Grendel oder die Empfindlichkeit


Woher stammen eigentlich Trolle? Sind sie eine mythologisch durchwirkte Erinnerung der Menschen an die Neandertaler oder ein reines Phantasieprodukt?


Der Troll Grendel wird durch das Lärmen der Gefolgsleute an König Hrodgars Hof gestört, die dort ein Gelage feiern. Der Lärm bereitet Grendel körperliche Schmerzen, und er macht sich auf, die Störenfriede zu vernichten. Er bricht in den Festsaal ein und richtet ein Blutbad unter den Helden des Königs an. Man fragt sich: Hat er nicht etwas über-reagiert?
Jeder, der in der Heidelberger Altstadt gewohnt hat oder in Berlin Mitte, kann die Gefühlslage des Trolls verstehen, besonders im Sommer, wenn selbsternannte und trunkene germanische oder andere Helden nachts laute und endlose Gelage feiern.

Grendel ist ein Wilder, der sich nicht anders zu behelfen weiß als mit Gewalt, genau wie seine Gegner, und so ruft König Hrodgar seinerseits den Krieger Beowulf zu Hilfe, der erst Grendel und dann dessen Mutter, einen verführerisch-rachsüchtigen Wasserdämon, tötet.


Grendels Empfindlichkeit und die Tatsache, dass er ein Monster ist, das in gewisser Weise noch bei seiner Mutter lebt, ähnlich wie Norman Bates aus Psycho, macht ihn zu etwas ganz Besonderem in der Welt der Ungetüme. Er verteidigt sein Recht auf Ruhe, was ihn, das Monster, für uns moderne Menschen zugänglicher macht als die groben Barbaren, denen er schließlich zum Opfer fällt. Deswegen gebührt Grendel im Verzeichnis der Monster und Antagonisten ein besonderer Ehrenplatz.


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Published on January 18, 2013 05:03
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über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
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