Maximilian Buddenbohm's Blog, page 30
November 4, 2024
Heranrollende Gemütlichkeit
Vorweg einen herzlichen Dank an die großzügigen Menschen, die in den letzten Tagen deutlich mehr als Kleingeld in den Hut geworfen haben. Noch mit äußerst freundlichen Zeilen dabei – ich freue mich! Es belebt die Motivation für den November, der, wie es aussieht, nicht eben der netteste Monat des Jahres für mich werden wird. Obwohl ich doch nichts gegen ihn habe, eher zum Freundeskreis gehöre, es mutet etwas ungerecht an.
***
Mit der Herzdame am Montagabend die Termine bis Weihnachten sortiert. Wir haben in diese Restzeit von 2024 dummerweise auch Vorsorgetermine und ähnliches hineingeplant, damals am Jahresanfang. Als man alles irgendwohin packen wollte, möglichst weit weg. Nach Durchsicht haben wir hysterisch lachend festgestellt, dass das alles nicht gehen kann.
Und dass wir es alles dennoch machen, das haben wir dann auch festgestellt. Denn was soll man auch machen.
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Gehört: Einen unterhaltsamen Podcast (16 Minuten) über den Hit von Alphaville damals: Forever young – „Wenn wir gewusst hätten, dass diesen Song irgendwann die halbe Welt kennen würde, wir hätten es verbockt.“ Auch das habe ich bereits mehrfach notiert, ich weiß, aber man kann den Podcasts über Musik, Stars und Hits beispielhaft alles entnehmen, was man über Kreativität, Erfolg, Arbeit und Glück nur lernen kann, glaube ich.
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Währenddessen, kaum bloggt man ein, zwei Tage nicht, ist viel passiert, was das Voranschreiten des Jahres betrifft. Wir haben die ersten Mandarinen gegessen, ein wichtiger Schritt. Siehe auch erste Erdbeeren, Pflaumen etc.
Es gab den ersten Abendspaziergang, bei dem eine dickere Jacke doch die bessere Wahl gewesen wäre. Es gab das erste Laubharken im Garten, noch nie haben wir so spät im Jahr damit begonnen. Und es war dann nicht einmal viel, was da zusammenkam. Es hängt noch eine üppige Menge in den Bäumen, die Birke etwa ist noch halb bekleidet und wird demnächst erst Arbeit machen. Aber egal, man kann hervorragend Musik hören bei dieser Beschäftigung und sich mit den Pflichten arrangieren.
Und, um allfälligen belehrenden Kommentaren vorzubeugen, für die Igel, die es in Schrebergärten meist noch zahlreich gibt, haben wir gesorgt. Sie haben in unserem tendenziell unordentlichen, also als romantisch zu bezeichnenden Garten ausreichend Laubhaufen und Zonen, in denen sie nicht gestört werden.
Zwei, drei Weihnachtsmärkte wurden in der Stadt eröffnet. Weitere werden angekündigt, es geht schnell voran. Hier und da liegen Bretterstapel in den Fußgängerzonen bereit, das wird in Kürze alles routiniert verschraubt und aufgerichtet. Kaum anders als ein Bücherregal von Ikea, wenige Stunden wird es nur dauern. Die Gemütlichkeit auf Rädern wurde überall bereits herangerollt und ausgeliefert. Sie steht bald in überaus erwartbarer Form bereit, mit Glühweinduft und allem.
The same procedure, bis hin zum obligatorischen Glühweinvergleich über alle diese Märkte in den lokalen Medien, um den journalistischen Nachwuchs auch einmal vor die Tür zu bekommen. Man kennt das.
An den Fassaden der großen Kaufhäuser hängen die Neonzeichen der Zeit. Wenn man genau hinsieht, kann man bereits Merry Christmas in zig Sprachen, geschweifte Sterne, stilisierte Tannenbäume und dergleichen erkennen. Noch blass, aber demnächst wird das alles bunt leuchten. Auch der Winterdom wird aufgebaut, das jährliche Finale der öffentlichen Groß-Events in der Stadt. Das Riesenrad steht bereits, die Achterbahn Wilde Maus ist fast fertig, letzte Schrauben werden angezogen.
Dezenten Nachtfrost gab es zum ersten Mal in den Randgebieten der Stadt, auch in den Gärten an der Bille.
Und am Sonntagmorgen sah ich auf den Wiesen unten am Alstervorland auch den ersten Raureif, Winter will es wirklich werden.
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November 3, 2024
Bückware von Buddenbohm
Instagram benachrichtigt mich in strengem Tonfall, sie hätten ein Bild von mir „herabgestuft. “ Was für eine Wortwahl, warum nicht gleich deklassiert. Es werde meinen Followern nur noch angezeigt, heißt es, wenn sie länger scrollen. Es wird also in digitaler Übertragung gewissermaßen zur Bückware. Ein Grund für das etwas tantenhaft anmutende Verstecken des Bildes wird auch angegeben. Das Bild enthalte nämlich, und es fehlt nur der Hinweis, ich solle mich gefälligst schämen, Nacktheit oder sexuelle Handlungen.
Und damit ich mich nicht vor meinen eigenen, allzu expliziten Schundbildern erschrecke, oder vielleicht auch, damit ich nicht noch durch eigene Werke unnötig erregt werde, wird mir das schweinische corpus delicti in dieser Nachricht lediglich verpixelt angezeigt. Damit ich eine Ahnung bekomme, worum es gehen könnte.
Das Bild, ich sehe es mir genauer im Original auf meinem Smartphone an, zeigt das bekannt obszöne Hamburger Rathaus. Mit diesem phallischen Turm, der sich da aus der Mitte des Baus steil und geil nach oben reckt … ich sehe es gleich ein, es geht wirklich zu weit. Im Grunde ein starkes Stück, so etwas im öffentlichen Raum frei verfügbar zu machen. Neben dem Rathaus, als hätte es das noch gebraucht, die schwellenden, üppigen Rundungen der lasziv weißmarmornen Bögen der Alsterarkaden. Und zwischen dem strotzenden Rathaus und dem vielfach wogenden Busen der Säulengänge ergießt sich zu allem Überfluss die Kleine Alster ins Bild, als hätte es mehr Symbolik gebraucht.
