Jan Seghers's Blog, page 2
December 28, 2015
Dezember 2015
Montag, 28. Dezember 2015 – Neunuhrfünfundfünfzig, vierkommaneun Grad. Der wärmste Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnung.
Selbst im Freundeskreis ist es unangenehm, auch nur in der Nähe zu stehen, wenn jemand sein Innerstes nach außen kehrt. Bekenntnisse lösen bei jenen, die sie über sich ergehen lassen müssen, fast notgedrungen Unbehagen aus und sind somit schon aus Gründen der Höflichkeit zu unterlassen. Unerträglich wird es, wenn jemand öffentlich über seinen persönlichen Glauben oder Aberglauben spricht – mithin über etwas, über das vernünftig sich nicht sprechen lässt -, wie jetzt gleich zweifach und großformatig in der FAZ geschehen, wo der Kollege Mosebach und die Kollegin Lewitscharoff dem Publikum ihre religiösen Hinfälligkeiten unterbreitet haben. Beim Lesen dieser Bekenntnisse begreift man wieder, warum die „Pein“ dem Wort „peinlich“ innewohnt.
„Wahn ist der Ersatz für den Traum, daß die Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt.“ (Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, 1959)
Vor elf Jahren starb Susan Sontag.
October 1, 2015
Oktober 2015
Donnerstag, 1. Oktober 2015 – Elfuhrdrei, vierzehn Grad in Marseillan. Immerhin zeigt sich die Sonne nach zwei Tagen “temps pourri”.
Als der Generaldirektor der Deutschen Bank im Jahr 1931 versuchte, den nicht eben wohlhabenden Publizisten Alfred Lansburgh zu bestechen, antwortete dieser: “Jeder Mensch ist bestechlich. Aber soviel Geld hat die Deutsche Bank nicht, um mich zu bestechen.”
Dazu ein schöner Satz von de Gaulle: “Ich bin zu arm, um mich zu beugen”.
Am 1. Oktober 1972 starb in Hamburg Kurt Hiller – Schriftsteller, Jude, Pazifist, Sozialist, Homosexueller. Es reicht bei Gott weniger, um bei diesen Landsleuten abgründlich in Verschiss zu geraten.
July 25, 2015
Juli 2015
Sonntag, 25. Juli 2015 – Zwölfuhrzweiundvierzig, einundzwanzigkommein Grad. Seit der Nacht: Sommersturm.
Die “Kulturzeit” kündigt die Neueröffnung des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth gleich zweimal mit folgenden Worten an: “Ausstellungen zeigen Leben und Wirken Wagners, auch unter den Nationalsozialisten.” Wenn das kein Grund ist, die Geisterbahn mal wieder in Gang zu setzen.
Und gerade auf Spiegel online die Schlagzeile: Die deutsche Bundesregierung “pocht auf Massenentlassungen in Griechenland”.
Heute vor 35 Jahren starb Juliane Plambeck bei einem Autounfall auf der Landstraße zwischen Bietigheim und Vaihingen. Auf ihrem Grabstein in Karlsruhe-Rüppurr steht ein Satz Friedrich Nietzsches: “Ihr Verzweifelnden! Wieviel Mut macht ihr denen, die euch zuschaun!”
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October 15, 2014
Oktober 2014
Matthias Koeberlin
liest
Jan Seghers: Die Sterntaler-Verschwörung
Dienstag, 25. November 2014, 20 Uhr
Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt
Moderation: Heiner Boehncke
Eintritt: 12 Euro
Vorverkauf unter 069-435173
und unter: info@buchhandlung-schutt.de
Mittwoch, 15. Oktober 2014 – Dreizehnuhrvier, vierzehnkommneun Grad. Über die Alpen strömt Luft aus der Sahara nach Mitteleuropa. Her damit!
Immer auf der Suche nach guten Roman-Anfängen, finde ich diesen umwerfenden:
„Es war die beste Zeit, es war die schlechteste Zeit, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es waren die Tage des Lichts, es waren die Tage der Finsternis, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung, wir hatten alles noch vor uns, wir hatten nichts mehr vor uns, wir gingen alle geradewegs in den Himmel, wir gingen alle geradewegs in die andere Richtung …“
So beginnt „A Tale of Two Cities“ von Charles Dickens. Das Buch ist der am häufigsten verkaufte Roman aller Zeiten, und ich kannte ihn nicht …
Heute hätte Italo Calvino Geburtstag, wäre er nicht am 19. September 1985 in Siena gestorben.
