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Kindle Notes & Highlights
by
Sönke Ahrens
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May 7 - June 12, 2022
Mehr gelesen zu haben, heißt paradoxerweise auch erst mal weniger Ideen für eine eigene Fragestellung zur Verfügung zu haben – weiß man doch jetzt, dass die meisten Ideen schon von jemand anderem gedacht worden sind. Mehr gelesen zu haben, bedeutet auch höhere Ansprüche entwickelt zu haben.
Es gibt also neben der generellen Skepsis von Wissenschaftlern gegenüber gut bezahlten Effizienz-Coachs wie David Allen tatsächlich gute Gründe, warum sich GTD im akademischen Bereich kaum durchgesetzt hat.
Der normierte Schiffscontainer, zweifellos eine der folgenreichsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts brauchte fast 20 Jahre, um sich wirklich durchzusetzen. Das lag nicht daran, dass seine Funktion nicht verstanden wurde – an dieser gibt es nun wirklich nichts, was man nicht verstehen könnte: man macht vorne die Tür auf und stellt dann seine Waren rein. Aber man hat lange Zeit nicht begriffen, dass es die Veränderung der Arbeitsabläufe um ihn herum sind, die den eigentlichen Unterschied macht. Es bedurfte neuer Hafenanlagen, anderer Schiffe, der Einrichtung von Umschlagplätzen, über die
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Während es in der Schule strukturell nicht vorgesehen ist, sich eigenständig auf die Suche nach neuen Erkenntnissen zu machen, grundsätzlich alles, was die Lehrer erzählen, zu hinterfragen und sich bei abweichender Interessenlage um andere Themen zu kümmern, ist es in der Universität umgekehrt eigentlich nicht vorgesehen, dass jemand die zu gewinnenden Erkenntnisse festlegt und dann auch noch den Weg dahin weist. Auch formal ist das Studium Forschung,
Das erste Prinzip lautet also: Es wird alles so organisiert als gäbe es kein anderes Ziel als das Schreiben. In der Wissenschaft gibt es tatsächlich kein anderes Ziel. Es gibt keine Geschichte der guten, aber nie zu Papier gebrachten Ideen. Anschlussfähig ist nur, was man nachlesen kann. Und weil wir nicht nur viel vergessen, sondern auch unsere Erinnerungen nicht allzu verlässlich sind, gilt das auch für uns im Einzelnen: Die Entwicklung von Gedanken über längere Zeiträume ist nur möglich, wenn sie auf dem Papier stattfindet.
Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden, wenn man seine Unterstreichungen kurz darauf noch einmal durchgeht und sie entweder in eine dauerhafte Notiz umwandelt oder entscheidet, dass dieses oder jenes doch nicht so wichtig war. Leider behandeln viele wissenschaftlich Arbeitende Unterstreichungen so, als ob sie dauerhafte Notizen wären, ein Missverständnis, das von vielen Ratgebern genährt wird, die elaborierte Unterstreichungssysteme in verschiedenen Farben und Formen vorschlagen. Aber egal, wie bunt die Unterstreichungen sind, sie geben keine Information darüber, was an einer Textstelle
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Unterstreichungen sind also ebenfalls nur flüchtige Notizen und sollten nur gemacht werden, wenn Sie den Text wirklich noch einmal durchgehen wollen, ansonsten ist es effektiver, sich gleich eine richtige Lektürenotiz zu machen.
Etwas in dauerhaft verständlicher Form auszudrücken, heißt daher, etwas so zu formulieren, dass es auch ein anderer verstehen könnte.
Pro Zettel wird genau ein Gedanke mitsamt aller Quellenangaben und immer in der gleichen Form dauerhaft am selben Ort festgehalten. Die einheitliche Form (die bei der analogen Variante eine größere Rolle spielte als in der digitalen), ermöglicht es, die Gedanken später untereinander frei zu verknüpfen, heterogene Ideen miteinander in Bezug zu setzen und vor allem langfristige, projektübergreifende Gedanken zu entwickeln.
