Nathan Jaeger's Blog, page 2
April 13, 2023
[Leseprobe] How Spooky Boy stole my heart
Ich liege bäuchlings auf meinem Bett und grüble.
Soll ich weiter auspacken?
Erst heute Morgen sind mein Dad und ich in dieses Haus eingezogen und natürlichist noch lange nicht alles an seinem Platz.
Das riesige Dachstudio mit angeschlossenem eigenem Bad, das ich nun meinneues Reich nennen darf, sieht ziemlich wüst aus und ich frage mich, wie ichalles bis zum Start meines Senior-Jahres an der örtlichen High-School fertigeinrichten soll.
Der dunkelblaue Teppich liegt bereits und die Wände wurden frischgestrichen, bevor Dad und ich hergekommen sind.
Ein Schreiner hat mein neues, riesiges Bett mit einem Regal unter derSchräge in die Nische unter dem großen Dachfenster eingebaut. Außerdem wurdedie Giebelwand vom Boden bis zum First mit Buchregalen bestückt, in die ichmeine Schätze noch einräumen muss.
Das Zimmer meines Dads befindet sich im Anbau im Erdgeschoss, zum Garten raus,weshalb ich hier oben absolute Ruhe haben werde!
Ich grinse blöde, weil … wofür sollte ich Ruhe brauchen?
„Christopher? Kannst du mir kurz helfen?“, ruft Dad von unten und ichrolle mich vom Bett.
„Klar! Ich komme!“ Meine Zimmertür steht offen, momentan wäre es zunervig, sie ständig zu schließen, denn auch ich renne noch mit Kartons durchsHaus, wenn ich irgendwas finde, was die Leute vom Umzugsservice falschabgestellt haben.
Das passiert eben, vielleicht haben wir die Kisten auch nicht deutlichgenug beschriftet.
Ich hüpfe die Treppe hinab ins Erdgeschoss, in dem das Wohnzimmer, dieoffene Küche und nach hinten raus das Zimmer meines Vaters liegen.
Dad steht an der Anrichte, die unter den Fenstern zur Straße gelegen ist,und hat haufenweise Küchenutensilien, Geschirr und Töpfe um sich herumgestapelt.
„Was ist los?“, frage ich und verkneife mir ein Grinsen.
Dad und ich sind schon seit zehn Jahren allein. Meine Mum ist irgendwannbei Nacht und Nebel abgehauen. Ein Kind und ein Mann erschienen ihr alshinderlich bei ihrer Selbstverwirklichung – zumindest stand das in ihrer Notizan Dad, die er mir erst gezeigt hat, als ich sechzehn wurde.
Ich habe seit ihrem Weggang nichts von ihr gehört und lege auch keinenWert darauf.
Dad war immer für mich da und ich kann mit jedem Problem zu ihm gehen.
Deshalb war er auch der Erste, dem ich erzählt habe, dass ich Jungsdeutlich interessanter finde als Mädchen.
Ich weiß noch genau, was er damals darauf geantwortet hat: „Klasse, daserspart dir anatomische Erkundungstouren!“
Anschließend haben wir beide uns kaputtgelacht und er hat mir von seinenersten Testläufen in Sachen Beziehung und Sex erzählt – was nur zu weiterenLachflashs geführt hat.
Mein Dad hat einen ziemlich morbiden Beruf, was ihm einen krass schwarzenund absolut selbstironischen Humor beschert hat, den ich durchaus teile.
Er ist Gerichtsmediziner und als solcher arbeitet er ab Montag auch imörtlichen Krankenhaus.
Ich muss zugeben, als er mir vor ein paar Monaten gesagt hat, dass wir inden Sommerferien zwischen meinem Junior- und meinem Senior-Jahr an der High-Schoolin seine Heimatstadt ziehen würden, war ich nicht sonderlich begeistert, meineFreunde und alles hinter mir lassen zu müssen, nur um in einem Jahr fürsCollege schon wieder umzuziehen.
Aber andererseits habe ich nicht übermäßig viele Freunde und im Zeitaltervon Videotelefonie und Internet ist es wirklich nicht schwer, den Kontaktaufrecht zu erhalten – wenn man es will.
Also verbringe ich mein letztes Jahr mit meinem Dad nun in Santa Flora,einer Kleinstadt in Neuengland, genauer gesagt in Maine. Sehr abgeschieden,sehr ländlich gelegen.
Santa Flora hat, wie ich seit meiner ausgiebigen Recherche im Netz weiß,immerhin zehntausend Einwohner und ein sehr großes Schulzentrum, einrespektables Krankenhaus und alle nötigen Geschäfte, auf die man nichtverzichten will.
Die letzten zwei Stunden der Strecke, die Dad und ich mit dem nagelneuenTruck zurückgelegt haben, nachdem wir am Flughafen gelandet sind, hatausschließlich dichte Laubwälder, Hügel, Klippen und Seen gezeigt.
Es ist wirklich-wirklich ländlich hier.
Allerdings muss ich zugeben, gefallen mir die Landschaft und die Ruhe,die man offensichtlich beim Wandern finden kann, sehr.
Vielleicht entdecke ich ja einen schönen Platz an einem See, an dem ich lesenund abschalten kann?
Das wird sich wohl noch zeigen, denn auch unser Garten und mein Zimmersind schon wirklich tolle Orte, um sich darin aufzuhalten, während ich auf Drachenherumfliege oder Vampire pfähle …
Ich kichere und mir wird erst jetzt bewusst, dass Dad längst geantwortethaben muss.
Er grinst mich an. „Na, in welcher Fantasywelt steckst du nun wieder?“,fragt er mit neckendem Unterton.
„Sorry, ich hab über Santa Flora nachgedacht. Wie ist es für dich, wiederin deiner Geburtsstadt zu sein?“
„Erstaunlich gut und irgendwie schräg“, sagt er. „Die Stadt ist gewachsenund hat sich sehr verändert, seitdem ich damals weggezogen bin.“
Ich nicke verstehend. „Ja, kann ich mir vorstellen. Also? Wie kann ichdir im Weg herumstehen?“
Er lacht. „Könntest du die Töpfe in die großen Laden unterm Kochfeldräumen, während ich überlege, wo ich die ganzen Teller, Tassen und Gläserunterbringe?“
„Sicher. Ich vermute, wir bestellen uns was, weil wir die Küche nichtrechtzeitig fürs Dinner fertig kriegen?“
„Mein schlauer Sohn! Allerdings wollte ich heute mit dir in den Dinergehen, in dem sich zu meiner Zeit die Jugend getroffen hat. Lust?“
Ich schürze nachdenklich die Lippen. „Ja, wieso nicht? Ist schließlichFreitag und ich habe weitere drei Wochen vor mir, bis die Schule losgeht.Vielleicht sollte ich bis dahin herausfinden, wo man hier hingehen kann und wolieber nicht?“
„Das bekommst du sicher sehr schnell heraus. Außerdem kann ich dir aufdem Weg dahin den Buchladen zeigen …“ Seine Augenbrauen wackeln auf undab, während er mich wissend angrinst.
Klar, wenn ich eine Droge habe, von der ich immens abhängig bin, sind esBücher!
„Oh, das klingt super, dann weiß ich wenigstens, wo ich mich herumtreibenkann, wenn es regnet oder mir der Lesestoff ausgeht.“
„Hattest du nicht schon einen Lageplan von allen für dich interessantenOrten erstellt?“, fragt er erstaunt.
„Ich habs versucht, aber Google Maps hat mir keinerleiStreet-View-Ansichten ausgespuckt.“
Er nickt. „Dann lass uns hier fertig werden und anschließend gehen wiressen.“
~*~
Es ist erst achtzehn Uhr, als wir uns auf den Weg zum Diner machen, deran der Hauptstraße gegenüber einem Heilsarmee-Laden liegt.
Hier im Zentrum stehen noch wirklich schöne historische Häuser, dieverraten, wie alt Santa Flora sein muss.
Zahlen sind dahingehend immer so abstrakt! Aber die Gebäude zu sehen undquasi das Alter einatmen zu können, hat etwas für sich.
Ein paar hundert Meter die Straße rauf liegen, wie Dad mir verrät, dasGerichtsgebäude, das Rathaus und die Bibliothek, die allesamt noch ausGründerzeiten stammen.
Außerdem liegt der langgezogene Innenstadtpark mit Skatebahnen, riesigemSpielplatz und einem großen Teich gegenüber den drei historischen Gebäuden.
Der Diner, vor dem wir schräg einparken, weil die Straßen hierunglaublich breit sind, hat große Glasfronten und die typischen lederbezogenenroten Bänke in Nischen. Die Beleuchtung strahlt nach draußen auf den Gehsteigund wir gehen hinein, um mehr oder weniger sofort angestarrt zu werden.
Nun ja, ich fürchte, nicht Dad, sondern ich werde von oben bis untengemustert.
Viele der Nischen sind belegt, aber ich entdecke eine freie und stupseDad an, bevor ich darauf zu gehe.
Er folgt mir nicht sofort, sondern tritt an einer Stelle, an der dieBarhocker an der Theke nicht belegt sind, auf die Frau zu, die dahinter steht.
„Hey Marjorie, wie geht es dir?“, fragt er.
Während ich mich auf eine der Bänke plumpsen lasse, sehe ich, wie sie ihnerstaunt mustert und dann loskreischt. „Ist es zu glauben! Jimmy! Jimmy kommnach vorn! Patrick ist wieder in der Stadt!“
Ich grinse vor mich hin und schnappe mir die Karte, die neben Ketchup,Majo und Serviettenspender am Fenster auf dem Tisch steht, um schon mal zusehen, was ich hier essen will.
Es dauert nicht lange, dann setzt Dad sich mir gegenüber hin und dieKellnerin bleibt vor dem Tisch stehen.
„Du bist also Patricks Sohn Christopher?“, fragt sie das Offensichtlicheund ich nicke trotzdem.
„Stimmt genau. Freut mich!“, sage ich und ergreife ihre ausgestreckteHand, um sie zu schütteln.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, versichert sie fröhlichlachend und nimmt nach ein bisschen Smalltalk unsere Bestellungen auf.
Ein Cheeseburger mit Spiralfritten und einem gemischten Salat steht eineViertelstunde später vor mir, während Dad sich ein Steak mit normalen Fritten –und natürlich keinen Salat – bestellt hat.
Ich muss zugeben, es schmeckt richtig geil, und ich nehme mir vor, öfter hierherzu kommen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du hier sofort auffallen würdest“, murmeltDad und deutet mit einem subtilen Nicken hinter mich.
Ich müsste mich komplett umdrehen, um nachzusehen, wovon er spricht,deshalb hebe ich nur die Schultern. „Vielleicht gibt es hier nicht so vieleLeute in meinem Alter und ein Neuer kann nicht unbemerkt bleiben?“, schlage ichvor.
