Der Deutsche Film oder: Walking with Zombies

Umfrage-Ergebnis: "Deutsches Kino" - wie man einen richtig teutonischen Film macht...
 
Wenn man einen "echt deutschen Film" produzieren will, muss man laut meiner letzten Umfrage folgendermaßen vorgehen. 
(befragt wurden 19 nicht sonderlich repräsentable Filmschaffende im Post-Berlinale Trauma)

Im Grunde ist es ganz einfach, und das ist schon mal die Hälfte der Tragödie...

1.) Man nimmt ein beliebiges Drehbuch und entfernt alle Szenen mit Action, Komik, Sinnlichkeit, Natur, Esprit, Erotik bzw. Lebensfreude. Statt dessen werden ausführliche und pädagogisch raffinierte Dialoge und Monologe im Stil von Heinrich Böll eingefügt, in denen erklärt wird, was vor Beginn der Handlung vermutlich geschehen sei.

2.) Dieses Drehbuch wird noch zweimal von zwei überforderten Praktikanten überarbeitet und am letztmöglichen Termin bei der Filmförderung eingereicht. Möglichst alle Bedenken von Sendern, Verwandten, Passanten, Förderern und Verleihern müssen berücksichtigt und von den Praktikanten in das Drehbuch eingearbeitet werden.

3.) Alle Rollen werden kostengünstig mit unvermittelbaren Theaterschauspielern, Verwandten oder mit einem Klon von Til Schweiger besetzt. Außer Veronica Ferres sollte kein Darsteller sowohl talentiert als auch attraktiv sein, sondern maximal eins von beidem. Besser noch keins von beidem.

4.) Locations dürfen keinen Wiedererkennungswert haben und Landschaftsaufnahmen haben allein den Zweck, die Sinnlosigkeit des Daseins auszudrücken. Es ist erlaubt, längere Einstellungen von Plattenbauten durch noch längere Einstellungen von anderen Plattenbauten stilistisch aufzulockern.

5.) Jegliche dramatisch wichtige Handlung, wie zum Beispiel Händewaschen oder Geschirrspülen ist stets in Echtzeit und in voller Länge zu zeigen. Ausnahme: Mario Adorf spült. In diesem Fall ist Marios Bart in Echtzeit und voller Länge zu zeigen.

6.) Jede wichtige Figur muss mindestens einmal einen gänzlich unvermittelten Wutanfall oder Heulkrampf erleiden, um den Geist Klaus Kinskis in der Unterwelt nicht zu verstimmen. Es gilt die Regel: Je unbegabter der Darsteller, desto lauter das Gebrüll oder Geheul. Jegliche Musik sollte leise und in einer zuverlässig risikofreien moll-Tonart sein.

7.) Es muss möglichst viel lausiger ("kantiger") O-Ton eingesetzt werden, um die Atmosphäre der Locations (siehe Punkt 4) einzufangen und den Gehalt der Dialoge auf einer sozialkritischen Ebene zu betonen. Es ist streng darauf zu achten, dass Dialoge tatsächliche Sprachgepflogenheiten auf keinen Fall widerspiegeln. Fremde Akzente oder Dialekte dürfen nie mit Muttersprachlern besetzt werden. Denn Nachahmung ist das eigentliche Original.

 8.) Bei Spezialeffekten ist anzustreben, dass sie bei herzschwachen Rentnern und sensiblen Kleinkindern höchstens mitleidiges Lächeln hervorrufen. Das gleiche gilt für alle Szenen, die fahrende Autos zeigen, auf denen nicht Mathis Landwehr steht. Aus dem Kino-Plakat darf das Genre nicht hervorgehen.

 9.) Der Spannungs-Bogen muss genau wie von Brecht gefordert, möglichst flach gehalten werden, um jegliche emotionale Erregung zu vermeiden, die das kritische Urteilsvermögen der beiden Zuschauer beeinträchtigen könnte.

10.) Die beiden Zuschauer sollten das Kino mit einem intellektuell fundierten schlechtem Gewissen bzw. unbestimmbaren aber bundesrepublikanisch gefärbten Schuldgefühlen verlassen. Dieser Effekt wird am besten durch homöopathisch überdosierte Anspielungen auf die deutsche Geschichte erzielt.

Lesen Sie demnächst hier: "Wie man sich als richtig deutscher Zuschauer verhält..." (Auswertung der Umfrage unter den beiden Zuschauern.)










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Published on February 25, 2013 12:22
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über Bücher, Filme und Publikationen

Albrecht Behmel
Albrecht hat in Heidelberg und Berlin Geschichte, Philosophie und Politik studiert. Seit 1999 ist er Autor für Film, Print, Radio und TV, unter anderem für UTB, SR, ARTE, Pro7Sat1 und den RBB. Er lebt ...more
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