Um eine gute Fragestellung entwickeln zu können, muss man sich bereits mit einem Thema beschäftigt haben. Man muss auch schon in die Breite gelesen haben, um überhaupt eine Vorstellung von möglichen Themen haben zu können. Und auch die Entscheidung, etwas und nicht etwas anderes zu lesen, beruht schon auf einem Vorverständnis, und ist nicht einfach aus der Luft gegriffen. Das Vorverständnis bleibt natürlich nicht gleich, sondern verändert sich durch die inhaltliche Auseinandersetzung und wird so wieder zum Ausgangspunkt der nächsten inhaltlichen Beschäftigung, welche deshalb ebenfalls nicht
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Vielleicht erinnern Sie sich noch aus dem Chemieunterricht an den Unterschied zwischen einer endergonen und einer exergonen Reaktion. Bei ersterer geht es nur voran, wenn man kontinuierlich Energie hineinsteckt, bei letzterer wird Engergie im Zuge der Reaktion freigesetzt.
Es gibt daher kaum einen größeren Gefallen, den man sich langfristig selber tun könnte, als eine positive Einstellung zu den eigenen Scheitererfahrungen zu gewinnen und diese so selbstverständlich als Lerngelegenheiten in den Arbeitsalltag einzubinden, dass sich gar nicht erst Angst vor größerem Versagen aufbauen kann – und wenn man kurzfristig auch nur dadurch motiviert wird, dass die Angst vor dem Scheitern von allen Phobien den hässlichsten Namen abbekommen hat: Kakorrhaphiaphobie.
die Einsicht, dass wir in unserem Alltag offenbar viel seltener als früher herausgefordert werden, längere Aufmerksamkeitsspannen durchzuhalten, und zugleich viel mehr Quellen der Ablenkung ausgesetzt sind – und das gilt wohl vor allem für diejenigen, die am Computer arbeiten.
„Schreiben“ ist ja nicht nur das in die Tastatur Tippen, sondern auch: lesen, verstehen, reflektieren, auf Ideen kommen, Verknüpfungen bilden, begriffliche und theoretische Abgrenzungen vornehmen, gliedern, formulieren, korrigieren und organisieren. Diese Tätigkeiten sind nicht nur unterschiedlich und beziehen sich auf verschiedene Gegenstände, sie erfordern auch unterschiedliche Formen der Aufmerksamkeit. Man kann sich aber nicht nur nicht auf verschiedene Dinge gleichzeitig konzentrieren, man kann vor allem auch nicht gleichzeitig auf unterschiedliche Weise aufmerksam sein.
Oshin Vartanian, der die Arbeitsweisen von Nobelpreisträgern und anderen hochdekorierten Forschern untersucht hat, fand wenig Parallelen, aber doch eine deutliche Gemeinsamkeit: „Specifically, the problem-solving behavior of eminent scientists can alternate between extraordinary levels of focus on specific concepts and playful exploration of ideas. This suggests that successful problem solving may be a function of flexible strategy application in relation to task demands.“ (Vartanian, 2009, S. 57)
Durch die korrekte Anwendung von klaren Regeln bringt man es gemäß den Autoren vielleicht zu einem recht kompetenten „Performer“ (was auf der fünfstufigen Expertenskala der Dreyfus' einer „3“ entspricht), aber weder zum Meister (Stufe 4) noch zum Experten (Stufe 5) – also nicht so besonders weit.
Echte Experten, so Flyvbjerg, machen keine Pläne (2001, S. 19).
Dabei geht es allerdings weniger darum sich zu merken, was man als nächstes machen muss, wie bei Allen, sondern eher darum, konsequent festzuhalten was man gerade gemacht hat, um klare Anknüpfungspunkte für die nächsten Schritte zu haben – welche auch immer das dann sein mögen.
Dieses ist der Schritt auf den es ankommt: Schreiben Sie in knapper, verständlicher Weise und in eigenen Worten die wichtigsten Aspekte des Textes heraus. Wörtliche Zitate sollten Sie nur herausschreiben, wenn diese einen Aspekt besonders präzise auf den Punkt bringen.
“If you can't say it clearly, you don't understand it yourself.” – John Searle[35]
Die Formulierungsanstrengung ist also genau die Anstrengung, die man im Prozess des Verstehens nicht umgehen kann. Lesen ohne Schreiben fühlt sich gut an; man fühlt sich schlauer als zuvor ohne sich dabei besonders anstrengen zu müssen. Lesen mit Schreiben fühlt sich hingegen zunächst nicht so gut an. Es ist nicht nur anstrengend, man wird auch permanent auf das gestoßen, was man nicht versteht.
