Unmögliche und denkbare Sprachen

Die Tradition Sprachen zu erfindenSchriftsteller bearbeiten ihre Sprachen in dem gleichen Maß wie sie sie einsetzen. Wie in fast allen anderen menschlichen Betätigungen auch geht es darum, Grenzen nach außen zu verschieben und Neuland zu erobern. Dabei sind nicht alle Autoren gleichermaßen kreativ. Einige, wie Lee Child und Ernest Hemingway verwenden ihre Sprachen relativ genau in dem Umfang, wie sie ohnehin bestehen. Diese Tradition ist in Deutschland besonders stark, wo sich die Mehrheit der Autoren (und auch der Verlage) scheinbar mehr oder weniger exakt an den Duden hält. Natürlich gibt es Ausnahmen, zum Beispiel Arno Schmidt und Kurt Tucholsky, aber auch Ernst Jandl und die Dadaisten.

Vor allem in England jedoch gibt es eine Tradition, in der Terry Pratchett und Douglas Adams aber auch George Martin ("Dothraki") stehen: Sie erweitern ihre Muttersprache um neue Wörter und grammatische Optionen konsequent. 


Václav Havel konstruierte für sein Stück "Memorandum" eine eigene fiktive Sprache, "Ptydep", das ähnlich wie Orwells "Neusprech" dazu diente, die tödliche Verlogenheit realer bürokratischer Sprachgewohnheiten zu demaskieren.  

Wiederum andere Schriftsteller sind noch weiter gegangen und haben eigene Sprachen entworfen, freie Kunstsprachen, aus denen heraus sie ihre Stoffe entwickelten. Die beiden berühmtesten sind Tolkien, der gleich mehrere Sprachen Mittelerdes entwarf und daraus seine Stoffe ableitete, wobei er sich bekanntlich von dem Korpus der Sagen der Edda inspirieren ließ.

Die Tradition, ganze Sprachen zu erfinden, lässt sich unter anderem auf Thomas Morus, hier im Bild, und Jonathan Swift zurückverfolgen. John Dee versuchte im 16. Jahrhundert, die Sprache der Engel zu rekonstruieren und nannte sein Ergebnis "Enochian", nach dem biblischen Enoch, dem Ur-Großvater (oder so) von Noah. Diese erfundene, aber wenig anspruchsvolle Sprache inspirierte Aleister Crowley und H.P. Lovecraft zu ihren okkulten Werken.

Dennoch: Einige dieser Kunstsprachen oder Ausdrucksweisen sind geradezu ansteckend, wie etwa die Art und Weise, wie Master Yoda aus Star Wars spricht, oder der große Diktator von Charlie Chaplin. Auch die nicht sehr anspruchsvolle Schlumpfsprache hat diese Qualitäten. Sie wirkt auf Kinder besonders stark, beziehungsweise auf das Kindliche im Leser. 
Wesentlich komplexer ist das Klingonische, eine fiktive Sprache aus dem Weltraum. Sie ist inzwischen umfassend erforscht und hat, wenn man den Angaben irdischer Klingonen vertrauen will, mehr Anhänger als Esperanto und Volapük zusammen. Diese fiktive Sprache ist tatsächlich als eigenständige Sprache anerkannt mit eigener ISO-Kodifizierung und Dokumentation.

Wie immer hat die amerikanische Unterhaltungsindustrie den umfassendsten Blick auf dieses Phänomen. So gab etwa Disney dem Linguisten Marc Okrand, der in den Achtzigern auch das Klingonische erschaffen hatte, den Auftrag eine Muttersprache aller Sprachen zu erfinden, um den Film, Lost Empire (2001) zu bedienen. Dieses grandiose und linguistisch vieldiskutierte Vorhaben führte dazu, dass eine komplett fiktive Sprache entstand, auf die eine große Zahl real bestehender Sprachen zurückzuführen sei, und seien sie so verschieden wie Chinesisch, Hebräisch oder Griechisch.

















.
 •  0 comments  •  flag
Share on Twitter
Published on May 07, 2013 23:21
No comments have been added yet.


über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
Follow Albrecht Behmel's blog with rss.