Maximilian Buddenbohm's Blog, page 112
May 27, 2022
Ruppiger Wind
Es ist windig, fast stürmisch, die Böen zerren am Laub der Bäume im Garten und verwuscheln die Büsche, sie holen sich die letzten Magnolienblüten und beschleunigen die herumirrenden Aurorafalter unangemessen stark, sie schießen geradezu durch den Garten. Beaufort 8: „Große Bäume werden bewegt, Fensterläden werden geöffnet, Zweige brechen von Bäumen.“ Ja, sagt die alte Weide, nimm das, und wirft mir Holz vor die Füße, das braucht sie nicht mehr. Im Wetterbericht ist die Rede von „ruppigem Wind“, das passt. Ich sammele Reisig wie ein alter Mann im Märchen, ein ganzes Bündel. Später stehe ich draußen im Windschatten hinter der Laube am Bottich und wasche ab, wobei mich Bill Evans freundlich am Klavier begleitet, you must believe in spring, den Gesangspart übernimmt die Heckenbraunelle: “You must believe in love and trust it’s on it’s way, just as the sleeping rose awaits the kiss of May.” Es gibt auch eine Version von Tony Bennett, aber Vorteil Heckenbraunelle, bei allem Respekt. Sonnenflecken im Abwaschwasser, ich finde alles großartig, auch bei mäßigem Wetter, ich bin eindeutig in Gutfindestimmung, und der Wind kommt suchend um die Ecke, findet mich und heftet mir Eichenlaub aus dem Nachbargarten an die Brust, der Wind dekoriert hier alles eigenwillig neu.
Fenster und Türen geschlossen halten, die Laube als Wärmeinsel, oben auf dem Schlafboden ist es noch mollig. Huck Finn und ich hören Musik und Podcasts, jeder für sich, ab und zu sagen wir uns, wie gut es uns geht. Die Herzdame schickt Nachrichten aus der Wohnung, wir haben also auch eine Wohnung, Huck Finn und ich erinnern uns dunkel, aber es fehlt uns hier nichts und wir antworten nur zögerlich.
Die Lampions an der Leine über der Terrasse vor der Tür schaukeln wild im Sturm und wollen auf und davon, mit dem Wind wollen sie mit, weit weg wollen sie, über die Bille, über die Elbe sogar, das wäre es doch. Und dann am Ende des Tages irgendwo in Fetzen hängen und von vergangener Pracht träumen, wer kennt es nicht.
Ich lege dem Sohn noch einmal Toast in den Sandwichmaker und vor dem Fenster füttert ein Star gerade einen Jungvogel, der noch nicht dieses schicke Metallic-Gefieder hat. Matt und mausgrau ist er noch, aber sehr hungrig und schon so groß wie die Eltern. Die Kohlmeisen picken mit den Staren gleichzeitig an den Meisenbällen. Während sich sonst alle Arten gegenseitig rigoros und ohne Pardon vertreiben, scheint es da einen Pakt zu geben, die tun sich nichts, die dulden sich. Wie so etwas wohl kommt.
Ich lege das „Weiße Leintuch“ wieder weg, denn es ist zwar gut, aber es ist ein Herbstbuch, es braucht dunkle Abende. Und das mache ich später auch mit dem „Saal von Alasto“von Volter Kilpi (Deutsch von Stefan Moster), das, nach den ersten 50 Seiten zu urteilen, tatsächlich so epochal großartig ist, wie es bereits etliche Rezensentinnen befunden haben, aber 1.000 Seiten sind mir im Sommer doch zu viel, auch das gehört in den Herbst, wenn nicht sogar in den Winter, Winter, wie weit ist der Winter.
Am späten Nachmittag fahren wir nach Hause, gehen wir nach Hause, der Sohn auf dem Rad, ich zu Fuß, und dann fremdeln wir in der Wohnung und lesen im Wetterbericht nach, wann es im Garten wohl wieder gut genug fürs Übernachten sein wird.
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May 26, 2022
In der bürgerlichen Dämmerung
Ich schreibe in der Laube, ich schreibe in der morgendlichen Kälte, ich schreibe in der vergehenden bürgerlichen Dämmerung. Den Begriff habe ich gerade erst gelernt, den hätte ich nicht gewusst – die bürgerliche Dämmerung, das ist, wenn man schon oder gerade noch im Freien lesen kann. Danach kommt die nautische Dämmerung, dann die astronomische, also morgens natürlich andersherum, aber die bürgerliche klingt doch am schönsten.
Gestern gab es noch einmal einige Sonnenstunden, die Hütte war noch warm, heute wird es vermutlich allzu campingmäßig märzklamm, heute werde ich vielleicht wieder in die Wohnung wechseln, wobei der mich routiniert begleitende Huck Finn vehement dagegen ist, der will lieber noch bleiben.
Gestern gab es das erste Rot auf den Kirschen, streifig und blass war es, noch weit weg vom lockenden Kirschrot des späteren Sommers. Die Äpfel sind jetzt teils schon kastaniengroß, der Kohlrabi bekommt gerade Bäuchlein, alles rundet sich und nimmt langsam Farbe an, nur die Möhrenblätter sehen noch klein, fedrig und grünschüchtern aus, aber es wird. Nelken blühen bald, der Mohn geht auf, der Fingerhut, sogar die saumselige Pfingstrose wird diesmal zeitig im Programm auftauchen. Am Meisenball hängen kopfüber Stare und Elstern, der Eichelhäher sieht sich das sinnend an und weiß nicht recht.