Das umformulierende Anfertigen von Notizen ist die „deliberate practice“ dieser entscheidenden intellektuellen Fähigkeit das Wesentliche in einem Text erkennen und auf den Punkt bringen zu können.
Lernen ist anstrengend, weil man denken muss, um etwas zu verstehen, und weil man Vorwissen mobilisieren muss, um neue Informationen mit Sinn auszustatten. Das Revolutionäre dieser Idee wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie viel Mühe sich Pädagogen immer noch damit geben, es ihren Schülern einfacher zu machen, indem sie ihnen das Lehrmaterial systematisch aufbereiten, vorsortieren und methodisch erst das eine und dann das andere unterrichten. Damit erreichen sie ungewollt das Gegenteil von dem, was sie anstreben: Sie nehmen den Schülern genau die Anstrengung ab, die das Lernen
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Wer eine Frage zu beantworten versucht, bevor er die Antwort kennt, wird die richtige Antwort besser im Kopf behalten, auch wenn er sie zunächst falsch beantwortet hat (Arnold und McDermott, 2013).
Mere-Exposure-Effekt: Bloße Vertrautheit erzeugt die Illusion der Beherrschung (siehe auch oben Kap. 9.1 und Bornstein, 1989).
„ninety percent of everything is crap“. Eine Aussage, die als Sturgeons-Law[42] bekannt geworden ist und sich durchaus auch auf wissenschaftliche Literatur beziehen lässt. Anders gesagt: Seien Sie sehr, sehr selektiv.
Zu jedem Text, den man liest, schreibt man sich zusammen mit der Quellenangabe in eigenen Worten die wesentlichen Aspekte heraus: „Auf Seite soundso steht das und das”.
Man formuliert jeden Gedanken und jedes Fundstück mit Blick auf die eigenen gedanklichen Zusammenhänge in einer dauerhaft verständlichen Weise auf einen Zettel und ordnet ihn in den Zettelkasten ein. Im Zettelkasten-Programm braucht man dafür nur auf „Neu“ zu klicken – damit ist der Zettel bereits angelegt und wurde zugleich mit einer festen Nummer versehen.
Die wichtigsten Fragen, die man sich beim Übertragen seiner Gedanken und Fundstücke auf Zettel stellt, lauten: Inwiefern ist dieses für meine Forschung oder die Fragen interessant, mit denen ich mich beschäftige? Warum ist mir dieses als bemerkenswert aufgefallen? Was ist die Bedeutung dieses Gedankens für die Themen über die ich nachdenke? Diese Fragen werden im Laufe der Zeit zunehmend durch die funktional äquivalente Frage ersetzt: Und zu welchen Zetteln und Diskussionssträngen im Zettelkasten passt das und inwiefern?
„No, no!“ entgegegnete Feynman entschieden, „They aren’t a record of my thinking process. They are my thinking process. I actually did the work on the paper.” „Well,” sagte Weiner, „the work was done in your head, but the record of it is still here.” „No, it’s not a record, not really. It’s working. You have to work on paper and this is the paper. Okay?”
„In any case, no matter how internal processes are implemented, insofar as thinkers are genuinely concerned with what enables human beings to perform the spectacular intellectual feats exhibited in science and other areas of systematic enquiry, as well as in the arts, they need to understand the extent to which the mind is reliant upon external scaffolding.” (Ebd.)
Was man beim Verzetteln seiner Lektüreerträge macht, ist nichts anderes als eine explizite Form der Elaboration. Man fragt sich: Was bedeutet das und wofür ist es bedeutsam? In welchem Bezug steht es zu diesem oder jenem? Erklärt es vielleicht dieses oder wird es durch jenes erklärt? Der Zettelkasten ist eben nicht einfach nur ein Behälter, den man mit Informationen füllt.
Die Vergabe von Schlagworten erfordert Denken, weil ein Zettel erst vor dem Hintergrund einer bestimmten Fragestellung Bedeutung erlangt, und kann daher nicht automatisiert werden.
Erst wenn man anfängt, seine Notizen entlang von gedanklichen Verknüpfungen zu organisieren, beginnt man sein Denken auf eine neue Ebene zu heben.
