Kick mich – Der Shitstorm um Julia Schramm
Den ersten Verriss von Julia Schramms Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin fand ich heute Morgen in der Süddeutschen. Wie das mit Grantelbesprechungen so ist, fühlte ich mich von den harschen Worten ganz gut unterhalten. Wenig später wurde mir ein Link zur vernichtenden SpOn-Kritik zugespielt, und die Lust am Verriss wich wachsendem Unbehagen über den “Eintopf”, der da zur Kräftigung der Niederträchtigen zusammengebraut wird. In der Einleitung wird der Kollege aus dem Kulturresort zitiert: „Ist nichts für uns“, soll er abfällig gesagt haben. Schülerzeitungsniveau wird dem Buch attestiert, ein Urteil, das Ausschluss bedeutet von allem „Ernsten“, Relevanten, von Kultur im feuilletonistischen Sinn.
Die Vertreibung aus der Sphäre des Bedeutungsschweren wird vor einer großen Öffentlichkeit inszeniert, als wäre Julia Schramm dort einmal zuhause gewesen. Dabei ist doch nicht nur anderen, sondern auch ihr selbst bekannt, dass sie ein liebes Plauderluder ist, das vielleicht allzu selbstbewusst in die Welt schüttet, was ihr Kopf gerade hergibt. Die Sau wird sozusagen von außerhalb geholt, um sie durchs eigene Dorf treiben zu können. Wer Julia Schramm aus dem Internet kennt, wird von ihrem Buch aber kaum erzählerische Finesse, philosophische Schwere oder scharfsinnige Gesellschaftsdiagnose erwartet haben. Wer sie nicht kennt, wird durch die frivole Aufmachung des Covers bestimmt nicht in die Irre geführt. Warum also diese Gehässigkeit, diese lustvolle Grausamkeit am Tritt nach unten?
Während ich darüber nachdenke, sehe ich, dass es bereits zwei Amazon-Rezensionen gibt. Mit jeweils einem Stern wird das Buch abgerichtet, und was mich daran am meisten beeindruckt, sind die Speedreading-Skills der Verfasser, die uns nur wenige Stunden nach Veröffentlichung an ihrem Hass teilhaben lassen. Inzwischen ist mir eingefallen, dass der auf Spekulationen beruhende Vorschuss von 100000 Euro in nahezu jedem Artikel über Julia Schramm, der in den letzten Wochen an mir vorbeiflog, prominent Erwähnung fand. Natürlich, der Neid. Der hohe Vorschuss ist die eigentliche Frechheit, die Provokation, die das Gerechtigkeitszentrum zum Schäumen bringt, und die Rechtfertigung für Kritik, unsachliche Kritik und asoziale Kritik unter die Gürtellinie. Wem einfach mal so viel Geld zufliegt, tut allen weh, die glauben, die ehrlichere Arbeit zu leisten. Da soll der Gesegnete zur Strafe kräftig bluten. Und ist es nicht schön, dass man im Internet Steine werfen kann, weil man in der Anonymität ohne Sünde ist? Das ist der Zauber des Shitstorms. Diese befreiende Entladung! Die Kraft, die man aus der kollektiven Empörung schöpft, diese Wut, die für einen Moment die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben betäubt.
Nicht jeder wird meinen Vorwurf auf sich sitzen lassen wollen. Schließlich muss Kritik möglich sein, die ja eine legitime und notwendige Institution ist, nicht immer ist Neid der Antrieb, überhaupt will sich jeder, der im Auftrag von Kultur und Bildung die Spreu vom Weizen trennt, nicht von niederen Beweggründen getrieben wissen. Aber diese Kritik verfehlt meiner Meinung nach ihr Ziel, wenn sie sich an der Person Julia Schramm und der Seichtheit ihres Werkes abarbeitet. Woche für Woche erscheinen schlechte Bücher. Aus den schlechtesten werden Bestseller gemacht. Wer schreibt diese schlechten Bücher? Und warum? Was fällt ihr/ihm eigentlich ein?
Die schockierende Wahrheit ist: die Idee zu einem Buch hat heutzutage selten der Autor. Der Autor kann von seiner Autorschaft regelrecht überrascht werden. Agenturen sprechen Blogger an, Menschen, die wegen irgendwas im Rampenlicht stehen, Persönlichkeiten, von denen sie sich irgendwas versprechen. „Hören Sie mal, Sie sind doch der Blogger, der Mini-Quadrocopter aus Borkenkäfern macht. Haben Sie Lust, ein Buch über Wälder und Technik zu schreiben? Wälder trenden ja schwer in letzter Zeit, und mit Technik kann man die Internetleute ködern. Also?“ – könnte man eines Tages von einer Agentur gefragt werden. Stellen wir uns vor, wir sind dieser Blogger und man hat uns soeben angeboten, ein Buch zu veröffentlichen. Ein Buch! Mit unserem Namen vorne drauf! In einem echten Verlag! Für Geld! Würden wir widerstehen können? Selbst, wenn wir genau wüssten, dass wir weder von Wäldern noch von Technik sonderlich Ahnung haben? Kann man sich ja notfalls anlesen. Will man glauben. Es geht schließlich um ein Buch. Ein eigenes Buch! Ja, der Glaube an den Glanz der Autorschaft ist genauso unausrottbar ist wie der Glaube an das Buch als Kulturgut. Die Verlage wissen das. Darum finden sie für jedes Thema einen Autor und drehen uns jeden Scheiß an, der sich im Plauderspektrum des Alltäglichen bewegt. Wir kaufen es nicht nur, weil das Format “Buch” Ansehen genießt, sondern weil wir so gerne über uns selbst lesen: wie wir Urlaub in Italien verbringen, 30 werden, Yoga machen, uns über die Bahn ärgern und eben auch Twitter nutzen. Autoren ohne literarische Ambitionen schreiben einfach auf, was wir im Rahmen unserer gewöhnlichen Existenz erleben, sie nehmen uns die Arbeit der schriftlichen Selbstreflexion ab. Das ist gefragt. Oder es wird behauptet, dass es gefragt ist. Wen solche Formen ärgern, sollte sich jedenfalls an die Verlage wenden. Sie schaffen die Stoffe, präsentieren sie, verteilen Vorschüsse, lächerlich hohe und skandalös niedrige. Der Autor fügt sich nur der Gelegenheit, die sich ihm bietet. Weil er nicht ahnt, dass es ihm gehen könnte wie Julia Schramm. Eines dürften wir gemeinsam mit ihr gelernt haben: Über Vorschüsse spricht man nicht. >:-/
Ein nachträglicher Disclaimer: Ich kenne Julia Schramm nicht persönlich, auch im Internet habe ich zu ihr keinen Kontakt. Was ich über sie weiß, ist wenig. Das Buch habe ich nicht gelesen, nicht einmal die Leseprobe, und ehrlich gesagt, interessiert es mich auch nicht so. Daher will ich meinen Text hier auf keinen Fall als Verteidigung der Autorin verstanden wissen.