Schreibkick #26: Asche – Gastbeitrag von Veronika

Hallo ihr lieben,


diesen Monat gibt es zusätzlich zu meinem Beitrag auch noch einen Gastbeitrag, da Veronika einen wunderschönen Text geschrieben hat, aber leider noch keine eigene Seite hat, um ihn zu veröffentlichen.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!


Asche – Ein Ende und doch kein Ende

Asche. Ungefähr 3 Kilo davon. Vorwiegend Oxide und (Bi-)Karbonate. Kalziumoxid. Eisenoxid. Magnesiumoxid. Manganoxid. Phosphoroxid. Kaliumoxid. Siliziumoxid.


Natriumcarbonat und Natriumhydrogencarbonat. Ein paar Knochenreste. Das was halt noch so übrig ist. Von mir. Nach einem langen Leben. Meine sterblichen Überreste im Muffelofen bei 1200 °C auf ein Minimum reduziert.


Und jetzt?


Ich lach mir eins. Ihr Würmer und Maden, ihr Bakterien und Pilze – ätsch! Ihr bekommt mich nicht.


Natürlich wird mich auch keiner exhumieren können. In ferner Zukunft. Zufällig oder gewollt. Und womöglich feststellen, wie außergewöhnlich ich gewesen sei. Wie der Zustand meiner Zähne war. Wie alt ich war und wie weit fortgeschritten meine Arthritis. Nein. Keiner kann das dann noch feststellen.


Die letzten Wochen waren schwer. Für mich und auch für meine Lieben. Wobei ich ja schon gar nicht mehr wirklich in diesem Leben war. Ich war am Loslassen. Meine Liebsten nicht. Das geht ja nicht. Natürlich weiß jeder, dass der Tod unausweichlich ist und es einen jeden früher oder später (be)trifft. Aber wenn es dann wirklich soweit ist, dann klammert sich ein jeder daran. Keiner mag Veränderungen. Oder die Ungewissheit, wie es jetzt weitergehen wird.


Aber wie schon gesagt, das ist vorbei. Ich als menschliche Existenz bin fort. Was bleibt, ist ein Teil meiner Bausubstanz. Jene Stoffe, die wir im Boden finden und in Tieren und Pflanzen, selbst in der Luft und im Wasser ohnehin. Man nehme eine Handvoll Zutaten, mische gut durch und es entsteht immer wieder etwas Neues. Tröstlicher Gedanke!


Ich wollte durchs Feuer gehen. Und danach zum Wasser. Ins Wasser. Verstreut meine Asche dort beim See. Dort, wo ich immer so gern gewesen bin …


Ach wie schwer haben sie es sich gemacht, meine Liebsten. Mein Mann, meine Kinder. Weil ich sie um diesen letzten Gefallen gebeten habe. So viel Trauer, so viele Tränen, so viel Verzweiflung.


„Wie sollen wir damit klar kommen, wenn es kein Grab gibt, wo wir dich besuchen können?“


„Aber ich bin ja da! Ich bin überall. Am allermeisten in euren Gedanken und Erinnerungen. Was braucht es da ein Grab oder ein Schild mit meinem Namen? In hundert Jahren bin ich ein Hauch einer Erinnerung. In tausend Jahren vergessen.“


Also sind sie zum See gefahren mit meiner Asche und haben sie ins Wasser gestreut. Ins immer noch winterkalte Wasser mit den letzten Eisschollen am Ufer. Still lag die Oberfläche an diesem Tag da. Die ersten Frühlingssonnenstrahlen glitzerten und funkelten und blendeten in den Augen, dass sie zu tränen begannen. Die trockene Asche bildete einen feinen Film auf dem Wasser, nur langsam drang das Nass hindurch und färbte die feinen Staubpartikel dunkler. In der Nähe löste sich ein Stein aus der Böschung und holperte ins Wasser. Platsch! Der Stein erzeugte eine Welle und diese schwappte herüber und zerteilte die Ascheeinheit. Ein Motorboot fuhr in einiger Entfernung vorbei und wieder wurde die bisher so stille Oberfläche aufgewühlt. Wellen kräuselten sich und die Asche, meine Asche, wurde immer mehr verteilt.