Gestern gab es einen Himmel über der Laube und der Insel wie aus dem Aquarellkurs für Anfänger, machense das mal nass und dann ganz wenig Schwarz und nur so ein Hauch von Blau, und danach in kleinen Kreisen schnell drüber – sehense? Sehense? Norddeutscher Himmel. So einfach geht der. Und davor, aber das dann vielleicht mit Feder, scharf und schwarz, die Telefonmasten mit den Drähten, Pünktchen als Vögel darauf und ganz oben die zwei schnellen Bögen als Vögel, so hingehuscht, sehense, schon hat man eine Möwe oder zwei. So sieht es hier tatsächlich aus, wenn man hochsieht.
Wie nahe die Tiere kommen, wenn man sich in den Garten setzt und nichts macht. Ein wie immer eiliges Eichhörnchen läuft mir fast über den Schuh. Die riesige Rabenkrähe schreitet direkt vor meinen Stuhl und äugt dann so kritisch hoch zu mir, ist der am Ende nicht echt oder was. Blaumeisen, Kohlmeisen, Rotkehlchen auf den Ästen ringsum. Die immer singende Heckenbraunelle. Die Stare, all die Stare, wir werden Netze für die Kirschen kaufen müssen, es gab hier noch nie so viele Stare. Es gab hier jahrelang überhaupt keine, wo kommen die Stare her.
Ich lese Katerina Poladjan, „In einer Nacht, woanders“, ich mag das Buch. Isa hat vor Jahren einmal darüber geschrieben. Ich lese „Vielleicht Esther“ von Katja Petrowskaja, das kennen wieder alles schon, nur ich nicht, das ist auch sehr gut. Ich lese „Das weiße Leintuch“ von Antanas Škéma, aus dem Litauischen von Claudia Sinnig, das fängt hervorragend an. Ich habe die richtigen Bücher dabei und setze die literarische Osterweiterung entschlossen fort.
Als ich in den Garten fuhr, da war es noch Mittwoch, saß in einem Hauseingang eine Frau, die aussah wie früher die Crack-Junkies. So eindeutig und auf den ersten Blick heruntergekommen, mit diesen fahrigen, hektischen Bewegungen, mit diesem so schnell und eindeutig sichtbaren Elend im Gesicht. Es gab eine Zeit, da hat man im kleinen Bahnhofsviertel viele davon gesehen, dann eine Weile keine mehr. Jetzt wieder welche. Ich weiß nicht, welche Drogen gerade en vogue sind, und man muss vermutlich froh sein, wenn man sich da nicht auskennt.
Die Frau hielt einen kleinen Taschenspiegel in der linken Hand, in rosafarbenes Plastik gefasst. Mit der rechten zog sie Lippenstift nach. Das gelang ihr nicht, die Hand gehorchte ihr nicht, der Arm nicht, die wollten ganz andere Bewegungen machen, die wollten wahrscheinlich lieber wild herumfuchteln. Sie versuchte es sicher schon eine Weile, sie hatte bereits viele Lippenstiftspuren um den Mund herum, aber eher clownesk als elegant, und die Hand landete gerade einen weiteren Fehlversuch. Rot auf der Wange, ihr verzweifelter Blick, ihr Entsetzen beim Blick in den Spiegel, wie sieht sie aus, wer ist das, wie kann das sein, sie schminkt sich doch, eine groteske, fremde Fratze im Spiegel, und beide Hände sanken, sie sah verzweifelt in den Himmel.
Eine Ecke weiter kam eine Gruppe aus einem Haus, sechs, acht Leute, Mittagspause vermutlich. Einer im Anzug, einer in fortgeschrittener IT-Lässigkeit, der Rest so dazwischen, eine Firma. Beredeten, wo sie hingehen sollten, „Hauptsache Kaffee!“, beredeten, wie es lief, beredeten, was noch zu tun war und dann fiel es einem auf, er gab es erst als Frage weiter, was die anderen dann bestätigten, sie blieben kurz stehen und stellten dann fest: „Wir sind zum ersten Mal alle gemeinsam im Büro!“ Kleine Juchzer, große Freude, das ging man dann feiern. Büro, Büro, macht alle froh, sie bogen um die Ecke und ich auch, ich fuhr in den Garten.
Auf dem Fußweg vor der Garage stand „FREI SEIN“ in bunter Kreide, jeder Buchstabe hatte eine andere Farbe, das malt hier eine Künstlerin seit Jahren täglich überall hin. „Was soll das denn jetzt“, fragte ein Passant, der kurz stehenblieb und las, seine Frau. Die schüttelte unwillig den Kopf, das wusste sie nun auch nicht. Frei sein eben. Na, egal. Weitergehen, na komm.
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May 24, 2022
Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 25.5.2022
Was macht eigentlich New York? New York wird anders. Ich sehe das rund um mein Büro in Hamburg-Hammerbrook nicht, dort scheint es mir wieder voll zu sein, geradezu präpandemisch voll. Es ist aber vielleicht nur eine Frage des Branchen-Mixes, vielleicht sieht es an anderen Hamburger Büro-Standorten, City-Nord oder so, wieder anders aus. Immer das Stichprobenproblem.
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„Tut mir leid, murmle ich leise, ich bin leider Optimist.“
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Neues Gefühl gelernt: Bienenfressersichtungsneid. Schlimm.