Ebenfalls im Bild zwei Baukräne, die sich wie langfingrig auf die steinerne Erektion des Rathauses zubewegen. Dazu in der Mitte noch eine wehende Flagge in obszönem Lustrot, in sinnlicher Drehung windet sie sich im Wind. E-kel-haft, das alles.
Demnächst besser nur noch Flachbauten fotografieren. Oder Discounter von hinten, Tiefgaragen unter Einkaufszentren, neue Sachlichkeit, so etwas.
Man kann, sehe ich dann, über ein Formular melden, dass man da etwas anders sieht als die automatisierten Moralwächter bei Instagram. Dann muss man aber auch angeben, warum man da zu einer anderen Einschätzung kommt. Okay, denke ich mir. Alles abstreiten und dann mal sehen, wie weit man kommt. So gelingt immerhin vieles im Leben, und es ist auch eine ausgesprochen moderne Herangehensweise. Ich klicke also trotzig an, dass ich das Bild für regelkonform halte. Die Regeln werden mir kurz gezeigt, ich habe sie gar nicht gekannt oder bisher immer überlesen, in meiner geistigen Zügellosigkeit. Ich lese sie also nach, und immerhin sind bei mir keine Nippel abgebildet, denke ich. Damit komme ich vielleicht durch.
Jetzt brauche ich noch einen Grund für meinen Protest. Es werden etliche Möglichkeiten aufgelistet, die alle nicht recht zutreffen. Ich wähle schließlich: „Das Bild ist in meiner Region nicht anstößig.“ Aber wie weit diese Region wohl reicht? Weiß ich wirklich, was in Mecklenburg oder Bremen als anstößig gilt? Ich kenne kaum Menschen aus Bremen, wenn ich es mir genau überlege.
Zweifelnd schicke ich das Formular ab und stelle mir vor, wie irgendwo auf der Welt ein moderierender Mensch sich mein Bild eine halbe Sekunde ansieht und es dann routiniert freischaltet, was auch ziemlich schnell so passiert. Ich nehme weiter an, dass er dabei etwas freischaltet, was eine sogenannte AI vorher gesperrt hat, was mir nicht für das I in ihrer Bezeichnung zu sprechen scheint.
Das ist jetzt auch ein Job, und vermutlich kein allzu schöner: Auf denkbar geringem Niveau in Vollzeit intelligenter als eine Software zu sein. Ich vermute, es wird nicht wenig von diesen Jobs geben, jetzt schon oder in der nächsten Zeit, bevor auch die später einer weiteren AI-Ausbau-Stufe zum Opfer fallen werden.
Man kann sich diese Jobs kaum gut oder halbwegs fair bezahlt vorstellen. Das AI-Korrektorat wird Bezüge zum weltweiten Prekariat haben und gute Geschichten kann ich mir um Zusammenhang mit diesem Thema nicht vorstellen. Eher die Wiederholung von seit der Industrialisierung bekannten, recht üblen Geschichten aus der Arbeitswelt.
Aber wie auch immer. Das Bild wird nun nicht mehr herabgestuft. Läuft alles bei mir, das nehme ich nun als Motto mit in eine weitere übervolle Woche. Sie merken, die Blogeinträge werden im Moment für meine Verhältnisse unregelmäßiger, es geht hier bei diversen Themen gerade etwas wild zu.
Egal, wir tragen alle Helme auf dieser Baustelle, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet.
***
Hier auf dem Foto, ohne jeden sinnvollen Zusammenhang zum Text oben, die Sachlage beim Wein an der Kirchenmauer gegenüber. Aber es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich dieses Bild aufgenommen habe, ich müsste dringend wieder nachsehen gehen.
Ich sage es ja, man sitzt nur so da, und es fallen einem To-Dos ein. Seien sie nun ernsthaft begründet oder nicht. Aus dem Nichts fallen sie einem ein.
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November 1, 2024
Dämonen, Jacobi und Schubert
All die Tage jetzt, ich lag mit der Annahme der flächigen Ausbreitung im Kalender richtig, am Abend die Kostümierten zu Halloween im Hauptbahnhof und in den Bahnen. Mit einem Schwerpunkt am kalendarisch korrekten Abend, das dann doch.
Wobei ich „Kostümierte“ schrieb, das ist einzuschränken. Denn viel Aufwand wird nicht betrieben, zwei, drei Versatzstücke in Schwarz, ein weiß geschminktes Gesicht und etwas Theaterblut – darauf kann man sich mehrheitlich einigen, das ist es aber auch schon. Und viel ist das nicht, wenn man es kritisch betrachten möchte. Ein Minimalismuskarneval der novembrigen Art. Und es schadet auch den Rollen, wenn man als Wesen aus dem Reich des Bösen und der Nacht eine Schüssel mit Partysalat oder zwei Flaschen Prosecco achtsam vor sich herträgt, es mindert doch etwas die Wirkung.
Zwei Bemerknisse zu Halloween noch. Zum einen war es im kalten Licht der Wandelhalle im Bahnhof nicht nur einmal so, dass mir Menschen mit kalkweißen Gesichtern entgegenkamen, die ich schon mit „da, wieder welche“ geistig abhaken wollte, um dann im Näherkommen festzustellen, dass sie nicht geschminkt waren. Die sahen einfach so aus. Die gehörten so, da musste nicht erst Weiß aufgetragen werden. Es waren nur die Müdigkeit, die Mühen des Alltags, die Sorgen, die Pflichten und das kalte Licht der Läden. Im Grunde auch gruselig genug.
Zum anderen ging ich am Abend wieder an der Eisbahn in Planten un Blomen vorbei. Auf der es lebhaft zuging, viele kreisende Menschen auf Kufen, laute Musik. Und zwischen den erwachsenen Freizeitwintersportlern ein kleines, schwarzes, kaum auszumachendes Wesen mit weit wehendem dunklem Umhang. Schneller als manche der Großen, durch die langsamen Erwachsenen kurvend. Wie ein huschender, schattenartiger Dämon, der die Menge aus der Nacht heraus umspielte, so wirkte das kostümierte Kind auf dem Eis.
Dieses schwarzwehende Cape auf Wichtelhöhe in der bunten Menge, das hatte etwas. Mitten im Leben sind wir von unseren kleinen Dämonen umfangen.