Meine Liebsten verschlossen ihre unendliche Trauer tiefer in sich, sie trockneten ihre Tränen und machten sich auf den Heimweg. Das Leben ging unbarmherzig weiter, verlangte nach alltäglichen Beschäftigungen, verlangte nach Essen und Trinken. Eine weniger. Nicht großartig genug, dass irgendwo ein Vorhang in der Mitte durchreißt oder sich die Sonne verdunkelt. Das Leid und der Schmerz am größten in meiner kleinen Familie, abnehmend nach außen hin zu den näheren und den ferneren Verwandten, dann zu den Bekannten, guten welchen und in weiterer Folge ferneren welchen. Vergleichbar mit einem Kiesel, der ins Wasser fällt. Zuerst bildet er große Wellen, die aber nach außen hin immer kleiner und flacher werden. So stelle ich mir das vor. Und auch, dass meine Wellen nicht so riesig groß waren.


Meine Asche treibt also auf dem Wasser in verschiedene Richtungen davon. Manches setzt sich gleich noch am Seeufer fest. Andere Partikel treiben weiter. Eine Ente landet mit leisem Platschen mitten drin und nimmt beim Wegfliegen auch einen Teil mit. Später kommt ein Reh ans Ufer und stillt seinen Durst. Diesmal trinkt es ein paar Staubkörnchen mit und geht seiner Wege. So verteilt sich mein irdischer Rest. Manchmal nur in der Nähe, manchmal auch sehr viel weiter fort. Die Zeit geht weiter. Jahreszeiten wechseln.


Dann kommt ein neuer Frühling. Meinen Lieben fehle ich noch immer. Das wird sich so auch nie mehr ändern. Tomaten haben sie ausgesät. So wie ich auch immer um diese Zeit. Zart sprießen die Pflänzchen. Endlich wird es warm und sie dürfen nach draußen in den Garten. Eine ordentliche Portion Komposterde bekommen sie, damit sie stark und kräftig wachsen.


Der Sommer zieht ins Land. Die Tomaten blühen mit zarten gelben Blüten und endlich reifen die ersten Früchte.


Meine Lieben ernten erste Tomaten und während sie in die sonnenwarmen runden Paradiesäpfel beißen, überkommt sie eine eigenartige Ruhe. Still werden sie und Friede erfüllt sie. Zauberparadiesäpfel müssen das sein! Zu dritt stehen sie beisammen und genießen. Früchte, die aus der Erde gewachsen sind. Die in ihren satten Farben von rot und grün das Auge erfreuen. Wo der rötliche Saft zwischen den Fingern runterrinnt, als sie in die runden Kugeln beißen. Während die Sonnenstrahlen sanft ihre Rücken wärmen. Als wäre alles wieder gut.


Es ist ja alles gut.


Ich bin zurückgekommen. Vielleicht an den Füssen dieser Ente. Oder mit dem Wind, der mich hierher geweht hat. Oder auch mit dem Regen. Ich bin zurück im Garten und bei den Tomatenpflanzen. Denen habe ich Kraft gegeben. Gemeinsam mit der Sonne habe ich das Beste geschaffen, was möglich war. Wunderbar knackig-saftige Paradeiser, die meinen Lieben in all ihrer Süße zeigen sollen, wie schön das Leben ist. Wenn sie hinterher beim Schlucken noch ein wenig scharf und herb im Abgang sind so ist das nur ein weiterer Beweis, dass auch das Leben seine nicht so glücklichen Momente hat. Dass man trotz aller Schönheit auch immer ein wenig Schärfe und Wehmut dabei hat. Dass nichts zu hundert Prozent nur gut oder schlecht ist, sondern dass es immer auch feine Nuancen gibt.


Es ist alles gut.


Ich bin da.


Immer.


(Veronika Weinberger)


Diesen Monat waren dabei: 


Evas Geschichten

Nicole Vergin

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Das Thema für den 01.04.16 lautet: Geborgenheit

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Published on March 02, 2016 07:46
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