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March 20 - April 7, 2024
ein Propaganda-Phantom, ein sogenanntes »image« zu kreieren, und das Resultat war, daß sich ein Streit um ein Buch erhob, das niemals geschrieben worden ist, wie es in einer Version ja auch in einem »Witzblatt« zuerst publiziert worden sein soll, das es in Amerika nicht gibt. (Das angebliche Witzblatt, »The New Yorker«,
(administrative massacres,
zudem den Vorteil haben, mit dem Vorurteil, daß solche Ungeheuerlichkeiten nur einem fremden Volk oder einer andersgearteten Rasse gegenüber möglich sind, aufzuräumen. Ganz abgesehen davon, daß Hitler seine Massenmorde bekanntlich mit dem »Gnadentod« der »unheilbar Kranken« begann und die Absicht hatte, sie mit »erbgeschädigten« Deutschen (Herz- und Lungenkranken) zu enden, liegt es auf der Hand, daß das Ordnungsprinzip, nach dem gemordet wird, beliebig bzw. nur von historischen Faktoren abhängig ist. Es ist sehr gut denkbar, daß in einer absehbaren Zukunft automatisierter Wirtschaft Menschen
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werden alle Räder und Rädchen im Getriebe vor Gericht automatisch wieder in Täter, also in Menschen zurückverwandelt. Wenn der Angeklagte sich damit entschuldigt, er habe nicht als Mensch, sondern als bloßer Funktionär gehandelt, dessen Funktionen von jedem anderen ebenso hätten ausgeführt werden können, so ist es, als ob ein Verbrecher sich auf die Kriminalstatistik beruft, derzufolge soundso viele Verbrechen pro Tag an dem und dem Orte begangen werden, er also nur das getan habe, was die Statistik von ihm verlangt habe – denn einer muß es dann doch schließlich machen.
Die Theorie des Hoheitsakts stützt sich darauf, daß ein souveräner Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen kann par in parem non habet jurisdictionem; praktisch war dies Argument bereits in Nürnberg aussichtslos, weil man ihm zufolge auch Hitler, den einzigen, der ja wirklich im vollen Sinne verantwortlich war, nicht hätte vor Gericht ziehen können, was wiederum dem elementarsten Rechtsgefühl widersprach.
daß diese Verbrechen sich innerhalb einer »legalen« Ordnung vollzogen, ja, daß dies ihr eigentliches Kennzeichen ist.
für das Handeln des Staates, der die Verantwortung für die Existenz des Landes und damit auch für die in ihm geltenden Gesetze trägt, nicht die gleichen Regeln gelten wie für die Einwohner.
Kann für eine staatliche Ordnung, in der das Verbrechen legal und die Regel ist, der gleiche Grundsatz gelten wie für einen Staatsapparat, in dem das Verbrechen und die Gewalt als Ausnahmen und Grenzfälle erscheinen?
Straf- und Militärgesetzbüchern zivilisierter Länder, vor allem auch Deutschlands, das die einschlägigen Paragraphen unter Hitler keineswegs außer Kraft gesetzt hatte; sie alle stimmen darin überein, daß offensichtlich verbrecherische Befehle nicht befolgt werden dürfen.
Was wir in diesen Prozessen fordern, ist, daß Menschen auch dann noch Recht von Unrecht zu unterscheiden fähig sind, wenn sie wirklich auf nichts anderes mehr zurückgreifen können als auf das eigene Urteil,
Gegen die Anklage, die Hochhuth gegen einen einzelnen Papst erhoben hat und die man dokumentarisch belegen kann, stellt man die Anklage gegen das Christentum überhaupt, oder man sagt: »Zweifellos gibt es Grund für schwere Beschuldigungen, aber der Angeklagte ist das ganze Menschengeschlecht« (Robert Weltsch).
Es hat sich inzwischen wohl herumgesprochen, daß es eine Kollektivschuld nicht gibt und auch keine Kollektivunschuld und daß, wenn es dergleichen gäbe, niemand je schuldig oder unschuldig sein könnte. Was es aber wohl gibt, ist eine Kollektivhaftung im politischen Bereich,
Politisch haftet jede Regierung eines Landes für all das, was durch die Regierung, vor ihr zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist.
Deshalb die merkwürdig rühmende Feststellung, daß ein Gerichtshof »keine völkischen Unterscheidungen macht«,
wo der Personalstatus jüdischer Bürger durch rabbinisches Gesetz bestimmt wird, kein Jude einen Nichtjuden heiraten darf, völkische Unterschiede also juristisch verankert sind, weniger befremdend anhörte.