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May 22, 2022
Der Mann aus den Bergen und Huck Finn
Es ist wohl ein Laubenjahr. Im letzten Jahr schlief ich nicht gerne im Garten, hätte aber nicht recht erklären können, warum nicht. In diesem Jahr schlafe ich ausgesprochen gerne hier. In der Laube, in der ich auch jetzt am kleinen Tisch sitze, den ersten Kaffee trinke und schreibe und auf den Rasen vor der Tür sehe, auf dem 22 Stare im Frühdienst, es hängt noch etwas im Augenblick verwehende Restdunkelheit in den Büschen, emsig über das Grün patrouillieren und die Rasensamen wieder einkassieren, welche die Herzdame und ein Sohn gestern erst ausgebracht haben. Die Stare sind fleißig dabei, es sieht nach organisierter Gründlichkeit in großer Eile aus, sie werden nicht viel übriglassen. Dieser gute Anteil kompletter Sinnlosigkeit bei aller Gartenarbeit, aus dem wir bekanntlich lernen sollen: „Alles immer dennoch machen.“ Aber gut, jeder findet im Garten seine eigene Botschaft, nehme ich an.
Ich hätte noch im letzten Jahr den Komfort der Wohnung mehr vermisst. Es gibt hier keine Dusche, keine Heizung und nur ein Kompostklo, man wärmt sich morgens zu campingklammer Uhrzeit nur am Kaffee und es gibt auch keinen Bäcker um die Ecke, in diesem Jahr ist mir das alles vollkommen egal. Ich sehe nach drei Tagen in der Laube aus wie der Mann aus den Bergen, die Älteren erinnern sich, aber das macht nichts. Der mich begleitende Sohn hat eine dazu passende Huck-Finn-Optik, es ist alles recht harmonisch. Der andere Sohn ist mit seinen Kumpels Gott weiß wo und kommt irgendwann zurück, die Informationslage ist eher vage, und auch das ist gut, das ist so, wie es sein soll, in seinem Alter. Die Herzdame kommt und geht und fährt unentschlossen zwischen Wohnung und Garten hin und her, unstet und flüchtig ist sie in diesen Wochen.
Ich aber sitze überzeugt in der Laube.
Das Wetter war gestern und vorgestern bestenfalls mäßig, anderswo tobten Tornados durch das Land, lese ich; hier dagegen rauschte nur der Regen auf das Dach, gleichmäßiges Prasseln über dem Bett. Es gab zwischendurch genug Sonnenstunden, weswegen die Laube auch am Abend noch warm war, holzhüttenwarm, sie kennen das vielleicht. Es ist eine hervorragende Wärme, die sich sehr gut und ausgesprochen tröstlich anfühlt. Vor dem Fenster die Regentonne, glucksend fiel der Regen hinein, es blubberte und plätscherte, es perlte, es pingte. Ich hörte ein Stück Melodie, wie auf einem Xylophon gespielt, auf einem dieser Billig-Xylophone, wie wir sie damals in der Grundschule hatten. Viel zu hohe Töne hatten die, ich mochte es nicht, darauf spielen zu müssen. Fuchs, du hast die … das klimperte das Wasser in der Regentonne, ganz deutlich hörte ich es, aber weiter ging das Lied nicht, dann franste das Plätschern schon ziellos und verworren aus und ergab keine Melodie mehr. Fuchs, du hast die, murmelte ich, und es war ein guter Tag für die Gans, sie kam davon. Was für ein Fuchs jetzt, fragte der Sohn und guckte irritiert.
Ich sitze in der Laube und lese.
Ich lese Aitmatow, Geschichten von ihm. Es sind Geschichten, in denen nicht viel passiert. Ein Mensch liebt einen anderen Menschen, dann verändert sich einer von beiden und der andere liebt etwas weniger, dann leiden sie darunter, dann versuchen sie etwas. Ist das denn schon eine Geschichte? Natürlich ist das eine Geschichte, und was für eine.
Und an Handlung reicht mir das eigentlich auch. Ich bin nicht damit einverstanden, dass sich die Literatur in den letzten Jahrzehnten so handlungsgeil entwickelt hat („Es wird viel passieren“, es lag doch alles an diesem dämlichen Lied). So handlungs- und auch so krisengeil. Ich habe in der Bücherei neulich regallang Romanklappentexte angelesen, und in fast allen ging es da um schlimme, schlimme Dinge, um Desaster, Katastrophen und entsetzliche Dramen voller Grausamkeiten. Ein Paar hat ein Kind, und da weiß man gleich, mit dem Kind passiert etwas, vermutlich etwa auf Seite 50 schon, spätestens aber um 100. Es reicht nicht, dass dieses Kind dezent seltsam ist, wie es alle Kinder doch immer sind, nein, es muss viel Schlimmeres passieren. Das Grauen, das Entsetzen, der Untergang. Der Markt will es so, wird wieder irgendwer sagen.
Ein Paar liebt sich, und weil das so ist, muss er sie aber auch umbringen, oder sie ihn, das geht auch, es wäre jedenfalls sonst kein verkaufbares Buch. So scheint man das jetzt zu sehen und ich bin auch da aus der Zeit gefallen, da mir viel weniger reicht und jeder noch so durchdachte Plot an mich eher verschwendet ist. Weil mir die Grausamkeit „sie ging“ schon reicht, für mich muss man sich gar keine neuen und noch spektakuläreren Gemeinheiten ausdenken. Die alten waren ausreichend.