Dad kichert. „Wenn du mich fragst, sehen die Kids da aus, als wäre meinSohn das achte Weltwunder …“
„Na klar!“, maule ich und gucke mich nun doch kurz um, während ichversuche, so zu tun, als hielte ich Ausschau nach Marjorie.
Okay, die Jugendlichen, von denen Dad spricht, sind schnell ausgemacht.In zwei Nischen jenseits der Eingangstür sitzen bunt gemischte Reihen von Jungsund Mädchen, die natürlich versuchen, mich zu ignorieren, als ich sie kurzansehe.
Ich drehe mich wieder um und grinse in mich hinein.
„Der Neue zu sein, das ist etwas, was ich noch nie erlebt habe“, sage ichmehr zu mir selbst.
Bislang sind Dad und ich nie nennenswert umgezogen und ich war entsprechendkeine Kleinstadtsensation.
„Du wirst es hinkriegen, da bin ich sicher.“
Ich grinse. „Danke für dein Vertrauen, Dad!“, albere ich. „Wenn ich esrecht bedenke, bietet es ja auch einige Möglichkeiten.“
„Genau so sehe ich das auch, Chris! Du solltest in deinem letztenSchuljahr endlich mal ein wenig aus deiner Komfortzone herauskommen und etwasmehr leben. Die Bücher laufen dir nicht weg, deine Jugend schon.“
Ich weiß, er hat recht, aber es ist mir nie leichtgefallen, auf anderezuzugehen.
Klar, ich habe das gemacht, was alle in Los Angeles machen – surfen,schwimmen, sonnenbaden. Entsprechend sehe ich aus, was an einem Ort wie diesemschon dafür sorgen dürfte, dass ich auffalle.
Dabei habe ich mich in LA immer darum bemüht, nicht aufzufallen!
Jetzt werde ich mich entweder umgewöhnen oder damit leben müssen, dassich als braungebrannter Surfertyp abgestempelt werde …
Ich sehe kurz an mir herab.
Enge Jeans und ein slimfit T-Shirt, momentan sogar noch einen Hoodie vonmeiner alten Schule in Los Angeles.
Letzteren habe ich an, weil es hier in Neuengland trotz der Tatsache,dass wir uns in der zweiten Augustwoche befinden, im Vergleich zur Westküsteecht kühl ist.
Ich kann nur hoffen, dass ich mich an diesen Klimawechsel bald anpasse,denn eigentlich mag ich meine zahlreichen abgeschnittenen Jeans und dieTanktops sehr gern, die vorerst wohl in meinem Schrank vermodern werden.
Ein Seufzen entkommt mir.
Mit den langen Ärmeln muss ich vielleicht auch nicht mehr ständig meine vielenLederarmbänder oder die Uhr mit dem extrabreiten Lederriemen tragen, um zuverdecken, was ich am liebsten nie wieder sehen würde …
Um mich von diesen düsteren Gedanken abzulenken, blicke ich durch dieGlasfront des Diners zur Straße.
Der Heilsarmee-Laden macht gerade zu und mir bleibt der Mund offenstehen, als ich den Typen entdecke, der die Angebotsständer vom Gehweg in denLaden schiebt.
Groß, sehr nett gebaut, ein wahnsinnig schönes Lächeln, das er geradeeiner vorbeigehenden Frau schenkt, die offenbar mit ihm spricht. Dazu dunklesHaar, das er zu einem unordentlichen Man Bun gebunden trägt.
Verdammt! Der Kerl ist unglaublich sexy!
Ich beobachte ihn weiter, bis er die Ladentür abschließt und weggeht.
Dad und ich haben unsere geleerten Teller eben von uns geschoben, ertrinkt noch einen Kaffee und ich bestelle einen Milchshake bei Marjorie.Immerhin muss ich herausfinden, ob die Shakes mit denen aus L.A. mithaltenkönnen.
Genüsslich sauge ich an dem breiten Strohhalm und nicke vor mich hin.
„Na? Schmeckt er dir?“, fragt Dad und grinst breit. „Den Schokoshake habeich damals geliebt. Heute schlägt er mir vermutlich auf die Linie, wenn ich inmeine alten Gewohnheiten zurückfalle.“
Ich kichere. „Dann werde ich dein Vermächtnis heroisch fortführen und ihndir zu Ehren trinken“, sage ich und grinse frech.
Dad lacht. „Gute Idee!“
„Was meinst du? Hat der Buchladen wohl noch auf?“, frage ich und sehe aufmeine Armbanduhr.
„Oh, das könnte ein Problem werden, fürchte ich. Zumindest kann ich mirnicht vorstellen, dass die Geschäfte hier besonders lange geöffnet sind.“ Dadsieht mich bedauernd an. „Aber du könntest Marjorie fragen, sie sollte so etwaswissen.“
Marjorie kommt am Tisch vorbei und ich frage sie wegen des Buchladens.
„Oh, der hat noch auf. Wenn du dich beeilst, solltest du von Quentin nochbekommen können, was du haben willst“, erklärt die Kellnerin.
„Das wäre klasse! Ist es okay, wenn ich schnell losgehe?“, wende ich michan Dad und er nickt. „Ich warte hier auf dich.“
„Cool, dann bis später!“
~*~
Ich jogge die Hauptstraße hinauf und biege ab, um den Laden zu erreichen,den Dad mir vorhin gezeigt hat.
Von vorn sieht man lediglich ein vielleicht fünf Meter breitesSchaufenster mit seitlich gelegener Tür.
Die Holzrahmen von Tür und Fenster sind in dunklem Blau lackiert und aufdem Glas der Tür, die ich nun nach innen schiebe, ist der Name des Geschäfts ineiner Art Filmrollenschrift aufgeklebt: Wordscapes – das Kino für den Kopf.
Klingt spannend!
Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss gleiten und sehe mich um.
Der Raum ist hell und trotzdem irgendwie gemütlich. Zahlreiche Holzregalemit Genre-Beschriftungen und den entsprechenden Büchern gefüllt, erwarten mich.
Ein schneller Rundumblick und ich wende mich zur Fantasy-Abteilung, dielaut einem Schild, das von der Decke hängt, weiter hinten im Ladenlokal liegt.
Unterwegs komme ich am niedrigen Verkaufstresen vorbei und grüße denälteren Mann, der dahinter in einem Sessel sitzt und liest.
„Guten Abend!“
„Oh, guten Abend, junger Mann! Wie kann ich helfen?“, fragt er, klapptdas Buch ordentlich zu und steht auf.
Ich lächle. „Ich … bin neu in der Stadt und wollte mich bei Ihnenumsehen, damit ich weiß, wo ich zukünftig meine Lesesucht befriedigen kann.“
Er nickt und ich sehe es in seinen grauen Augen aufblitzen. „Du musst PatricksJunge sein! Ich hätte nicht gedacht, dass er dir das Lesen nähergebrachthat …“
„Ja, das stimmt. Ich bin Christopher Simmons. Sie kennen also meinenVater?“
Der Mann nickt. „Ein Tunichtgut der allerschlimmsten Sorte, aber sag ihmnicht, dass ich es dir verraten habe, ja? Er hat wegen einer verlorenen Wetteeinmal gemeinsam mit dem Bürgermeister und dem Schuldirektor mein Schaufensterbeschmiert.“
Ich staune und habe ganz sicher tellergroße Augen. „Mein Vater soll soetwas …?“
Der Mann winkt ab. „Alles Schnee von gestern, damals waren sie noch ander High-School. Komm nur, welche Abteilung reizt dich denn, mein Junge?“
„Fantasy. Sowohl klassisch als auch urban“, erwidere ich und folge ihm.
Das Geschäft ist nach hinten hin wirklich lang und die Regale mit meinenLieblingsgeschichten sind vollgestopft mit allem, was mein Leserherz begehrenkönnte.
„Wahnsinn! Eine solche Auswahl!“, lobe ich überrascht und trete näher andas Regal mit Urban Fantasy. „Können Sie mir etwas empfehlen? Ich habe zwarschon ziemlich viel gelesen, aber vielleicht gibt es was, was hier in derGegend spielt?“
Er kichert. „Da gibt es jede Menge! Neuengland ist ja auch historischbetrachtet eine Fundgrube für mystische Geschichten!“
„Und womit sollte ich anfangen? Hexen? Fabelwesen?“, frage ich, nachdemich die Reihen mit den Neuengland-Büchern durch seine Geste gefunden habe.
„Die Geschichten über Vampire sind bei den Leuten in deinem Alter sehrbeliebt. Nach all dem Glitzerkram der vergangenen Jahre will der Hype um solcheGeschichten nicht nachlassen.“
„Verstehe. Ich mochte die Biss-Reihe sehr gern, muss ich zugeben. DerBruch mit allen möglichen Vampirklischees war erfrischend.“
Der Buchhändler lächelt und wendet sich zur Tür, als die Klingel einenweiteren Kunden ankündigt.
„Kommst du zurecht?“, fragt er und ich nicke, bevor er in RichtungKassentheke davon geht.
Ganz in Ruhe suche ich die Regale nach etwas ab, das mich anspricht.Immer wieder ziehe ich einzelne Bücher aus den Reihen und sehe mir das Coverund den Klappentext an.
Dieses hier klingt interessant!
Es geht um eine Kleinstadt in Vermont, in der Vampire heimlich die Fädenziehen und ganz normal und unentdeckt unter den Menschen leben.
Ja, das Ding geht mit mir nach Hause!
Ich nicke vor mich hin und wende mich zum vorderen Teil des Ladens, nurum mit der rechten Schulter in jemanden hineinzulaufen.
„Oh!“, mache ich, trete einen hastigen Schritt zur Seite und hebe denBlick von dem Buch zu meinem unerwarteten Hindernis.
Ich starre mein Gegenüber von oben bis unten an und sehe schließlich inseine Augen.
Dunkelgrün, Petrol.
„Na? Siehst du irgendwas, was dir gefällt?“, fragt der Typ mit einemherausfordernden Grinsen.
„Kann nicht klagen“, erwidere ich und mustere seine Frisur einenAugenblick lang.
Das längere Deckhaar fällt um seine Schläfen und hat dieselbe Farbe wieseine Augen. Petrolgrün.
Allerdings mit einem zusätzlichen silbrigen Schimmer.
Er lacht leise und mir wird bewusst, dass er mich ebenso von oben bisunten beäugt.
„Dito“, sagt er schließlich und nickt beifällig. „Wie heißt du?“
„Wer will das wissen?“ Dieses Spielchen kann ich auch spielen!
Er grinst breiter. „Ganz schön frech, Newbie“, befindet er und klingt zumeiner Verwunderung anerkennend.
