Schreiben - die transparenteste aller Künste

Schreiben sei ein Handwerk, heißt es oft... Im Vergleich mit anderen Künsten ist das Schreiben wahrscheinlich die transparenteste und ehrlichste aller Disziplinen. Ein Autor verwendet Buchstaben, Zahlen, Leerzeichen... Wörter, und damit genau das, was andere Leute auch verwenden. Das macht das Schreiben einzigartig. Weder das Material noch die Techniken sind exklusiv. Nur das Ergebnis zählt - und dabei gibt es kaum objektive Kriterien für Qualität.

Köche haben ihre speziellen Geheimrezepte; Maler mixen ihre Pigmente und Designer und Architekten bringen besondere Materialien zum Einsatz. Ein Autor hat die Tastatur und den Wortbestand seiner Sprache. Mehr ist nicht notwendig. Die Qualität der Handschrift spielt seit dem Mittelalter keine Rolle mehr, die Geschwindigkeit beim Tippen ist auch unerheblich geworden und in gewisser Weise sogar der Wortschatz und die Kenntnisse der Grammatik. Es genügt Durchschnittsbildung und rudimentärste Ausrüstung. Damit ist das Schreiben die demokratischste und die am wenigsten exklusive Kunst.

Ein Autor benötigt zum physischen Akt des Schreibens weder besondere Körperbeherrschung, noch Fitness wie die Musiker, Schauspieler oder die Tänzer; man benötigt keine speziellen Werkzeuge wie die Maler oder die Bildhauer. Dies ist auch der Grund, warum es beim Schreiben so schwierig ist, eine Grenze zwischen Profis und Amateuren zu ziehen. Wer schreiben kann ist Autor, das geht in der ersten Klasse der Grundschule los. Das UrhG sieht es ganz genauso. Die deutsche Sprache selbst macht keinen Unterschied zwischen der Fähigkeit, Worte aufs Papier zu bringen und der Fähigkeit, einen guten Text zu schreiben. Beides nennt sich schlicht "schreiben" - aber es ist natürlich nicht das gleiche, wie jeder weiß, der einmal schlechte Prosa gelesen hat. Schreiben ist eine Kunst - aber eine schwer definierbare und damit eine überaus persönliche.

Beim Schreiben zählt nicht allein der Inhalt, schön wär's! Es geht auch nicht darum, wer die längsten Sätze schreiben kann oder wer die meisten Wörter in einer Geschichte unterbringt. Autoren sind daher im Vergleich mit anderen Künstlern oft erstaunlich wenig kompetitiv. Man nimmt sich gegenseitig keine Leser weg, im Gegenteil: Jeder gute Autor erhöht die Chancen der anderen Autoren auf mehr Leser.

Das ist vielleicht der Grund, warum es kaum Autoren-Gilden oder Clubs gibt, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg Bestand haben, wie das etwa bei Artisten der Fall ist: Es gibt einfach kein Geheimwissen, das von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Im Gegenteil, die meisten Autoren teilen ihre Einsichten in das, was ihrer Ansicht nach gutes Schreiben ausmacht, überaus freigiebig mit. Der freigiebigste und zugänglichste war Blake Snyder, der leider 2009 starb. Sein Buch, Save the Cat, hat sich mittlerweile zu einer Art Bibel für Autoren entwickelt, nicht nur für Drehbuchautoren.

Es wird immer wieder behauptet, dass Schreiben ein Handwerk sei, das man lernen könne. Aber dieser Satz betrifft nur das Schreiben bestimmter Genres:
Man kann lernen wie man buchstabiert oder eine Geschichte konstruiert. Man kann lernen, wie ein Hollywood-Film konstruiert ist oder welche Regeln für einen Tatort gelten. Die Grundbedingungen für gutes Schreiben an sich sind indessen nichts anderes als nur Ehrlichkeit und eine eigene Stimme - was vielleicht sogar das gleiche ist. Alles, was darüber hinausgeht, ist Luxus...



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Published on April 20, 2013 15:49
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über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
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