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Heute ist Allerseelen, wieder ein besonderer Tag.
„Ruh‘n in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, geboren kaum,
Aus der Welt hinüber schieden
Alle Seelen ruh‘n in Frieden“
Das ist von Johann Georg Jacobi, aus dem Jahr 1776. Ich würde das Gedicht kaum kennen, wenn es nicht Franz Schubert vertont hätte. Der Herr Jacobi war bei seinen Dichterkollegen nicht gut angesehen, ich zitiere aus der Wikipedia:
„Auch Goethe kritisierte Jacobis Gedichte und schrieb deren Erfolg v. a. seinen weiblichen Verehrern zu, die ein Gedicht schön finden „und denken dabei bloß an die Empfindungen, an die Worte, an die Verse. Dass aber die wahre Kraft und Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln.“
Wie modern diese Stelle mit der „null“ klingt, nicht wahr, wie aktuelle Jugendsprache. Davon abgesehen, und ob das Motiv im Gedicht nun null ist oder nicht, das Lied ist gut gealtert, immer noch hörenswert und die ersten beiden Zeilen kann man sich im Grunde jeden Abend vorsagen, wenn man noch so einen Tag absolviert hat:
„Ruh’n in Frieden alle Seelen, die vollbracht ein banges Quälen.“
Ich mag die Zeilen. Alle Strophen des Gedichtes, es wird nicht vollumfänglich gesungen, kann man hier nachlesen.
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October 31, 2024
Giese, Bach, Pärt, Reger
Die sicherlich wichtigste Nachricht gestern, von den überregionalen Medien kaum beachtet: Die geschätzte Vanessa geht in die Politik und wird Bürgermeisterkandidatin für Haltern am See. Auch der amtierende Bundeskanzler war einmal ein Bürgermeister, ältere Hamburgerinnen erinnern sich, es ist ein erwiesen bewährter Karriereweg. Ich würde, mehr Respekt kann ich kaum zum Ausdruck bringen, für Vanessa sogar SPD wählen und wünsche von Herzen viel Erfolg und gutes Gelingen.
***
Ein feiner föderaler Spaß ist oder war es ansonsten mit diesem Reformationstag, mit diesem Allerheiligentag. Die einen Bundesländer nehmen diesen, die anderen jenen, andere keinen von beiden. Im deutschsprachigen Ausland auch ein unheiliges Durcheinander. In der Schweiz hat der Reformationstag ein anderes Datum als bei uns und dergleichen Komplikationen mehr. Bei Allerheiligen sind sich ebenfalls nicht alle einig, was für ein heilloses Tohuwabohu.
Unterm Strich aber, bei welchem Termin auch immer, ernste Themen am Übergang zum November. Es wird am Ende schon passen.
Ich habe Kolleginnen, die haben da, wo sie wohnen, einen Feiertag, und ein paar Meter weiter, wo das Büro ist, dummerweise nicht. Da grämt man sich etwas, stelle ich mir vor. Was aber jahreszeitlich passt und für einen angemessenen Gesichtsausdruck zum Monatswechsel sorgt, insofern ist es sinnvoll eingerichtet. Denn ja, im November soll man so gucken, dafür ist er da. Monate auch mal ernst nehmen!
Wieder nachgelesen, an der Einführung des Reformationstages 2017, 2018 in Norddeutschland gab es Kritik. Diese Debatte ist mir damals entgangen. Vermutlich fand ich es nicht weiter lesenswert, nur der freie Tag wird mir recht gewesen sein. Heute würde ich bei solchen Debatten genauer mitlesen, die Interessen mäandern durch die Jahre.
Immerhin habe ich richtig geraten, dass der Termin dieses Feiertages sich auf das Annageln der Thesen bezieht. Aber sicher wäre ich mir auch dabei nicht gewesen, Allgemeinbildung ist doch immer eine wackelige Angelegenheit.
Passend zum Thema war ich am Mittwoch bei der Stunde der Kirchenmusik in der Hauptkirche St. Petri. Ich habe mich dafür vom Home-Office losgerissen und das Einkaufen und Kochen ausfallen lassen, der Termin passte nicht recht in den übervollen Tag.
Alles dennoch machen, wie ich manchmal und nicht umsonst betone.
Durch einen Kommentar hier wurde ich neulich darauf hingewiesen, dass es kostenlose, regelmäßige Konzerte nicht nur in St. Jacobi gibt. Vielen Dank noch einmal, das war ein sinnvoller Hinweis für mich.
Denn das habe ich alles nicht gewusst, das mit diesen Konzertterminen in den großen Kirchen, aber für mich ist es großartig. Ich bekomme die Musik auf diese Art ohne Gottesdienst und andere Rituale etc. geboten, wie fein ist das denn. Ohne Ihrer Welt- und Himmelsanschauung zu nahe treten zu wollen, falls Sie bei den christlichen Religionen loyales Mitglied sind – ich interessiere mich ausschließlich für die Musik und einige andere Aspekte in Malerei und Dichtkunst. Nicht aber für den Rest, pardon.
Auch dieses Kirchenkonzert war gut besucht, ich bin mit meinen womöglich ausgefallenen wirkenden Interessen nicht allein. Aber das ist man ohnehin nie.
Ich lasse mich eben gerne und gründlich beorgeln. Ich kann auch gut zu gregorianischen Gesängen im Home-Office sitzen, und hier läuft gerade, während ich dies notiere, eine jahreszeitlich ungemein passende Playlist namens „Medieval and sacred Chants.“ Aber Predigten hören oder an Gebeten etc. teilnehmen etc. – nein danke, ich möchte lieber nicht. Kulturreligiös bin ich, mehr nicht. Und vielleicht bin ich es nicht nur, sondern immerhin, es ist alles eine Frage der Betrachtung.
Es gab an diesem Tag etwas bewährten Bach, etwas modernen Arvo Pärt und dazwischen Max Reger, und schön war das wiederum. Der Pärt-Teil (Trivium, falls Sie sich da im Gegensatz zu mir halbwegs auskennen) hätte mir im Streamingdienst nicht spontan gefallen, denke ich. Aber in der Kirche, von der großen Orgel, in dem großen Raum, vor den gotischen Fenstern, hinter denen es früh dunkel wurde – das hatte dann doch etwas.
