Jan Seghers's Blog, page 3

October 15, 2013

Oktober 2013

Dienstag, 15. Oktober 2013 – Elfuhrsiebenundvierzig, elfkommavier. Wolkig.


Täglicher Morgengruß unter Nachbarn im Bistum Limburg: “Un, was mächt’n de Teebatz?”


TEeuersterBischofAlleRZeiten


Ein Auszug aus der Geisterbahn vom 11. Oktober 2010, geschrieben nach einer Lesung in Limburg vor genau drei Jahren: Auffällig, wie erbost man hier allseits über den Bischof ist, der als Nachfolger von Kamphaus seit knapp drei Jahren das Bistum in Besitz hat. Eine seiner ersten Amtshandlungen, mit denen er Furore machte: Er relegierte einen Dekan, der ein homosexuelles Paar getraut hatte. Wenn eine solche Demonstration der Macht kein Ausweis charakterlicher Verkommenheit ist, was dann? Jetzt, heißt es, setze er sich “dort oben” auch noch “einen Palast” mit eigener Kapelle hin.


Wäre ich ein leidlich liberaler Katholik, würde ich selbstverständlich die Absetzung des lügenhaften Bischofs fordern. Und gehen wird er ja nun auch müssen – so oder so. Es ist also geschafft. Was also soll noch der tägliche wohlfeile Furor, mit der die Presse auf ihren Seiten einen Mann versucht zur Strecke zu bringen, der sich doch längst dorthin gebracht hat. Kann man nun nicht ablassen von diesem frühvergreisten Bübchen, das vielleicht wirklich krank ist, jedenfalls aber sichtlich überfordert? Würde unsere Journaille doch nur mit der Hälfte des hier gezeigten Eifers die riesigen Privatvermögen der Reichsten, die gigantischen Vorstandsgehälter in den großen DAX-Unternehmen geißeln. Als sei dieses Geld nicht zusammengeräubert.


Und wunderbar gelungen, nach allem, was man bislang gesehen hat, ist der neue Bischofssitz ja wirklich – oder, wie ein ungenannter Architekturkritiker sagte: “Wenn ein Haus so schön geworden ist wie das neue Limburger Diözesane Zentrum, dann darf dafür auch mal ein Bischof über die Klinge springen.”


Am 15. Oktober 1975 starb der Stoßtruppführer und Schriftsteller P.C. Ettighofer (”Gespenster am Toten Mann”). Er war ein Rassist und ein wütender Antisemit, der die Pogrome gegen die Juden begrüßte. Seit 1980 ist in Euskirchen eine Straße nach ihm benannt.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on October 15, 2013 03:24

September 12, 2013

September 2013

Donnerstag, 12. September 2013 – Elfuhrdreiundzwanzig, dreizehn- kommaneun. Bedeckt.


Heute Morgen, etwas dumpf im Kopf, möchte ich aus gegebenem Anlass wissen, was die Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, eigentlich für eine ist. Will taz-online öffnen, werde aber erstmal durch einen Spendenaufruf gestoppt: “Es gibt viele Gründe, für die es sich lohnt, zu kämpfen.” Kann man diesen Satz verstehen? Wie kann man für einen Grund kämpfen? Nein, ich möchte nicht für eine Zeitung spenden, die nicht einmal in der Lage ist, ihre Leser verständlich anzubetteln.

Also weiter, also Ines Pohl: 1967 geboren, Studium an der Georg-August-Universität in Göttingen, dann dort Frauenbeauftragte, Volontariat bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen, nach zehn Jahren Leiterin des Ressorts Politik. Als sie im Juli 2009 zur Chefredakteurin der taz wird, stellt sie sich den Leserinnen und Lesern selbst vor. Schon dieser Text zeugt von einer so glatten Schlichtheit, dass man seine Autorin zur Kristina Schröder der deutschen Tageszeitungen küren möchte, eine Badezimmerkachel des Journalismus. In einem Artikel vom 4. Juli 2013 beschreibt Ines Pohl dann die Feier ihrer Hochzeit mit einer Frau: “… wenn schon ein Fest, dann Klärchens Ballhaus, im Herzen Berlins. Eine historische Stätte der Begegnung, in allem gepflegt-inszenierten Verfallen perfekt.” Auf den Gedanken, aus dem Verfall ein Verfallen zu machen, kann wohl nur jemand verfallen, der das Verfallsdatum seiner Texte noch vor deren Erscheinungstag ansetzt. “Welche Woge des Getragenseins und Ernstgenommenwerdens eine durchfließt, die ihre Liebe zu einer Frau feiern lässt.” – Nun ja: alles fließt. – “Die Philosophie der Flusspferde” hat Gottfried Benn so etwas genannt. Frau Pohl ist sich einig: “… an diesem Freitag wurde etwas angerührt, wo mein Verstand nicht hinreicht.” Das freilich muss nicht viel heißen.


