Internet und Religion - fast das gleiche





[image error] Was begeistert Menschen am Internet? Sind es die gleichen Faktoren, die für den Erfolg der mittelalterlichen Klöster sorgten?

Man kann fast sagen, die organisierte Religion war das Internet des Mittelalters. Die Kirche verfügte über ein internationales Netzwerk von Knotenpunkten, an denen Wissen gespeichert wurde, die Klöster. Zugang (login) war möglich für alle, die die Weltsprache Latein sprachen. In den Klöstern wurden Texte kopiert, vervielfältigt und verbreitet, Datenschutz wurde kaum praktiziert und Urheberrechte waren kaum zu schützen. Mittelalterliche Blogger wie Thomas von Aquin oder Duns Scotus erreichen gigantische Leserschaften.

Die Klöster speicherten praktisches, theoretisches und auch esoterisches Wissen, was dazu führte, dass riesige Konglomerate neben kleinen und kleinsten wirtschaftlichen Einheiten erwuchsen. Damit entstand ein paralleles Netzwerk zu den offiziellen Kanälen der höfischen Politik. Die Herrscher verstanden wenig von den technischen Funktionsweisen der Klöster und misstrauten den Leitfiguren.

Man kannte feindliche Übernahmen und Verdrängungskämpfe unter hochprofitablen Organisationen, es gab Booms, Blasen und Konkurse - genau wie im Silicon Valley. Die Klöster speicherten Wissen auf eine vollkommen neue Weise und verhinderten, dass alte Kenntnisse der Antike verloren gingen. Daraus schöpften sie Werte und Einfluss. Sie waren hoch vernetzte Archive, an denen ungezählte Menschen Redaktionsarbeit leisteten. Es gab kostenlose und kostenpflichtige Angebote. 
Die Klöster des Mittelalters waren Plattformen, Datenbanken und soziale Netzwerke in einem. Das Internet kennt Heilsversprechen und Horrorszenarien, genau wie Dantes Inferno.

Das Internet ist, genau wie die Klöster des Mittelalters gleichzeitig eine zutiefst weltliche Angelegenheit, die jedoch zahllose Möglichkeiten bietet, dem Alltag zu entfliehen. Neue Kunstformen entstehen in solchen Rahmenbedingungen - vor allem in Bezug auf Musik, Grafik und Texte.


[image error] Icons Die Klöster wurden überwacht; Moderatoren herrschten über die Unterbereiche und sanktionierten Verstöße gegen die Netikette mit häufig brennendem Glaubenseifer. Die meisten Positionen waren mit Männern besetzt, die auf der Suche nach neuen Erkenntnissen waren und die ihre Datensammlungen eifersüchtig verteidigten. In Ecos Name der Rose wird geschildert, wie eine Art Open-Source-Bewegung für antike Texte entsteht, die von konservativen Autoritäten unterdrückt wird. Es ist eine uralte Frage, wie frei Informationen sein dürfen oder sollten. Die radikalen Antworten darauf sind fast ebenso alt.

Die Klöster kannten genau wie das Netz heute Aktivisten, Heilige, Ketzer, Visionäre, Saboteure und Karrieristen, die in dem Netzwerk Identität und Integration in ein faszinierendes Kommunikationssystem fanden, das alle anderen Systeme an Effektivität übertraf - und es versprach Sicherheit, Versorgung und Erlösung, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass die User sich beim Eintritt neue Namen zulegten.




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Published on July 04, 2013 14:21
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über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
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