Bei Max Reger bin ich mir noch unsicher. Ich muss das nachhören, ich nahm es als Hausaufgabe mit. So wachsen einem unvermittelt kulturelle To-Dos zu, kaum dass man irgendwo hingeht. Und sie stören mich nicht einmal, im Gegensatz zu manchen anderen. Na gut, im Gegensatz zu fast allen anderen, um es genau zu benennen.
Es gibt wieder einen Geschichtsbezug bei dieser Veranstaltungsreihe, habe ich noch gesehen. Die Stunde der Kirchenmusik entstand direkt nach dem letzten Krieg, da so viele andere Orgeln und Kirchen in der Stadt komplett zerstört waren. Also ähnlich aussahen wie die Gedächtniskirche St. Nikolai, ebenfalls in meinem Spaziergangsrevier, hier im Bild.
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Ranke am Strauche
Am letzten Wochenende, es scheint etwas mehr Text als andere abzuwerfen, was so gar nicht vorgesehen ist und hier alles durcheinanderbringt, war ich mit der Herzdame noch im Eppendorfer Moor. Mit einer humpelnden Herzdame, sie hatte eine Sportverletzung. Zwischen uns liegen einige Jahre, sie ist noch in dem Alter, in dem man für Schäden an Muskeln oder Gelenken Sport machen muss. Bei mir reicht längst eine falsche Bewegung beim Abtrocknen nach dem Duschen. Was ich dabei immer für Zeit spare, der Verfall hat auch Vorteile.
Das Eppendorfer Moor ist für viele aus dieser Stadt ein weißer Fleck auf dem Stadtplan, wie ich aus Gesprächen weiß. Davon habe man schon einmal gehört, heißt es dann, dass es das da irgendwo geben soll. Da sei man aber noch nie gewesen. Und man kenne auch niemanden, der oder die dagewesen sei, es sei doch fast ein wenig seltsam.
Das größte innerstädtische Moor Europas jedenfalls, weiß man bei der Wikipedia, und da hat man gleich wieder einen Rekord abgehakt. Und Rekorde, da stehen wir doch drauf, in unserer angeblichen Leistungsgesellschaft. Es ist also ein Sensationsmorast, den man da besucht, es ist nicht nur irgendeiner.
U-Bahn Lattenkamp aussteigen, falls jemand grobe Orientierung braucht. Dann noch ein wenig an der Tarpenbek entlanggehen und schon ist man im Moor. Wo es wimmelt vom Heiderauche, wenn man früher nur oft genug die Gedichte der Droste gelesen hat. Es ist, wenn man es sich noch einmal vornehmen möchte, noch immer ein eindrucksvolles Gedicht.
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Schon schön, da gibt es nichts! Lesen Sie es laut, rezitieren Sie bemüht, das macht Spaß. Ich meine auch, ich konnte es einmal auswendig, aber das wird schon etwas her sein. Geblieben ist mir nur die erste Zeile, die vermutlich vielen bekannt sein dürfte, längst ist sie Bestandteil der kulturellen Allmende im deutschen Sprachraum.
Man geht zunächst noch etwas neben der Alsterkrugchaussee her und fragt sich dabei vielleicht unwillig, ob das jetzt alles sei, Bäume neben etlichen Spuren, brausender Verkehr, wie ein Marsch durchs Begleitgrün an der Autobahn fühlt sich das an, echt jetzt mal. Aber das gibt sich dann und es wird ruhiger, das städtische Lärmen weicht allmählich zurück und gibt der Natur zögerlich etwas Raum.
Das Moor ist nicht eben groß. Es ist kein Akt, es einmal zu umrunden, man kann das mal eben machen. Es passt leicht zwischen Mittag und Kaffee, nach treudeutschen Zeiteinheiten. Und es wirkt auch in dieser konzentrierten Version.
Es ist zunächst ziemlich Wald, auf eine angenehm altmodische Art, mit den umgestürzten, bemoosten, modernden Bäumen, Bruchwald eben. Mit schönen, in diesem Monat dekorativ laubbestreuten Wegen auch, und wenn man gerne Natur guckt, dann kommt man da schon etwas auf seine Kosten, kann diesen Tagesordnungspunkt für den Sonntag im Grunde schon abhaken. Es wird dann aber, wenn man zum Aussichtspunkt in der Mitte am See geht, auf einmal ein kleines Ersatzkanada.
Indian-Summer-Surrogat mit passender Farbgebung und Blick über dunkelblaues Wasser und allem. Und es ist nennenswert besser als nichts in dieser Funktion, das kann sich sehen lassen. Es gab Menschen, die saßen dort am Ufer in der Nachmittagssonne und lasen, es wird keine dumme Idee gewesen sein.
Ein Plätzchen wie von Herbst-Influencern ausgedacht, so sieht es an diesem Ufer aus.
Dann wird es, um diesen Aussichtspunkt herum, auch deutlich Moor. Moor sieht man hierzulande nicht mehr oft, das haben wir alles mühsam beseitigt, was uns heute aus Gründen der Seelenhygiene, der Ökologie und des Schutzes vor Extremwetterfolgen fehlt. Hier kann man sich belehren lassen, dass es attraktiv ist und mit seiner Ausstrahlung auf einen einwirkt, bis es einem ganz lyrisch zumute wird.
Wenn man nur genug hinsieht, wie die Ranke am Strauche häkelt oder wie die Pilze wachsen.
Ich möchte dringend empfehlen, die Zeilen der Droste vor Ort noch einmal nachzulesen. Als stark verspätetes, aber ungemein sinnvolles Update zum Deutschunterricht damals. Dann erkennt man erst richtig, was die Dame da für einen Kracher gelandet hat. Mit allem Respekt erkennt man es.
Ich glaube, wir haben nicht einmal eine Stunde für die Umrundung gebraucht, trotz Hinkebein der Herzdame, trotz Fotopause.
Gerne wieder. Das war, wie neulich schon der Besuch im Loki-Schmidt-Garten, etwas fürs jährliche Programm. Bei der Herzdame auf Instagram finden Sie auch Bilder in einem ihrer Reels.