„Wenn du weißt, dass ich neu bin, kann es hier wohl nicht allzu vieleJugendliche geben, was?“
Er hebt die Schultern, dass seine schwarze Lederjacke leise knarzt.„Sagen wir, ich würde mich daran erinnern, wenn ich dich schon mal gesehenhätte.“
„Du hast also ein gutes Gedächtnis. Gratulation!“, sage ich leichtironisch. Irgendwie hat dieser Typ was … Ich muss herausfinden, wer erist!
„Ja, habe ich, Newbie. Und? Erfahre ich deinen Namen?“
Ich schüttle den Kopf. „Den muss man sich verdienen.“
Mir kommt gerade sehr zugute, dass ich in Los Angeles aufgewachsen bin.Da herrscht definitiv ein anderer, sehr viel selbstbewussterer Ton als in einemKaff wie Santa Flora.
Ihm scheint das zu gefallen.
„Dann solltest du mir verraten, wie ich das schaffe.“
„Ganz einfach“, sage ich und gehe extra-dicht an ihm vorbei, meine Augenfest auf seine geheftet. „Überrasch mich.“
Ich wende mich mit einem frechen Grinsen um und gehe zum Tresen, hinterdem der Buchhändler wieder in seinem Sessel Platz genommen hat.
Mit meinem nagelneuen Buch verlasse ich wenig später den Laden und kehrezum Diner zurück.
Natürlich lassen mich die Gedanken an den Typen mit den grün-blauenHaaren nicht los.
Als ich so dicht an ihm vorbei gegangen bin, habe ich seinen Dufteingeatmet und grüble seitdem, wonach genau er gerochen hat. Es war eineMischung von ein paar Sachen, die ich wirklich gern rieche. Zimt undSandelholz, oder so …
Jedenfalls roch er wahnsinnig gut und wenn ich bedenke, wie affengeil eraussah …
Dümmlich grinsend setze ich mich wieder in die Nische zu meinem Dad undlege meine Beute auf den Tisch.
„Ah! Du warst erfolgreich!“, sagt er und zieht sich das Paperback überden Tisch heran, um es genauer anzusehen und umzudrehen. Er studiert denKlappentext und kichert. „Hoffst du heimlich darauf, dass Santa Flora auch soist?“
Er neckt mich, das weiß ich genau, deshalb lache ich kopfschüttelnd. „Mirreicht es, wenn ich in meiner Fantasie mit Vampiren zu tun habe.“
„Dann hoffe ich, die Geschichte ist gut“, erwidert er und gibt mir dasBuch zurück.
„Sie birgt jedenfalls Potential, würde ich sagen“, erkläre ich undbestelle noch einen Schokoladenmilchshake bei Marjorie.
[Roman] How Spooky Boy stole my heart
Klappentext:Jeder 18-Jährige, der für das letzteHigh-School-Jahr von Los Angeles in eine Kleinstadt in Maine verschleppt werdensoll, würde seinem Dad den Krieg erklären.
Nicht so Christopher Simmons.
Die ruhigen Wälder und Seen um Santa Floraversprechen ihm das richtige Ambiente, um stilecht in seinen heißgeliebten Fantasy-Geschichtenabzutauchen.
Als braungebrannter Surferboy widersprichtChristopher dem Klischee eines Bücherwurms und überrascht damit nicht nur denörtlichen Buchhändler, sondern auch den schlagfertigen Typen mit denBad-Boy-Vibes.
Christopher ist – dank der Überredungskünsteseines Dads – fest entschlossen, seinen Status als ‚der Neue‘ dazu zu nutzen, sichkopfüber aus seinem Schneckenhaus ins echte Leben zu stürzen.
Dass er dadurch nicht nur neue Freunde findet,sondern auch unabsichtlich eine Seite in einem Konflikt wählt, von dem er keineAhnung hat, sorgt für einen chaotischen Start ins neue Schuljahr.
Doch neben den Dingen, die zum Alltag einesSenior-Schülers gehören, tauchen auch etliche Mysterien auf.
Wieso kursieren so unglaublich vieleMonstergeschichten über die Wälder unter seinen Mitschülern?
Wieso hat sein Dad als Gerichtsmedizinergerade so viel zu tun?
Und wieso, zum Henker, lauert ihm Spooky Boyimmer wieder an den unmöglichsten Orten auf?
Zu finden ist diese brandneue Geschichte von mir hier: KLICK
April 7, 2023
Von Ostern und Fakten ... und von den Deppen, die nichts kapiert haben.
Vorweg, ich bin nicht gläubig im Sinne der katholischen Kirche und folge auch keinem anderen Glauben.
Ich bin Agnostiker und brauche Beweise, was dem Grundsatz eines Glaubens nun mal widerspricht.
Dennoch möchte ich diesen Post dazu nutzen, mich zum Thema Religion, Glaube und … den anderen zu äußern.
Man muss bekanntlich nicht alles schön, toll und logisch finden, was andere so machen, sagen oder zum Ausdruck bringen, aber man kann es achten.
Achten bedeutet, dass man sich nicht verunglimpfend oder negativ darüber auslässt oder gar lustig macht, was andere glauben/machen/sagen.
Es gibt Ausnahmen, wo auch ich klar eine Gegenstimme darstelle, da hätten wir zum Beispiel das Neonazitum. Da werde ich niemals meinen Mund halten, weil historische Fakten außer Acht (!!) gelassen und verdreht oder gar heruntergespielt werden.
Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern vielmehr darum, dass ich meine Meinung zum aktuell grassierenden Kram auf Facebook sagen will.
Ich sehe das folgendermaßen:
Wer glaubt, deshalb einer Glaubensgemeinschaft angehört und in dieser Gemeinde/Gemeinschaft die Feste und Trauertage des jeweiligen Glaubens leben möchte, verdient sich damit meine absolute Hochachtung und meine aus tiefstem Herzen kommende Freude.
Ich finde es schlichtweg toll für denjenigen, der sein Glück, sein Vertrauen, seinen Sinn oder seine Gemeinschaft in der Kirche findet!
Anmerken muss ich, dass ich damit natürlich die Basis meine, die Gläubigen. Die, die sich in ihrer Kirche treffen, um gemeinsam etwas zu feiern. Um gemeinsam zu singen oder zu trauern.
Mir geht es hier nicht um großpolitische oder organisatorische Dinge wie die Kirchenhierarchie oder deren Umgang mit schweren Straftaten.
Mir geht es um die einfachen Menschen, die keine Priesterweihe haben, sondern einfach glauben.
Diese Menschen verdienen Respekt – ein offenbar ausgestorbenes Gut.
Heute ist Karfreitag, der höchste Trauertag der katholischen Kirche. Historisch (alttestamentlich) gab es schon vor der Kreuzigung Jesu Christi ein Fest wie das Osterfest, aber im Neuen Testament hat man alles ein wenig angepasst.
Das ist in Ordnung so!
Auch ein Glaube lebt und entwickelt sich. Neue Propheten können neue Erkenntnisse mit sich bringen.
Die Bibel an sich ist ein Buch. Ein unschuldiges, von vielen Menschen sehr unterschiedlich interpretiertes Buch.
Manche sehen es in bestimmten Punkten als Geschichtsbuch an, ganz objektiv, wertungsfrei.
Andere halten sie für das größte Lügen-/Märchenbuch aller Zeiten.
Auch das ist in Ordnung.
Jeder entscheidet für sich, was er wie sehen will.
Der Glaube ist genauso. Man glaubt, was man glauben will, denn wir sind mündige Menschen mit eigenem Urteilsvermögen.
Man muss die Institution Kirche, das hierarchische und für viele antiquierte Gebäude der Kirche nicht toll finden, um zu glauben.
Das ist nämlich das Schöne daran, Glaube ist eine der wenigen Sachen, bei denen wir ab einem gewissen Alter vollkommen selbstbestimmt entscheiden dürfen.
Aber genug davon, mir geht es heute um diejenigen, die den Glauben anderer verunglimpfen und schlechtmachen.
Heute habe ich zum Beispiel ein Posting gesehen, indem behauptet wird, die katholische Kirche sei unseriös, weil sie den Osterhasen und das Suchen von Ostereiern erfunden hätte.
Tja, damit hat der Verfasser dieses Bildes auf eine geradezu fremdschäm-peinliche Art demonstriert, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Das Färben der Eier und das Verstecken, sowie die Geschichte um den Osterhasen ist von Eltern für ihre Kinder erdacht worden.
Nicht von der Kirche.
Man hat die Eier, die in der Fastenzeit nicht gegessen werden durften, gesammelt und je nach Alter mit einer Farbe versehen.
Zu Ostern durften sie ja wieder gegessen werden und man wusste, wie alt welches Ei ist.
Versteckt wurden sie, um den Kindern eine kleine Gaudi zu bescheren. Mehr nicht.
Und der Osterhase hat das Rennen gegen diverse andere Tiere gewonnen, weil Hasenbabys die ersten im Jahr sind. Weil der Hase damit für (Wieder-)Geburt des Jahreszyklus und für Leben steht.
Die Kirche hat das nicht erdacht, und es ist unsagbar dämlich, etwas anderes zu behaupten.
Ich warte schon auf die Postings, in denen dann steht, dass der Vatikan die Firma Coca-Cola dafür bezahlt hat, den Weihnachtsmann zu erfinden.
In meiner Kindheit kam der nicht vor. Wir hatten ein Christkind, das die Geschenke brachte.
Und das war schön so.
Wenn ich dann in Kommentaren so was lese wie ‚Latten Jupp‘, als Synonym für ‚Jesus Christus‘, dann habe ich als nicht Gläubiger echt den Kaffee doppelt auf.
Kriegt eure Fakten auf die Reihe, bevor ihr euch als die Oberdeppen der Nation outet!
Jupp ist die Kurzform von Joseph. Und soweit mir bekannt ist, war nicht Jesus’ Vater derjenige, der ans Kreuz genagelt wurde.
Ehrlich, so was regt mich auf!
Lasst diejenigen, die glauben möchten, die ihr Wohl und Heil im Glauben gefunden haben, doch einfach mal in Ruhe!
Wenn ihr Ostern nicht feiern wollt und am Karfreitag nicht trauern wollt, dann lasst es doch einfach.
Aber lasst es leise und so, dass sich die Gläubigen nicht angegriffen fühlen müssen.
Lasst es und seid glücklich mit euer ganz selbstbestimmten Entscheidung.
Niemand will euch missionieren.
Es ist einfach eine Form von Respekt, heute keine laute Mucke zu hören und einen Tag im Jahr mal nicht zu tanzen. Weil … ihr tanzt sonst ganz sicher jeden Tag, nicht wahr? Was für eine Strafe, es heute nicht zu dürfen. Da wagt es jemand, euch einzuschränken!
NEIN!