Wie dem auch sei – die Unbekümmertheit, mit der der Ankläger die berüchtigten Nürnberger Gesetze von 1935 anprangerte, in denen Eheschließung und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Deutschen verboten wurden, verschlug einem einigermaßen den Atem. Die besser unterrichteten Korrespondenten waren sich der Ironie recht gut bewußt, doch sie erwähnten sie in ihren Berichten nicht. Dies war offenbar nicht der Moment, den Juden zu sagen, was mit den Gesetzen und Einrichtungen ihres eigenen Landes nicht in Ordnung ist.
»Der Triumph der SS verlangt, daß das gemarterte Opfer sich ohne Protest zum Galgen führen läßt, daß es auf Widerstand verzichtet und sich selbst so weit aufgibt, daß es die eigene Identität verliert. Und das geschieht nicht ohne Grund. Nicht umsonst, nicht einfach aus Sadismus bestehen die SS-Leute auf dieser Unterwerfung. Sie wissen, ein System, das sein Opfer zu zerstören vermag, ehe es aufs Schafott steigt …, ist unvergleichlich besser geeignet als jedes andere, ein ganzes Volk zu versklaven und in der Sklaverei zu halten. Nichts ist schrecklicher als diese Prozessionen menschlicher Wesen,
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nach dem Kampf einer jüdischen Widerstandsgruppe mit deutschen Sicherheitspolizisten im alten Judenviertel von Amsterdam verhaftet und zunächst nach Buchenwald gebracht wurden, um dann in dem österreichischen Konzentrationslager Mauthausen buchstäblich zu Tode gefoltert zu werden. Durch Monate hin starben sie tausend Tode, und jeder einzige von ihnen hätte allen Grund gehabt, seine Brüder in Auschwitz oder selbst in Riga und Minsk zu beneiden. Es gibt Schlimmeres als den Tod, und die SS hat zu allen Zeiten dafür gesorgt, daß ihre Opfer diese Tatsache niemals vergaßen.
»allzu großzügige Schuldbekenntnisse« könnten »die komplizierten historischen Zusammenhänge hinsichtlich einer Schuldverflechtung der Völker verdunkeln«, oder umgekehrt: »die Aburteilung eines begrenzten Täterkreises« würde »allen anderen« dazu dienen, »sich nun erst recht jeder Mitverantwortung in einem höheren Sinne« enthoben zu fühlen (Oberkirchenrat Erwin Wilken im »Rheinischen Merkur« vom 7. Juni 1963).
das weitverbreitete Widerstreben in Deutschland, die Vergangenheit wenigstens dadurch zu »bewältigen«, daß man »die Mörder unter uns« zur Verantwortung zieht, zu überwinden.
Obwohl die Last der Beweise gegen diese Leute bereits vor Jahren in Deutschland in Büchern und Zeitschriftenartikeln veröffentlicht worden war, hatte keiner von ihnen es für nötig gefunden, unter falschem Namen zu leben.
(So erhielt einer der führenden Mitglieder der SS-Einsatzgruppen, Dr. Otto Bradfisch, für die nachgewiesene Beteiligung an der Ermordung von 15 000 Juden und für Beihilfe an der Ermordung von 22 000 als Bürgermeister von Lodz insgesamt 13 Jahre Zuchthaus. Eichmanns Rechtsberater, Dr. Otto Hunsche, der jetzt wieder zusammen mit einem Kollegen aus dem Eichmann-Kommando, Hermann Krumey, vor Gericht steht wegen der Ermordung von ungarischen Juden, war ursprünglich im Juli 1962 vom Frankfurter Schwurgericht wegen Beihilfe zum Mord an etwa 600 Juden zu fünf Jahren Zuchthaus ohne Ehrverlust
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140 Richter und Staatsanwälte aus dem Dienst zu entlassen und zahlreiche Polizeibeamte in hohen und höchsten Stellungen, deren Vergangenheit über das in der Bundesrepublik übliche Maß hinaus kompromittiert war, zu entfernen.
den Deutschen selber war es so und auch anders recht. Zwar machte es ihnen nicht viel aus, daß zahlreiche Mörder in ihrem Lande frei herumliefen, weil wohl kaum einer von ihnen ohne Befehl von oben weitere Morde begehen würde, aber wenn nun die Meinung der Welt bzw. »das Ausland« partout darauf bestand, daß solche Leute bestraft werden sollten, dann waren sie auch durchaus bereit, solchem Verlangen entgegenzukommen, zumindest bis zu einem gewissen Grade.
