muss man nicht mehr nur an langweiliges Ökopapier denken, auch da ändert sich das Image. Man kann nun auch etwas so buntes wie etwa Legosteine immer wieder in den Wirtschaftskreislauf einbringen.
Im Tagesspiegel ein Update zur grünen Mode. Auf den Wortlaut der Schlagzeile hätte ich eine vierstelligen Betrag gewettet. Sie wahrscheinlich auch.
Die kulturell interessierten Leser werden die schockierende Neuigkeit schon vernommen haben, alle anderen können gleich einmal einen Blick in den wirtschaftlichen Abgrund einer Branche werfen – denn der Insel-Verlag geht über den Jordan. Das ist kulturgeschichtlich nicht gerade irgendein deutscher Verlag. Wieso man heute eventuell trotz Wachstum stirbt, kann man hier nachlesen.
Schockierende Neuigkeiten gab es auch zu irischen Bankern, da sind Telefongespräche aufgetaucht, die man vielleicht in Drehbüchern aus Hollywood erwarten würde, nicht aber in der EU. Es lohnt sich, diesen längeren Text im Tages-Anzeiger zu Banken, Moral, “too big to fail” und Eigenkapital zu lesen. Besonders natürlich die unfassbare Dialog-Stelle, aber der Rest ist schon auch ein paar Minuten wert.
Und dann wollen wir noch eben was für den gepflegten Smalltalk tun, man will ja, wenn es um Wirtschafsthemen geht, die richtigen Schlagwörter parat haben. Wenn Ihnen da jetzt jemand etwa gerade mit Peak Oil kommt , dann kontern Sie doch bitte locker mit Peak Uran. Sie werden sehen, das sticht.
Der abschließende Design-Link der Woche geht an das Exbury Egg. Sich mit dem Ding tagelang auf einem Fluss treiben zu lassen, das klingt wie eine wirklich tiefenentspannte Möglichkeit, seinen Urlaub zu verbringen. Im Reisebüro des Vertrauens ist das allerdings leider noch nicht buchbar.
July 1, 2013
Gelesen, gesehen, gehört im Juni
Gelesen:
Fast ausschließlich das weitergelesen, was im Mai auch schon auf dem Nachttisch lag.
Neu waren nur:
Stefan Zweig: Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums. Ich mag die historischen Bücher von Zweig, wobei mir der wissenschaftlich haltbare Wahrheitsgehalt ziemlich egal ist. Er hat eine so angenehme Sprache, er könnte mir alles erzählen. Sehr schön auch, wenn Sie das nicht kennen sollten, seine Biographie über Fouché. Die kann ich auch als Urlaubslektüre empfehlen, sehr unterhaltsam und verblüffend interessant.
Kurt Tucholsky: Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte. Gehört zu den Büchern, die man alle paar Jahre wieder schnell mal lesen sollte. Da ist gar nicht viel dran, es sind ja im Grunde nur ein paar Seiten, aber es ist ein so faszinierender Blick aufs kleine, vergängliche Liebesglück in einer Zeit noch vor dem ersten Weltkrieg, das kann man auch mehrmals im Leben lesen. Außerdem macht das Buch sonnige Stimmung, und da besteht ja durchaus etwas Bedarf zur Zeit.
Elisabeth Rank: Bist du noch wach? Über Beziehungen in heillos unklaren Zuständen. Freundschaft, Liebe und das große Nebeneinander und Nebenher. Der Roman hat für mich den fatalen Nebeneffekt, dass mir die studentische Perspektive, aus der es geschrieben ist, mittlerweile so fremd geworden ist, dass ich mich beim Lesen wie ein Hundertjähriger fühle, daran musste ich mich erst gewöhnen. Dafür kann das Buch aber natürlich nichts, in dem geht es nämlich tatsächlich um große Themen, die einen in jedem Alter treffen. Ein Buch über das Kaputtgehen von Zuständen und Beziehungen, Entfremdung und Neuanfänge, die keine sind. Nicht über dieses laute Kaputtgehen, das man sehen und hören kann und das eventuell im rettenden Slapstick mündet, sondern dieses leise und schleichende und sehr ernste Kaputtgehen, das man nur schwer verfilmen könnte und wenn doch, dann wäre der Film sicher mit hübschen Schauspielern besetzt, aber ach, zu flach, viel zu flach. Das wäre womöglich ein leiser, ein schöner Film, aber man müsste immer sagen, wissen Sie, das Buch ist ganz anders, ganz anders.