Das wagt niemand. Tanzt, lacht, habt Spaß bei allem, was euch an einem freien Tag so einfallen könnte.
ABER!
Lasst diejenigen in Ruhe das tun, was sie tun möchten, die anderes glauben als ihr.
Das ist keine Einbahnstraße, kein die gegen uns.
Es ist simpler, allumfassender Respekt für andere Menschen.
In diesem Sinne wünsche ich allen (ja, allen) ein schönes langes Wochenende und hoffe, dass den Gläubigen unter uns erspart bleibt, ihren Glauben in den Dreck gezogen zu finden.
Da gehört er nicht hin. Punkt.
Glaube ist etwas Edles, etwas Gutes.
Hört auf, die Fehlentscheidungen und schrecklichen Vergehen der höheren Ränge innerhalb des Kirchenkonstrukts auf die Menschen zu beziehen, die einfach nur glauben wollen.
Wer bis hierhin gelesen hat, weiß nun auch, wen ich mit Deppen meinte.
Und wer bis hierhin gelesen hat, dem wünsche ich ein besonders schönes Osterfest.
Den Gläubigen unter uns wünsche ich, dass der Fisch oder die Püfferkes (die es wahlweise in meiner Heimatstadt am Karfreitag zu essen gibt) schmecken.
Gerry und ich essen heute Fisch. Keine Wurst, kein Fleisch. Einfach, weil wir respektieren, dass der heutige Tag für andere ein sehr wichtiger und bemerkenswerter ist.
Hier läuft heute auch keine laute Mucke, obwohl wir kaum noch christliche Nachbarn haben.
Man kann einen solchen Tag einfach mal so sein lassen, wie er ist.
Ja, ich weiß, ich war zickig, altklug und wichtigtuerisch in diesem Posting. Aber ich habe auch versucht, gerecht zu sein, meine Mitmenschen achtend.
Ich bin ein respektvoller Mensch und mein ganz privater Gerechtigkeitssinn hat mich dazu gebracht, nach langer Zeit mal wieder ein Blogpost zu verfassen.
Vielleicht sollte ich dafür auch dankbar sein. Für die Kontroverse, die dafür gesorgt hat, dass Gerry und ich heute schon ein stundenlanges Gespräch zu dem Thema hatten. Ein gutes Gespräch, auch wenn es mich davon abgehalten hat, meine (leise) Arbeit zu tun.
Macht es gut und denkt an andere, das ist der Schlüssel zum Miteinander, um das viele Menschen die Gläubigen beneiden dürften. (Ich selbst bin manchmal sehr neidisch auf diejenigen, die in ihrem Glauben aufgefangen werden.)
Friede sei mit euch!
Nathan/Colin
Danke an alle, die es sogar bis hierhin geschafft haben.
December 2, 2022
[Leseprobe] Daddys Vermächtnis - Der erste Fall für Brady & Wolf
~ Jagdzeit
Ich liege bäuchlings im Gestrüpp und betätige wieder und wieder den Auslöser meiner Kamera. Für dieses Motiv würden andere vermutlich morden, aber von mir, Brooks Ewing, erwartet man solche Bilder.
Wer in Kanada eine Dokumentation über Wölfe machen will und dazu eine Fotostrecke benötigt, fragt mich.
Dabei sind Wölfe nicht die einzigen Wildtiere, die ich fotografiere.
Momentan ist mein Objektiv allerdings wirklich auf diese wunderschönen Caniden gerichtet.
Eine im Gras liegende Fähe mit drei Welpen, die um sie herumtoben und sich gegenseitig in die winzigen Ohren beißen.
Der Anblick entlockt mir ein Lächeln.
Unbestritten, ich mag Wölfe!
In diesem Fall sind es die sehr groß wachsenden Mackenzie-Wölfe, die hauptsächlich in der Westhälfte Kanadas vorkommen.
Die beinahe schwarze Wölfin und ihre noch sehr gescheckt aussehenden Jungtiere, die etwa zwölf Wochen alt sein dürften, sind keine drei Meter von mir entfernt und nehmen mich dennoch nicht als Bedrohung wahr.
Woran genau das liegt, weiß ich nicht, denn auch wenn ich ein wenig ungewöhnlich bin, wäre meine Andersartigkeit eigentlich ein Grund für pure Aggression mir gegenüber.
Wölfen droht in British Columbia ständig große Gefahr durch Menschen, denn sie sind zum Abschuss freigegeben.
Für mich eine traurige Realität, die sich aber aus der starken Population ergibt.
Meine Waffe ist jedoch eine Digitalkamera, kein Gewehr.
Vielleicht macht das schon den entscheidenden Unterschied?
Genervt schüttle ich den Kopf, weil ich darüber nicht nachdenken will.
Ich bin hier, um Fotos zu machen, nicht um mein Selbst zu ergründen.
Ein leises Knistern neben dem Gebüsch, unter dem ich größtenteils liege, lässt mich die Kamera senken und den Atem anhalten.
Der rasche Blick nach vorn verrät mir, dass sowohl die Fähe als auch ihre drei Welpen noch dort sind, weshalb ich den Kopf nach rechts drehe und innerlich fluche.
Logisch, die Wolfsmutter ist das Alphaweibchen des Rudels und sie wird niemanden außer ihrem Gefährten so nah an ihren Nachwuchs lassen.
Ebenjener steht, interessiert an meinem Hosenbein schnüffelnd, da und scheint sich nicht darüber klar zu sein, was er mit dem in Wald-Camouflage eingefärbten Stoff tun soll.
Ruhig atme ich durch und drehe mich, die Kamera in der Linken, auf die Seite, um ihn zu mustern.
Geez, der Alpharüde ist ein ausgesprochen stattliches Exemplar und dürfte um die achtzig Kilo wiegen, also locker fünfundzwanzig Kilo mehr als ich.
Mackenzie-Wölfe sind die größte Unterart aller Wolfsgattungen und der Rüde neben mir misst von Nasen- bis Schwanzspitze ganz sicher über zwei Meter.
Er hat eine schwarze Decke, während seine langen Beine in Braun und Schwarz gescheckt sind.
Stünde ich direkt neben ihm, wären seine Schultern auf Höhe meines Beckens, sein Kopf auf Höhe meines Bauches.
Mir wird ein wenig anders, auch wenn ich aus den vergangenen Jahren weiß, dass ich derartige Begegnungen immer unbeschadet überstanden habe, weil ich eben nicht bedrohlich wirke.
So nah ist mir allerdings noch kein wild lebender Wolf gekommen!
Sollten er und seine Gefährtin beschließen, dass ich nun doch eine Gefahr bin, habe ich schlicht keine Chance – egal in welcher Gestalt.
Um den neugierigen Rüden von diesem für mich tödlichen Entschluss abzubringen, bleibt mir nur, möglichst unterwürfig zu sein und genau das auch durch meine Körpersprache zu zeigen.
Also weiter auf den Rücken rollen und den Blick senken.
Die Kamera in meiner Hand richte ich auf ihn, ohne sie großartig zu heben, und betätige auf gut Glück den Auslöser.
Solche Fotos habe auch ich noch nie geschossen und sie wären verdammt viel Geld wert!
Der Rüde kommt näher, schnüffelt nun auch an meiner Weste und wirkt noch immer eher neugierig als aggressiv, weshalb ich es schaffe, mich ein wenig zu beruhigen und den Finger auf dem Auslöser zu halten.
Seine feuchte Nase ist nur noch Zentimeter von meiner entfernt, mein Blick wieder gesenkt, deshalb zucke ich zusammen, als er mich plötzlich anniest und danach von mir ablässt.
In einem kleinen Bogen, den die Alphawölfin zu dieser Zeit des Jahres ganz sicher auch von ihrem Gefährten einfordert, umrundet er sie und ihre Welpen, und ich rolle zurück auf den Bauch, um alles in Bildern festzuhalten.
Sie belauert ihn ganz anders, als sie meine Anwesenheit beachtet hat, vielleicht ist auch das Teil seiner Entscheidung gewesen, dieses komische Menschlein im Gebüsch in Ruhe zu lassen?
Die zwei sind nicht die Anführer ihres Rudels, weil sie Fehlentscheidungen getroffen oder eigenmächtig gehandelt haben.
Eine Sache, die ich an Wölfen und ihrer Lebensstruktur zugleich sehr liebe und verabscheue.
Verrückt, ich weiß, aber es hat eben persönliche Gründe.
Jetzt nur nicht wieder abdriften!
Ich mache noch ein paar Fotos, dann ziehe ich mich langsam zurück. Stück für Stück auf allen vieren, bis ich den nötigen Abstand erreicht habe und aufstehen kann, ohne dass mich jemand als Bedrohung ausmacht.
Gemütlich wandere ich mehr als eine Stunde lang zurück zu meinem Zeltplatz und überlege, ob ich jetzt schon zusammenpacken sollte.
Ein Blick auf meine Uhr verrät, dass ich noch ein paar Stunden habe, bevor ich mit meiner Ausrüstung wieder am Parkplatz nahe dem Garibaldi Lake sein sollte.
Außerdem habe ich Hunger.
An meinem getarnten und gut abgesicherten Zelt angekommen, lege ich die Kamera weg und kümmere mich darum, meinen mittlerweile knurrenden Magen zu füllen.
Während der Gaskocher das Wasser für meine gefriergetrockneten Nudeln mit Tomatensoße erhitzt, sehe ich mir die heutige Ausbeute an.
Erst zu Hause in Nord-Vancouver werde ich die Dateien auf meinen Laptop ziehen und mir in Ruhe alle Details ansehen können, aber speziell die letzten Bilder will ich checken. Ich habe schließlich noch keine Ahnung, ob ich den an mir schnüffelnden Alpha in brauchbarer Weise drauf habe, oder nicht.
Ha! Die Serienbilder sind tatsächlich scharf und zeigen, wie nah er mir gekommen ist!
Ich freue mich sehr darüber und überlege bereits, welchem der zahlreichen Magazine, für die ich freiberuflich arbeite, ich die Bilder anbieten will. Auch wenn ich sie zuerst immer dem National Nature Magazine anbiete, weil das vertraglich so geregelt ist, kämen auch einige andere Hefte infrage.
Nach dem Essen beginne ich mit dem Abbau, verstaue alles in und an meinem Rucksack und mache mich auf den etwa zwei Stunden dauernden Fußmarsch durch die Berge zurück zum Parkplatz.
Direkt am Garibaldi Lake wären zwar auch Möglichkeiten zum Campen gegeben, aber da sind zu viele Touristen. Für Fotos, wie ich sie machen will, muss ich eben ein paar Meilen Wanderung in Kauf nehmen.
Wenn ich mehr Zeit habe, fahre ich deutlich weiter nördlich ins Interior Plateau von British Columbia oder mache einen ausgedehnten Hike durch die Landschaften von Vancouver Island, aber da ich am morgigen Montag ein Treffen mit einem Redakteur habe, war diesmal nur eine Woche Aufenthalt im Wald möglich.
