Kein anderes Land Quotes

Rate this book
Clear rating
Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel (German Edition) Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel by Sarah Levy
22 ratings, 4.73 average rating, 7 reviews
Kein anderes Land Quotes Showing 1-10 of 10
“«Aber haben wir denn kein Recht darauf, uns sicher zu fühlen?!» Jetzt springt meine Schwiegermutter auf, läuft in die Küche. Sie bleibt an der Spüle stehen, mit dem Rücken zu mir. Dann dreht sie sich um: «1956, 67, 73, 82», sagt sie mit bebender Stimme, «danach erinnere ich mich nicht mal mehr, wie viele Kriege und Auseinandersetzungen es waren. Immer war irgendwas. 1990, 91, im Golfkrieg, da spannten wir Kaugummi auf die Luftritzen am Fensterrahmen, in die Schlüssellöcher, oder Klebstoff. Aus Angst vor einem Gasangriff. Ich saß mit drei kleinen Kindern allein zu Hause, mit Gasmaske, mein Mann in der Reserve … » Sie verstummt. Dann sagt sie mit gepresster Stimme: «Inzwischen weiß ich: Entweder sie oder wir. Wir müssen uns von ihnen trennen, vollkommen, eine undurchdringliche Mauer zwischen uns bauen. Anders geht es nicht.»”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Der 7. Oktober hat so viel mehr erschüttert als unser Gefühl von Sicherheit. Wer wir waren, was wir glaubten, wer wir hofften zu sein – das alles spielt seither keine Rolle mehr. Diese neue, sich radikalisierende Welt zwingt uns, unsere Umgebung und uns selbst mit neuen Augen zu sehen: Wer sind wir? Als Volk, als Menschen. Welche Israelis wollen wir sein? Wir müssen uns neu auf die Suche begeben nach dem, was geblieben ist nach dem 7. Oktober von unserem alten Selbst. In der Hoffnung, dass überhaupt etwas geblieben ist.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Die israelische Gesellschaft ist schon lange ein schillerndes Mosaik zwischen zwei Polen –Demokratie und Religion. Wie könnte es auch anders sein mit einem Volk voller Widersprüche: Säkulare, Traditionsbewusste, Religiöse, Modern-Orthodoxe, Ultraorthodoxe, Siedler. Und alles dazwischen. Mit den Palästinensern Israels. Mit Juden, Muslimen, Christen, Drusen, Baha’i … Viele dieser Gruppen haben ihren eigenen Lebensstil, spezielle Überzeugungen und kollidierende Vorstellungen von den wichtigsten Bereichen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Von Ehe und Scheidung, Wehrpflicht, Geschlechtertrennung, Bildung, Toleranz für Minderheiten, Einstellung zu den Palästinensern und zur Zwei-Staaten-Lösung. Und so viel mehr. Dieses Mosaik aus Widersprüchen hält nur mit Kompromissen. Und einer Führung, die das Volk der Israelis mehr oder weniger zusammenbringt. Ansonsten kommt es zu gefährlichen Rissen. Wenn ich heute auf Israel blicke, sehe ich vor allem ein Land, das sich von innen zerreißt. Menschen, die mit ihren Wurzeln um sich schlagen, als seien sie Waffen.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Es ist schon verrückt, denke ich. Wir Juden sind ein so kompliziert diverses Volk, mit einer solchen Vielfalt an Traditionen, Meinungen, Überzeugungen, Mentalitäten, politischen Loyalitäten. Von der Welt fordern wir ständig, dass man unsere Vielfalt anerkennt. Uns nicht dämonisiert, nicht über einen Kamm schert mit den Radikalen, mit den Hetzern unter uns. Die gleiche Vielfalt aber sprechen wir den Palästinensern und oft auch den Arabern, den Muslimen ab. So viele Israelis gehen davon aus, dass die andere Seite weniger divers denkt und fühlt oder wählen würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Der oberflächliche Grund dafür lautet: Rassismus. Aber er geht tiefer als das. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre, Jahrzehnte. Terror, Raketen, Krieg, wieder und wieder. Der Alltag in Israel ist darauf ausgerichtet, Mauern zu den arabischen Nachbarn zu bauen. Sei es ein Zaun, eine Betonmauer, eine physische Grenze. Oder eben eine unsichtbare, eine Gedankenmauer. Mauern schützen, aber sie versperren eben auch den Blick. Und in Israel ist es oft leichter, nicht wissen zu wollen, was auf der anderen Seite passiert, als sich mit der Realität der Besatzung auseinanderzusetzen. Oder mit den Auswirkungen der Handlungen der eigenen Armee.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich spüre nicht mehr diese Leichtigkeit, diese Zuversicht, diese Sicherheit, die ich vor vier Jahren fühlte, als ich ankam, um mein Leben hier zu beginnen.
