Für ein gutes Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen!
Die Bundesregierung plant mit der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) Verbesserungen für Menschen mit Behinderung in Sachen Barrierefreiheit. Allerdings wird die Privatwirtschaft in ihrer Verpflichtung ausgenommen. So heißt es im Entwurf:
Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft:
Der Wirtschaft entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten:
Keine.
Der Bundesrat scheint das in Ordnung zu finden und ignoriert damit die Empfehlung des federführenden Ausschusses für Arbeit, Integration und Sozialpolitik des Länderparlaments.
Auf ZEIT Online schreibt Christiane Link treffend:
Inklusion und Teilhabe wird ohne die Privatwirtschaft aber nicht funktionieren. Wir gehen in Supermärkte, Cafés, Restaurants, Kaufhäuser, fliegen in den Urlaub und gehen ins Kino. Außerdem schaffen private Unternehmen Arbeitsplätze, die auch behinderte Menschen brauchen und gut ausfüllen können. Es ist also nicht realistisch zu glauben, ein Behindertengleichstellungsgesetz sei ausreichend, wenn es nur den Staat in die Pflicht nimmt.
Wer wirklich möchte, dass behinderte Menschen endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen, der darf sich nicht davor fürchten, privaten Unternehmen Auflagen zu machen. Ausgerechnet Länder wie Großbritannien und die USA schaffen das, obwohl sie nicht gerade als wirtschaftsfeindlich bekannt sind. Aber die Politik in Deutschland traut sich immer noch nicht, Privatunternehmen zur Barrierefreiheit zu verpflichten.
Wichtig dabei: Verhältnismäßigkeit. Es geht nicht darum, dem kleinen Eckkiosk am Ende der Straße einen 100.000 Euro teuren Lift vorzuschreiben, aber für große Banken sollte das kein Problem sein.
Nun müssen wir aktiv werden und unseren Bundestagsabgeordneten unsere Meinung sagen. Hier mein Brief:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie werden in Kürze über einen Entwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes im Deutschen Bundestag debattieren. Da ich selbst Rollstuhlfahrer bin, werde ich von Ihren Entscheidungen in der Debatte direkt betroffen sein und deshalb möchte ich Ihnen gerne ein paar meiner Gedanken mit auf den Weg geben:
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Das sehe ich mit großer Sorge, denn im Alltag stoße ich täglich auf Barrieren, die von diesem Gesetzesentwurf nicht erfasst werden. Zu dieser Problematik habe ich mit meinem Verein, den SOZIALHELDEN, vor fünf Jahren Wheelmap.org gegründet, eine Onlinekarte zum Suchen und Finden von rollstuhlgerechten Orten.
Denn es ist wirklich sehr ärgerlich, wenn die Abendplanung ins Wasser fällt, weil das Café eine Stufe am Eingang hat oder auch spontane Treffen zum Essen in der Mittagspause nicht möglich sind. In der Wheelmap sind mehr als 630.000 Orte weltweit markiert, ob sie rollstuhlgerecht sind oder nicht. In Deutschland sind über 90.000 Orte nicht rollstuhlgerecht, dazu kommen mehr als 92.000 öffentlich zugängliche Orte, die nur teilweise zugänglich sind. Die meisten dieser Orte werden von privaten Anbietern betrieben. Wir reden also von mehr als 180.000 Orten, die von dem aktuellen Gesetzesentwurf nicht betroffen wären.
Hinter diesem Link finden sie eine Übersicht wie es allein in Berlin Mitte mit der Zugänglichkeit aussieht.
Ich begrüße natürlich, dass es überhaupt einen Gesetzesentwurf zur Barrierefreiheit gibt, weil damit die Zugänglichkeit von öffentlichen Schulen und Ämtern gefördert wird. Auf der anderen Seite sollten wir in einer inklusiven Gesellschaft so viele Orte wie möglich zugänglich machen. Der Bäcker in der Nachbarschaft, das Programmkino oder der Einkaufsladen an der Ecke gehören für Menschen mit Behinderungen genauso zum Alltag wie der Besuch einer Schule oder Behörde.
In den USA gibt es seit über 25 Jahren den Americans with Disabilities Act (ADA), der die barrierefreie Zugänglichkeit von privaten Läden, Restaurants, Geschäften und vieles mehr regelt. Warum sollte das also nicht auch in Deutschland möglich sein?
In dieser ganzen Debatte geht es nicht nur um mich, sondern um mehr als 1,6 Millionen Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer in Deutschland. Dazu viele Menschen, die auf Mobilitätshilfen, wie Rollatoren, angewiesen sind, und Familien mit Kinderwagen. Barrieren, die wir abbauen können, kommen Allen zu gute, ob jetzt oder in Zukunft. Sie haben die Chance darüber zu entscheiden, wie wir Barrierefreiheit in Zukunft in Deutschland behandeln werden.
Ich würde mich freuen, wenn dieser Einblick bei Ihrer Entscheidung eine Rolle spielen kann und wir einen Weg finden, dass der Alltag für Menschen mit Behinderungen einfacher wird. Ihre Meinung zu dem Thema würde mich sehr interessieren und so stehe ich Ihnen gerne für Fragen zur Verfügung und Danke Ihnen für Ihre Zeit.
Mit freundlichen Grüßen,
Raul Krauthausen
Auch in der UN-Behindertenrechtskonvention steht unter Artikel 9, 2b:
Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.
Im Übrigen blockiert Deutschland auch die 5. EU-Antidiskriminierungsrichtline. Aus Angst, die Privatwirtschaft zu sehr in die Pflicht zu nehmen?
Jetzt ist es an uns! Egal ob Menschen mit Behinderungen oder noch-nicht Behinderte, Barrierefreiheit hilft allen Menschen und daher würde ich mich freuen, wenn ihr euren politischen VertreterInnen, euren Abgeordneten schreibt und sie auf das Menschenrecht von Zugänglichkeit hinweist.