Am Parkplatz angekommen, sehe ich, dass noch einige Autos dort herumstehen. An manchen sind Touristen gerade dabei, ihre Ausrüstung zu verstauen, Kinder einzufangen und abzufahren.
Ich stehe noch an der geöffneten Heckklappe meines Geländewagens und räume gewohnheitsmäßig die Kameratasche aus dem Rucksack in eine Metallkiste im Kofferraum um.
Das mache ich immer so. Die Kiste ist fest verzurrt und ziemlich bruchsicher. Sollte ich also jemals einen Autounfall haben, werden die Fotos, die ich zuletzt gemacht habe, in jedem Fall überleben.
Zu meiner großen Freude steht noch ein Verkaufswagen auf dem Platz – ich brauche dringend einen Kaffee!
Heckklappe zu, losschlendern.
Minuten später kehre ich, an einem To-go-Becher schlürfend, zurück zu meinem Wagen und sehe neugierig auf, als ich einen lauten Fluch höre.
Ungeduldig zerre ich um fünf Uhr morgens meinen für solche Fälle immer fertig gepackten Wanderrucksack aus dem Abstellraum neben meinem Schlafzimmer und stürme die Treppe hinunter.
Im Büro schreibe ich eine Nachricht für Michelle, meine Haushälterin, damit sie sich keine Sorgen macht. Sie ist zwar nur zwölf Jahre älter als ich, aber in Ermangelung einer eigenen Familie behütet sie mich, als wäre ich ihr Sohn.
Dieser Gedanke entlockt mir ein kurzes Lächeln, ehe meine grottenschlechte Laune es wieder vertreibt.
Mit dem Geländewagen fahre ich zur Auffahrt der Route 99, dann weiter bis zum Garibaldi Lake.
Nach einer guten Stunde Fahrt stelle ich den Wagen auf einem der großen Parkplätze ab. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass außer meinem noch ein Fahrzeug auf dem Schotterplatz steht. In der Regel bin ich um diese Uhrzeit der einzige Wahnsinnige, der sich hier rumtreibt. Die Sonntagsausflügler erscheinen frühestens um zehn Uhr.
Egal! Rucksack schultern und dann marschieren. Meine miese Stimmung werde ich nur durch eine lange, kräftezehrende Wanderung los.
Inzwischen ist die Sonne aufgegangen und verleiht dem See einen rotgoldenen Schimmer. Der Anblick ist wunderschön und sollte einem das Herz weiten. Funktioniert bei mir heute nicht.
Abrupt wende ich mich um und folge einem schmalen Pfad. Ich kenne die Gegend hier ziemlich gut. Der Weg wird mich in den dichten Wald und zu ein paar steilen Anstiegen bringen. Sie sind genau das, was ich suche.
Seit ich gestern Abend aus Calgary zurückgekommen bin, habe ich noch kein Auge zugemacht. Mein schlechtes Gewissen lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Die fünfzehnjährige Tochter eines mittellosen Ehepaares wurde seit zwei Wochen vermisst. Für die Polizei war das Mädchen eine typische Ausreißerin, daher unternahm man keine großen Anstrengungen, sie zu suchen.
Durch eine winzige Meldung in der Tageszeitung wurde ich auf den Fall aufmerksam und bot den Eltern sofort meine Hilfe an.
Es dauerte eine weitere Woche, ehe ich brauchbare Hinweise fand. Sie führten mich nach Calgary, auf die Spur eines polizeibekannten Sexualstraftäters.
Obwohl der Mistkerl verhaftet werden konnte, kam für das Mädchen, Melanie, jede Hilfe zu spät.
Der Gedanke an den Anblick ihrer Leiche lässt bittere Galle in mir hochkochen.
Ich hasse es, wenn Leute, die wenig Geld haben, anders behandelt werden als besser situierte. Die Polizei unternimmt kaum etwas, weil nach ihren Erfahrungswerten Kinder aus ärmeren Verhältnissen grundsätzlich erst mal als Ausreißer eingestuft werden. Den Medien ist so was meist noch nicht mal eine Nachricht wert. Erst wenn solch ein Fall böse endet, wird er auf den Titelseiten ausgeschlachtet.
Ziemlich außer Atem erreiche ich die erste Anhöhe und muss kurz pausieren. Meine Wut hat mich den Anstieg viel zu schnell nehmen lassen.
Der Stamm eines dicken Baumes, der scheinbar dem letzten Herbststurm nicht standgehalten hat, dient mir als Sitzgelegenheit. Aus dem Rucksack hole ich eine Flasche stilles Wasser und trinke in kleinen Schlucken.
Ich mag gar nicht daran denken, dass ich heute Abend Melanies Eltern aufsuchen muss.
Jemand von der örtlichen Polizei war gestern bereits bei ihnen. Sie mussten anhand eines Fotos die Identität ihrer Tochter bestätigen und wurden über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt.
Es wäre also nicht zwingend notwendig, dass ich noch einmal mit ihnen spreche. Schließlich habe ich mir den Fall selbst ausgesucht und ihn unentgeltlich übernommen. Aber es ist nicht meine Art, mich vor unangenehmen Dingen zu drücken.
Was mir am meisten zu schaffen macht, ist, dass ich die Informationen viel zu spät bekommen habe. Hätte mich mein Freund Scott, seines Zeichens Ermittler im Morddezernat, sofort angerufen, als das Mädchen als vermisst gemeldet wurde, hätte ich sie vielleicht noch retten können.
Den Burschen werde ich mir morgen zur Brust nehmen. Wie oft habe ich ihm schon eingetrichtert, er soll mich umgehend informieren, sobald ihm solch ein Fall zu Ohren kommt? Bin gespannt, welche Ausrede er diesmal parat hat.
Ich verstaue meine Wasserflasche, nehme dafür meine Kamera heraus und hänge sie mir um den Hals, ehe ich mich weiter auf den Weg mache.
~*~
Am Spätnachmittag treffe ich wieder an meinem Ausgangspunkt ein. Die lange Wanderung, die Stille des Waldes und etliche Fotos von buntschillernden Insekten haben meine Nerven zur Ruhe kommen lassen und ich bin wieder mit mir im Reinen.
Auf dem Parkplatz stehen nur noch wenige Fahrzeuge. Mehrere Familien mit Kindern versuchen, ihr Picknickzubehör zu verstauen, ohne ihren Nachwuchs aus den Augen zu verlieren.
An dem Wagen neben meinem lehnt ein Mann und nippt vorsichtig an einem Coffee-to-go-Becher.
Ich stelle meinen Rucksack in den Kofferraum und ziehe die Klappe herunter, um sie zu schließen. Zu spät bemerke ich, dass sich der Trageriemen meiner Kamera an der Ecke verhakt hat. Selbstverständlich reißt er und das Gerät fällt zu Boden.
„Scheiße!“, fluche ich lauthals und bücke mich, um es aufzuheben.
„Heute ist echt nicht mein Tag“, schimpfe ich vor mich hin. Das Ding ist mit der Seite auf einem spitzen Stein gelandet.
„Wegen eines kleinen Unfalls wollen Sie gleich einen ganzen Tag wegwerfen?“
Ruckartig hebe ich den Kopf. Die leicht amüsiert klingende Bemerkung kommt von dem Kaffeetrinker.
Ich unterziehe ihn einer genauen Musterung. Hellbraune Haare lugen ziemlich strubbelig unter seinem Basecap hervor. Seine ungewöhnlich dunkelgrauen Augen blitzen fröhlich.
Na, der macht mir Spaß.
„Ich würde gerne mehr als nur diesen Tag wegwerfen. Die kaputte Kamera ist nur das Tüpfelchen auf dem i“, meckere ich weiter.
Er schürzt die Lippen und drückt mir seinen Kaffeebecher in die Hand, während er mir zeitgleich die Kamera abnimmt, um sie zu untersuchen.
Ziemlich perplex starre ich den Typen an und suche nach Worten, die ihn in seine Schranken weisen.
„Hm, nur der Deckel des Batteriefachs ist herausgebrochen, das kann man ganz einfach reparieren und Ihren Fotos dürfte nichts passiert sein“, behauptet er und lächelt mich aufmunternd an.
„Und das wissen Sie woher?“, frage ich skeptisch.
Sein Grinsen wird geradezu frech, als er sagt: „Ich bin Brooks Ewing, mir gehört das Fotostudio im Westview Shopping Centre. Meine Angestellten reparieren quasi täglich solche Schäden.“
„Brooks Ewing? Der Brooks Ewing? Der Tierfotograf?“ Wer in Kanada kennt diesen Namen nicht?
„Höchstpersönlich!“ Mein Gegenüber nickt und lacht mich keck an. „Mein Ruf scheint mir vorauszueilen. Sie haben vergessen, die aufregenden Dokumentationen zu erwähnen.“
„Stimmt“, gebe ich zu. „Da lerne ich durch mein Missgeschick tatsächlich eine echte Berühmtheit kennen. Ich bin übrigens Owen Brady.“
Die Augenbrauen dieser unerträglichen Frohnatur rutschen in seine Stirn. „Der Philanthrop mit der genialen Spürnase?“
Diese Bezeichnung lässt mich hart auflachen.
„Ich glaube, niemand der mich näher kennt, würde mich so bezeichnen.“
„Wie? Spürnase?“, gibt er wölfisch grinsend zurück und ich fühle mich leicht verarscht.
„Der Philanthrop zeigt Ihnen gleich, wie gut er extrem fröhliche Menschen leiden kann“, knurre ich aufgebracht.
„Ich verrate Ihnen was: Vor ein paar Stunden hat ein etwa achtzig Kilo schwerer Mackenzie-Alpha an diesen Hosenbeinen geschnüffelt und überlegt, ob er mich fressen soll. Solange Sie das nicht überbieten können, machen Sie mir ganz sicher keine Angst mit Ihrer Griesgrämigkeit.“
Ach du Scheiße!
Ich kenne so ziemlich alle Fotos, die Ewing jemals irgendwo veröffentlicht hat und weiß, dass er immer extrem ungewöhnliche Aufnahmen schießt. Aber dass ein Wolf ihm so nahe gekommen sein soll, ohne ihn anzugreifen, halte ich für unwahrscheinlich.
„Und diese Story soll ich Ihnen glauben? Haben Sie Beweise?“, frage ich ironisch.
Er kichert. „Sie denken, ich hätte neben dem unterwürfigen auf dem Boden Herumliegen noch Zeit gehabt, meine Kamera zu zücken?“ Er mustert mich herausfordernd.
