Eine Anthologie für einen guten Zweck

Ich liebe Anthologien. Schon weil ich die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen sehr schätze. Diese hier ist brandneu und dient dem Zweck, einer lieben und leider körperlich  eingeschränkten Autorin finanziell unter die Arme zu greifen. Mein Dank gilt Jana Walther, die sich als Herausgeberin unglaublich ins Zeug gelegt und alles in Windeseile organisiert hat. Ich bin stolz wie Bolle, dass ich meinen Anteil inmitten namhafter Kollegen dazu beitragen durfte.


Hier ein kleiner Auszug aus “Rabendieb”:


»Jemand hat in der Nacht versucht, das Schloss am Vogelgehege aufzubrechen.« Moritz reicht mir gähnend eine Tasse Kaffee. Halb sechs morgens ist für meinen Bruder zu früh. »Sabine hat es mir eben erzählt.«


Unsere Küchenhilfe erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Aber sie kocht einen hervorragenden Kaffee. Ich trinke die ersten Schlucke, obwohl sie mir beinahe den Rachen verbrühen.


»Der Sohn vom Parkwächter ist noch mal mit dem Hund raus und da hat er einen Mann gesehen, der mit einem Stein aufs Vorhängeschloss eingeschlagen hat.«


»Wer war es?« Er genießt meine volle Sympathie. Jakob ist einsam, auf einem Auge blind und uralt. Zumindest für einen Kolkraben. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der er nicht auf seiner Stange hockte.


Vor ein paar Jahren haben sie sein Gehege vergrößert. Um mehr als drei Flügelschläge darin zu fliegen, ist es trotzdem zu klein.


»Keiner weiß es«, plaudert Moritz und schlendert zum Fenster. »Es war zu dunkel und er zu schnell.«


Armer Jakob. So dicht an der Freiheit war er wahrscheinlich noch nie.


»Ist eh eine Schwachsinnsidee.«


»Warum?« Mir kam der Gedanke schon als Kind. Ich hab mich nur nicht getraut.


»Das Vieh kennt doch nichts anderes als seinen Käfig. Das fühlt sich da drin wohl. Immerhin genießt es Vollpension.«


Ab und an landet neben Obst und Grünzeug auch ein totes Kaninchen oder Meerschweinchen aus den Kleintiergehegen bei ihm. Rein kulinarisch betrachtet hat der Rabe ausgesorgt.


»Sieh dir den Typ an.« Moritz späht zwischen den Lamellen des Rollos auf den Hinterhof. »Wie kann man sich bloß mit dieser Miene ertragen?« Er zeigt auf einen Mann, der rauchend am Vorbau des Frühstücksraumes lehnt und düster Löcher in die Luft starrt.


Verblichene Jeans, schwarzes Shirt, dunkle Haare, die offensichtlich ein Problem mit Kämmen haben, dominante Nase, hageres Gesicht, zu dem der irgendwie sensibel wirkende Mund nicht passen will.


Falk Graustein.


Laut Anmeldeformular der Pension zweiunddreißig Jahre.


Er reiste mit nur einer Tasche plus einer Kiste an, obwohl er sich bis zum Frühjahr bei uns eingenistet hat.


Er wäscht seine Klamotten selbst, statt unseren Wäschedienst zu nutzen, fährt jeden Morgen um sieben mit seinem VW-Bus los und kommt nachmittags zurück.


Die letzte Zigarette raucht er weit nach Mitternacht.


Das behauptet zumindest Julia. Meine Schwester ist eine Eule, im Gegensatz zu mir, und hat kein Problem damit, Graustein heimlich zu beobachten.


Vom Küchenfenster aus hat sie einen direkten Blick auf den kleinen Hinterhof, in dem Graustein nachts auf und ab geht. Immer allein.


Zu den anderen Gästen hält er Distanz.


Wie zu uns.


Julia findet ihn auf eine zerrupfte Weise smart und stört sich nicht an seiner Leichenbittermiene.


Betritt er kurz nach sechs den Frühstücksraum, dimmt sich das Licht.


Gleichgültig, wie ich mich ins Zeug lege, der Kerl erstickt jedes freundliche Bemühen meinerseits mit Einwortsätzen im Keim.


Ja.


Nein.


Hm.


Ist alles.


Ein knappes Nicken statt guten Tag, gar nichts statt auf Wiedersehen und zwischendurch finstere Blicke.


Dabei komme ich für gewöhnlich auch mit schwierigen Menschen zurecht.


Einfach durch belangloses Plaudern und ein Lächeln, das ich durchaus ehrlich meine.


Bei Graustein beiße ich damit jedoch auf Granit.


Nachmittags gegen fünf findet er sich im Café ein.


Es gehört zur Pension, ist winzig und steckt zur Hälfte in der Stadtmauer. Mit dem Fachwerkgiebel und den schiefen Wänden wirkt es wie frisch aus dem Mittelalter gebeamt. Die Touristen stehen drauf.


Leider auch Herr Graustein – auf eine eisig-schweigsame Weise.


Er sitzt stets am Fenstertisch. Mit Laptop und Notizbüchern bewaffnet. Er bestellt sich ein Stück Kuchen aus dem Tagesangebot und ein Kännchen Kaffee. Danach versinkt er in Arbeit und taucht erst daraus hervor, wenn ich ihn darauf hinweise, dass das Café schließt.


Wo, wann und ob er zu Abend isst, weiß ich nicht.


Jedenfalls nicht bei uns.


»Mann, der frisst bestimmt kleine Kinder, so wie der aus der Wäsche guckt.« Noch ein bisschen und Moritz’ Nase drückt sich an der Scheibe platt.


»Der ist immer so.« Ausnahmsweise kann ich es heute verstehen.


Gewitterwolken, schon jetzt eine erdrückende Schwüle, Montag.


Den Wenigsten ist unter diesen Umständen nach zwitschern zumute.


 


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Published on July 23, 2015 23:10
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