August 8, 2014
August 2014
Freitag, 8. August 2014 – Zehnuhrachtundzwanzig, zwanzigkommaneun. Soll kühler werden.
“In 14,000 hate-mail letters, emails and faxes sent over 10 years to the Israeli embassy in Berlin and the Central Council of Jews in Germany, Professor Monika Schwarz-Friesel found that 60% were written by educated, middle-class Germans, including professors, lawyers, priests and university and secondary school students. Most, too, were unafraid to give their names and addresses – something she felt few Germans would have done 20 or 30 years ago.” – Guardian, Donnerstag, 7. August 2014
Vor einem Jahr starb Karen Black.
July 22, 2014
Juli 2014
Dienstag, 22. Juli 2014 – Dreizehnuhrachtzehn, sechsundzwanzig- kommafünf. Sonnig.
Das immerhin ist neu in Deutschland: “Die Linke” meldet eine Demonstration an, woraufhin sich die Polizei aus guten Gründen gezwungen sieht, den Schutz jüdischer Einrichtungen zu erhöhen.
Heute vor vierzehn Jahren starb Claude Sautet.
March 7, 2014
März 2014
Freitag, 7. März 2014 – Vierzehnuhrvierundzwanzig, zwölfkommadrei. Frühling.
Ein großes, von einer Schülerin aus Anlass der diesjährigen Abitur- prüfungen gemaltes Plakat im Frankfurter Heinrich-von-Gagern-Gymnasium: “Scheiß auf das Abi! Ich werde Prinzessin.”
Neulich von Atilla: “Frankfurt: Regen. – Paris: Regen. – Nizza: Pizza.”
Sibylle Lewitscharoff hat letztes Jahr jenen Literaturpreis erhalten, der nach Georg Büchner benannt ist. In “Dantons Tod” lässt Büchner seinen Hérault sagen: “Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen.” Was aber, wenn sich jemand, wie jetzt Frau Lewitscharoff, dieses Recht einfach nimmt.
Bislang ging mir nur der tantenhafte Manierismus ihrer Sprache auf die Nerven und ich begriff nicht, warum nahezu der gesamte Literaturbetrieb vor diesen Texten auf die Knie fiel. Nun habe ich mir ein paar Interviews angesehen und jene Rede gehört, in der sie Onanie verbieten will und Kinder, die aus einer künstlichen, also “abartigen” Befruchtung entstanden sind, als “Halbwesen” bezeichnet. Und hinterher, wie jeder dumpfe Schwadroneur, dieses: “Man wird ja wohl noch sagen dürfen … ” – Es ist schon so: Man muss sie sehen, man muss hören, wie sie da, begleitet vom schnarrenden Ton einer Zuchtmeisterin des schwäbischen Pietismus, die Peitsche knallen lässt, um zu verstehen, warum die Würstchen des Feuilletons sich mit Wonne krümmen. Pardon, Leute, die Dame hat ganz einfach einen Schuss.
Am 7. März 1904 starb in Hannover Alexander Büchner, jüngster Bruder des oben Genannten.
February 2, 2014
Februar 2014
Montag, 3. Februar 2014 – Vieruhrachtundvierzig, nullkommasieben. Dunkel. Wach seit halbvier und weiter über die Taten und Untaten des Guy Georges gelesen.
Am Samstag zwei Stunden mit dem Mountainbike in Regen und Schlamm über die Hohe Straße, gestern Lauf am Mainufer. Das Jahr muss endlich beginnen.
Gestern Morgen um kurz nach zehn die Sprengung des AfE-Turms live im Hessenfernsehen. Der Sprengmeister, den man der Reporterin zur Seite gestellt hatte, schwärmte immer wieder von dem “wunderschönen Kollaps”, dem “einwandfreien Kollaps”, dem “Kollaps wie aus dem Bilderbuch”. Auf sächsisch.
Auf HR-online diese schöne Meldung: “Der Gefangene hatte am Freitagabend in seiner Einzelzelle Feuer gelegt, der Wachmann kam ihm zu Hilfe.”
Auf seinem Titelblatt erzählt der “Rhein-Main Extra Tipp” in der Unterzeile, was geschieht – “Männer reiben sich im Gedränge des Berufsverkehrs an ahnungslosen Frauen” – und kann sich nicht die Schlagzeile verkneifen: “Missbrauch zur Stoßzeit”.
Heute ist Schlenggeltag.
Am 3. Februar vor drei Jahren starb die unglückliche Maria Schneider (”Der letzte Tango von Paris”). Ihre Asche wurde am Rocher de la Vierge in Biarritz verstreut.