„Mister Ewing, ich kenne Ihre gesamte Arbeit. Wenn der Vorfall der Wahrheit entspricht, haben Sie sich solche Aufnahmen nicht entgehen lassen, egal wie gefährlich die Situation war.“
Er muss doch nicht meinen, dass er einen erfahrenen Profiler hinters Licht führen kann …
„Da ist sie ja, die Spürnase!“, feixt er und hebt die Kamerateile etwas an. „Ich kann sie mitnehmen und Sie holen sie sich morgen repariert im Laden ab, dann zeige ich Ihnen, wie waghalsig ich heute war.“
„Okay, ich nehme Sie beim Wort. Aber ich warne Sie. Wenn ich aufkreuze und Sie glänzen durch Abwesenheit, dann lernen Sie den richtigen Griesgram kennen.“ Ich lasse meinen Worten ein süffisantes Lächeln folgen, damit er weiß, dass ich es ernst meine.
„Sie haben eine merkwürdige Art, sich für die Reparatur Ihrer Kamera zu bedanken“, quittiert er ungerührt. „Sie können den Kaffee behalten!“
Der Kerl dreht sich einfach um und lässt mich blöde stehen. Während er ins Auto steigt, brülle ich ihm hinterher: „Ich bezahle die Reparatur, keine Sorge!“
Laut lachend fährt er an mir vorbei und besitzt die Unverschämtheit, mir die ganze Zeit zuzuwinken.
Kopfschüttelnd steige ich ins Auto und fahre nach Hause. Allerdings habe ich vorsorglich die Nummer seines Fahrzeugs in mein Handy getippt.
So fröhliche Menschen wie Brooks Ewing sind mir ein Gräuel. Sie nehmen nichts und niemanden ernst und merken dabei auch nicht, wie sehr sie anderen damit auf die Nerven gehen.
Ich verdränge die Gedanken an ihn und beschließe, Scott heute schon anzurufen. Mir doch egal, dass Sonntag ist und er dienstfrei hat. So kann ich mir während der langweiligen einstündigen Rückfahrt die Zeit damit vertreiben, ihn zusammenzuscheißen.
Scott und ich kennen uns seit Kindergartenzeiten. Er hat sich im Laufe der Jahre an meine grobe Art gewöhnt und steckt sie immer locker weg. Je unfreundlicher ich werde, desto mehr lacht er mich aus. Im Grunde ist er vom Typ her ähnlich wie Brooks Ewing.
Wieso kommt mir dieser Kerl wieder in den Kopf? Ich habe doch beschlossen, nicht weiter an ihn zu denken, weil mir seine Art auf die Nerven geht.
Wie erwartet, redet Scott sich damit heraus, dass er von der vermissten Melanie erst gehört hat, als ich mich schon um den Fall gekümmert habe. Wir verabreden uns für nächste Woche zum Abendessen bei mir, dann lege ich auf, da ich die Einfahrt zu meinem Haus erreicht habe.
Michelle erwartet mich bereits in der geöffneten Haustür. Sie hat meinen Wagen sicher vom Küchenfenster aus gesehen.
„Guten Abend Michelle. Ich muss gleich noch mal weg.“
„Guten Abend Owen. Aber vorher wirst du etwas essen. Du hast heute Morgen noch nicht mal gefrühstückt und wie ich dich kenne, hast du dir unterwegs auch nichts Essbares besorgt.“ Ihr strafender Blick würde selbst hartgesottenere Kerle als mich einschüchtern.
„Lass mich nur schnell duschen und mich umziehen, dann komme ich zu dir in die Küche. Ich habe keine Zeit, mich großartig im Esszimmer niederzulassen.“
Ich eile an ihr vorbei und ignoriere das unzufriedene Gebrummel.
Knapp eine halbe Stunde später sitze ich wieder im Wagen und mache mich auf den Weg zu den bedauernswerten Eltern des toten Mädchens.
[Krimi] Daddys Vermächtnis - Der erste Fall für Brady & Wolf
Der Fund zweier zerstückelter Leichen erschüttert den nördlich des Burrard Inlet gelegenen Teil von Metro-Vancouver.
~*~
Die Polizei von Vancouver konsultiert in solchen Fällen Owen Brady, einen der erfolgreichsten freiberuflichen Ermittler Kanadas, um dabei zu helfen, den Tätern schnellstmöglich das Handwerk zu legen.
Owen, der gerade erst frustriert von einem verlorenen Wettlauf gegen die Zeit zurückgekehrt ist, trifft auf einer Wanderung durch die Natur den in seinen Augen unerträglich fröhlichen Tierfotografen Brooks Ewing, was seine Laune nur weiter verschlechtert.
Die herausfordernde Art, wie dieser Ewing mit ihm umgesprungen ist, kann Owen nicht so einfach wegstecken.
Umso entspannter ist er, als die Polizei ihn wegen der Mehrfachmorde ins Boot holt und ihm Ablenkung bietet.
Während der Ermittlungen sieht er an fallrelevanten Orten immer wieder einen cremefarbenen, sehr großen Hund mit blauem Halsband, der seine Neugier weckt.
Was hat es mit dem Tier auf sich und wieso sitzt der Hund plötzlich verletzt in seinem Garten?
Innerhalb kürzester Zeit findet Owen in Sunny, wie er den exzentrischen Vierbeiner tauft, einen Freund und Gefährten, der ihn sogar bei den Ermittlungen im aktuellen Fall unterstützt.
Sunnys Spürnase erweist sich als sehr wertvoll, weckt jedoch zeitgleich großes Misstrauen in Owens Umfeld.
Wem gehört der Hund und … hat er gerade genickt?!
Mit Brady & Wolf haben Gerry und ich in ein neues Genre gestartet, von dem wir nicht wussten, inwiefern es uns wirklich liegt und ob unsere Leserschaft es mag.
Den bisherigen Rezensionen nach, sieht es so aus, als würden weitere Fälle folgen können. :)
Zu Kaufen/Leihen gibt es den ersten Fall hier: KLICK
April 7, 2022
[Making of] Die Wahrheit – Club Loveshack
Die Wahrheit – Club Loveshack
Wörter: ca. 110.000
Erscheinungsdatum: 10.3.2022
Schreibzeit: ca. 8 Wochen, unterbrochen durch eine mehrmonatige Schreibpause
Der dritte Teil dieser Serie, ganz frisch erschienen, hatte keine Vorlage in Sachen Erotik-Kurzgeschichte, sondern da gab es einen anderen Grund für die Story.
Nachdem Die Wohnung und Die Sucht ja für mehrere nun ‚inaktive‘ Mitglieder im Club Loveshack gesorgt haben, musste ich mir Nachschub suchen und einer der Neuen war ‚Yasin‘, ein Halbtürke.
Mein Kopfkino hat sofort losgelegt und da ich wusste, Sean wird der Hauptcharakter des dritten Teils, stand recht schnell fest, worum es gehen würde.
Natürlich war Seans Job ein weiteres ‚Hindernis‘, das es auf jeden Fall zu überwinden gelten würde und schwupp, entstand der Anfang der Geschichte (bis Kapitel 28) innerhalb kürzester Zeit.
Leider gab es danach ein echtes Tief bei mir, was das Schreiben anging und erst nach Monaten ging es weiter.
Der ‚Rest‘ bis hin zum 70. und letzten Kapitel ging dann wieder ‚rubbeldiekatz‘ und am zehnten März kam es raus.
In meinen Augen ist die Geschichte eine meiner besten, aber das Urteil muss ich letztlich wohl anderen überlassen.
Das Hauptthema des Buches geht um ein Thema, das viele als Einzelfall oder Seltenheit ansehen wollen – leider ist es das nicht.
Als ich herausfand, dass ein Drittel aller begangenen sogenannten ‚Ehrenmorde‘ tatsächlich an Männern verübt werden, wurde mir ganz anders und ich war mir sicher, dass ich darüber schreiben will.
Cover:
Hier mussten wir verschiedene Dinge kombinieren, um alles rüberzubringen.
Schließlich wurde Seans Schreibtisch das Motiv, auf dem ‚Polaroids‘ von Yasins Arbeit und der Briefumschlag von einer gewissen Zuschrift liegen.
#NatsNähkästchen
#ausGründengeschrieben
#DieWahrheitClubLoveshack
March 31, 2022
[Making of] Die Sucht – Club Loveshack
Die Sucht – Club Loveshack
Wörter: ca. 63.000
Erscheinungsdatum: 28.4.2021
Schreibzeit: ca. 8 Wochen
Auch eine der ersten Szenen aus dem zweiten Teil des Club Loveshack, ja, die Sexszene!, war einmal als Erotik-Kurzgeschichte geplant und sollte mit der aus Band 1 (Die Wohnung) in einer kleinen Anthologie unter anderem Pseudonym erscheinen.
Durch das ‚Vervollständigen‘ des ersten Bandes tauchten neue Charaktere aus dem Club ja bereits auf und mehrere Leser baten um eine Story über entweder Sebastian oder Sean.
Sebastian alias Satan machte das Rennen und diesmal habe ich beiden Hauptpersonen eine eigene Erzählstimme gegeben.
Das Thema Sucht war hier wichtig, weil Oliver, der zweite Erzähler, in einer Art Vergangenheits-Schleife steckte, sobald er einen Orgasmus erlebt hat.
Das war die Vorgabe und letztlich wurde schnell klar, dass Sebastian auch einer Sucht erliegen musste. In seinem Fall der nach Olivers Nähe.
Cover:
Tja, da hat eine sehr liebe Freundin geholfen, die mit mir gehirnt hat, weil Gerry und ich ewig gegrübelt haben, wie wir ‚Sucht‘ darstellen wollen.
Schließlich kam uns die Idee, dass eine Sucht Menschen zu Marionetten macht und jene Freundin hat glücklicherweise mehrere Marionetten in ihrem Haus hängen!
So war es nur noch eine Frage der Mithilfe ihres Mannes, dass ein Foto in passender Ausführung bei mir ankam.
#NatsNähkästchen
#ausGründengeschrieben
#DieSuchtClubLoveshack
March 24, 2022
[Making of] Die Wohnung - Club Loveshack
Die Wohnung - Club Loveshack
Wörter: ca. 34.000
Erscheinungsdatum: 13.3.2020
Schreibzeit: ca. 3 Wochen
Eigentlich … war die erste Szene dieser Geschichte als reine Erotik-Kurzgeschichte für ein anderes Pseudonym gedacht.
Dann jedoch fing Lukas an zu quasseln und mein Kopf hat mit ihm gemeinsam das ersponnen, was am Ende daraus wurde.
Dass die Geschichte von ihm und Nick so kurz geraten ist, lag ganz einfach an ihrem privaten Drama, dass deutlich harmloser ist als das vieler anderer Protagonisten.
Lukas ist der Ich-Erzähler und auch der alleinige Erzähler, was zusätzlich dazu geführt hat, dass der Umfang sich in Grenzen hielt.