Das Buch selbst ist übrigens auch ganz leise, das weht einem so durch den Abend. Hier die Seite der Autorin.
Gesehen:
Nichts, gar nichts. Ach doch, ein paar der ganz alten Folgen von Tom & Jerry mit den Söhnen.
Gehört:
Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville. Auf den Autobahnfahrten wollte Sohn I das hören, zu meiner Überraschung fand er es auch gut. So gut sogar, dass ich es jetzt schon viermal gehört habe und es spricht sehr für Oscar Wilde, dass ich die CD noch nicht als Frisbee benutzt habe. Manche Texte sind eben unverwüstlich und die Geschichte, wie das alte Gespenst nach den heftigen Auseinandersetzungen mit den amerikanischen Neubesitzern seines Schlosses endlich letzten Frieden findet, sie ist tatsächlich immer wieder gut.
June 30, 2013
Woanders – diesmal mit Dingen von Leuten, Steinhäusern, dem Glück und anderem
Camilla Catrambone porträtiert ihre Familienangehörigen nur durch die Dinge, die ihnen gehören. Faszinierend, was für eine Würde diese Gegenstände ausstrahlen.
Bilder von Steinhäusern in England, die womöglich etwas mit Hobbits zu tun haben.
Mennory über das Glück mit Kindern.
Oliver Driesen hat Steve McCurry interviewt. Wenn Sie Steve McCurry nicht kennen – ändern Sie das. Der ist toll.
Und Frau Modeste hat eine Frage zum Thema Küssen. Vom Alter her könnte ich die beantworten, aber ich will ihr ja nicht die Spannung nehmen. Haha.
Sagt mal, von wo kommt ihr denn her?
Ich war für meine Kolumne “Kind und Kegel” in der Online-Ausgabe des Hamburg-Führers mit den Söhnen auf dem Schlagermove. Den Text findet man hier – viel Spaß.
June 26, 2013
Woanders – Der Wirtschaftsteil
Wer kauft welches Land, wem gehört Afrika, welche Firma spielt wo gerade Acker-Monopoly – das sind Fragen, die mit der Land-Matrix beantwortet werden können, über die in der Zeit geschrieben wird. Ein wenig Transparenz zur rechten Zeit schadet ja meistens nicht. Oder vielleicht doch, aber dann vermutlich den Richtigen. Gilt übrigens auch in Deutschland, das mit der Transparenz.
Wenn wir schon bei Landbesitz sind, können wir auch kurz an die zahllosen Menschen denken, die von oder aus ihrem Land vertrieben worden sind. Letzte Woche war Weltflüchtlingstag, das war in den deutschen Medien nicht gerade überwältigend präsent. Hier ein paar Bilder von Menschen, für die Wirtschaftsnachrichten nur noch aus der Frage bestehen, ob sie sich heute satt essen können. Und wenn es sehr gut geht vielleicht auch morgen.
Eine bedrückende Bilderreihe könnte man sich auch zur nächsten Meldung vorstellen, da steht aber nur ein wenig Text. Aber man kann sich die Bilder ja selber ansehen, einfach mal durch Berlin gehen. Vielleicht sieht man etwas? Zille revisited?
Transparenz schadet übrigens auch dann nicht, wenn es um die Energiewende geht, bzw. um deren Kosten. Sonst kann man der deutschen Regierung gar nicht widersprechen, wenn sie sich im Neuland der alternativen Energien verläuft.
Von der Energiewende ist es nicht weit zur Klimaerwärmung und wenn man sich etwas gruseln und amüsieren möchte und das womöglich auch noch gleichzeitig, kann man im amerikanischen Rolling Stone die zehn dümmsten Zitate zur Klimaerwärmung nachlesen. Spätestens bei Nummer 5 hat man aber vor lauter Kopfschütteln ein Problem mit den Nackenmuskeln.
Die Klimaerwärmung sorgt auch dafür, dass Saaten bei uns öfter mit Bakterien befallen sind, eine der zahllosen unschönen Folgeerscheinungen dieser Veränderungen. Da gibt es jetzt eine Entwicklung der Hochtechnologie, die etwas nach Science-Fiction klingt und gar nicht mehr nach putzigem Biobauernhof. Und die doch ziemlich faszinierend ist. Elektronenkanonen auf dem Acker, wer kommt denn auf so etwas! Die Typen vom Fraunhofer-Institut.