Ich sitze in der Laube und lese. Ich schlafe ein, ich wache auf, ich lese weiter. Ich lege das Buch weg und gucke so vor mich hin. Der Tag zerfällt in Einzelteile, die mir sonst zu selten auffallen. Es gibt mehr kleine Geräusche, als ich sonst mitbekomme. Es sitzen mehr Vögel in den Bäumen, als ich sonst sehe. Es sitzt auch ein Vogel auf dem Telefondraht vor dem Fenster, ich sehe genauer hin, das wird eine Grasmücke sein. Ich sehe sonst keine Grasmücken, nie sehe ich die. Es gibt sie aber hier, sie sitzt ja da, es ist doch bewiesen. Es sitzen wesentlich mehr Vögel auf den Drähten, als ich sonst mitbekomme, merke ich nach einer Weile, es sind hier überall birds on the wires.
Kennen Sie die Geschichte zu diesem Leonard-Cohen-Song, wie es zu diesem Bild kam? Er hat ihn auf der griechischen Insel Hydra geschrieben, auf der er mit der Marianne aus „So long, Marianne“ eine Weile lebte. Das war eine Insel, die damals in der Moderne noch nicht angekommen war, man saß da abends noch bei Kerzenlicht zusammen. Irgendwann waren diese Drähte vor seinem Fenster, die es vorher nicht gegeben hatte, das war also der Einbruch dieser Moderne in sein Insel-Idyll. Cohen fand das furchtbar. So furchtbar, dass er von der Insel wegwollte, wie er Marianne sagte. „But as they were speaking, a bird came and perched on the wire. Marianne told me she said to him, ‚If a bird can get used to the wire, Leonard, you can get used to the wire.“
Das Zitat, das viel zu gut ist, um wahr zu sein, aber vielleicht dennoch stimmt, als Schreibender kennt man so etwas immerhin, kommt von der Seite Songfacts, vor der ich ausdrücklich warnen muss. Man kann da fürchterlich viel Zeit verbringen, wenn man Songgeschichten interessant findet.
Auf der brachliegenden Nachbarparzelle wippt Klatschmohn im Wind, es ist der erste in diesem Jahr, drei Blüten stehen nebeneinander. Im Gemüsebeet vorne fassen die Ranken der Zuckererbsen in die Luft, ob da nicht vielleicht irgendwo etwas zum Festhalten zu finden ist. Im Vorbeigehen ist das nur ein Beet mit irgendwelchen Nutzpflanzen, wenn man sich aber hinhockt und eine Weile guckt, dann sieht man dieses langsame Greifen nach dem Rankgerüst. Es ist eine grazile Bewegung über Stunden hinweg, über einen Tag und mehr. Schön ist das.
Der Sohn und ich bauen ein weiteres Hochbeet. Es ist sehr einfach, ein Hochbeet zu bauen, lassen Sie sich bloß nichts anders erzählen. Sie brauchen vier Bretter, das ist die Wahrheit. Man kann sich von da aus beliebig steigern und auch wahnsinnig viel Geld ausgeben und sich sachbuchdick fachkundig machen, aber es fängt da an und es funktioniert auch tadellos von da aus: Vier Bretter. Sagen wir ruhig auch: Vier gefundene Bretter, denn der Schrebergärtner an sich neigte immer schon zum Sparen und zum Wiederverwenden.
Hinter der Laube ist es windstill und die Sonne kommt wieder durch. Da, wo wir arbeiten, da ist es sommerlich. Drei Meter weiter, um die Ecke der Hütte, weht der Wind fast oktoberscharf.
Der Sohn baut nach einer Weile alleine weiter, ich sitze daneben und lese. Ich lese „Ombra“ von Hanns-Josef Ortheil, es ist ein Buch über seine Rekonvaleszenz nach einer schweren Herz-OP. Ich bin mit dem Buch nicht recht einverstanden. Ich finde es aber so interessant, es weiter zu ergründen, warum ich damit nicht einverstanden bin, dass ich immer weiter und weiter lese. Es liegt nicht nur an den aus meiner Sicht viel zu vielen Ausrufezeichen, die er verwendet, es ist nicht nur das. Am Ende, so denke ich, liegt es einfach daran, dass mir der Autor über alle Erlebnisse und Empfindungen hinweg zu einverstanden mit sich selbst ist. Denn das ist etwas, nach einer Weile komme ich darauf, das mir nicht statthaft vorkommt. Da mal drüber nachdenken.
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May 19, 2022
Unterwegs nach Süden
Es ist nichts passiert in den letzten Tagen, nichts jedenfalls, was einen längeren oder launigen Bericht lohnen würde und zumindest auch nichts, wovon ein Bericht im Blog statthaft wäre. Es fand lediglich ein ebenmäßiger Alltag statt, ich saß wie gewöhnlich am Schreibtisch, dabei wurde es von Tag zu Tag immer wärmer und wärmer, bis jeder in der Familie wenigstens einmal gesagt hatte, dass es jetzt aber wirklich zu warm in der Wohnung sei und dabei doch erst Mai … Und sehen Sie, so spiegelt sich die große, die ganz große Krise auch im kleinen Werktagsgeschehen. Man sitzt und schwitzt und ab und zu fällt es einem auf, dass da etwas nicht stimmt.
