Sigrid Undset: Viga-Ljot und Vigdis

Lieber Leser,

Sigrid Undset starb vor 75 Jahren. Zur Feier der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hat man einen Roman aus ihrem Frühwerk neu übersetzt: Viga-Ljot und Vigdis. In der Form und Sprache der alten Isländersagas erzählt Undset die Geschichte einer Hassliebe. Schlicht und lebendig entführt sie uns in die Zeit der Wikinger. Vorwort und Klappentext wollen das Buch als feministischen Roman verkaufen, aber lassen Sie sich nicht abschrecken. Der Schein trügt.

Zuerst lernen wir Ljot kennen: Tapfer und tüchtig, aber ein geltungssüchtiger Hitzkopf, verspielt er schnell die Sympathie der Leser. Vigdis dagegen mochte ich nicht, als ich ihr zum ersten Mal begegnete. Mit den Händen im Schoß sitzt sie da, während andere arbeiten. Sie behängt sich mit Gold und Geschmeide, wenn sie nur zum Beerenpflücken geht. Faul und eitel - das lobt der Vorwortschreiber als moderne Frau? Er muss ein schlechtes Bild von uns haben.

Ljot will einen Rivalen übertrumpfen und blamiert sich. Allein im Gegensatz zu ihm beginnen wir, Vigdis zu mögen. Es folgt die Szene, die beider Leben prägen wird: die Vergewaltigung. Monate später kommt Ljot noch einmal zu Vigdis und will sie überreden, mit ihm nach Island zu gehen. Sie sticht mit einem Messer nach ihm. Von da an verfolgen wir ihre getrennten Wege.

Vigdis hat ihre Schwangerschaft versteckt und das Kind ausgesetzt. Als sie erfährt, dass jemand den Jungen gerettet und aufgezogen hat, lässt sie ihren ungewollten Sohn nicht bei der liebevollen Pflegefamilie. Sie holt ihn zu sich, damit er sie später rächen wird. Nach dem Tod ihres Vaters erobert Vigdis sich den Hof zurück - hier sehen wir sie kurz, die starke Frau, die man uns im Klappentext versprochen hat.

Ljot hat unterdessen keine glückliche Stunde. Er sehnt sich nach Vigdis, bereut seine Tat. Auf Betreiben seiner Verwandten heiratet er eine andere. Diese Frau macht ihn sich zu einem guten Ehemann. Ljot wird friedfertig und großzügig. Wir verzeihen ihm. Vigdis kann das nicht. Sie lässt sich vom Hass zerfressen. Obwohl sie als angesehene, große Bäuerin lebt, hat sie menschlich keine Größe gelernt. Zwanzig Jahre nach ihrer letzten Begegnung kommt Ljot zu ihr und will Abbitte leisten. Sie aber verlangt von ihrem Sohn, den Vater, der ihm inzwischen das Leben gerettet hat, zu töten.

Sigrid Undset ist es posthum gelungen, den Feministen von heute eine Figur unterzujubeln, mit der sie sich zunächst werden identifizieren können. Dann aber lehrt uns die Geschichte von Vigdis, dass man auf Hass kein Leben gründen kann. Ein eindrucksvoller Roman, kurz und voller Kraft.

Hochachtungsvoll
Christina Widmann

Viga-Ljot und Vigdis von Sigrid Undset

Original: Fortellingen om Viga-Ljot og Vigdis, erschienen 1909 bei H. Aschehoug & Co.

Neu übersetzt von Gabriele Haefs für Hoffmann und Campe.
Ich danke für ein Rezensionsexemplar.

ISBN: 978-3-455-00612-4

Erhältlich auf Amazon.de.

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Published on September 27, 2019 00:05
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