Fritz Bauer, der hessische Generalstaatsanwalt, beantragte denn auch bei der Bundesregierung in Bonn, daß ein Auslieferungsverfahren eingeleitet würde. Aber Bauers Einstellung zu dieser Angelegenheit war die Einstellung eines deutschen Juden, sie wurde von der deutschen öffentlichen Meinung nicht geteilt. Sein Antrag wurde nicht nur von Bonn abgelehnt, er wurde kaum zur Kenntnis genommen und von niemandem unterstützt.
Deutschland habe die Todesstrafe abgeschafft und sei deshalb nicht in der Lage, das Urteil auszusprechen, das Eichmann verdiene. Angesichts der Milde, die deutsche Gerichte gegenüber den Massenmördern der Nazizeit immer wieder bewiesen haben, fällt es einigermaßen schwer, diesen Einwand ernst zu nehmen.
»In der Bundesrepublik müßte mit [Eichmanns] Freispruch ›mangels Bewußtseins‹ der ›Gesetzwidrigkeit‹ … gerechnet werden – wenigstens nach der bisherigen Praxis in einschlägig prominenten Fällen.«)
Denn wahr ist natürlich das genaue Gegenteil jener Versicherungen des Bundeskanzlers vom Frühjahr 1961, daß nur ein verhältnismäßig nicht so großer Prozentsatz der deutschen Bevölkerung Nazis gewesen seien und daß »die allermeisten Menschen, wenn sie irgendeinem jüdischen Mitbürger helfen konnten, das mit Freude und gern getan haben«. Wenigstens eine deutsche Zeitung, die »Frankfurter Rundschau«, beantwortete die naheliegende Frage, warum eigentlich so viele Leute, die beispielsweise die Vergangenheit des Oberbundesanwalts gekannt haben müssen, geschwiegen hätten, mit der noch näher liegenden
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daß sich unter den Belasteten im öffentlichen Leben auch Massenmörder befinden, ist erst im Verlauf der Prozesse der allerletzten Jahre an den Tag getreten.
Denn es hat niemals ein »Gremium, das beschloß« gegeben, und die »Würdenträger mit Talaren und akademischen Titeln« haben niemals über die Ausrottung der Juden entschieden, sondern sie kamen nur zusammen, um die Schritte zu planen, die notwendig waren, den Befehl Hitlers auszuführen.
Was er getan habe, habe er getan, er wolle nichts abstreiten; vielmehr sei er bereit, »als abschreckendes Beispiel für alle Antisemiten der Länder dieser Erde« sich selbst öffentlich zu erhängen. Dies aber hieße nicht, daß er etwas bereue: »Reue ist etwas für kleine Kinder.« (Sic!)
er besann sich ganz genau darauf, daß ihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte: wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlichster Sorgfalt in den Tod transportiert hätte.
Immerhin war ein halbes Dutzend Psychiater zu dem Ergebnis gekommen, er sei »normal« – »normaler jedenfalls, als ich es bin, nachdem ich ihn untersucht habe«,
Ja, es war noch nicht einmal ein Fall von wahnwitzigem Judenhaß, von fanatischem Antisemitismus oder von besonderer ideologischer Verhetzung. »Persönlich« hatte er nie das geringste gegen die Juden gehabt; im Gegenteil, er besaß gute »private Gründe«, kein Judenhasser zu sein.
daß ein durchschnittlicher, »normaler« Mensch, der weder schwachsinnig noch eigentlich verhetzt, noch zynisch ist, ganz außerstande sein soll, Recht von Unrecht zu scheiden.
daß »der Angeklagte innerhalb des NS-Regimes keine Ausnahme gewesen sei«,
Tatsache war ja, daß er »normal« und keine Ausnahme war und daß unter den Umständen des Dritten Reiches nur »Ausnahmen« sich noch so etwas wie ein »normales Empfinden« bewahrt hatten.
Wichtigtuerei und Angeben waren ihm offenbar früh zur lieben Gewohnheit geworden.
Eichmann gab sich die größte Mühe, diesen Punkt zu beweisen: daß er niemals gegen seine Opfer irgendwelche feindseligen Gefühle gehegt, ja, daß er daraus auch nie ein Geheimnis gemacht hätte.
