Eine schleichende Gefahr namens Crowdfunding. Oder: Warum wir die Probleme an der Wurzel anpacken müssen.


Immer öfter erreichen mich Spendenanfragen via Crowdfunding für Assistenzhunde, Rollstühle oder barrierefreie Autos und seit Neuestem auch Assistenz. Der Staat oder die Krankenversicherungen weigern sich zu zahlen. Sind das gute Zeichen an der Wand?


Manches Unbehagen kommt durch die Hintertür, und gut versteckt ist es auch, verborgen hinter Worten, die eigentlich nur grundgut klingen – so wie „Crowdfunding“. Ich selbst habe oft eine Schwäche für diesen Begriff, sah und sehe in der Schwarmfinanzierung ein faszinierendes Instrument der Selbstermächtigung guter Ideen, die ansonsten kaum wüchsen. Doch es gibt auch eine andere Seite.


Immer öfter erhalte ich Anfragen mit der Bitte um Verbreitung zur Beteiligung an Spenden, schließlich habe ich selbst einige Projekte über den Schwarm angeschoben. Doch was, wenn es um die Finanzierung eines elektrischen Rollstuhls für von MS Betroffene geht, oder um eine Zwangsräumung von Mietern mit Behinderung zu verhindern? Wenn die Deutschland-Seite der Crowdfunding-Plattform „Gofundme“ 179 Einträge zum Suchwort „Rollstuhl“ präsentiert, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Denn dass Crowdfunding dort einspringen soll, wo sich der Staat aus seiner Verantwortung zurückzieht, ist für mich kein verheißungsvolles Zukunftsszenario.


In den USA ist Crowdfunding von Gesundheitsbelangen längst Alltag. Da sammeln Leute, die das Pech haben eben nicht reich zu sein, verzweifelt Geld für ihre Insulindosen ein, welche sie als Diabetiker dringend benötigen. Steht eine Krebsoperation an – wird erstens die Kreditkarte leergeräumt und zweitens der Crowdfundingaufruf formuliert. Dies liegt natürlich an den Gesundheitskosten in den USA, welche höher sind als in Deutschland, und am schlechteren Krankenversicherungswesen. Aber wir sollten uns schon heute darüber Gedanken machen, wie die aktuellen Verhältnisse in Amerika keine Vorboten für die unsrigen werden.


Kurz und knapp: Je schwächer das Engagement des Staates für seine Bürger, desto stärker die Bemühung dies durch Crowdfunding auszugleichen.

Im Grunde handelt es sich um Crowddonating – bei Funding denkt man an kreative Ideen, an Nischenprojekte, denen zum Durchbruch verholfen wird, indem sich viele „kleine Leute“ zusammentun, um den Unbeweglichen da oben eines auszuwischen; es geht darum sich an einer „Aktion“ zu beteiligen und sich gut dabei zu fühlen. Und das auch oft zurecht.


Wenn schließlich Bedürftige vor Unrecht bewahrt werden, dokumentiert dies auch die Stärke und innere Solidarität in Communities wie an Diabetes Erkrankten. Nur bergen diese Aktionen nur einzelne Lösungsversuche, strukturell oder nachhaltig sind sie nicht. Spenden sollen in der Not helfen, aber keinen tragischen Normalzustand reparieren.

Natürlich bleibt Crowdfunding eine soziale Grunderrungenschaft des Netzes, und es existierte auch bereits davor: Im 19. Jahrhundert wurde der Sockel der Freiheitsstatue von New York durch 160.000 Einzelspenden finanziert – symbolischer gelingt eine Selbstermächtigung kaum. Aber in gesundheitlichen und anderen freiheitlichen Belangen geht es auch ums Recht.


Vielleicht hatten die New Yorker vor 130 Jahren nicht den ultimativen Anspruch auf eine 92,99 Meter hohe Freiheitsstatue in ihrem Hafen; ein Recht auf angemessene Versorgung mit Insulin oder die möglichst beste Turmorbehandlung aber haben sie schon. Ebenso halte ich es in Deutschland für ein absolut gesetztes Recht, dass an MS Erkrankte von der Kasse einen elektrischen Rollstuhl gestellt bekommen, wie ich es für ein absolut gesetztes Unrecht halte, wenn Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, wegen fehlgeleiteter Mietzahlungen vor die Tür gesetzt werden.


Es ist auch nicht schwer zwischen Bedarf und Luxus zu unterscheiden. Ein kurzer Blick auf Spendenprojekte bei „Gofundme“ in Deutschland: Für Kinder mit schweren Behinderungen ist eine Tiergestützte Therapie kein Freizeitspaß, sondern manchmal notwendig. Der Umbau des Familienautos nach behinderungsgerechten Maßstäben ist auch kein Autotuning. Wenn dagegen für einen Offroad-Rollstuhl zum Befahren des Jakobweges gesammelt wird, ist das sicherlich ein tolles Projekt, aber nicht unbedingt ein Fall für die Krankenversicherung. Wir sollten nicht leichtfertig hinnehmen, wenn sich über die Hintertür des Crowdfunding Kasse und Staat die Gelegenheit eröffnet sich aus ihren Pflichten zu stehlen.


In Amerika kämpfen Menschen mittels Crowdfunding ums Überleben. In Deutschland sorgt sich Crowdfunding ums Wohl von an Diabetes erkrankten Katzen oder um die Finanzierung eines Diabetikerwarnhundes – noch. Stellen wir sicher, dass dem so bleibt.



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Published on January 05, 2019 03:12
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