Das Israel von damals kommt mir vor wie einem Traum entsprungen. Zu schön, um wahr zu sein. Zu sonnig, zu liebevoll, zu willkommen heißend. Zu friedlich. Das Israel, das ich in den vergangenen Monaten erlebt habe, ist ein Land der Extreme. Wütend. Unversöhnlich. Ein Land kurz vor dem Bürgerkrieg. Milchemet Achim lautet der Ausdruck im Hebräischen, übersetzt heißt das «Brüderkrieg». Ich habe ihn zu oft gehört in den vergangenen Monaten. Tatsächlich ist es ein Konflikt zwischen Nachbarn, Familienmitgliedern, Freunden, zwischen Menschen, die plötzlich zu merken scheinen, dass sie entgegengesetzte Vorstellungen davon haben, wie ihre gemeinsame Heimat aussehen soll. Und die keine Toleranz für jene haben, die das anders sehen. Radikale Politiker – und es gibt auf einmal so, so viele von ihnen – schlagen mit spaltenden Worten auf das Fundament ein, auf den Gesellschaftsvertrag dieses Landes. Sie gedeihen am Hass, am Misstrauen, an der Unvereinbarkeit. Mit vergiftenden Ideen und manipulativen Worten greifen sie das Mosaik der Gesellschaft an, das sowieso schon brüchig geworden ist. Die aufgeheizte Stimmung in diesem Jahr hat mich misstrauisch gemacht, oft Schlimmes befürchtend. Das geht über die normale Muttersorge hinaus. Ich kann das Gefühl nicht mehr abschütteln, dass Israel sich auf einen Abgrund zubewegt, und ich frage mich nicht mehr ob, sondern: Wann gehe ich, bevor ich mitgerissen werde? Doch ich treffe Entscheidungen nicht mehr für mich allein.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich spüre nicht mehr diese Leichtigkeit, diese Zuversicht, diese Sicherheit, die ich vor vier
Jahren fühlte, als ich ankam, um mein Leben hier zu beginnen.
Das Israel von damals kommt mir vor wie einem Traum entsprungen. Zu schön, um wahr zu sein. Zu sonnig, zu liebevoll, zu willkommen heißend. Zu friedlich. Das Israel, das ich in den vergangenen Monaten erlebt habe, ist ein Land der Extreme. Wütend. Unversöhnlich. Ein Land kurz vor dem Bürgerkrieg. Milchemet Achim lautet der Ausdruck im Hebräischen, übersetzt heißt das «Brüderkrieg». Ich habe ihn zu oft gehört in den vergangenen Monaten. Tatsächlich ist es ein Konflikt zwischen Nachbarn, Familienmitgliedern, Freunden, zwischen Menschen, die plötzlich zu merken scheinen, dass sie entgegengesetzte Vorstellungen davon haben, wie ihre gemeinsame Heimat aussehen soll. Und die keine Toleranz für jene haben, die das anders sehen. Radikale Politiker – und es gibt auf einmal so, so viele von ihnen – schlagen mit spaltenden Worten auf das Fundament ein, auf den Gesellschaftsvertrag dieses Landes. Sie gedeihen am Hass, am Misstrauen, an der Unvereinbarkeit. Mit vergiftenden Ideen und manipulativen Worten greifen sie das Mosaik der Gesellschaft an, das sowieso schon brüchig geworden ist. Die aufgeheizte Stimmung in diesem Jahr hat mich misstrauisch gemacht, oft Schlimmes befürchtend. Das geht über die normale Muttersorge hinaus. Ich kann das Gefühl nicht mehr abschütteln, dass Israel sich auf einen Abgrund zubewegt, und ich frage mich nicht mehr ob, sondern: Wann gehe ich, bevor ich mitgerissen werde? Doch ich treffe Entscheidungen nicht mehr für mich allein.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich habe meinem Sohn ein Erinnerungs-Schatz-Glas geschenkt, so nenne ich es, denn er ist noch zu klein für solche Worte. Darin liegen bisher eine getrocknete Zitrone, eine Muschel und ein Stein. Dinge, die er selbst gefunden hat und bestaunt. Ich habe sie aufgehoben. Oz soll den Wert von Erinnerungen lernen, das ist mir wichtig. Dass uns Menschen und Orte manchmal verloren gehen, aber mit den Erinnerungen tragen wir ihre Geschichten in uns. Für den Fall, dass wir irgendwann nicht mehr hier leben werden. Der Gedanke
kam mir in diesem Jahr so oft. Ich habe meine Heimat hinter mir gelassen, Deutschland. Ich entschied, in Israel zu leben. Aber die Erinnerungen an meine Kindheit, mein Aufwachsen, mein erwachsenes Leben in Deutschland – sei es durch meinen alten Teddybären, den Bettbezug mit dem Tröpfchenmuster, meine orangefarbene Lieblingstasse – kann mir niemand nehmen.