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October 29, 2024
Maritime Stimmungsfragen
Während es stundenlang und jahreszeitlich korrekt regnet, denke ich beim Blick aus dem Fenster an Kid37, der seelisch bekanntlich in diesem Wetter beheimatet ist. Nachsehen, was er schreibt und macht, und guck, interessante Musik gibt es gerade bei ihm. Ein thematisches Aufblühen in Richtung November ist es gewissermaßen, und ich verstehe das, ich teile das.
Herzliche Glückwünsche dem Herrn Blognachbarn noch, versteht sich!
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Am Sonntagmorgen war ich, wo ich viele Jahre nicht war, nämlich auf dem Hamburger Fischmarkt. Bekannt aus Klischees, Reiseführern und TV-Dokumentationen aus der Richtung Heimatkunde in Dritten Programmen. Als langjähriger Einwohner Hamburgs muss man da alle paar Jahre einmal hin, man erhält nach Losverfahren auch eine nachdrückliche Erinnerung der städtischen Behörden. Schließlich braucht es dort regelmäßig eine große Anzahl Komparsen, die für die durchziehenden Touristenhorden einigermaßen normale Menschen aus dieser Stadt darstellen. Damit alles stets so wirkt, als sei es nicht lediglich für Reisegruppen arrangiert worden. Sonst geht der Tourismus am Ende zurück und die Leute besuchen andere Städte, nicht auszudenken.
Das heißt für mich also Troyer anziehen, die alte Fleetenkieker-Mütze aufsetzen und dann auf dem Markt etwas planlos herumgehen, mehr wird nicht verlangt. So schwer ist das also nicht, und ein wenig Honorar aus dem Amt für Hamburgensien und maritime Stimmungsfragen gibt es hinterher auch. Man wird in diesen Zeiten nicht nur für die Teilnahme an Demos bezahlt.
Wie fast alle, die schon ein paar Jahrzehnte in Norddeutschland zugebracht haben, habe ich Fischmarkterinnerungen aus der Kindheit und aus der Zeit meines Sturmes und Dranges. Mit dem Vater damals dort Tauben von Züchtern gekauft, in den frühen Siebzigern etwa. Vage Erinnerungen an die großen Transport-Körbe mit mehreren Abteilungen darin, in die etliche Vögel der besonderen Arten passten. Auch undeutliche Erinnerungen an die Stände mit dem vielen Geflügel. Hasen, Karnickel und dergleichen gab es daneben auch. Längst ist es verboten, dort noch lebende Tiere zu verkaufen, wir kommen aus wahrlich wilden Zeiten.
Aus anderen Gründen leicht verschwommene Erinnerungen an Besuche dort, als ich noch einen Überlebenden der Partynächte darstellte. Taumelnder Freundeskreis, Restgemeinsamkeiten in der Dämmerung. Fischbrötchen auf Restalkohol und dann zitternd vor morgendlicher Kälte einen Kaffee aus dem Pappbecher, gegen die heranbrandende Müdigkeit, gegen die Unfähigkeit auch, sich für einige Stunden zu trennen.
Heute, das fällt mir auf, sehe ich kaum volltrunkene Überbleibsel der Nacht. Keine bestens gelaunten Grüppchen, die aus der Richtung Reeperbahn kommen und hier noch ein Stündchen herumgeistern, bevor endgültig nichts mehr geht und die Biologie ihnen den Stecker zieht.
Lediglich drei junge Menschen fallen auf, die ekstatisch zu einer Art Techno-Musik tanzen, in eher kümmerlichem Sound von einem Smartphone abgespielt. Für ihre mit interessanten Substanzen angereicherten Hirne noch laut genug. Die gehen ab, da drüben neben dem Fischbrötchenstand, an dem die Krabbenbrötchen, immer auch das Smalltalkwissen mitnehmen, heute bei acht Euro liegen.
Ansonsten nur nüchterne, oft müde wirkende Reisende, die hier pflichtgemäß Station machen und in Treue zu alten Traditionen auf angeblich spottbillige Obstkörbe etc. hereinfallen. Oder die staunend vor den Marktschreiern stehen, die es also wirklich gibt, die man filmen und beweisen kann. Und deren Scherze dann auch programmgemäß neu und ungemein erheiternd gefunden werden. Denn so muss das.
Neben dieser Szenerie der Sonnenaufgang über der Elbe. Als Hauptattraktion viel geeigneter als der Markt, denkt man irgendwann, wenn man den Markt schon kennt. Die Fenster der Elbphilharmonie spiegeln ein dermaßen unglaubwürdiges Rosa, es ist gar nicht zu fotografieren, so kitschig sieht das aus. So überzeichnet, am Ende ist es nur eine weitere AI-Anwendung im Hintergrund.
Für diesen Sonnenaufgang am Hafen lohnt es sich jedenfalls, so früh dorthin zu gehen. Je nach Wetter. Bei Nebel oder auch bei dekorativer Bewölkung in der pinkfarben süßlichen Variante: Kann man machen, doch, doch.
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October 27, 2024
Enthusiastisches Kreisen
In der Innenstadt aber ringen nun die Feste gewaltig miteinander, und es wurden vielfältige Dekowaffen gewählt. Hier die immer größeren, immer gruseligeren Halloween-Figuren, Särge sogar. „Dem Tod einen Platz im Leben geben“, mit diesem Satz wirbt übrigens der Bestatter um die Ecke, aber das nur am Rande. Mumien, Monster und Mutationen etc. in den Schaufenstern, dazu Spinnwebzierrat, Plastikspinnen und dergleichen.
Daneben die ersten Weihnachtsbäume in anderer Farbordnung und dick aufgetragener Heimeligkeit. Die ersten pausbäckigen Engelchen auch und verlockend sein sollende Geschenkpakete auf Gabentischen mit Preisschildern daran. Die ersten roten und goldenen Kerzen, der erste Sprühschnee an Scheiben. In einer der großen Straßen arbeiten sie an der Dezemberbeleuchtung über dem Fußweg, und unten an der Elbe, am Strand St. Pauli, sehe ich im Vorbeigehen irgendwas mit Weihnachtszauber im Titel.
Ich lese eben das Wort pausbäckig nach, es hieß früher paußbäckicht, das ist auch schön. Diesen Begriff mal in einem Call als Kompliment anbringen, Du siehst so paußbäckicht gesund aus. Nein, lieber nicht.
