Fallendes, stürzendes Wasser

Da es in Südtirol heiß bleibt, aus meiner Sicht unangenehm heiß bleibt, aber bitte, es ist Sommer und wir sind im Süden, es passt also schon, da ich mich aber dennoch nicht braten lassen möchte wie eine deutsche Wurst auf dem obligatorischen Grill im Garten, fahren wir aus Kaltern rauf zur Rastenbachklamm. Dort ist es tiefschattig und angenehm dunkelwaldig. Der feine, wabernde Sprühnebel des spritzenden Wassers vom wild strudelnden Bach kühlt zusätzlich.

Schon das Geräusch des unentwegten Plätscherns nimmt einem den Hitzedruck der sengenden Sonne, der im Städtchen für mich schier unerträglich war. Man atmet gleich wieder etwas tiefer. Es kommt mir fast vor, als würde ich jetzt überhaupt erst wieder atmen. So fühlt es sich tatsächlich an. Es ist ein ausgesprochen linderndes Geräusch, dieser Klang fallenden, stürzenden Wassers.

„Und kecker rauschen die Quellen hervor.“ Da ist man dann auf einmal bei Mörike angekommen und bei einem Adjektiv, das längst aus der Mode gekommen ist.

„Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.“

Aber so spät ist es zur Stunde unseres Ausflugs nicht, mir geht die Lyrik etwas vor.

Es ist jedenfalls überaus angenehm dort unten, in dieser tief in die Felsen geschnittenen Klamm, die sich bis hinunter zum See erstreckt. Man kann eine ganze Weile im etwas dämmerigen Licht der Schlucht herumgehen, stundenlang kann man das. Dem Wasser folgend abwärts oder ihm entgegen wieder hoch, was längst nicht so mühsam ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Die Herzdame auf einem metallenen Steg über den Bach in der Rastenbachklamm, unter ihr sprudelndes, stürzendes Wasser

Die Schrittzählerapp vermeldet hinterher, ich sei 35 Stockwerke gestiegen, das könnte ein Rekord für mich sein. Aber es hat wohlgetan und war bei weitem nicht so sportlich, wie es klingt. Es passt dann noch weiteres Programm in den Ferientag.

Man braucht auch keine besondere Ausrüstung für den Weg dort unten. Es ist alles keine ernsthafte Herausforderung, es ist eine eher angenehme Bespaßung. Was allerdings die überwiegende Mehrheit der Besucherinnen nicht davon abhält, in teils dramatisch überkandideltem Outfit dort zu erscheinen. Als sei die Klamm eine hochalpine Herausforderung und nicht etwa ein freundlich ausgebauter und vielfach abgesicherter Spazierweg mit ordentlich Gefälle.

Der durch Geländer gesicherte Weg durch die Rastenbachklamm

Praktisch alles, was auf den Wegen dort an Kleidung getragen wird, trägt ein „Funktions-“ vorweg im Namen und war vermutlich recht teuer, war auf jeden Fall aus dem Handel für den Spezialbedarf. Ich finde es faszinierend, wie das einen Markt belebt, dessen Erfolg zu einem erheblichen Teil darauf beruhen wird, dass man nur meint, ihn zu brauchen.

Obwohl man, wenn man nicht eben auf Gipfeln herumkraxelt oder wochenlang durchwandert oder radelt, auf ihn auch ebenso gut verzichten kann.

Wie wir uns nun schon seit etlichen Jahren immer wieder erneut beweisen und daher mit Überzeugung aussagen können, was wohl fast alle überraschen wird, unserer Beobachtung nach: Es ist möglich, Südtirol als Durchschnittstourist zu bereisen, ohne sich speziell dafür auszurüsten.

Normale Hosen erfüllen ihren Zweck auch dort unten einwandfrei. Man zieht sie morgens an und abends wieder aus, man geht zwischendurch in ihnen herum, es läuft. Ebenso verhält es sich mit T-Shirts, Hemden, Unterwäsche und Schuhen. Wirklich.

