Kindle Notes & Highlights
Günter Grass aus Danzig,
Am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, als Plozk zu Preußen gehörte und der Mittelpunkt jener Provinz war, die man Neuostpreußen nannte, amtierte dort ein junger Regierungsrat, ein auffallend und vielseitig begabter Jurist: E.T.A. Hoffmann.
Daß sie am selben Tag wie Goethe geboren worden war, wollte sie, vermute ich, als Symbol verstehen.
»Jungfrau von Orleans«
Schiller
Anders als mein Vater, der mehrere Sprachen beherrschte – Polnisch und Russisch, Jiddisch und, wie beinahe jeder gebildete Jude in Polen, natürlich auch Deutsch –, war meine Mutter nicht sprachgewandt: Bis zum Ende ihres Lebens, bis zum Tag, an dem man sie in Treblinka vergaste, sprach sie zwar ein makelloses, ein besonders schönes Deutsch, aber ihr Polnisch war, obwohl sie in diesem Land Jahrzehnte gewohnt hatte, fehlerhaft und eher dürftig.
so sehnte sich meine Mutter nach jener Metropole, die in ihren Augen Glück und Fortschritt symbolisierte
Und die meisten dieser gebildeten Juden lasen selbstverständlich deutsche Zeitungen. Bei uns wurde das »Ber-liner Tageblatt« abonniert.
Unter den Zöglingen des in der Nachbarschaft der Kathedrale befindlichen Priesterseminars war in den Jahren 1489 bis 1491 ein junger Mann aus Thorn: Nikolaus Kopernikus.
Wenn ich in meiner frühen Kindheit gelegentlich von Gleichaltrigen bespöttelt wurde, so hatte dies mit einem belanglosen Umstand zu tun, den ich aber bis heute nicht vergessen kann. Ich war fünf oder sechs Jahre alt, als meine Mutter während eines kurzen Besuchs bei ihrer Berliner Familie in einem Kaufhaus Kindergarderobe mit der Aufschrift »Ich bin artig« sah. Das fand sie amüsant. Ohne die möglichen Folgen zu bedenken, ließ sie auf meine Blusen und Kittel – wieder einmal etwas weltfremd – ebendiese Aufschrift in polnischer Übersetzung sticken. Rasch wurde ich zum Gespött der Kinder – und
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Wenn ich diese Geschichte heute deutschen Autoren erzähle, füge ich hinzu: »Und er hat es bis heute nicht gelernt.« Unseren oft mit einem kindlichen Gemüt gesegneten Schriftstellern bereitet diese Äußerung geradezu diebisches Vergnügen.
war keines der großen Kunstwerke jener Zeit, wohl aber ein Roman, der damals ganz Europa irritierte: Remarques »Im Westen nichts Neues«.
Damals habe ich wohl zum ersten Mal in meinem Leben das Wort »Deutschland« gehört – und es klang nicht gerade freundlich.
In der Charlottenburger Volksschule erging es mir nicht so schlecht: Ich wurde weder geprügelt noch schikaniert. Aber ganz einfach war es nun doch nicht. Indes haben mir nicht die Lehrer den Alltag erschwert, sondern die Mitschüler. Sie sahen in mir – und verwunderlich war das nicht – den Ausländer, den Fremden. Ich war etwas anders gekleidet, ich kannte ihre Spiele und Scherze nicht, noch nicht. Also war ich isoliert. Schlichter ausgedrückt: Ich gehörte nicht dazu.
Dafür bekam ich eine kräftige Ohrfeige. Ja, in preußischen Gymnasien wurde man vom Lehrer geohrfeigt, nicht nur in der Sexta, sondern mit Sicherheit auch noch in der Quinta.
Erich Kästners »Emil und die Detektive«, ein »Roman für Kinder«.
anders als bei Karl May, frei vom Exotischen, vom Pathetischen und vom Bombastischen.
Was Kästner erzählte, spielte sich nicht in fernen Zeiten und Ländern ab, es passierte hier und heute: auf Berliner Straßen und Höfen, also dort, wo wir uns auskannten. Die Personen, die hier auftraten, sprachen wie wir alle, die wir in der Großstadt aufwuchsen. Das ist es: Die Glaubwürdigkeit dieses Buches und somit auch sein Erfolg beruhten vor allem auf der Authentizität der Alltagssprache.
Exilliteratur
Doch las ich Kästner nicht mehr, ich war ihm, glaubte ich, mittlerweile entwachsen, auch seinen Gedichten. Vergessen konnte ich ihn allerdings nicht.
Ich meine Franz Werfels »Die vierzig Tage des Musa Dagh«, die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Armenier während des Ersten Weltkriegs. In ihrem Schicksal glaubten viele jüdische Leser Parallelen zur eigenen Situation erkennen zu können.