Auf den Straßen ab dem Freitagnachmittag bereits einige kostümierte Menschen verschiedener Altersstufen unter den Passanten. Die ersten Halloween-Partys müssen irgendwo laufen. Wen schert schon der genaue Termin, das althergebrachte Datum. Wir sind so weit erstaunlich traditionsflexibel geworden, auch das hätten wir noch vor ein paar Jahren von uns nicht erwartet. Die Feste dehnen sich mittlerweile alle etwas aus, sie weichen links und rechts auf dem Kalender aus und sind jeweils eher Festwoche als Stichtag. Ein paar Tage mehr oder weniger, es geht alles ins Ungefähre, und so unpassend ist das nicht.
Wenn man auf das Wetter achtet, auf die Dunkelheit, auf den Nebel (frischer Dunst wird heute im stets empfehlenswerten Landlebenblog geliefert) – es ist ungefähr Halloween. Es stimmt schon.
In Planten un Blomen wird die Eisbahn eröffnet. Es ist eine der größten unter freiem Himmel in Europa, lese ich. Weil ich neuerdings an der Stadt mehr teilnehme, gehe ich am Abend dorthin und sehe mir an, wie die ersten dort auf den Kufen kreisen. Offensichtlich glücklich, das wieder tun zu können. Es sind wohl nur Menschen auf dem Eis, die das gut können, alles wirkt ungemein schwungvoll und sportlich. Enthusiastische Kreise werden gezogen, wenn man sich so etwas vorstellen kann, und das ist etwas deutlich Schöneres als die informierten Kreise aus den Nachrichten.
Es war aber knapp mit dem Eis in diesem Jahr, auch das lese ich später nach. Es war viel zu warm, sie haben es fast nicht hinbekommen, wie geplant zu eröffnen. Ich gehe um die Eisbahn herum, ich war noch nie hinter der Eisbahn. Alles mal gesehen haben, auch die Winkel, die ich immer ausgelassen habe. Auf den Bänken vor und hinter der Anlage sitzen an diesem Abend Menschen in der Dunkelheit und sehen den Fahrenden zu. Einige halten Händchen dabei. Ältere Paare sind es, die da Arm in Arm sitzen, im stockdunklen Park, und auf die jungen Menschen auf dem Eis sehen. Lächelnd, sich umarmend.
Auch schön, das kann man sich ruhig alles einmal ansehen. Es ist wieder etwas filmmäßig, es geht in Richtung romantische Komödie, Woody Allen in seiner guten Zeit vielleicht. Man muss sich erneut New York in den Hintergrund denken, wie so oft. In der nächsten Szene dann schon die Erinnerungen, die andere Zeitebene und die andere Schauspielergeneration. Die Jugend der beiden Alten auf der Bank wird nachgespielt. Die Szenen auf dem Eis damals, vielleicht das Kennenlernen, der erste Kuss und dergleichen, vermutlich doch.
Schön ist das, am Abend in Planten und Blomen vor der Eisbahn. Man muss dafür nicht selbst aufs Eis, es ist alles freiwillig. Nie im Leben habe ich auf Schlittschuhen gestanden. Dieses Vergnügen habe ich komplett verpasst, mehr durch Zufälle als durch Absichten. In den richtigen Jahren war keine passende Fläche in der Nähe und keine Freunde machten so etwas.
Ich käme auf dem Eis vielleicht zurecht, denke ich mir. Ich kann immerhin mit Inlineskates fahren, und es wird doch ähnlich sein. Aber ich habe doch das rechte Alter für den Anfang verpasst, glaube ich, und es macht nichts, es macht gar nichts.
Es läuft allerdings laute Musik, die mir nicht gefällt. Man kann nicht alles schön finden, muss es auch nicht. Ich setze mir die Noise-Cancelling-Kopfhörer auf, ich danke wem auch immer für diese so überaus segensreiche Erfindung, ich tausche den Soundtrack einmal schnell durch.
Ich bitte den verlässlichen Herrn Guaraldi, es für mich besser zu machen, und der hat prompt etwas parat, wie in jedem Jahr.
Bald, es ist doch eine enorm traditionslastige Jahreszeit, kommen zwei Schulmails, in denen auf den Besuch der Eisbahn mit den Klassen oder dem Jahrgang hingewiesen wird. Ich kann das präzise vorhersagen, ich könnte die Formulierung schon weitgehend aufsagen, bilde ich mir ein.
Für die Söhne wird es daher später Erinnerungen von dort geben. Von dieser gut besuchten Eisfläche im großen Park, und sie können dann in fünfzig, sechzig Jahren auf einer der Bänke im Dunkeln sitzen und sich erinnern, an 2024 oder andere Jahre. In welcher Stimmung auch immer, bestenfalls lächelnd, bestenfalls zu zweit.
„Nichts bleibt, mein Herz, und alles ist von Dauer.“ Es ist am Ende doch der zentrale Satz, den der Herr Kästner damals geschrieben hat.
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Nebel, Menschen und Möwen
Am Sonnabendmorgen ist es noch einmal neblig. Später wird daraus ein weiterer Oktobertag nach Bilderbuchart werden, da sind sich die Wetter-Apps heute allesamt einig. Ich lese das nach, und ich mache, was ich sonst nie mache, ich fahre spontan und zu früher Stunde runter zum Hafen. Auch mal morgens herumspazieren, auch mal flexibel sein und abweichenden Rhythmen folgen. An den Landungsbrücken sein, bevor der Nebel wieder ablegt.
Der Hafen ist zunächst aber gar nicht da, so dick ist der Nebel. Ich steige aus der S-Bahn und stehe vor einer Wand. Es dauert dann noch, es muss erst mehr Tag über der Elbe sein, bis etwa die Masten der Rickmer Rickmers allmählich aus dem Dunst vor mir auftauchen, Fliegender Holländer nichts dagegen.
Das andere Elbufer gibt es nicht mehr. Die Elbphilharmonie ist nur eine vage Möglichkeit, und die Hafencity steht vielleicht irgendwo dahinter, wer weiß. Die Cap San Diego ist etwas großes Weißes in vielem Weiß. Eine Ahnung von Schiff ist sie nur. Die U3 fährt auf ihrem Viadukt fast lautlos an allem vorbei. Die Luft schluckt den Schall, und der Nebel zeichnet die hellen Fenster der Waggons weich und verwischt sie. „Lichtermarmelade“, hat Hanns-Dieter Hüsch einst geschrieben.