January 8, 2014
Januar 2014
Mittwoch, 8. Januar 2013 – Zehnuhrfünf, zehnkommaneun. Blau. Sonne. Paar Wolken. Bien dormi.
Die hessischen Grünen, die den Innenminister Boris Rhein noch vor Jahresfrist wegen des Polizeieinsatzes gegen die letzte Blockupy-Demonstration zum Rücktritt aufgefordert hatten, regieren jetzt mit ihm und unter Volker Bouffier das Land. Der nun sagt im Hinblick auf die bevorstehenden Protestaktionen zur Eröffnung der neuen Europäischen Zentralbank: “Wir werden mit allen klugen Maßnahmen vorbeugen, dass es ein fröhliches Fest wird”. Man glaubt es ihm sofort.
Wahrscheinlich hat dieser Satz von Sigmund Freud in den sechziger Jahren eine ganze Generation in ihrer Kritik der bürgerlichen Lebensformen munitioniert; ich entdecke ihn erst heute, in der Besprechung von Volkmar Siguschs neuem Buch in der Süddeutschen Zeitung: “Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben”. Eben lese ich dann ein wenig in dem Ursprungstext “Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens” und bin beschämt über meine Ignoranz.
Mitterand ist seit achtzehn Jahren tot.
November 3, 2013
November 2013
Sonntag, 3. November 2013 – Neunuhrfünfzig, zehnkommnull. Sprühregen. Erst um halbfünf aufgewacht. Und diesmal nicht aus Furcht vor den Tigern von Elke Heidenreich.
Kein Schlamassel der Welt ist zu groß, als dass ihn unsere Journalisten nicht klein kauen würden. Während das Mobiltelefon der Kanzlerin und die Badewanne eines Bischofs seit Wochen die Herzen und Mäuler bewegen, wären die paar hundert ertrunkenen Flüchtlinge vor der Küste von Lampedusa schon fast wieder vergessen, hätte sich dieser Tage nicht der kleine schwarze Junge an den Rockzipfel des Papstes geklammert und damit den Medien die Chance geboten, das zehntausendfache Verbrechen an den europäischen Außengrenzen zu einem Rührstück zu verharmlosen. Wie gut, beim Aufräumen die zwei Wochen alte “Süddeutsche” zu finden und dort noch einmal das Gespräch mit der Kulturanthropologin Sabine Hess zu lesen. Auf die Frage “Würde es dem Wohlstand von Ländern also nicht schaden, wenn die Grenzen geöffnet würden?” antwortet sie: “Natürlich würde sich einiges ändern, aber was heißt schaden? Es ist historische Verdrängung zu glauben, wir könnten einen Wohlstand, der aus jahrhundertealter Ausbeutung entstanden ist, einfach für uns behalten. Wir können nicht glauben, dass sich nichts ändert, wenn wir die Grenzen öffnen. Aber wir können auch nicht glauben, dass wir ein System, das auf Raub basiert, über Jahrhunderte militärisch sichern können. Die Toten im Mittelmeer zeugen von einem alten Krieg, der gerade unerklärt weitergeführt wird. Vielleicht ist dieses System jetzt an eine Grenze gekommen.”
Angenehm, jemanden so unumwunden sprechen zu hören. Wie selten das geworden ist.
Noch ein paar Trouvaillen:
In einem Brief vom 10. März 2009 an die Bischöfe der Katholischen Kirche sprach Papst Benedikt von einer “sprungbereiten Feindseligkeit”, die auch Katholiken gegen ihn hegten. Wenn schon sonst nichts, diese genaue Formulierung wird bleiben von ihm: “sprungbereite Feindseligkeit”.
Wenn die Franzosen sagen wollen, dass alles andere ein frommer Wunsch sei, sagen sie: “Le reste est littérature”.
Auf die bange Frage, was wohl kommen wird, antwortet Saramago mit einem wahrhaft lässigen Satz: “Danach, alter Freund, wie immer, die Zukunft.”
In ihrer Besprechung von Castorfs Münchner Céline-Abend gelingt der Theaterkritikerin Christine Dössel das hier: “Überhaupt haben hier alle Frauen ganz große Schlampenwürde.” Es gibt Worte, die man gerne selbst erfunden hätte. Neid.
Lektüre – Simenon: “Mon ami Maigret”; Hauschild/Werner: “Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst. Heinrich Heine. Eine Biografie”; Jutta Ditfurth: “Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte”.
Zwölfter Todestag des großen Ernst Gombrich.
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