Todestag von Claude Chabrol.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on September 12, 2013 02:33

August 11, 2013

August 2013

Montag, 12. August 2013 – Vieruhrdreiundvierzig, elfkommaacht. Wach seit einer Stunde. Wirre Träume. Seit gestern zurück. Hier kühlt es nachts jetzt auch kaum ab. Hat nicht Atilla heute Geburtstag?


Der Bote mit seinem knatternden Motorroller ist schon durch. Viele Häuser sind es nicht mehr, an denen er noch hält, um eine Zeitung in den Kasten zu werfen. Vielleicht lebt sich’s ja besser, wenn man sich für gar nichts interessiert.


In der Ferne das Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges. Aber kann ja gar nicht seit sein, gibt keine Züge hier.


Eine Woche die Großspurigkeiten des Atlantik, dann dieses uralte Bauernhaus im grünen, nassen Nichts des Limousin. Und nur langsam wird mir klar, wie wohl ich mich in alten Häusern fühle, wie sehr das jedes Gefühl, jeden Gedanken, jede Bewegung bestimmt.


Feste Regel: Auf dem Land kriegen alle alles mit.


Nachschauen: das Städtchen Richelieu, Martin Nadaud, Tante Lisbeth (La Cousine Bette), die Kathedrale von Limoges, der Bahnhof von Limoges, die Kirche von Dôle (deren Riepp-Orgel Martin gewiss entzückt hätte).


Im Urlaub versucht, Zolas “Nana” zu lesen. Geht aber nur, wenn ich parallel in die deutsche Fassung von Walter Widmer schaue. Aber das ist eine so unterirdisch schlechte, eine so rabiat verfälschende Übertragung, dass man sich fragt, was dieser Mann der französischen Literatur (und unserem Bild von ihr) noch alles angetan hat. Dabei galt er lange als der wichtigste, als der kongeniale Übersetzer.


Nach “Dimanche” nun Simenons “Les Caves du Majestic”. Schon die ersten Seiten … Was dieser Mann konnte …


Hundertsechsundachtzig neue Mails. Kurz die Versuchung, sie allesamt in den Orkus zu schicken.


Hab ich denn wirklich seit zwei Monaten keine Geisterbahn geschrieben? Na, kann ja sein, dass man der Welt nichts sagen mag, wenn sie einem nichts zu sagen hat.


Und jetzt beginnt ja nun auch wirklich die lange, die asoziale Zeit, in der ich endlich das nächste Buch … Macht’s gut, Freunde!


Tot ist seit elf Jahren Carlo Ross aus Hagen, der erst nach seiner Pensionierung aufgeschrieben hat, was ihm in seiner Kindheit widerfahren ist.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on August 11, 2013 21:35

June 2, 2013

Juni 2013

Sonntag, 2. Juni 2013 – Elfuhrzwei, elfkommavier Grad. Sonne, blau, Wolken, weiß.