Dann taucht noch etwas auf, das fast ein wenig unheimlich ist. Langsam nur, aber nach und nach immer besser zu erkennen, nämlich weitere Beweise für meinen manchmal erschreckenden Mangel an Individualität. Etliche dieser Beweise sehe ich, immer öfter sind sie am Bildrand. Manchmal hasten sie auch quer durch die Szenerie oder eilen gebückt am Rand entlang, schleichend, sich am Boden duckend, hockend und lauernd. Über Geländern und Kaimauern hängend, in den seltsamsten Posen. Es sind nicht die Zombies aus dem Nebel des Grauens, Fotografen sind es nur, und viele davon. Bei denen man an Tagen mit solchen Wetterlagen vermutlich auch korrekt anmerken kann: Manchmal kommen sie wieder.
Die männliche Form ist hier richtig gewählt, das Hobby ist bei Frauen nicht eben beliebt, wie es aussieht. Falls denn die Stichprobe dieses Hamburger Morgens aussagefähig ist. Was man sicher bezweifeln kann, auch wenn es um eine einwandfreie 100%-Quote in dieser Stunde geht. Lauter Männer mit technischer Topausrüstung im wabernden Grau, Spiegelreflexenthusiasten vor verwehender Watte.
Ich aber fotografiere wieder bloß auf dem Smartphone, wie so ein Spinner aus dem Internet.
Die Fotografen müssen in Scharen zum herbstlichen Hafen gefahren sein. Sie stehen sich jetzt dort alle gegenseitig im Bild herum, sie knipsen bemüht aneinander vorbei und umkurven sich weiträumig. Dabei sehen sie sich immer wieder um, sie sehen hinter sich, wer wohl gerade vor welchem Motiv deplatziert herumlungert, zumindest aus Sicht der jeweils anderen. Sie verfluchen leise murmelnd die Sonderinteressen der anderen, welche doch stets die eigenen sind. Wie wir auch alle die gleichen Motive belagern.
Weiter oben, im unsicheren Weißgrau, das vielleicht eine Häuserwand, vielleicht aber auch einen freien Ausblick verbirgt, vielleicht den Himmel über einem Fleet oder einer Straße, ab und zu schwarzes Geflatter, eilige Flugschatten. Die Rabenkrähen des Hafens in passender Fantasy-Umgebung. Auf dem nachtnassen Geländer der Promenade sitzen sieben von ihnen nebeneinander und bekakeln leise etwas, vielleicht den Plan hinter allem.
Dann wieder bewegt sich etwas Schnelles und Helles im Weißen. Wird nur für einen scheuen Moment deutlicher und segelt dann schreiend über den Betrachter am Boden hinweg, die Möwen. „Sie formen Schreie und erzählen, unsere Flügel sind die Seelen der Matrosen …“, denke ich. Ich setze mir meine Kopfhörer auf und höre noch einmal die Aufnahme von Ingrid Craven, wiederum dankbar dafür, dass ich alles jederzeit nachhören kann, wie angenehm ist das eingerichtet.
„Weit draußen auf dem blauen Meer
erklingt ein Lied von Wiederkehr,
ein Lied vom Leben.“
Text und Musik von Peer Raben.
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October 25, 2024
Alles, was ich tat
Am Freitag noch einmal ein Werktag der unangenehm überbordenden Art. Passend zum Rest der Woche füllen sich die Stunden, und es hebt die Laune nicht, dass da gerade generell kein Ende in Sicht ist. Nicht im nächsten Monat und auch nicht in dem danach. Ich könnte die Reihe noch weiter fortsetzen, aber die Länge des Satzes würde mich irgendwann verunsichern, nehme ich an.
Ich bin jedenfalls im Home-Office. Allerdings muss nur ich an diesem Tag arbeiten, in der Wohnung stören herumhängende Jugendliche und eine ausschlafende Herzdame die Bürostimmung. Das macht die Lage nicht besser, die Motivation erst recht nicht. Knurrend alles abarbeiten und verbissen einige Immerhin-Gedanken pflegen. Dass die nächste Woche für mich immerhin nur drei Werktage haben wird etwa, oder dass immerhin auch diesem Freitag unweigerlich ein Wochenende folgen wird, so etwas in der Art.
Nach der Arbeit gehe ich kurz zur Reinigung, um meine Hemden abzuholen. In Gedanken weiterhin im Büro, an einer Entscheidung kurz vor Toresschluss zweifelnd, hin und her grübelnd. Nach einigermaßen erschöpfender Woche außerdem einiges in Frage stellend, auf der Sach- und auch auf der Sinnebene, aber wenn man mit der erst einmal anfängt.
In der Reinigung trägt die Frau, die den ganzen Tag die Oberhemden auf den Bügelautomaten spannt und diesen dann kurz dampfen lässt, ein mit Text bedrucktes T-Shirt. Sie steht mit dem Rücken zu mir, ich kann die kleineren Schriftteile nicht lesen. Es sieht aus, wie manche Band-T-Shirts aussehen, vorne wird vermutlich der Name eines Sängers oder einer Sängerin, einer Gruppe vielleicht zu lesen sein, was weiß ich. Hinten jedenfalls ein großes Zitat, und das kann ich einwandfrei entziffern. Während sie das vielleicht tausendste Hemd des Tages auf den Bügelautomaten spannt, lese ich da: „Alles, was ich tat, tat ich mit Leidenschaft.“
Ich aber nicht, denke ich. Das nun wahrhaftig nicht, und ist das ein Problem oder was. Ich neige hier als Verfechter des Durchhaltens und des Abarbeitens, der steten Bemühung und der allmählichen Verfertigung doch der Verneinung zu, und mit more passion, more energy, more footwork muss man mir bitte nicht kommen.
Aber wer bin ich andererseits, dass ich in jedem Fall eher Recht hätte als ein T-Shirt. In Kurzgeschichten wäre der T-Shirt-Aufdruck selbstverständlich deep und in Interpretationen unbedingt zu beachten. Niemand zieht in Kurzgeschichten zufällig etwas mit Aufdruck an, siehe auch Filme, Serien etc. Es wird schon seinen Sinn haben, wenn die Kamera das erfasst, es wird schon geplant, es wird schon durchdacht gewesen sein. Ob man nun allerdings Teil eines Drehbuchs ist oder nicht – eine ganz große Frage, zu der man eh nie Zeit hat.