In unregelmäßigen Abständen wieder auf etwas gestoßen zu werden und das einmal Gelernte mit neuem Wissen in Verbindung zu bringen, ist eine der besten Möglichkeiten, um seinen Schatz an aktivem Wissen beständig zu vergrößern (Bjork, 2011, S. 8; Kornell und Bjork, 2008).
„Well, the first rule is that you can’t really know anything if you just remember isolated facts and try and bang ‘em back. If the facts don’t hang together on a latticework of theory, you don’t have them in a usable form. You’ve got to have models in your head. And you’ve got to array your experience both vicarious and direct on this latticework of models. You may have noticed students who just try to remember and pound back what is remembered. Well, they fail in school and in life. You’ve got to hang experience on a latticework of models
„The 5 Elements of Effective Thinking“ (Burger und Starbird, 2012)
Das Phänomen so auf das Anwesende fokussiert zu sein, dass man das möglicherweise viel entscheidendere Abwesende vergisst (wie die nicht zurückgekehrten Flugzeuge) ist in der Psychologie als Feature-Positive Effect bekannt (Allison und Messick, 1988; Newman, Wolff und Hearst, 1980; Sainsbury, 1971).
„The Antidote: Happiness for People Who Can't Stand Positive Thinking“ (Burkeman, 2013)
Ordnen Sie jeden Zettel entweder als Folgezettel bereits bestehender Zettel in den Zettelkasten ein oder, wenn kein sinnvoller Anschluss existiert, stellen Sie ihn einfach ans Ende. → Im Zettelkasten kann ein Zettel Folgezettel mehrerer anderer Zettel sein. → Im analogen Zettelkasten müssen manuelle Verweise angebracht werden · Schauen Sie im Zettelkasten nach möglichen Verbindungen und Anschlussstellen. · Bringen Sie sinnvolle Querverweise zwischen thematisch verwandten Zetteln an. · Schauen Sie, ob der Zettel indirekt über den Index auffindbar ist. Bringen Sie
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„Writing itself makes you realize where there are holes in things. I’m never sure what I think until I see what I write. And so I believe that, even though you’re an optimist, the analysis part of you kicks in when you sit down to construct a story or a paragraph or a sentence. You think, ‘Oh, that can’t be right.’ And you have to go back, and you have to rethink it all.“ – Carol Loomis[59]
Zu Neuem kommt man durch die intensive Auseinandersetzung mit dem, was man bereits kennt, nicht dadurch, dass man sich von diesem frei zu machen versucht.
das Neue nicht über den Abstand zum Alten gewonnen wird, sondern dadurch, dass man an die Grenzen der Möglichkeiten des Bekannten gelangt (vgl. Ahrens, 2014).
Nichts motiviert so sehr, wie in einem Projekt voranzukommen, mit dem man sich identifizieren kann, und nichts demotiviert so sehr, wie Arbeit in eines hineinzustecken, an das man nicht mehr glaubt.
Wenn selbst überdurchschnittlich intelligente Studenten in ihrem Studium scheitern, dann liegt das entweder daran, dass sie keinen rechten Sinn mehr in dem sehen, was sie tun (vgl. Balduf 2009), keinen Bezug zu ihren persönlichen Zielen herstellen können (Glynn et al. 2009) oder aber keine Möglichkeiten sehen, ihre Studien selbstbestimmt und autonom zu verfolgen (Reeve und Jang, 2006; Reeve, 2009). Solche Studienergebnisse sind ein wichtiges Argument gegen eine Verschulung des Studiums.
Nur wenn man sich auch praktisch von seiner Neugier leiten lassen kann, ist garantiert, dass das, womit man sich beschäftigt, auch das ist, was einem die interessanteste Erkenntnis verspricht.
Kurzum: Es ist ausgesprochen sinnvoll, seine Arbeit so zu organisieren, dass man das, was man tut, mit dem, was einen interessiert und was man für wichtig hält, beieinander halten kann.
Die schwierigste und zugleich wichtigste Aufgabe beim Überarbeiten eines Textes besteht darin, überflüssige Teile zu löschen.
Für Psychologen ist der verlässlichste Indikator dafür, ob man etwas in der Zukunft tun wird, die Intention es zu tun.