Im Bekanntenkreis und in den Timelines fahren auf einmal sehr viele Menschen Zug, fast möchte ich alle Menschen sagen, das ist dieser vermutlich trügerische und nur postpandemische scheinende Trend in der Gesellschaft, alles gerät in Bewegung und regen Kontakt, alles eilt zu endlich nachgeholten Kuchenbasaren, Konferenzen und Kundengesprächen. Aber niemandem scheint das Reisen zu gelingen. Keiner kommt planmäßig an, kein Zug ist pünktlich, nichts geht ohne Umstände, Abweichungen und Ausnahmen, es wird viel von den desaströsen Zuständen berichtet. Die Herzdame hatte die erste Dienstreise seit Gott weiß wann, seit ganz damals, und prompt hing sie in Berlin fest. Es gab keine Rückreisemöglichkeit, auch die Mietwagen waren selbstverständlich sofort alle weg, die Busse waren augenblicklich ausgebucht, und dann diese Überlegungen, wie man sich nun am besten von Berlin nach Hamburg durchschlagen könnte. Es hatte einen kleinen Abenteueraspekt, wenn man dringend etwas positiv sehen möchte.
Aber gut, sie ist wieder da. Es ist am Ende alles nicht schlimm, man steht nur länger dort herum, wo man gar nicht hinwollte. Man verpasst vielleicht einen Termin, aber hey, wir sind zwei Jahre gut ohne Termine ausgekommen. Man regt sich auf, man kommt am Ende aber doch an, kommste heute nicht, kommste morgen, und morgen ist bald genug. Das sich erwärmende Land auf dem Weg nach Süden, von der Temperatur und auch von der Haltung her. Das innere Mexiko finden, also zumindest dem alten Klischée nach, und können wir bitte noch einmal über das Prinzip Siesta reden, ich bin interessiert.
„The window she is broken and the rain is comin‘ in
If someone doesn’t fix it I’ll be soaking to my skin
But if we wait a day or two the rain may go away
And we don’t need a window on such a sunny day.“
Peggy Lee. Der Herr an der Gitarre war ihr Mann, wenn ich es recht erinnere, das Video kam hier vor Jahren schon einmal vor.
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Hier noch ein sehr gutes Buch für eine mittellange Zugfahrt mit nur kleineren Störungen im Betriebsablauf, dann hat man es auch schon durch: Dieses makellose Blau von Sarah Raich.
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May 18, 2022
Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 18.5.2022
Sehr gelacht. Natürlich vollkommen unpassend, das ist ein ernsthaftes Naturblog da, und zwar ein sehr interessantes. Pardon.
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„Mir fällt eine Gruppe Frauen mit Kindern auf, die in Spannbettlaken gewickelte Bündel tragen.“
Es hat sich übrigens jemand gefunden, der bei der von uns unterstützten Suppengruppe tatkräftig helfen möchte, das hat mich gefreut. Rückmeldung von dort aktuell: Es reicht alles hinten und vorne nicht, was nicht an den Geflohenen aus der Ukraine liegt, die sind nur ein Teil der Bedürftigen. Andere Gruppen in der Stadt melden das im Moment ähnlich, so berichten auch die Stadtmedien. Der Blick aus dem Fenster am letzten Donnerstag ging auf eine Ansammlung von vor der Kirche Wartenden, die vermutlich noch nie so groß war – richtig, ich habe mir das gerade bestätigen lassen. Die Tafeln haben ein Problem, die ausgebenden Hilfsgruppen haben ein Problem, wir als Gesellschaft haben ein Problem. Die Wartenden vor den Ausgabestellen sowieso.
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Patricia über entsetzliche Kuchenbasare und Mental Load und alles. Sie schreibt da auch über die Zeit, die das kostet, und über den betriebswirtschaftlichen Aspekt. Wozu immer wieder festzustellen ist – wenn man berufstätig ist und Kinder hat, kann die Zeit gar nicht für all das reichen. Nie. Auch nicht mit Partner oder Partnerin, ohne schon gleich gar nicht. Man kann das nachrechnen, es kann einfach nicht hinkommen, das ganze Konstrukt ist Blödsinn. Wie auch die frei entfaltete Kindheit mit sämtlichen Interessen, Hobbys, Sportarten und Freunden und kreativer Langeweile und Quality-Time mit den stets bemühten Eltern nicht in die etwa vier Stunden nach der täglichen Ganztagsschule passen kann. Unmöglich. Es geht alles nur, wenn man dauernd irgendwas outsourct und dazu phasenweise Themen ignoriert oder zumindest einigermaßen gnadenlos runterpriorisiert, was einem immer irgendwer übelnehmen und von oben herab kommentieren wird („Backen Sie denn nicht mit ihren Kindern?“), und wobei wir selbstverständlich an Menschen outsourcen, die dann wieder Themen ignorieren oder outsourcen müssen …
Es ist alles Quatsch. Wir haben da etwas als Gesellschaftsmodell entwickelt, was niemals gut werden wird. Man muss das benennen. Oft und überall. Na, aber das nur am Rande. Jetzt kochen.
