Maximilian Dorner: Steht auf, auch wenn ihr nicht könnt!

Behinderung ist Rebellion
Lieber Herr Dorner,

ich habe meinen Mann gefragt, ob er sich als Rebell fühlt. Tut er nicht, obwohl er eine Partei wählt, die Abtreibungen verbieten will. Das verlangt Widerstandskraft gegen die herrschende Meinung.

Für Blinde sind Sie als Rollstuhlfahrer nicht zuständig, schreiben Sie. Stimmt, genausowenig wie ein Blinder oder ein Down-Kind für Sie. Behindertengerecht für den Rollstuhl bedeutet noch nicht behindertengerecht für den weißen Stock, und umgekehrt. Sie rebellieren gegen Aktionsgruppen und Beiräte, wo beschlossen und beraten wird, alles behindertengerechter zu machen, und im Flur hängt der Aufzug fest.

Familie ist Zwangsinklusion, wie wahr. Aber man gewöhnt sich daran, keine Schranktüren offen zu lassen, damit keiner dagegen läuft. Ich würde ja Schiebetüren einführen, aber akkurat der Betroffene lässt mich nicht.

Das Leben mit Rollstuhl ist eine Dauerbaustelle, Ihr Manifest auch. Mal wollen Sie den Menschen sehen statt nur der Behinderung und sehen nicht ein, warum sich Rollstuhlfahrer auf der Straße grüßen sollten, wenn sonst auch niemand grüßt. Mal grüßen Sie doch. Das Dilemma bleibt den Blinden erspart. Dafür meinen hier in Spanien meine deutschen Landsleute, wir müssten alle Freunde sein, weil es uns an den Fuß der selben Berge verschlagen hat. Gute Frau, mit Ihnen würde ich in Bayern keinen Kaffee trinken, warum sollte ich es in Spanien wollen?

Unterschiede fallen auf. In einem Buch über Hirnforschung habe ich gelesen, dass wir alle ein Bild vom Durchschnittsmenschen im Hirn haben, errechnet aus allen Leuten, denen wir begegnet sind. Wenn wir jemand Neues kennenlernen, speichern wir nicht dessen Gesicht Punkt für Punkt, sondern seine Unterschiede zu unserem Durchschnittsmenschen. Der größte Unterschied bleibt am besten haften. Wenn das stimmt, müssen wir viele Rollstuhlfahrer, viele Blinde und viele Gehörlose kennenlernen, bevor wir sehen, dass sie außer der Behinderung noch etwas anderes haben, ein Lieblingsessen oder dergleichen. Bei Blinden habe ich es halbwegs raus, seitdem ich jeden Tag einen sehe und gelegentlich zwei oder drei. Ein weißer Stock im Schirmständer fällt mir nicht mehr auf. Stattdessen sehe ich die Leute: Julio ist ein Philosoph, Javier ist Javier und Jan ist ein Aas.

Ihr Manifest in der vorläufigen endgültigen Fassung würde ich am liebsten ganz in diesen Blog hängen, aber ich habe Angst, dass mir der Verlag dann keine Bücher mehr schickt. Drei Sätze darf man zitieren in einer Rezension. Welche drei Punkte soll ich zitieren aus Ihren 52 Forderungen?

1. Ohne Staus und Behinderungen geht es nicht.

38. Jeder, der bei einer Zusammenkunft sagt "Die Gesellschaft muss ...", gibt eine Runde Schnaps aus.

51. Wem einzelne Forderungen nicht passen, streicht diese einfach und schreibt seine daneben.

Verzeihen Sie, dass es in dieser Rezension etwas drunter und drüber geht, Herr Dorner. Ihr Buch springt auch. Ich habe es gerne gelesen. Sie schonen niemanden, erst recht nicht sich selbst, und ringen jeder Situation die Komik ab, notfalls mit Ironie-Warnblinkleuchte.

Ihr Stil gefällt mir, Sie haben noch mehr geschrieben - ich setze Ihre Romane auf die Leseliste.

Hochachtungsvoll
Christina Widmann de Fran

Steht auf, auch wenn ihr nicht könnt! Behinderung ist Rebellion von Maximilian Dorner

Erschienen am 22. April 2019 bei btb. Ich danke für ein Rezensionsexemplar.

ISBN: 978-3-442-75825-8

Erhältlich auf Amazon.de.

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Published on June 01, 2019 07:45
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