Es ist wichtig, sich zu erinnern. Viele Erinnerungen formen ein Leben. Wer sind wir ohne sie? Mein Schwiegervater erzählt stolz, er lösche Erinnerungen, die er nicht mehr brauche. Er mag das Gefühl, im Jetzt zu stehen, es sei das Einzige, was zähle. Er löscht sie aber nicht wirklich. Er verdrängt sie, bis er sie irgendwann vergisst. Was er wohl erlebt hat, das er am liebsten löschen will? «Alles nicht wichtig», sagt er. Aber wenn alles nicht wichtig ist – wozu war es dann überhaupt?”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich glaube nicht an Vorahnungen. Und doch muss ich später immer wieder an diesen Moment denken. Warum lief mein Sohn nicht wie sonst nach der Betreuung in meine Arme? Warum hielt er sich so verzweifelt an Marwa fest, als ob er sie nach dem Wochenende nicht wiedersehen würde? Wenn das eigene Leben sich radikal ändert, erhält Gewöhnliches plötzlich eine Bedeutung. Wird zu dem Versuch zu erklären, was sich nicht erklären lässt. Gibt dem «Zuvor» ein Gewicht, um das «Danach» begreifbarer zu machen. Ich dachte nach dem 7. Oktober 2023 oft: Vielleicht spürte Oz, dass dies ein Abschied sein würde. Dass dieser Donnerstagnachmittag, der 5. Oktober, nicht nur der Beginn eines sonnigen Herbst-Wochenendes in Israel war. Sondern dass weniger als 48 Stunden später eine Katastrophe geschehen würde, die alles veränderte. Das Leben unserer Familie. Das Leben von Marwa. Und das Land, das wir alle unser Zuhause nennen.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich glaube nicht an Vorahnungen. Und doch muss ich später immer wieder an diesen Moment denken. Warum lief mein Sohn nicht wie sonst nach der Betreuung in meine Arme? Warum hielt er sich so verzweifelt an Marwa fest, als ob er sie nach dem Wochenende nicht wiedersehen würde? Wenn das eigene Leben sich radikal ändert, erhält Gewöhnliches plötzlich eine Bedeutung. Wird zu dem Versuch zu erklären, was sich nicht erklären lässt. Gibt dem «Zuvor» ein Gewicht, um das «Danach» begreifbarer zu machen.
Ich dachte nach dem 7. Oktober 2023 oft: Vielleicht spürte Oz, dass dies ein Abschied sein würde. Dass dieser Donnerstagnachmittag, der 5. Oktober, nicht nur der Beginn eines sonnigen Herbst-Wochenendes in Israel war. Sondern dass weniger als 48 Stunden später eine Katastrophe geschehen würde, die alles veränderte. Das Leben unserer Familie. Das
Leben von Marwa. Und das Land, das wir alle unser Zuhause nennen.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel
“Ich glaube nicht an Vorahnungen. Und doch muss ich später immer wieder an diesen Moment denken. Warum lief mein
Sohn nicht wie sonst nach der Betreuung in meine Arme? Warum hielt er sich so verzweifelt an Marwa fest, als ob er sie nach dem Wochenende nicht wiedersehen würde? Wenn
das eigene Leben sich radikal ändert, erhält Gewöhnliches plötzlich eine Bedeutung. Wird zu dem Versuch zu erklären, was sich nicht erklären lässt. Gibt dem «Zuvor» ein Gewicht,
um das «Danach» begreifbarer zu machen.
Ich dachte nach dem 7. Oktober 2023 oft: Vielleicht spürte Oz, dass dies ein Abschied sein würde. Dass dieser Donnerstagnachmittag, der 5. Oktober, nicht nur der Beginn eines
sonnigen Herbst-Wochenendes in Israel war. Sondern dass weniger als 48 Stunden später eine Katastrophe geschehen würde, die alles veränderte. Das Leben unserer Familie. Das
Leben von Marwa. Und das Land, das wir alle unser Zuhause nennen.”
Sarah Levy, Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel