Alexandra Tobor's Blog, page 10
November 29, 2011
Eine hosenlose Frechheit
Immer wieder werde ich gefragt: „Wer hat in eurer Beziehung eigentlich die Hosen an?“ – „Also ich bestimmt nicht!“, rufe ich in die Mikrophone, die mir das Volksinteresse entgegenstreckt. Denn ich bin die Frau ohne Hose, und mit Hose meine ich alles, was vielförmige Rillen in die Haut „zaubert“, wie die Schlieren, die ein Molkegetränk im Glas hinterlässt, also streng genommen auch Röcke und andere gürtelbare Unterbauquetschen. Ich finde es bedauernswert, dass wir in einer Kultur leben, die das Tragen einer Hose nicht nur zum Synonym des sozialen Funktionierens macht, sondern auch zum Anzeiger einer gesunden Psyche in einem gesunden Leib, und umgekehrt: wer nur mit einem Lendenschurz bekleidet durch die eigenen vier Wände tollt, dem wird automatisch Verrücktheit oder Depression attestiert. Die zersetzenden Folgen langer Arbeitslosigkeit fasst man gerade in zeitgenössischen Serien wie „How I met your Mother“ im Bild des in Boxershorts auf der Couch schlummernden Schlendrians zusammen. Was mich angeht, drehe ich erst durch und werde depressiv, wenn äußere Umstände mich zwingen, zuhause länger als zehn Minuten in einer Hose zu verharren. Etwa wenn Amazon seine Ware in die Hände obskurer logistischer Unternehmen legt, die ankündigen, dass sie irgendwann zwischen Montag und Freitag, 8:00-18:00 Uhr liefern werden. Letztes Jahr um die Weihnachtszeit wurde ich wegen der Überlastung des Liefersystems ganze drei Tage in einer Hose gefangen gehalten. Und wofür? Für nix! Die Lieferung wurde beim Nachbarn abgegeben. Abgeholt habe ich sie einige Wochen später, da sich zufällig ergab, dass ich behost in der Gegend war. Ich hege eine von Unverständnis und Mitleid gefärbte Bewunderung für alle, die in den eigenen vier Wänden etwas Anderes als Pyjama (oder vergleichbare sackartige Kleidung) tragen. Ist das bleierne Unbehagen, das die Nieten und Falten einer Jeans im Pfirsichbody eines Babys verursachen würden, dem herkömmlichen Menschen etwa schon derart zur Selbstverständlichkeit geworden? Spürt er die garstige zweite Haut nicht mehr? Ich möchte keineswegs die disziplinierende Wirkung eines Bügel-BHs oder einer strengen Zwiebelfrisur dementieren, ob man nun auswärts arbeitet oder zuhause, womöglich erfüllt die Hose für den ein oder anderen denselben Zweck – aber rund um die Uhr? Oh bitte. Mir scheint hier eine unsinnige soziale Konvention am Werke zu sein, die es im Interesse aller zu stürzen gilt!
Wie haltet ihr es mit der Hose? Streift ihr sie ab, sobald die Tür ins Schloss fällt? Oder lasst ihr euch gern von ihr knechten? Ist sie ein hoch zu haltendes Symbol für Zivilisation und funktionierende Gesellschaft oder ein längst überholtes Ärgernis? Oder wollt ihr mir erzählen, dass ihr den ganzen Tag mit Besuch rechnen müsst? Discuss!
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