Generell aber, dabei möchte ich doch widerständig bleiben, traue ich den Leidenschaftsaposteln in beruflicher Hinsicht nicht recht über den Weg. Alles, was ich in dieser Woche tat, tat ich mit erheblicher Skepsis, denke ich. So geht es auch, und vielleicht geht es sogar besser so.
Es kommt darauf an, um den Text versöhnlich enden zu lassen. Denn vielleicht tragen Sie ja auch so ein T-Shirt mit Leidenschaftserwähnung im Aufdruck. Am Ende trägt man das jetzt allgemein so, und ich habe es nur wieder nicht mitbekommen.
Meinetwegen!
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Das Bild ist schon einige Wochen alt, man sieht es. Ein Graureiher auf meiner Abendrunde durch Planten un Blomen. Er stand da direkt vor mir, in ebenfalls eher skeptischer Betrachtung seines Arbeitsgebietes. So leidenschaftslos wie das Grau seines Outfits, das auch gut zu meinem Anzug passte.
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October 24, 2024
Orgeln und Pfeifen
Am Donnerstagmorgen ist es noch dunkel, als ich mir den ersten Kaffee mache. Herbstlich neblig ist es dazu, ich sehe es im Licht der Straßenlaternen. Es sieht da unten aus wie in alten Krimis, „Hier spricht Edgar Wallace.“ Und irgendwo um die Ecke schleicht schon der Kinski herum. Die Stadt schläft, kein Licht hinter irgendeinem Fenster ringsum. Ich habe diese Stunde wieder für mich, die wee small hour, die Schreibstunde.
Allerdings, ich sehe es dann einigermaßen fassungslos, als ich die Milch aus dem Kühlschrank hole, kreisen vor dem Haus drei riesige Lichter durch den schwarzen Nachthimmel neben dem Kirchturm, und spukhaft ist für diesen Anblick milde ausgedrückt. Wobei Science-Fiction noch besser als Spuk passt. Über unserem Haus kreisen oft Hubschrauber, es ist eben die Stadtmitte, die großen Demos, die fliegende Polizei. Aber die Hubschrauber machen verlässlich Geräusche, und wie sie die machen. Diese Lichter kreisen dagegen vollkommen lautlos. Was auch immer da fliegt, es ist zu tief. Und wenn es Drohnen sind, dann ist es ein ganzer Trupp davon, sie sind perfekt synchron im Flug, sie sind groß, was passiert da.
Würde man für Hollywood die Außerirdischen nachts landen lassen, es sähe so aus, und wäre ich Hauptdarsteller, die Milch fiele mir jetzt aus der Hand. Was bei einem Tetrapack allerdings nichts hermacht, lassen wir das.
Kein Zweifel jedenfalls, dieses Bild auf einer Kinoleinwand – exakt passend. Und was auch immer das da für ein Objekt vor dem Fenster sein mag, es ist entschieden zu dicht vor mir und auch zu dicht neben dem alten Kirchturm. Ich schlafe nicht, ich träume nicht, und die Lichter kreisen gemächlich. Am Ende ist es dann selbstverständlich ein gigantischer Baukran, nachts erst aufgebaut, dessen Monsterarm da zum frühen Arbeitsbeginn vorbei und durch den Dunst dreht, ein paar Häuser weiter. Langsam und majestätisch dreht der, mit drei großen Lichtern daran.
Ich weiß jetzt immerhin, dass ich bei einer allfälligen Alieninvasion nicht etwa geistreiche Schlusserkenntnisse haben werde, sondern vermutlich genau das denken werde, was mir in diesem Moment, die Milch noch in der Hand, spontan durch den Kopf ging: „Das jetzt also auch noch.“
Wie genervt von allem kann man sein.
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Am Nachmittag müsste ich eigentlich im Kontext des Brotberufs weiter mit Kolleginnen auf anderen Kontinenten über künstliche Intelligenz nachdenken, breche das aber zur Rettung der spärlichen Reste meiner menschlichen Intelligenz mittendrin und schon wie in Notwehr ab.
Ich klappe das Notebook entschlossen zu und gehe in die Innenstadt. In der Hauptkirche St. Jacobi gibt es wieder das kleine Donnerstagnachmittagskonzert, eine halbe Stunde wird uns etwas Bach auf der Barockorgel vorgespielt, und es ist wiederum schön und beruhigend. Es nimmt einen kurz aus dem Alltag, und wie angenehm ist das denn.
In der letzten Woche erst hatte ich mir vorgenommen, dort regelmäßig hinzugehen. Schon in dieser Woche bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich sitze entsprechend stolz wie Bolle in der Kirchenbank, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.
Neben mir ein älterer Herr in gepflegter Lederkluft. Er geht mit dem Oberkörper wippend mit wie bei einem Rockkonzert und hört offensichtlich Rhythmen heraus, die ich nicht einmal wahrnehme. Das ist vermutlich auch schön, aber nicht jedem gegeben.
Die Schlussakkorde jedenfalls, besonders die betonten, kräftigen, wenn die Orgel noch einmal alles gibt und majestätisch aushallt, wenn die Töne danach einen Augenblick im Kirchenschiff über den Köpfen zu stehen scheinen – das sind mit die besten Hörerlebnisse der Woche, keine Frage. Sensationell ist so etwas, und zuhause mit keinem Audiogerät nachzuempfinden, wie perfekt auch immer man ausgerüstet ist.
Und in den leisen Momenten, wenn die Töne höher werden, immer feiner, dezenter – zwischendurch habe ich kurz gedacht, wenn mein Tinnitus etwas auf sich hielte, etwas kultivierter wäre, er könnte zumindest zwischendurch auch gut klingen.
Aber es ist, wie es ist, er pfeift nur lapidar. Man kann nicht alles haben.
Gerade habe ich beim Schreiben den Verdacht gehabt, dass auch andere schon über diese Verbindung nachgedacht haben müssen. Ich habe etwas nachgelesen – und guck:
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