Gestern Blockupy-Demonstration, um kurz vor elf am Basler Platz. Rumstehen, warten. Es sind Leute aus ganz Europa gekommen, manche schon vor ein, zwei Tagen. Weil ich niemanden treffe, den ich kenne, suche ich mir eine bunte, laute Gruppe mit Regenschirmen (okay, verstehe, Rettungsschirme), wohl Italiener, vielleicht ein paar Portugiesen und Spanier dabei, Männer, Frauen, jung zumeist. Direkt vor deren Transparent hat sich mit etwa hundert Leuten die Spitze des Zuges aufgestellt, dort reihe ich mich ein. Wir sind so Latschdemonstranten, biedere Bürger, ein paar gutgelaunte Musikanten in Sixties-Pop-Klamotten. Alles friedlich und das Wetter scheint zu halten. Wir laufen die Wilhelm-Leuschner-Straße runter und rufen unsere Sachen. Rechts und links in der Mainluststraße und unten an der Neuen Mainzer marschieren hunderte vermummte Polizisten auf und bringen sich in Stellung. Was wollen die? Als die Regenschirmleute hinter uns diesen Straßenabschnitt erreicht haben, stürmen die Polizisten los, drängen uns von den Regenschirmen ab und kesseln diese ein. Aber warum? Es ist nichts, es ist gar nichts passiert. Die Behelmten bilden eine Kette und drängen uns Richtung Schauspielhaus ab. Dort stehen wir hundert Biedermeier und warten, was passiert. Es passiert nichts. Die Polizei macht eine Durchsage: Die Regenschirmleute seien bewaffnet und hätten Straftaten begangen. Das ist eine Lüge. Die Polizei hat diesen Einsatz genau hier geplant und vorbereitet. Und sie haben ihn durchgeführt, obwohl nichts passiert ist. Woanders hätten sie ihn gar nicht durchführen können. Sie wollten unseren “Aufzug”, wie sie das nennen, zerbrechen. Sie tun, was man ihnen befiehlt. Irgendwer hat ihnen auch diesen Befehl gegeben. Der Innenminister? Der Ministerpräsident? Wir sollen einfach unsere Demonstration fortsetzen, sagt die Polizei. Mit hundert Leuten? Das wollen wir nicht. Wir wollen die Regenschirmleute nicht alleine lassen. Wir wollen mit den zehntausend Demonstranten, die hinter uns sind, zusammen sein. Mit allen. Zwei, zweieinhalb Stunden geht das so hin und her. Gerüchte, Spekulationen. Plötzlich kommt ein Trupp Behelmter von der anderen Seite, vom Willy-Brandt-Platz, und will durchstoßen in die Hofstraße. Das wollen wir nicht. Wir Biedermeier bilden ebenfalls eine Kette. Aber dann bestürmen sie uns von beiden Seiten und kriegen ihren Willen. Ein paar Demonstranten gehen dabei zu Boden. Nicht so wild. Irgendwann kommt der Veranstalter und sagt, die Polizei habe auch unseren Platz zu ihrem Aufmarschgebiet erklärt, wir seien also ab sofort illegal hier, wir sollen unseren Platz freimachen, sonst würde geräumt. Die Biedermeier sagen nein.

Ich habe gelernt, dass es bei der Demokratie um Körper geht. Wie viele Körper sind anwesend? Welche Körper dürfen auf welchem Platz stehen? Welche Körper sind stärker? Welche Körper geben nach? Die Polizistenkörper haben unsere Demonstration, die uns die Richter erlaubt hatten, zerstört. Wären wir mehr Körper gewesen, hätten die Polizistenkörper das nicht so leicht geschafft.

Ich frage mich, warum von den vielen Leuten, die ich in Frankfurt kenne, so wenige da waren. Zu bequem? Zu ängstlich? Zu feige? Nicht einverstanden? Ich weiß nicht. Ich werde niemanden danach fragen. Ich werde einfach auch beim nächsten Mal meinen Körper zur Verfügung stellen. Ich habe gelernt: Man muss sich in die Waagschale werfen.


Bo Diddley ist tot.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on June 02, 2013 02:46

May 13, 2013

Mai 2013

Montag, 13. Mai 2013 – Zwölfuhrdreiundzwanzig, zehnkommazwei. Regen. Grau.


Gestern “Letzte Bilder” in der Schirn. Und wenn Chr. mich nicht gedrängelt hätte, wäre mir dieses Kleinod wohl entgangen. Mensch! Geh! Hin! Und schau sie dir genau an, die Bilder von Kippenberger, die sich auf Picasso beziehen, aber so viel mit Matisse zu tun haben.


Apropos Joseph Beuys. Wer, als kunstinteressierter Jugendlicher, hätte sich in den siebziger Jahren ihm und seinen lauthalsen Selbstinszenierungen entziehen können? Gesehen habe ich ihn nur einmal, 1977 während der documenta 6 im Kasseler Fridericianum, als er seine Honigpumpe der Öffentlichkeit präsentieren sollte. In einem Hinterraum warteten die Journalisten und ein kleines Publikum. Als er nicht kam und nicht kam, gab ich auf und verließ den Saal. Da kam er dann doch, zu spät, wie es sich gehört, und fliegenden Schoßes, möchte man sagen. Bei sich eine Fotografin, die er unflätig, geradezu kinskiesk beschimpfte. Er drehte sich zu ihr um und versetzte ihr einen solch heftigen Schlag ins Gesicht, dass sie ins Taumeln geriet und ihre Ausrüstung zu Boden ging.