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May 17, 2022
Zahlengemurmel um mich herum
Auf dem Sweatshirt der Frau neben mir an der Ampel steht: „SOS Humanity – Seeenotrettung im Mittelmeer.“ Auf dem Pullover des Arbeiters drüben am Haus, der einem Kollegen gerade Eisenstangen runterreicht, steht: „Vertrau mir, ich bin Gerüstbauer.“ Der zerzauste Rentner mit dem taumeligen Gang, der aussieht, als könne er schon beim nächsten Schritt umfallen, hat einen verbeulten Rucksack auf, auf dem steht: „Et kütt, wie et kütt.“ Auf meinen Sachen steht nichts, ich habe überhaupt keine Sachen, auf denen etwas steht, ich schreibe nur selbst. Nicht einmal meine Unterhosen sind mit Text bedruckt, obwohl es immer schwerer wird, unbeschriftete Unterhosen zu bekommen. Es steht bei fast allen groß und werbend der Hersteller- oder Designername auf dem Bund, wobei ich immer denke, dass das bei mir – aber gut, ich lebe im Moment eher konservativ -, doch nur eine recht kleine Zielgruppe zur Kenntnis nehmen kann, was da knapp unterhalb meines Bauchnabels zu lesen ist. Wirbt das denn? Wo ist der Sinn?
Egal. Aber apropos Unterhosen. Neulich war ich in einem Textilkaufhaus, man hat doch ab und zu gewisse Notwendigkeiten. Ich wunderte mich über die langen, langen Schlangen an den Kassen, auch darüber, dass da nicht viel Bewegung in den Schlangen zu sein schien, es dauerte alles entsetzlich lange, fast wartezimmerlang. Und ich stand und stand, wir alle standen und standen dort. Erst als wir nahe genug an der Kasse waren, bekamen wir allmählich mit: „Heute keine Kartenzahlung.“ Die Frau an der Kasse sagte das jedem Kunden einzeln, leise, freundlich und erst, wenn er dran war. Statt das mal durchzusagen und große Warnschilder aufzustellen, und dann wundern sich wieder alle, warum die Menschen so gerne online bestellen. Denn natürlich hatten etliche nicht genug Bargeld dabei, fingen dann also an hektisch nachzurechnen, addierten Preise und zählten Scheine, fragten auch schon einmal begleitende Menschen, ob sie nicht vielleicht … und die kramten dann ebenfalls nach Geld und zählten und rechneten, Zahlengemurmel um mich herum.
Vor mir noch etwa sechs Kundinnen oder Kunden, von denen hat es dann niemand geschafft, die Preise der Ware auf dem Arm auch nur halbwegs richtig zu überschlagen. Lachen, Ratlosigkeit, erstaunte Blicke auf den Preis an der Kasse: „Echt jetzt? So viel?“ Wir sind komplett lost, vergessen Sie PISA und das Nachdenken über MINT-Fächer, es ist alles zu spät.
Nein. Es war selbstverständlich keine vernünftige Stichprobe, und ich hatte keine Zeit, sie an den nächsten hundert Kunden sorgfältig zu überprüfen. Es war nur anekdotische Evidenz, die beweist rein gar nichts, die erzählt sich nur nett.
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Heute. Auf dem Weg zum Einkaufen sehe ich den bekannten Theaterschauspieler, der auf den gleichen Wegen, die ich täglich gehe, immer seine Texte übt, manchmal stimmlos, manchmal halblaut deklamierend. Er hat seinen eleganten Hut tief in die Stirn gezogen, er trägt schwarze Kleidung, er spricht mit finsterer Miene. Ich höre gerade die Novelle Carmen von Prosper Merimée als Hörbuch, als ich ihn neben mir gehen sehe, et voilà, da habe ich meinen Don José leibhaftig vor mir.
Ich sehe mich um – keine Carmen weit und breit. Die Inszenierung des Tages ist seltsam unvollständig. Aber das Gefühl habe ich seit zwei Jahren ohnehin immer öfter.
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May 14, 2022
Es geht los
Ich ernte die ersten Radieschen, vier Stück, es geht los. Saisoneröffnung. Ich werde die Erbsen bald stützen müssen, die Himbeeren auch. Die Akelei blüht jetzt, der Beinwell, die Schneebälle, der Rhododendron. Die Lichtnelken kommen, die Weigelie. An den Obstbäumen die grünen Früchte und die Blattläuse, über dem Rasen die schaukelnden Aurorafalter, die wollen zur Knoblauchrauke. Ich zeige den Weg, man hilft, wo man kann.
Es riecht nach Rauch. Es riecht abends immer nach Rauch, weil irgendein Gartennachbar wieder etwas grillt, räuchert oder verbrennt. Es ist aber noch so früh im Jahr, dass niemand laute Partymusik im Garten hört, politische Gespräche hinter Hecken führt oder Beziehungen im Gebüsch anbahnt, das ist angenehm. Man geht abends doch lieber früh rein. Es wird nachtfrisch, man macht Fröstelgesten und verschwindet im Gehäuse, darin ist es noch tagwarm von der Sonne auf dem Holz.
Es ist ruhig hier, tatsächlich ruhig. Es wird immer ruhiger mit der Dunkelheit. Ab und zu noch ein zaghafter Vogellaut, vielleicht im Traum schon aus einem Nest gepiepst. Ein dezentes Rascheln auf der Terrasse, vielleicht ein Igel. Ein sachtes Tasten an der Bretterwand, vielleicht ein Fliederzweig.
Vorräte einräumen, die Süßigkeiten nach hinten, Wasserkisten davor stapeln. Die erste Melone halbieren. Schon einmal Bücher für Sommerabende ins Regal stellen, die Chansontexte von Brassens, die gesamten Kaléko-Gedichte, auch die vom Krolow und die von der Kirsch, die ich nie verstehe, aber das macht nichts.