Grundsätzlich ist ein zweiter Erzähler immer ein Garant für einen längeren Text.
Cover:
Geplant war hier eigentlich niemals, eine Reihe zu machen, das hatte ich jedenfalls nicht auf dem Schirm, als wir überlegt haben, wie das Cover aussehen soll.
Durch den Titel der Geschichte und die Prämisse, dass sich die Handlung sehr um die Wohnung drehte, war ein Klingelschild oder eine Wohnungstür die Grundidee, aber es blieb am Ende, damit man es lesen konnte, bei der Klingel mit dem Aufdruck.
#NatsNähkästchen
#ausGründengeschrieben
#DieWohnungClubLoveshack
March 11, 2022
[Leseprobe] Club Loveshack 3 - Die Wahrheit
Während ich in meinem Atelier – einem alten, großen Gewächshaus im Garten meiner Tante – stehe und eigentlich die nächste Schweißnaht an einer Metallskulptur machen sollte, fällt mein Blick immer wieder auf den Entwurf, der an der langen Pinnwand angepappt ist.
Eine Skizze für eine Statue, die Teil einer Skulptur werden soll.
Ein privates Projekt, das niemals in irgendeine Ausstellung kommen soll, weil es mir viel zu viel bedeutet.
Es ist nämlich passiert.
Das, was so überhaupt nicht in mein Leben passt. Weder in mein aktuelles noch in mein zukünftiges.
Ich. Habe. Mich. Verliebt.
Wann immer ich die Zeichnung ansehe, macht mein Magen seltsame Sachen, mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich grinse wie ein Vollhonk.
Shit, echt!
Dabei ist er einfach unglaublich … Perfekt!
Die Skulptur, die zur Hälfte aus einem lebensgroßen Abbild von ihm besteht, eines Tages irgendwo an einem geheimen Ort aufstellen zu können, ist zugleich verheißungsvoll und beängstigend.
Ich will ihn! Mit jeder Faser meines Seins, mit jedem Gedanken, jedem heimlichen Wunsch.
Aber das geht nicht. Niemals!
Nein, wenn ich ehrlich bin, würde es durchaus gehen – in genau dem Moment, in dem ich beschließe, mich zu outen und meinen gesamten Freundeskreis damit zu verlieren.
Halber Türke zu sein ist schon schwer genug, aber dann auch noch schwul?
Unvorstellbar in meinem Umfeld.
Nicht einmal meine Eltern oder meine zwei jüngeren Brüder wissen es!
Selbstredend auch nicht mein bester Freund oder die große türkische Clique, zu der ich gehöre.
Ich schätze, die meisten wären recht entsetzt, dass ich es mit Kerlen treibe …
Denn genau das tue ich sehr regelmäßig und diese Männer sind die einzigen, die wirklich wissen, was mich anmacht.
Ich konzentriere mich wieder auf die Schweißnaht und trete anschließend mit einem Grinsen von meinem neuesten Kunstwerk zurück.
Es ist fertig und der lebensgroße Pfau aus alten Schrauben, Muttern und Metallspänen sieht genauso aus, wie ich ihn haben wollte.
Nun muss ich nur noch die Nähte ordentlich abschleifen und ihn dann mit meinem kleinen Transporter zu den Nachbarn meiner Eltern bringen.
Sie haben den Pfau für ihren weitläufigen Garten bestellt, nachdem sie die Globus-Sonnenuhr im Vorgarten meiner Eltern gesehen haben.
Bislang verdiene ich durch derartige Mundpropaganda ein wenig Geld dazu, um mein Studium und die Einlieger-Wohnung im Haus meiner deutschen Tante zu finanzieren. Zudem macht es wirklich Spaß, die Figuren entstehen zu lassen, die andere sich später jahrelang – vielleicht sogar jahrzehntelang – ansehen wollen.
Ich bin bereits seit einem Jahr Bachelor of Arts und habe damit das reguläre Kunststudium absolviert, anschließend aber aus diversen Gründen noch einen Masterstudiengang angeschlossen, der im März des kommenden Jahres mit meiner schriftlichen und handwerklichen Masterarbeit abgeschlossen sein wird.
Eine Ausstellung gab es auch schon von mir, als unsere Stadt für ein Kulturprojekt nach Bildhauern und anderen Künstlern gesucht hat. Allerdings habe ich dort weniger Tiere als Fantasy-Wesen ausgestellt.
Ich liebe es, die Monster aus Science-Fiction- und Fantasy-Filmen aus Metall nachzubilden.
Sean, der Mann, der mich mit seiner bloßen Existenz schon in den Wahnsinn treiben kann, hat die Ausstellung zusammen mit seiner Mutter Jasmine besucht.
Au, verdammt! Nun denke ich schon wieder an ihn!
Nein, eigentlich an Jasmine und ihren Auftrag, denn Seans Mutter war so begeistert von meinen Metall-Tieren, dass sie sich eine Froschfamilie für ihren Fischteich gewünscht hat.
De facto ist das sogar die nächste Auftragsarbeit, bevor ich mein privates Projekt in Angriff nehmen kann.
~*~
Eine schlaflos und schweißnass verbrachte Nacht voller Gedanken an meine unwillkommenen Gefühle und die monströse Zwickmühle, in der ich stecke, lässt sich nur unter der Dusche halbwegs vertreiben und ich bin ziemlich mies gelaunt, als ich zur Uni fahre, um an meinen Kursen teilzunehmen.
Die Workshops vergehen in frustrierend langsamem Tempo und ich bin noch schlechter drauf, als ich wieder nach Hause komme.
Ich muss dringend zum Friseur. Mein Undercut mit hoch angelegtem Fade ist schon wieder zwei Wochen alt und die Stoppeln im Nacken machen mich irre.
Deshalb gehe ich nach einem schnellen Mittagessen zu meiner Cousine Serpil und ihrem Mann Adal, die einen richtig schicken Haarsalon besitzen.
Serpil begrüßt mich fröhlich und stellt mir sofort einen Kaffee und ein Glas Wasser hin, dann holt sie einen Stapel Zeitungen und vertröstet mich für eine Weile, weil Adal noch mit einem anderen Kunden beschäftigt ist.
Da ich ohne Termin aufgetaucht bin, ist das nicht weiter tragisch.
Wahllos schnappe ich mir eine der Zeitschriften. Wenn ich beim Friseur sitze, ist mir furchtbar egal, ob ich ein Klatschblättchen lese oder ein Wissenschaftsmagazin.
Ich blättere einfach nur durch, überfliege, lese quer, in diesem hier ist sogar ein Interview mit einer Schauspielerin, die ich echt gern sehe.
Mich nerven die belanglosen Fragen, die man ihr gestellt hat, und ich blättere ziemlich schnell weiter.
Eine Doppelseite klappt auf, auf der eine Frau Doktor Gertrud Bruckner mir werbewirksam entgegenlächelt. Diese Rubrik habe ich schon in etlichen Zeitungen gesehen, sogar in der Hurra, die ich als Teenie immer gelesen habe.
Leser fragen, Frau Doktor antwortet.
Na dann, weide ich mich halt ein wenig am vermeintlichen Leid meiner Mitmenschen und lese, welch armseligen Probleme diese wohl haben könnten.
Tja, schon die zweite Frage mit dazugehöriger Antwort demonstriert mir nachhaltig, dass es keineswegs um Luxusproblemchen geht, sondern um echte Schwierigkeiten.
Manche brauchen therapeutische Hilfe, andere haben Fragen in Sachen Sexualleben, wieder andere haben medizinisch-peinliche Fragen, die sie offenbar lieber halbanonym in einer Zeitschrift breittreten, als ihren Hausarzt zu fragen …
Hm, interessant!
Da ist eine Transfrau, die nicht weiß, wie sie ihrer Ehefrau sagen soll, dass sie eben kein Mann ist. Was hat Frau Doktor darauf wohl geantwortet?
Ich lese beide Abschnitte gründlich und bin angenehm überrascht von der feinfühligen und gelungenen Antwort der Kummerkastentante.
Ohne lange nachzudenken, klappe ich das Magazin zu, um dessen Namen zu lesen.
Illu für die Frau, aha.
Okay, dann hat wenigstens dieses Heftchen offenbar eine erstzunehmende Rubrik zu bieten – also abgesehen vom Kreuzworträtsel …
Hätte ich neben der drölfhundertvierzigsten Diät, dem eine millionsten So-kaschieren-Sie-Ihre-unmögliche-Figur-Tipp und dem neuesten Mondschein-Horoskop wirklich nicht vermutet.
Ist wahrscheinlich so wie die ‚ernsten Reportagen‘, die man im Playboy findet …
Ich beschließe, die anderen Zeitschriften, die Serpil mir hingelegt hat, auch noch nach diesen Kummerkasten-Rubriken zu durchsuchen, und finde tatsächlich zwei weitere.
Auch die dort erwähnten Doktorinnen klingen sehr nett und einfühlsam, weshalb mir der Verdacht kommt, dass es sich bei dieser Sparte nicht um standardisierte Textbausteine, sondern um echte recherchierte Antworten handeln muss.
Ob diese Frau Doktor Bruckner vielleicht auch einen Rat für mich hat?
Im Geiste formuliere ich auf überzogene Art meine Fragestellung: Hallo Frau Doktor. Ich bin halber Türke und als solcher ein Vollmacho, quasi ‚geburtsbedingt‘. Dabei stehe ich auf Kerle und weiß nicht, wie ich mich outen soll oder ob ich es muss, wenn ich irgendwann mal so was Ähnliches wie eine Beziehung haben will.
Ich pruste leise und lege die Zeitung wieder weg.
Unmöglich, dahin zu schreiben.
Das ist nun wirklich unter meiner Würde, oder nicht?
Ich sehe in die breite Spiegelfront vor mir und beobachte den Mann meiner Cousine.
Adal ist hetero, er und Serpil haben drei Kinder.
Was würde er wohl sagen, wenn ich ihm erzählte, dass ich schwul bin und ausschließlich Männer flachlege?
Shit, solche Gedanken bringen nichts!
Vielleicht sollte ich doch einfach mal mit meinem deutschen Vater reden?
Aber er macht genau die gleichen dämlichen Schwulensprüche wie alle anderen in meinem Umfeld!
Also alle außerhalb des Club Loveshack …
~ Fremde Probleme
„Ich habe dir alle neuen Zuschriften in den Posteingang gelegt, Seany!“, verkündet meine Assistentin Charlotte, als ich die gut klimatisierten Büroräume unserer Redaktion betrete.
„Danke, Süße. Ich schaue sie gleich durch.“ Ich werfe meine Tasche auf den Schreibtisch und hänge meine Jacke an die Garderobe in der Ecke meines Büros, um anschließend zuerst einen Abstecher zur Teeküche zu machen.