“Jeder Mensch ist ein Künstler” – Einen Moment lang mag dieser Satz befreiend gewirkt haben. Aber dachte man nur kurz darüber nach, ließ einen seine Unschärfe zutiefst ermüden. Beuys, so heißt es, habe mit diesem Satz die Kunst von ihrem Sockel geholt. Auf dem sie freilich schon lange nicht mehr stand. Und auf den er sich selbst dann mit brachialem Gestus stellte.

Vielleicht war Beuys kein guter Mensch. Vielleicht war das Meiste, was er gesagt hat, nicht besonders schlau. Das macht die bis heute andauernde Wirkung seiner Arbeit nicht kleiner. Ein Künstler muss weder schlau noch gut sein. Man sollte nur unterscheiden können.


Dass “wir” – gemeint ist Deutschland – in der gegenwärtigen Krise so vergleichsweise gut dastehen, sei nicht zuletzt das Verdienst Gerhard Schröders und der sogenannten Hartz-IV-Reformen. So hört man es in letzter Zeit fast unisono aus dem Mund jener, die Schröder weder gewählt noch durch seine Politik etwas verloren haben, die aber immer wussten, dass man auch die deutsche Sozialdemokratie mit finanziellen Zuwendungen bedenken muss, damit sie tun kann, was ihre Aufgabe ist: nämlich jene “harten, aber unausweichlichen Einschnitte” bei der eigenen Klientel durchsetzen, zum Nutzen jener, die vor und nach jeder Krise die Gewinner sind.


Schon einundzwanzig Jahre her, dass Gisela Elsner sich das Leben nahm.


 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on May 13, 2013 03:29

April 1, 2013

April 2013

Ostermontag, 1. April 2013 – Elfuhrsechzehn, zweikommanull. Blau mit Wolken.


Samstagvormittag im tegut-Supermarkt. Wohlstandshölle. Das vermeintlich gehobene Kleinbürgertum zeigt, was es sich noch leisten kann und packt die Einkaufswagen für die Feiertage voll. Vor jedem Regal Gedränge, an den Kassen lange Schlangen. Der Ton gereizt; die Menge stößt sich. Ein paar Scheiben Schinken will ich kaufen, warte zehn Minuten und habe es fast geschafft. Nur noch ein Kunde vor mir, ein junger Vater mit seinem dreijährigen Sohn. Verkäuferin: “Darf’s noch was sein?” – Vater: “Eine Scheibe Trüffelleberpastete, bitte.” – Verkäuferin: “Diese hier?” – Vater: “Ja.” – Die Verkäuferin legt die Pastete auf die Waage und tippt die Warennummer ein: “Sonst noch ein Wunsch?” – Vater: “Danke, das war’s.” Die Verkäuferin lässt den Betrag addieren und reißt den Zettel von der Waage. Jetzt meldet sich der Sohn zu Wort: “Die will ich nicht, ich will die andere.” – Vater: “Welche willst du?” – Sohn: “Die da!” – Vater: “Da muss die Tante wohl mal drauf zeigen, damit wir wissen, welche Pastete du möchtest.” – Verkäuferin: “Die hier?” – Sohn: “Nein!” – Verkäuferin: “Diese?” – Sohn: “Nein!” – Verkäuferin: “Meinst du vielleicht diese?” – Sohn: “Ja!” –

Verkäuferin: “Aber das ist genau die Gleiche wie die, die ich abgewogen habe.” – Vater: “Wenn er lieber dieses Stück möchte, dann geben Sie uns bitte dieses Stück.” – Verkäuferin: “Dann muss ich allerdings ein Storno machen.” – Vater: “Dann machen Sie eben ein Storno”.

Und wieder was fürs Leben gelernt, gell, Junge?


Max Ernst ist tot: “Es ist schon merkwürdig anzusehen, wie sich Künstler Männern zu Füße werfen, die nur überleben können, wenn sie Ideen morden. Armer Dalí: Tut, als sei er irre und damit berechtigt, König und Franco als göttliche Offenbarung zu betrachten.”