Auch in Südamerika geht es gerade um befallene Pflanzen, allerdings sind die Dimensionen etwas anders. Holen Sie sich einen guten Kaffee, bevor Sie das lesen, mit Betonung auf “guten” Kaffee. Nicht das Zeug aus dem Automaten in der Kantine, das hat mit Kaffee ohnehin wenig zu tun.
Und bei Kaffee nennt man immer gleich auch Kakao, das ist hier nicht anders als in anderen Medien. Kakao wird knapp, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, und zwar so knapp, dass die Firmen etwas tun müssen, sie müssen etwas ändern. Ob aber das Anlegen großer Plantagen für den Bedarf europäischer Verbraucher wirklich eine tolle Änderung ist – nun ja.
Über das Fairphone hatten wir schon mehrmals etwas geschrieben, die Updates dazu wollen wir im Auge behalten. In dieser Woche ein Interview mit dem Sprecher des Unternehmens zur Frage, wie fair das alles eigentlich ist.
Das Fairphone wird in China zusammengebaut, da liegt Bangladesch gleich um die Ecke, zumindest aus Sicht der deutschen Verbraucher. In Le Monde Diplomatique ein längerer Text zur Lage der Textilindustrie dort mit viel Hintergrundwissen. Und einem wirklich erschütternden Schluss, aber das muss man wohl so erwarten.
Und zwischen China und Bangladesch liegt Indien, so ungefähr jedenfalls. Da gibt es virtuelle Banken und Geldeinzahlungen am Kiosk, da kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wie sich der Klassiker der Bank dort gerade entwickelt.
Menschen aus China, Bangladeschund Indien landen auch bei uns, auf der Suche nach Arbeit, Ausbildung oder Chancen. In der Zeit ein handlicher Faktencheck zur Immigration in Deutschland. Wer sich für das Thema interessiert, der werfe bitte auch einen Blick auf das sehr empfehlenswerte Buch von Doug Saunders: Mythos Überfremdung. Wenn man zu dem Thema Diskussionen führen muss, sollte man es sogar als Pflichtlektüre betrachten. Umfangreich, akribisch recherchiert und punktgenau.
Und wenn man sich jetzt wieder fragt, was man als Verbraucher bei all dem Elend der Weltmärkte eigentlich noch tun kann – die taz hat hier einen Text über alternative Konsummodelle. Alles ganz plausibel, anwendbar und funktionsfähig. Geht doch. Oder geht es nicht?
Wir befinden uns übrigens in der schönsten Gartensaison, vom Wetter natürlich einmal abgesehen. Im Garten hören drolligerweise bei vielen Mitmenschen die ökologischen Ambitionen auf, die verlangt man lieber von Konzernen und der einen oder anderen Regierung, nicht aber von sich selbst – und schon gar nicht, wenn es um die Blührabatten hinter dem Haus geht. Der Rasen muss doch gemäht werden! Das muss doch gedüngt werden! Die Schädlinge müssen doch wirklich weg. Ja, ja. Hier zehn Ratschläge zum umweltschonenden Verhalten im eigenen Garten. Klingen alle eigentlich ganz einfach. Scheinen aber doch ziemlich schwer zu sein, wenn ich mir die Gartenbesitzer im Bekanntenkreis so ansehe.
In der letzten Woche hatten wir Oldenburg als deutsche Fahrradhauptstadt erwähnt und auch in dieser Woche wollen wir kurz zum Straßenverkehr schalten und wieder insbesondere das Fahrrad würdigen. Adelhaid hat in Amsterdam eine Kreuzung ohne Schilder beobachtet. Eine Vorstellung, bei der deutsche Verkehrsplaner nach wie vor Schnappatmung bekommen.
Der Designlink der Woche geht wie in der letzten Woche auch an ein neumodisches Fortbewegungsmittel, diesmal an eines speziell für Eltern. Man kann allerdings bezweifeln, dass es sich wirklich durchsetzen wird.
June 25, 2013
Nachtrag Minden
Nachdem mich einige beleidigte Menschen – und nicht nur die Herzdame – darauf hingewiesen haben, dass Minden auch Vorteile hat, Attraktionen und schöne Seiten – aber ja. Ich habe auch schon einmal über eine der Hauptattraktionen geschrieben, ist schon eine Weile her. Gilt aber immer noch.