»nunmehr ein führerloses und schweres Eigenleben zu führen habe, daß ich mir an keiner Stelle irgendwelche Richtlinien geben lassen konnte, daß von keiner Seite Befehle und Weisungen kamen, keinerlei einschlägige Verordnungen heranzuziehen waren – kurz, ein bisher nicht gekanntes Leben sich auftat«.
»durch Zufall flog ich … von selber raus«; er hatte nämlich eine Sünde begangen, die ihn noch im israelischen Gefängnis erröten ließ wie seinerzeit, als er »vor Arger und Scham sicherlich rot über beide Ohren [wurde], denn etwas, was entgegengesetzt meiner Erziehung war, das passierte, nämlich ich versuchte, die Tischgesellschaft zu einem Wein einzuladen, das als Jüngster, und damit hatte ich mir das Grab gegraben«.
die »Bewegung«, die niemals stillstand und in der jemand wie er – eine gescheiterte Existenz in den Augen der Gesellschaft, seiner Familie und deshalb auch in seinen eigenen Augen – noch einmal von vorne anfangen und schließlich es doch noch zu etwas bringen konnte.
Selbst wenn ihm nicht immer behagte, was er tun mußte (zum Beispiel Menschen waggonweise in den Tod zu schicken, anstatt sie aus dem Lande zu jagen), selbst wenn er schon ziemlich früh ahnte, daß die ganze Geschichte ein böses Ende nehmen und Deutschland den Krieg verlieren würde, selbst wenn aus allen seinen Lieblingsplänen nichts wurde (aus der Evakuierung des europäischen Judentums nach Madagaskar, aus der Errichtung eines »jüdischen Heims« in der Gegend von Nisko in Polen, aus seiner selbstverfertigten Berliner Verteidigungsanlage gegen russische Tanks), selbst wenn er zu seinem »größten
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hätte er – wenn ihn jemand gefragt hätte – es immer noch vorgezogen, als Obersturmbannführer a. D. gehängt zu werden, anstatt ein friedliches normales Leben als Reisender der Vacuum Oil Company zu Ende zu leben.
(Übrigens war die Sucht, an die Existenz ihrer Gegner durch spezielle Museen zu erinnern, sehr typisch für die Nazis. Während des Krieges stritten sich mehrere Dienststellen erbittert um die Ehre, antijüdische Museen und Bibliotheken zu errichten. Dieser eigenartigen Manie verdanken wir die Rettung eines großen Teils des jüdischen Kulturguts in Europa.)
Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Deutschen und Mischehen neu zu schließen war strafbar: auch durfte keine deutsche Frau unter 45 in einem jüdischen Haushalt beschäftigt werden. Praktische Bedeutung besaß nur die letzte dieser Vorschriften; die anderen legalisierten nur eine Situation, die de facto längst existierte. Daher entstand der Eindruck, daß die Nürnberger Gesetze die neue Situation der Juden in Deutschen Reich stabilisierten.
wo jedenfalls his zum Herbst 1938 die Fiktion aufrechterhalten wurde, daß die Juden freiwillig das Land verließen – falls es ihnen in Deutschland nicht mehr gefiel, konnten sie gehen.
Die Juden jedoch waren altmodisch, sie kannten die 25 Punkte auswendig und glaubten an sie; und was dann der legalen Verwirklichung des Parteiprogramms widersprach, schrieben sie den vorübergehenden »revolutionären Ausschreitungen« undisziplinierter Mitglieder oder Einheiten der NSDAP zu.
Je länger man ihm zuhörte, desto klarer wurde einem, daß diese Unfähigkeit, sich auszudrücken, aufs engste mit einer Unfähigkeit zu denken verknüpft war. Das heißt hier, er war nicht imstande, vom Gesichtspunkt eines anderen Menschen aus sich irgend etwas vorzustellen. Verständigung mit Eichmann war unmöglich, nicht weil er log, sondern weil ihn der denkbar zuverlässigste Schutzwall gegen die Worte und gegen die Gegenwart anderer, und daher gegen die Wirklichkeit selbst umgab: absoluter Mangel an Vorstellungskraft.
daß er »normales, menschliches« Mitgefühl für all sein Pech finden wird. »Ich weiß es nicht, es ist verhext gewesen, mein Leben, was ich auch plante und was ich auch wollte, hat mir das Schicksal irgendwie verwehrt und hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Egal, was es immer gewesen ist.«