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on April 01, 2013 03:15

March 6, 2013

März 2013

Mittwoch, 6. März 2013 – Zehnuhrsiebenundvierzig, fünf Grad. Blau. Voll da, der Frühling.


Man muss Marlene Dietrich nicht mögen, ihr Auftreten nicht, ihre Stimme nicht, ihre Lieder nicht. Und doch gehört “Ich werde dich lieben bis zum Tod” noch immer zu meinen Lieblingsschlagern.

Rio Reiser allerdings muss man einfach mögen, seines Auftretens wegen, seiner Texte wegen und wegen seiner unsagbar traurigen Stimme. Nun finde ich auf Youtube eine Aufnahme von ihm mit eben jenem alten Dietrich-Song. Sechs Leute mögen das. Und ich erst.


Am 6. März 1458 wurde Friedrich Reiser in Straßburg verbrannt.


 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on March 06, 2013 02:06

February 10, 2013

Februar 2013

Sonntag, 10. Februar 2013 – Dreizehnsechsundfünfzig, einskommaacht. Blau. Sonne. Paar Wolken.


Wieder so eine Phase, in der mich fast alles interessiert. Entsprechend fahrig, zappelig. Die Bücher stapeln sich neben dem Bett, die wichtigsten liegen am Rand der Matratze. Ich switche hin und her, gerate vom hundertsten ins tausendste, gehe rasch noch mal zum Rechner, um auf Maps eine Straße in Paris zu überprüfen, verliere mich im Stadtplan, wieder ins Bett, weiterlesen, schlafe darüber ein, irgendwann in der Nacht drehe ich mich um, die Stapel stürzen ein, ich werde wach, kann nicht wieder einschlafen, beginne erneut zu lesen.


Dauernd auf der Suche nach einer gescheiten Manet-Biografie. Gibt nichts. Immerhin Ross Kings “Zum Frühstück ins Freie” (The Judgement of Paris), darüber wieder in den Otto Friedrich geraten. Und die wiederkehrende Frage, ob sich Manet und Flaubert gekannt haben. Es kann doch nicht anders sein; sie haben zur selben Zeit in derselben Stadt gelebt, hatten zum Teil dieselben Freunde. Aber in Lottmanns Flaubert-Buch kommt Manet nicht einmal vor. Gerate auf die Seite “Paris Révolutionnaire” – man kann dort danach, welche Straße in welchem Viertel mit welchen Personen und Ereignissen zu tun hatte – sensationell. Und tatsächlich immerhin ein Treffer: beide, Manet und Flauber haben im Salon von Madame Sabatier verkehrt; die wiederum die Geliebte von Baudelaire war. Heißt aber nicht unbedingt, dass sie sich dort getroffen haben. Am besten mal sämtliche Briefe Flauberts durchscannen, sind ja alle im Netz. Genau wie die Journale der Goncourts. Also los …

Vorgestern die tolle arte-Dokumentation über die Pariser Chansonszene der Nachkriegszeit. Als Serge Gainsbourg auftaucht (”Sois belle et tais toi!” – Sei schön und halt den Mund!) wieder die Frage nach der Selbstkonstruktion des Künstlers durch Selbstinszenierung. Das fing an bei Rousseau (siehe Ruthard Stäbleins Sendung “Der moderne Herr Rousseau”), Oscar Wilde war wohl eine ähnliche Nummer (welche Biografie? den Ellman?), Bob Dylan auch. Künstlerdarsteller.


Drei schöne Fundstücke aus dem Friedrich:

- “Il faut être de son temps” – Man muss seiner Zeit angehören. Angeblich eine Lebensmaxime von Manet.

- “Wir fällen die Ulmen, um Irrenhäuser für die Leute zu bauen, die durch das Fällen der Ulmen verrückt geworden sind”. – James Thurber

- Eine Geschichte, die Ernst Gombrich immer wieder erzählt haben soll: Eine Dame kommt zu Matisse ins Atelier, zeigt auf ein Bild und bemängelt, dass “der Arm dieser Frau zu lang” sei. Darauf Matisse: “Madame, Sie irren sich. Dies ist keine Frau; dies ist ein Bild.”