Ich brauche Kaffee!
Auch wenn ich gebürtiger Brite bin, läuft mein Körper quasi nur auf Kaffee.
In der offenstehenden Bürotür stoße ich beinahe mit Charlotte zusammen, die einen verheißungsvoll duftenden Becher voller schwarzem Trinkgenuss für mich anliefert.
„Oh, tausend Dank, Süße! Ist irgendetwas Spannendes dabei gewesen?“, frage ich, den Becher übernehmend, und deute auf den Eingangskorb auf meinem Schreibtisch.
„Wie man es nimmt“, sie hebt die Schultern, „vielleicht gefällt dir ja, was ich ganz obenauf gelegt habe.“
Grinsend gehe ich zu dem ergonomisch angepassten Bürostuhl, um mich darauf fallen zu lassen. „Mal sehen …“
Ich greife nach dem ersten der Briefe, denn ganz klassisch sind etliche, etwa sechzig Prozent, aller Zuschriften an meine Rubrik noch immer postalisch.
Der Rest erreicht eine der fünf E-Mail-Adressen, die ich benutze.
Vier Wochen- und ein Monatsmagazin, allesamt mit der Hauptzielgruppe Frauen, betreue ich in der Sparte: Sie fragen, wir antworten.
Da sich viele Fragen doppeln, heftet Charlotte die entsprechenden Mehrfach-Einsendungen zusammen und ich suche mir aus, wessen Text ich für die Fragestellung und meine Beantwortung nutze.
Ich bin übrigens Frau Doktor Annegret Kiesewetter, Frau Doktor Gertrud Bruckner, Herr Doktor Erwin Fassbruch, Frau Doktor Elisabeth Schmeinck und Frau Doktor Lisa von Birkenthal.
Tja, eigentlich bin ich Herr Doktor Sean William Jenkins, aber für die Zeitschriften mussten es andere Namen sein.
Genau genommen sind alle frei erfunden, haben eine ebensolche Vita, die seit Ewigkeiten existiert und auch von meinen Vorgängern schon verwendet wurde, um den hilfesuchenden Leserinnen eine Anlaufstelle zu bieten.
Charlotte steht noch neben meinem Schreibtisch, während ich die in ihren Augen wichtigste Zuschrift überfliege.
Der Einsender ist ein Mann, was an sich schon erstaunlich ist, und er ist offenbar schwul und sehr unglücklich.
Hm, tatsächlich genau das, was ich sehr gern beantworten werde.
Ich nicke vor mich hin, schürze die Lippen und sehe zu Charlotte. „Volltreffer, Süße. Ich schau den restlichen Stapel in Ruhe durch.“
„In Ordnung, wenn du was brauchst, ruf mich, ich kümmere mich jetzt erst mal um die E-Mails für Doktor Annegret.“
Wir kichern beide blöde, auch wenn das mit Sicherheit sehr fehl am Platze ist.
„Mach das. Denk dran, dass wir Ende der Woche auch für die Chatterbox liefern müssen.“
„Hey, normalerweise bin ich diejenige, die dich an den Zeitplan erinnern muss!“, erwidert sie lachend.
Ich grinse frech und widme mich nun endlich mit voller Aufmerksamkeit dem Brief von ‚Yilmaz S.‘.
Ich wende mich an Sie, weil ich einfach nicht mehr weiterweiß.
Seit etwa sechs Jahren bin ich mir sicher, dass ich schwul bin, und bislang hatte ich auch nie Probleme damit, anonymen und unverbindlichen Sex zu suchen und zu finden.
Seit kurzem gibt es aber einen Mann in meinem Leben, bei dem ich feststelle, dass ich ihn nicht mit anderen teilen und ganz für mich allein haben will.
Mein Problem dabei ist, dass eine direkte Annäherung meinerseits an diesen Mann meinem aufgebauten und sehr gepflegten Image absolut widersprechen würde.
Ich genieße meine Ungebundenheit, propagiere das auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Wie komme ich aus dieser Zwickmühle heraus, ohne mein Image aufzugeben?
Dadurch, dass ich zur Hälfte Türke bin, muss ich meinem türkischen Freundeskreis gegenüber auf jeden Fall der Macho und coole Draufgänger bleiben, der ich aktuell bin. Natürlich ungeoutet!
Wie gesagt, ich weiß nicht weiter. Vielleicht haben Sie einen Rat für mich?
Mit freundlichen Grüßen
Yilmaz S.
Ich greife blind nach meinem Kaffeebecher und lese den Text mehrfach.
Junge, Junge, der hat sich aber in eine blöde Lage gebracht …
Mir ist durchaus bewusst, dass die Zugehörigkeit zu zwei Kulturkreisen mitunter für Probleme sorgen kann, aber der Gute scheint es in diesem Fall mit seinem Image eindeutig übertrieben zu haben.
„Hm“, mache ich und lege den Brief beiseite. Bevor ich darauf antworten kann, muss ich gründlich nachdenken.
Immerhin erfordert mein Rat an ihn einiges an Fingerspitzengefühl, um niemanden zu beleidigen.
Zu unseren Leserinnen gehören ganz sicher auch türkisch-stämmige Frauen, die nicht amüsiert sind, wenn ich ihm nun geradeheraus rate, zu sich und seiner Sexualität zu stehen und auf seinen Macho-Freundeskreis zu pfeifen.
Die anderen Zuschriften sind nur mäßig spannend, manche erfordern echte Standardantworten, die Charlotte sich aus einem Pool ebensolcher heraussuchen könnte, um sie zu beantworten.
Ich kümmere mich darum, Zeitschrift für Zeitschrift abzuarbeiten, und leite die fertigen Frage-Antwort-Texte an den jeweiligen Redakteur weiter.
Bereits kurz nach der Mittagspause bin ich für heute mit dem Standardkram durch und kann mich wieder Yilmaz und seinem Problem widmen.
Zu diesem Zweck will ich mit einem türkischen Kollegen sprechen, der in der Redaktionsabteilung Mode arbeitet.
Wie ich weiß, ist er absolut hetero und wird mir zumindest verraten können, wie Yilmaz’ Freunde ein mögliches Coming-out aufnähmen.
Unser Verlagshaus ist riesig. Während ich in einem der Stockwerke arbeite, die für mehrere der angebotenen Illustrierten schreiben, beansprucht das Magazin, für das Ahmet arbeitet, eine ganze Etage.
„Ahmet, hast du ein wenig Zeit für mich?“, frage ich, als ich zwei Stockwerke höher in das Großraumbüro der Modeabteilung eintrete.
Wie immer herrscht heilloses Chaos in dem weitläufigen Raum.
„Hey Sean, gib mir zwei Minuten!“, ruft Ahmet zurück und ich schlendere durch das Büro, um hier einen Blick auf Laufstegfotos, dort einen auf einen Haufen Handtaschen zu werfen.
An den Wänden hängen die aktuellen Themenvorgaben, anscheinend ist gerade irgendeine Modewoche irgendwo auf der Welt, über die berichtet werden soll.
Natürlich nehmen die Themen Mode und Make-up in einer Frauenzeitschrift den größten Anteil ein.
Entsprechend ist dies hier auch nur die Redaktion für eine der fünf Zeitungen, für die ich arbeite.
Gegenüber, in einem ähnlich großen Bürosaal, ist das Team Make-up eingerichtet.
„So, jetzt habe ich Zeit für dich. Was gibt’s?“, will Ahmet wissen, und nickt in Richtung Küchenzeile. Offensichtlich braucht er einen frischen Kaffee.
„Ich habe ein paar Fragen an dich bezüglich des Alltags eines Türken in Deutschland“, beginne ich, kaum dass wir uns eine ruhige Ecke auf einem der breiten Flure gesucht haben.
„Oh! Das klingt spannend! Was genau willst du wissen?“
„Ich habe eine Zuschrift von einem Deutsch-Türken, der in seiner türkischen Clique als ziemlicher Macho auftritt. Er ist schwul und natürlich nicht geoutet, hat sich nun aber offenbar in einen Kerl verguckt und weiß nicht, wie er das hinbekommen soll.“
„Wow … Das wird verdammt schwierig.“ Ahmet mustert mich betroffen.
„Das hatte ich befürchtet. Ich würde ihm grundsätzlich dazu raten, diskret zu bleiben und sich nicht schlagartig zu outen. Trotzdem soll er aber ruhig sein Glück versuchen, finde ich. Bislang scheint er sich mit unverbindlichen Geschichten über Wasser zu halten.“
„Ja, ich stimme zu, sich zu outen, könnte fatal enden. Immerhin ist er nur halber Türke, weshalb er es in der türkischen Gemeinde sowieso schon nicht leicht hat.“
„Okay, dann werde ich versuchen, diese Aspekte einzubeziehen, wenn ich ihm antworte.“
„Willst du das in deiner Rubrik tun?“, fragt er.
„Ja, eigentlich schon, deshalb wollte ich ja ein wenig Hintergrund von dir.“
Wir reden noch eine Weile, vor allem darüber, wie ich alles politisch korrekt formulieren kann, dann kehre ich in mein Büro zurück.
[Roman] Club Loveshack 3 - Die Wahrheit
Man sagt, wahre Liebe wartet, doch worauf wartet sie, wenn äußere Umstände sogar das Leben bedrohen könnten?
~*~
Yasin Schneider ist als halber Türke in der türkischen Gemeinschaft Bierkens voll integriert und nicht einmal sein bester Freund weiß, dass er schwul ist.
Durch den Club Loveshack wird sein Leben einfacher, doch das ändert sich, als er sich verliebt.
Gefangen zwischen Geheimniskrämerei und seinen Bedürfnissen und Wünschen, schreibt er an die Kummerkastentante eines Frauenmagazins, die ihm Mut macht und ihn immer wieder berät.
Aber kann ihm eine Fremde wirklich helfen, seinen Weg zu gehen?
~*~
Sean, der sich sehr ausgiebig in der Wohnung des Club Loveshack vergnügt, hat keinerlei Ambitionen, etwas an seinem Status quo zu ändern.
Er liebt seinen Job, seine Freiheit und die Zwanglosigkeit seines Liebeslebens.
Aber es kommt der Tag, an dem er sich eingestehen muss, dass er ein Mitglied des Clubs deutlich näher an sich herangelassen hat, als er es jemals wollte.
Kann er aufs Ganze gehen oder wird er feige verschwinden, bevor die Dinge zu ernst werden können?
~*~
Zwei Leben, verflochten und dabei so unterschiedlich, verstrickt in Gefühle, Ängste und Gefahr.
Am Ende heißt die einzige Frage: Wahrheit oder Flucht?
Zu Kaufen gibt es diesen dritten Teil der Reihe hier: KLICK