Man kann es von der Ferienwohnung zur nächsten Pizza im Ort einwandfrei ohne Wanderschuhe schaffen. Wir haben es mehrfach gewagt und gewonnen.

Eine metallene Stele mit der Inschrift

Am nächsten Tag fahren wir mit der Mendelbahn hinauf zum Pass. Wir haben da oben kein besonderes Ziel. Wir haben nicht einmal recherchiert, die Hitze macht mich nachlässig, unkonzentriert und etwas unmotiviert. Uns fehlt jeder Ehrgeiz, auf dem Berg etwas erleben zu müssen. Wir haben uns nur gedacht, wenn es da schon diese Seilbahn gibt, eine der steilsten in Europa, das immerhin lese ich während der Fahrt nach, und wenn der Fahrpreis doch im Ferienwohnungspreis mit drin ist – dann macht man das eben auch einmal.

Lose vereinbaren wir während der Fahrt nur, oben etwas herumzuwandern, wenn wir einen Weg mit viel Schatten finden. Und nur dann.

Diesen Weg finden wir aber nicht, wobei unsere Bemühungen als schnell endenwollend zu bezeichnen sind. Denn die Sonne brennt immer weiter, und obwohl es oben etwas weniger heiß als unten ist, kann man sich gar nicht so viel eincremen, wie man es an solchen Tagen müsste. Unentwegt müsste man sich das ekelhafte Zeug in Mengen auf den Körper kippen. Ich hasse Sonnencreme auf der Haut, die ganze Familie hasst Sonnencreme. Dafür verwenden wir sie immerhin äußerst vernünftig, wahre Muster an Selbstüberwindung.

In meinem Kopf singt es auf dem Weg durch die Sonne schon wieder, nicht recht zur gebirgigen Gegend passend: „Brennend heißer Wüstensand, fern, so fern dem Heimatland …“

Was soll man machen gegen seine Stimmen und Gesänge im Hirn. Sie albern und tollen herum, sie brabbeln und singen irgendwas und scheren sich nicht um Logik, Dezenz und Harmonie. Es ist ihnen egal, was zu was passt, sie folgen eigenen Regeln oder keinen.

„Kein Gruß, kein Herz
Kein Kuss, kein Scherz
Alles liegt so weit, so weit.“

Denke ich so, immerhin nur innerlich singend, und besehe mir die fantastische Aussicht.

Am besten ist der alte Freddy-Quinn-Song natürlich in dieser Version hier.

Wir suchen den Wanderweg kurz darauf nicht weiter, wir suchen lieber Eis und Schatten.

Ein kleiner Eisbecher (Schokolade und Walnuss) vor der Aussicht vom Mendelpass, der Hintergrund ist unscharf

Und sehen nur nebenbei, dass dort oben mehrere Gebäude, fünf oder noch mehr, besonders große Gebäude in einigermaßen ehrwürdiger Grand-Hotel-Anmutung, wohl seit Jahren schon leerstehen, verfallen, längst zu Lost Places geworden sind.

Schöne Gebäude sind das, waren das. Erstklassige Filmkulissen wären es immer noch und falls jemand die Story kennt, warum an einem attraktiven Ausflugsziel so vieles offensichtlich vor die Hunde geht – ich wäre interessiert. Ein Streit der Besitzerinnen, ein Unternehmensschicksal, die Pandemie? Was steckt dahinter?

Wir spekulieren herum und schleichen um die Ruinen, die uns noch mehr begeistern als die Landschaft. Es ist gegenüber den Bergen und dem Panoramablick nicht fair, aber wir mögen nun einmal Gebäude und Geschichten.

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Gehört: Der letzte Zug nach Auschwitz – Vor 80 Jahren enden Deportationen aus Belgien, eine Sendung vom Deutschlandfunk.

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Published on August 06, 2024 22:08
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Maximilian Buddenbohm
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