Spät noch in Oscar Wildes langem Brief aus dem Gefängnis an Lord Douglas gelesen, “De profundis”, mal gucken, was das ist. Aber dann sehe ich, dass ich das Buch bereits einmal ganz durchgelesen hatte, aber alles komplett wieder vergessen.


“ganz durchgelesen” und “alles komplett” – Ja, mein Gott, was denn sonst? Was man sich aber auch zusammenschmiert.


Daumier ist tot.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on February 10, 2013 05:15

January 5, 2013

Januar 2013

Sonntag, 6. Januar 2013 – Siebenuhrsiebenunddreißig, siebenkommadrei. Dunkel. Wach seit halbfünf. In Ordnung.


Vor ein paar Tagen hat Atilla “Johann Holtrup” mitgebracht. Wider Erwarten bin ich gleich gut reingerutscht. Oft glucksend, kichernd über Goetzens Volten. Schon groß. Dann aber auch wieder solche Sätze: “Der Vorgang geschah automatisch und war von stark aufgewühlten Gefühlen begleitet, die aber unterhalb der Verbalitätsschwelle blieben.” So dass man sich fragt …

Aber auf Seite 61 eine gelungene DDR-Ausplünderungszusammenfassung.


M: “Gibt es eigentlich was Schöneres, Lässigeres, als mit einem tiefsinnigen Freund oberflächliche Gespräche zu führen?”


Das erste Kapitel in Karl Korns Buch über Zola gelesen. Was für ein grauenhaft verstellter Spießer dieser Korn war, der 1949 die FAZ mitgegründet hat, deren Herausgeber und Feuilletonchef er war und der zwei Jahrzehnte lang die Kulturregeln der BRD mitgeprägt hat. Vorher war er Kulturredakteur in Goebbels Wochenzeitung “Das Reich” gewesen und hatte “Jud Süß” gelobt. Das Münchner Landgericht bestätigte ihm noch 1959, ein “Handlanger des Antisemitismus” gewesen zu sein, der “seine Feder dem NS-System verkauft” habe.


Seltsam, dass in der Geisterbahn bisher kein Satz darüber steht, dass ich seit sechs Monaten jeden Tag französisch lerne und seit zwölf Wochen jeden zweiten Tag zum Training gehe. Und seit kurzem wieder laufe. Dabei rhythmisiert das meine Tage wie sonst nichts.


Und wie relativ sehr mir doch die Buddenbrooks gefallen haben und die beiden Essays von Thomas Mann über Fontane und Tschechow. Vielleicht sollte ich “Lotte in Weimar” noch mal versuchen.


Und jetzt gefällt mir auch noch Baselitz.


Charlotte von Stein ist tot.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on January 05, 2013 23:17

December 5, 2012

Dezember 2012

Mittwoch, 5. Dezember 2012 – Neunuhrneunundzwanzig, dreikomma- sieben. Grauer Dunst.


Gestern Abend, beim Blättern in dem dicken Band mit Arbeiten von Tapiès, mit einem kleinen Schrecken festgestellt wie dekorativ, wie geradezu miróhaft gefällig dieser Künstler gearbeitet hat. Perdu.


In unserer Siedlung leben viele Familien mit kleinen Kindern. Wohl deshalb fand sich dieser Tage im Briefkasten ein Katalog der Firma Intertoys: einhundertvierundzwanzig Seiten, sehr aufwendig gemacht, sehr teuer, Hochglanz, farbig, voll mit fettem, buntem, rundem Plastikspielzeug. Einhundertvierundzwanzig Seiten und jede davon ist ein Anschlag auf den guten Geschmack. Einhundertvierundzwanzig Seiten Schrott. Null Schönheit, null Anspruch, null Qualität. Diese Firma will nichts außer den meisten Menschen so viel wie möglich verkaufen. Diese Firma bedient den Mainstream. Schon klar. Aber man fragt sich, ob man in einer Welt leben möchte, wo die in diesem Katalog abgebildeten Scheußlichkeiten den allermeisten Menschen gefallen.


Tot und vergessen ist Gustav Sack.

 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on December 05, 2012 00:42

Jan Seghers's Blog

Jan Seghers
Jan Seghers isn't a Goodreads Author (yet), but they do have a blog, so here are some recent posts imported from their feed.
Follow Jan Seghers's blog with rss.