Ruhelose Gesellen
Vielleicht bin ich jetzt in dem Alter, ich dem ich so dermaßen weit aus den relevanten Werbezielgruppen rausfalle, dass ich die Werbung einfach nicht mehr verstehen kann, weil sie nicht mehr auf mich und meine Lebensumstände zugeschnitten ist. Vielleicht ist es ein Schreibfehler, vielleicht habe ich auch einfach nur ein Brett vor dem Kopf, aber ich denke schon seit Tagen über eine Anzeige nach, die mich auf Facebook hartnäckig verfolgt. Es ist eine Anzeige für eine App, die ich mir auf meinem Handy installieren könnte, wenn ich denn wollte, sie kostet nicht einmal etwas. Sie will mir den überaus seltsamen Vorteil verschaffen, Handwerker unterwegs zu finden. Steht da.
Aber warum zum Teufel sollte nun jemand Handwerker unterwegs finden wollen? Was sind denn das für Leute? Gehen da Menschen in der Stadt herum, bleiben an einem schönen Plätzchen stehen und denken ach, wenn doch jetzt ein Tischler käme, der mir flugs Tisch und Stuhl hier hinschreinern könnte! Ich setzte mich glatt eine Stündchen hin! Wie schade, dass ich noch nicht diese App geladen habe! Oder haben Leute, die S-Bahn fahren, plötzlich das Verlangen, sich etwas löten zu lassen? Will man sich in der Fußgängerzone vor Karstadt die Schuhe besohlen lassen? Denkt man beim abendlichen Spaziergang vor einer zerbrochenen Scheibe: “Ach komm, ich geb hier mal schnell einen Glaser aus, kostet ja nicht die Welt?”
Oder ist es ganz anders gemeint und die Handwerker sind heutzutage selbst dauernd unterwegs, ruhelose Gesellen in Scharen, sie kreisen durch die Stadtviertel, den Blick aufs Handy gerichtet, bis die App blinkt, weil jemand ihre Nähe bemerkt hat und sie dann zur Landung auffordert?
“Schatz, wir brauchen einen Klempner. Der Hahn tropft.“
“Warte, ich sehe eben nach, wo einer läuft und winke ihn dann ran.”
Ich verstehe es einfach nicht. Aber ich habe jetzt auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. So als Blogger unterwegs.
Modemekka Minden
Ich habe echte Langeweile in ungewöhnlich hochkonzentrierter Form gesehen. Sie nennen es hier “Innenstadt von Minden”. Vielleicht sehen aber auch alle deutschen Kleinstädte so aus? Ich reise nicht viel, vielleicht bin ich da gar nicht ausreichend informiert. Womöglich sind Paderborn, Kiel und Chemnitz exakte Kopien. Ich meine nicht die Bausubstanz, die ist in Minden ganz ansehnlich, ein paar nette Giebelhäuschen, etwas Weser-Renaissance. Aber die Geschäfte! In Minden gibt es eine Einkaufsstraße, in der es kein einziges originelles Geschäft mehr gibt, als hätte man den Mittelwert aller deutschen Einkaufspassagen ermittelt und dann hier aufgebaut, H&M neben C&A neben Kochlöffel neben Douglas neben Weltbild und immer so weiter, die ganze mittellange Fußgängerzone hindurch, ein einziges Konzern-Outlet. Die Stadt ist daher bevölkert von Menschen, die genau das tragen, was die Leute aus den Baumarkt- oder Gartenmarktprospekten immer tragen, massenkonforme, mittellässige, mittelbunte Freizeitmode.
Nun spricht natürlich überhaupt nichts gegen massenkonforme, mittelbunte und mitellässige Freizeitmoden, ich trage so etwas auch selbst, aber in dieser Stadt tragen alle exakt das, was die Saison in den ortsansässigen Läden bisher so hergab. Die Männer tragen Karohemdem in mäßig fröhlichem Farbmix, darüber gerne eine Funktionsweste in gedecktem Uni. Ich habe auch nichts gegen Männer in Funktionswesten, es gibt viele Momente im Leben, da braucht man sogar einen Mann mit Funktionsweste, etwa wenn man mit dem Auto irgendwo liegenbleibt oder Beratung beim Bohrmaschinenkauf braucht. Aber welchen Grund kann es geben, dass eine ganze Stadt Funktionswesten trägt? Es macht einen wahnsinnig, wie da immer noch einer und noch einer um die Ecke kommt, man rechnet dauernd, wie viele Schritte man machen kann, ohne einen Mann mit Karohemd und Funktionsweste zu sehen und dann sind es wieder weniger als zehn. Als hätte man sie alle aus ähnlichen Versandkatalogen ausgeschnitten und hier ins Stadtbild geklebt.
Frauen in Pullovern oder T-Shirts oder Blusen in fröhlichem Maigrün. Ohne irgendetwas in Maigrün geht gerade gar nichts, da sind sich anscheinend alle einig, jedenfalls die Frauen. Maigrün an Männern kommt nicht vor.
Es gibt nicht sehr viele Läden in Minden, sie sind alle nicht sehr groß und sie scheinen sich alle nicht sehr zu unterscheiden. Und alle kaufen da, was sollen sie auch sonst machen, und so sehen die Leute dann auch aus. Sie könnten auch alle in einem einzigen Laden kaufen, den Unterschied sähe man überhaupt nicht, es wäre ganz egal. Einmal die Kollektion für Minden bitte, vierzigtausend Karohemden in aktuellen Farbstellungen, wie es dann immer so schön im Prospekt heißt. Nach einer Weile macht es einen irre, dass niemand aus der Reihe tanzt, dass niemand anders aussieht, abgedreht, verkommen, exzentrisch oder freakig. Es scheint nicht viele Ausländer in Minden zu geben, nicht einmal die sorgen also für Farbe oder für einen anderen Look. Keine indischen Sarongs, keine afrikanischen Kleider. Keine Sikhs mit bunten Turbanen, wenig türkische Frauen mit farbigen Kopftüchern. Man sieht den hundertsten Karohemdfunktionswestenträger und man möchte plötzlich weg. Weg, weit weg, irgendwohin, wo man anders aussehen kann und darf, wo man schräge Ideen haben kann, seltsame Vorstellungen und abgefahrene Vorlieben, man möchte, was weiß ich, etwa nach Hamburg. Oder nach Berlin, London, Paris, New York.
Und weil das auch die Mindener Jugendlichen so sehen, ziehen sie vermutlich, wenn sie flügge geworden sind, erst in die große Stadt und sich dann verrückte Klamotten an. Und so entsteht die Mode immer wieder neu, weil die Menschen aus Minden und all den anderen den Kleinstädten fliehen, ihre Funktionswesten aus dem Fenster werfen und sich eine Federboa umhängen. Eine Stunde Minden und man weiß, wieso der Punk erfunden wurde – und das ist doch auch etwas Schönes. Irgendwie.
June 24, 2013
Angeln mit Rainald und Günter
Ich habe zum Angeln überhaupt keine Beziehung, ich habe nie geangelt und Menschen, die mir nahe stehen, haben das in aller Regel auch nicht. Manchmal sieht man in Hamburg im Vorbeigehen Menschen an der Alster angeln, manchmal auch an der Elbe, das ist alles. Angeln ist mir, wenn ich es recht bedenke, völlig egal. Angeln ist kein Sport, Angeln ist etwas seltsam, siehe dazu auch Rainald Grebe, der das hier sehr gut erklärt.
Die Söhne haben allerdings einen Onkel, der angelt. In jeder Familie gibt es seltsame Vögel, wer kennt das nicht. Schon lange wollte Sohn I ihn einmal zum Angeln begleiten, bei mehreren Besuchen im Heimatdorf hat er ehrfürchtig Köder sortiert, Angeln bestaunt und den Erzählungen des Onkels gelauscht. Einmal mit zum Angeln gehen, das wäre was! Aber bis jetzt war er immer zu klein oder die Gelegenheit passte nicht oder das Wetter war falsch oder der Onkel war nicht da, so ging das jahrelang.
Gestern kam der Onkel wieder einmal vom Angeln, er hatte einen Aal dabei, der noch ein wenig durch die Regentomme schwamm, schwarzer Fisch in dunkelgrauem Wasser, bevor der Onkel ihn gemeinsam mit Sohn I ausgenommen hat. Man muss sich das Kind dabei als begeistert vorstellen, auch wenn es schwer fällt. Aal, dachte ich, ausgerechnet Aal. Wie in einem Text von Günter Grass. “Die Herzdame salzte nach”, dachte ich und dann fiel mir ein, dass wir Sohn II fast Oskar genannt hätten, der Name war damals noch in der Schlussauswahl. Regen zog über den Hof, dahinter die weiten Felder voller Kartoffeln. Uropa besah sich gerade die Johannisbeeren, das ganze Gelände sah mir plötzlich nach Grass aus, manchmal genügt ja schon die Erwähnung eines Wortes und man wird die Assoziationen über Stunden nicht mehr los.
Aber wer möchte schon in einem Grass-Roman leben, ich sicher nicht. Es ist ja auch albern, Aale kommen auch außerhalb der Blechtrommel vor, Aale sind ganz normale Fische. Na, jedenfalls fast.
Heute morgen fuhren der Onkel, die Herzdame und die Söhne zum Angeln und morgens, das weiß man, geht man nicht auf Aale, wenn man das überhaupt so sagt, morgens fängt man andere Fische. Was weiß ich welche, ich kenne nicht einmal die Namen. Waller zum Beispiel, sagte der Onkel, aha, sagte ich. Waller, das klingt doch auch schon wieder wie eine Figur bei Grass, dachte ich. Gefreiter Waller oder so. Birkenwäldchen in Russland, Rauch weht durchs Bild, ein Mann in Uniform sitzt auf dem Boden, Gefreiter Waller, er denkt an Danzig. Ich habe keine Zeit für Grass-Geschichten, ich wedelte die Gedanken weg und machte mir Kaffee. Dann war die Familie weg und ich kümmerte mich wieder um meine Textarbeit, ich dachte nicht mehr ans Angeln und schon gar nicht mehr an Grass. Ich saß im Zimmer unterm Dach, der Regen tröpfelte ans Fenster und ich schrieb. Die Familie war lange weg, Stunden vergingen.
Schließlich kam Sohn I jubelnd die Treppe raufgelaufen, um mir stolz seinen Fang zu präsentieren. Dabei handelte es sich allerdings nicht um einen Fisch, denn die Fische haben heute nicht gebissen, oder doch nur ganz kleine, die dann noch weiterleben durften. Aber Sohn I hielt trotzdem begeistert etwas hoch, das er mühsam aus der Weser gezogen hatte, einen ziemlich großen Fang. Eine Deutschlandfahne. Schwarzrotgold, vielleicht bei der letzten Fussballbegeisterung irgendwo verweht und im Fluss gelandet, vielleicht vom nahen Campingplatz, wer weiß. Der Sohn schwenkte die Fahne: “Das ist toll. Weil nämlich, einen Fisch kann man ja nur einmal essen. Aber mit der Fahne kann ich ganz oft spielen.”
Mal sehen, ob ich nach diesem Blogeintrag wieder zu Themen ohne Grass übergehen kann. Das Katz- und Maus-Spiel mit den Assoziationen ist auf Dauer doch etwas anstrengend. Und eine Sankt-Pauli-Fahne wäre mir deutlich lieber gewesen. Aber das kann man an der Weser wohl nicht verlangen.
June 23, 2013
Woanders – diesmal mit Maschinenbauern, Kunst, Brücken und anderem
Kid37 über achtbeinige Bienen und Maschinenbauer. Ich halte das hermetische Café ja für eines der bestgeschriebenen deutschen Blogs, aber das sei hier nur ganz, ganz am Rande erwähnt. Der Meister ist immer so mädchenhaft verschämt, wenn er gelobt wird.
Kunst in der Stadt, mit der Kunst habe ich es ja gerade ein wenig. Hier geht es um urban subversion von Brad Downey, der so etwas gerne auch einmal in Hamburg machen könnte.
Frau Novemberregen trifft Brückenbauer. Wenn ich Frau Novemberregen morgens treffen würde, ich würde Haltung annehmen und sehr freundlich gucken, nur um in ihrem Blogeintrag später möglichst gut wegzukommen.
Die liebe Nessy lernt Russisch.
Das Museum of modern Mett. Schön, so schön. Oder so.
Dr. Mutti lang und gründlich über Rechtschreib- und Journalismuskatastrophen.
Martin Weigert über den Zusammenhang zwischen Gelassenheit und digitalem Publizieren. Und alle so: Ommmmm.
Eimerchen wird nass. Kann ja mal vorkommen. Ich habe noch nie im Ausland gelebt und habe das auch ganz gewiss nicht vor. Und da ich nicht gerne reise, bin ich tatsächlich auf solche Berichte angewiesen, man weiß ja sonst gar nichts von der Welt. Oder von Londons Osten. In London war ich sogar schon einmal, aber ich habe dabei nicht mitbekommen, dass die Stadt überhaupt einen Osten hat. Ich erinnere nur vage sehr, sehr schlechtes Bier.
Herr Meinhold über das Schreiben und warum das alles etwas deprimierend ist.
Lego für weit Fortgeschrittene.
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