Heine.
Erich Kästners
Reportagen von Joseph Roth
Shakespeares »Sturm«
Ich habe Knick noch mehrfach in seiner Steglitzer Wohnung besuchen dürfen – stets um 17 Uhr nachmittags, und stets klopfte um 18 Uhr seine Frau an die Tür, zum Zeichen, daß ich mich zu verabschieden hatte.
Aber schon damals machte er auf mich den Eindruck eines müden und resignierten Mannes.
ihm helfen.
Den beinahe traditionellen Konflikt zwischen Vater und Sohn habe ich also nie kennengelernt. Wie hätte auch ein solcher Konflikt entstehen können, da ich meinen Vater niemals gehaßt und leider auch niemals geachtet, sondern immer bloß bemitleidet habe.
Einer jüdischen Maxime zufolge
einen Aphorismus Lichtenbergs fand, der mich geradezu erleuchtete – die knappe Bemerkung, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, bedeute in Wirklichkeit, der Mensch habe Gott nach seinem Ebenbild geschaffen.
Was ich der jüdischen Religion vor allem vorzuwerfen habe, läßt sich mit Versen aus dem »Faust« andeuten: Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine ewge Krankheit fort, Sie schleppen vom Geschlecht sich zu Geschlechte Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Das ist es, was ich an der mosaischen Religion nicht ertragen kann: ihre Weigerung und Unfähigkeit, unzählige seit Menschengedenken existierende, aber längst sinnlos gewordene Gebote und Vorschriften abzuschaffen oder zumindest zu reformieren.
Schon sehr früh, ich muß es unmißverständlich sagen, habe ich am Verstand jener gezweifelt, die derartige Gebote streng erfüllten.
Aber ich weiß zugleich und vergesse es nicht: Die Juden haben keine Schlösser und Paläste erbaut, keine Türme und Dome errichtet, keine Reiche gegründet. Sie haben nur Worte aneinander gereiht. Es gibt keine Religion auf Erden, die das Wort und die Schrift höher schätzen würde als die mosaische.
hielt den Atem an.
in späteren Jahren
»Röhmputsch«
Was die überwiegende Mehrheit der Juden jahre-lang davon abhielt, auszuwandern, läßt sich kurz sagen: Es war nichts anderes als der Glaube an Deutschland.
Meine Eltern hatten weder Geld noch Kontakte, es mangelte ihnen ebenso an Initiative wie an Energie und an Tüchtigkeit. Sie haben an Auswanderung nicht einmal gedacht.
Erst der Pariser Dreyfus-Prozeß im Jahre 1894, an dem er als Berichterstatter teilnahm, hatte seinen Wandel bewirkt: Herzl wurde ein Staatsmann, wenn auch ohne Staat, und ein Prophet, dessen Utopie Wirklichkeit geworden ist.
weil man mit Wehmut an die Zeit denkt, da uns die Begeisterung, die Himmelstochter, beseelte und beglückte.
Er hat das Flugzeug gesteuert, in dem Adolf Eichmann 1960 nach Israel gebracht wurde.
Die anderen Lehrer waren ebenfalls nicht unbedingt passionierte Pädagogen. Trotzdem fühlte man bei ihnen eine starke Leidenschaft. In ihrer Jugend hatten sie wohl von einem ganz anderen Beruf geträumt: Sie wollten Wissenschaftler oder Schriftsteller werden, Musiker oder Maler. Es war nichts daraus geworden, aus welchen Gründen auch immer. So waren sie schließlich im Schuldienst gelandet oder steckengeblieben. Aber sie hörten nicht auf, die Musik oder die Literatur zu lieben, sie sehnten sich nach der Kunst oder der Wissenschaft, sie bewunderten den französischen Geist oder die englische
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Aber auf keinen Fall sollten wir ihn mit den oft vulgären SA-Leuten von der Straße verwechseln.
Es geschah im Rassenkunde-Unterricht, einem im »Dritten Reich« eingeführten Fach,
Dieses Fach wurde von den Biologielehrern übernommen, bei uns von einem älteren, vernünftigen Mann, einem gewissen Thom, dessen Name die Schüler alljährlich zu demselben Wortspiel verführte:
Vorzeit.
Die Nichtjuden waren alle in der Hitler-Jugend, einige in einer angeblich vornehmeren Formation, der Marine-Hitler-Jugend, die auf der Havel übte.
Oft kamen sie in Uniform in die Schule,
Von keinem dieser Mitschüler habe ich je ein Wort ge-gen die Juden gehört. Sicherlich haben die meisten, wenn nicht alle, an das neue Deutschland geglaubt.