Ich mache einem Sohn und mir, wir sind nur zu zweit, Toasts im Sandwichmaker zum Abendessen. So etwas essen wir nur im Garten, also schmecken die Toasts auch verlässlich nach Sommer, nach diesem besonderen Laubenübernachtungsgefühl zwischen Ferienhaus und Camping. „Das schmeckt wieder so wie letztes Jahr“, sagt der Sohn zufrieden, und ich weiß, was er meint. Dann fragt er, wie lange wir den Garten schon haben, das sind fünf Jahre. Er rechnet nach, wieviel Anteil die Gartensommer an allen seinen Sommern haben, doch schon so viel. Weißt du noch dies, weißt du noch jenes, bei fünf Jahren geht das schon. Damals noch in der alten Laube, und dann dieser Tag, wo es so unfassbar geregnet hat. Da standen die Koniferen noch, da gab es die Birne noch nicht, da haben wir die Beete gerade erst gebaut. Da war dieser Nachbar noch da, da lebte diese Nachbarin noch. Vorne an der Weide hängt die alte Schaukel, die ist noch von den Vorpächtern. Deren Kinder sind zu groß für die Schaukel geworden, meine Kinder sind zu groß für die Schaukel geworden.
Das erste Mal Zähneputzen zwischen Beeten, in denen man am Abend nichts mehr erkennen kann. Das erste Mal spät noch raus, barfuß durch taunasses Gras, eiskalte Füße, dass man mit einem Satz schnell wieder ins Bett springt.
Ein voller, lampenheller Mond scheint in das Laubenfenster. Ich drehe mich um, dass ich ihn besser sehen kann. Er zieht von Pappel zu Pappel, er überspringt den wolkig blühenden Weißdorn, er hängt sich ins mächtige Geäst der Eiche, das kann viel tragen. Er sieht in die Fenster der Hütten, er macht den Nachtvögeln Flatterschatten. Dann steigt er langsam die Notenlinien der alten Telefon- und Stromdrähte hinauf, die sich noch durch die Schrebergartenkolonie ziehen und so sehr nach dem letzten Jahrhundert aussehen, sie ziehen sich auch an meinem Fenster vorbei. Eine aufsteigende Tonleiter der Nacht geben sie vor, bedächtig wird sie vom Mond gespielt. Ich lege das Buch weg, ich schlafe früh ein.
Die erste Nacht im Garten. Mitte Mai, wie pünktlich ist das denn.
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May 12, 2022
Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 13.5.2022
Eine kurze Ausgabe, ich finde gerade nichts, was natürlich immer auch an mir liegen kann. Womöglich bin ich zu abgelenkt, etwa durch einen ungewohnt schmerzfreien Rücken. Ich muss dauernd im Sitzen so mit den Hüften kreisen, um zu prüfen, ob das immer noch so ist. Wie gut, dass ich das im Home-Office ungehemmt machen kann, die KollegInnen würden im Büro doch seltsam gucken, wenn ich so herumturne und dann dauernd „Yeah!“ murmele, weil es schon wieder nicht wehtut. Es ist überraschend angenehm, wenn man mal schmerzfrei ist.
Aber gebloggt wird, so kommt es mir vor, im Moment ohnehin etwas weniger und wenn, dann thematisch eher unentschlossen, was ganz und gar kein Vorwurf ist. Ich bin seit Jahren thematisch entschieden unentschlossen, ich verstehe das.
Davon abgesehen war ich gestern den ganzen Tag nicht nur mit dem Rücken, sondern auch damit beschäftigt, irritiert zu gucken, denn alle Familienmitglieder außer mir waren in anderen Städten, ja, sogar in anderen Bundesländern. Auf Ausflügen, Reisen, Dienstreisen. Nur ich saß da am selben Schreibtisch wie immer und pflegte die Routine.
Ab und zu rief ich ein leicht angebittertes „Lasst mich ruhig hier zurück!“ in die leere Wohnung um mich herum. Es hallte seltsam durch die Zimmer.
Egal. Die Korrespondentin aus dem Odenwald schreibt:
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Und ich habe übrigens für das Goethe-Institut wieder etwas über die Lage geschrieben, über Ereignisse und Meldungen, die vielleicht zusammenpassen.
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Die neue Monatsnotiz von Nicola. Immer lesenswert, ich sagte es bereits.
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Während die Foodblogs saisonbedingt leider mit Grillrezepten geflutet werden, die mich nicht einmal ansatzweise interessieren, hier immerhin ein Bericht aus Albanien. Das ist doch einmal etwas anderes. Und heute gibt es, gerade habe ich es beschlossen, Fisch mit polnischem Dill-Gurkensalat. Warum auch nicht, das sieht einfach und machbar aus.
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May 11, 2022
Eine Dankespostkarte
Rückseite
Ich habe zu danken für die Zusendung eines klassenfahrttauglichen Hoodies für Sohn II, der sich ob der Auswahl sehr begeistert zeigte, sowie für eine Lichterkette für den Garten. In diesem Fall lag die Freude hauptsächlich bei der Herzdame, die bezüglich abendlicher Illumination des Gartens ohnehin, wie soll ich sagen, stark verhaltensauffällig ist. Aber gut, es gibt natürlich Schlimmeres. Lichterketten – schon schön! Es hängt da sogar etwas Glück an der Strippe. Also für manche.
Es kam auch ein „Zustupf“ für die erwähnte Klassenfahrt, und der Sohn war selbstverständlich vom Geld begeistert, ich aber vom Wort. Zustupf, das ist doch sehr hübsch, und ich habe es Ewigkeiten nirgendwo mehr gelesen.
Die beiden winken jedenfalls hocherfreut und grüßen, ich schließe mich gerne an.
Vorderseite
Es ist ein schnell beschriebenes Bild, es hat eine vielleicht etwas cartoonhafte Anmutung. Und zwar stand ich da auf dieser wie immer nur imaginierten Aufnahme im Garten, vor den Beeten, wobei ich allerdings auffällig unpassende Bürokleidung trug. Ein weißes Hemd, Anzug, auch die blankgeputzten Büroschühchen, ich kam kurz vorher direkt von diesem Berufsdings. Und stand da also dezent deplatziert wirkend im Garten und goss Radieschen. Und die Kürbispflanzen goss ich auch, ebenso wie Zucchini, Möhren, Liebstöckel, Zwiebeln, Rhabarber, Kartoffeln, Erdbeeren, Rettich, Kohlrabi, Petersilie, Bohnen, Gurken und Paprika. Das ganze essbare Zeug, denn das fällt bei uns in meine Zuständigkeit.
Ich goss alles mittels einer großen, lilafarbenen Gießkanne. Rein theoretisch hätte ich auch mit einem Schlauch gießen können, das wäre wesentlich effizienter gewesen. Aber ich gehe wirklich gerne mit der Kanne hin und her und nein, ich habe nie behauptet, normal zu sein. Wir haben einen großen und langen Garten, ich mache also ordentlich Strecke beim Gießen, und ich mag das.
Bis hier wäre es aber immer noch ein außerordentlich langweiliges Bild, man muss noch wissen, dass ich da im Regen stand und ging und goss. Es regnete sogar recht ordentlich, es wolkenbrach fast, jedenfalls ein paar Minuten lang, und ich stand da also wie ein sprichwörtlicher Depp und trug Eulen nach Athen und Gießwasser hinaus in den pladdernden Regen. Und ich grinste breit, denn ich freute mich, dass es regnete, dass es dabei ganz großartig frühlingsintensiv roch, dass die Vögel in den Büschen schier ekstatisch ausflippten vor Freude, dass das Maigrün um mich herum in der frischen Nässe jäh aufleuchtete.
Ich machte da alles nass, ich wurde dabei sehr nass, ich fand das gut. Menschen gingen vorbei und grüßten freundlich. Man ist hier meist nett zu Narren. Ich meine, es ist eine Schrebergartenkolonie, es gibt also ein paar mehr von uns.
Man muss zu dem Bild allerdings auch wissen, wie es kurz vorher war. Sagen wir: Zwanzig Minuten vorher. Da war der Himmel noch etwas gelblich, die Luft war schwüldrückend und der Wind war seltsam afrikanisch heiß, sonderbar sonnensatt südlich anmutend, so wie man ihn hier eher nicht kennt. Die Vögel verschwanden in den Hecken, waren auffällig leise und klangen bedrückt. Die ganze Stimmung war eigentümlich bedrohlich und das Atmen fiel schwer, plötzliche Schweißausbrüche, es war Kreislaufwetter. Katastrophenfilme fangen so an, man kennt das. Auf der Terrasse vor der Laube drehte der Wind kleine Kreise, in denen die gerade herabfallenden Blütenblätter der Magnolie strudelten, pinkleuchtender Wahnsinn im rasenden Rund, und die nur gedachte Kamera schwenkte auf ein Außenthermometer, das stieg und stieg. Aus einem Radio hörten wir die Klimameldungen, und es klang nicht gut, was da gesagt wurde, es klang ganz und gar nicht gut. Im Wetterbericht für die nächste Woche wurden Temperaturen über dreißig Grad für möglich gehalten, zumindest in der einen App.
Ich sah auf Twitter nach. Die ganze Timeline schrieb gerade über das seltsame Wetter, über die Hitze, die Wärme, über das Drücken und die befremdliche Stimmung. Einige meldeten Regen, kurz darauf ergänzten sie aber schon, dass der Regen wieder aufhörte. Durchjagende Schauer, flüchtiger Sprühregen, mehr war das bei manchen nicht.
Man kann es sicher übertrieben finden, aber es war ein Nachmittag, an dem ich die Klimakrise nicht nur rational wahrgenommen habe. Ich habe sie auch gefühlt. Vermutlich war es ein Fehlgefühl, es war am Ende wieder einfach nur Wetter, aber das ist ja egal. Es war zu warm und es war endzeitlich. Wir brauchen wohl alle solche Momente, nehme ich an, wir verstehen es sonst nie.
Der Regen hielt dann über unserem Garten sogar länger als zehn Minuten, der Regen hielt eine ganze Weile. Ich ging schließlich zu einem der Beete und hob eine Schaufel Erde aus: Die Feuchtigkeit war keinen Zentimeter tief eingedrungen. Der Regen hatte bis dahin nichts erreicht, alles war noch mehlstaubtrocken. Es müsste hier lange, so lange regnen, bis der Boden durch und durch nass wird, bis wieder reichlich Wasser da ist. Deswegen also stand ich da mit der Gießkanne im Anzug im Regen. Als Wasserverstärker, als After-Work-Zusatzberegner, als Maiwetterimitator und personifizierte Schauerneigung.
Denn dieser Mai, den wir hier erleben, der ist nicht von hier. Dieser Mai fühlt sich fremd und etwas unheimlich an.
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