Straßenmüll
Jeden Tag gehe ich in die Arbeit. Ich laufe ungefähr 600 Meter zum Bahnhof. Auf diesem Weg liegt Müll. Ich bücke mich. Hebe Zigarettenpackungen auf. Burgerpapier. Zertretene Dosen. Ich trage sie bis zum nächsten Mistkübel und werfe sie dort hinein.
Wenn ich am Abend mit dem Zug ankomme, ist es, als wäre nichts geschehen. Ich hebe leere Jägermeisterfläschchen auf. Plastikflaschen. Taschentücher. Es ekelt mich. Aber mir ist es wichtig, in einer schönen Umgebung zu wohnen. In einer sauberen Umgebung. Nachhaltig.
Ich habe immer gewusst, dass es Menschen gibt, die nicht so denken wie ich. Nicht nur auf Müll bezogen, In den letzten Wochen oder Monaten wurde der politische Diskurs durch die Wahlen angeregt. Durch die „Flüchtlingskrise“ traut sich der Österreicher, wieder frei von der Leber weg zu sprechen. Ich schreibe Flüchtlingskrise absichtlich unter Anführungszeichen. Ja, Flüchtlinge sind hier. Ja, sie kommen. Aber für mich ist keinerlei Krise in Sicht. Ich habe bis jetzt keinerlei Einschränkungen erlebt. Durch Ausländer. Durch Muslime. Von den zahlreichen jungen Männern. Aber auch durch andere gesellschaftliche Randgruppierungen, vor denen Leute fürchten, sie könnten eines Tages nicht mehr zur Randgruppierung gehören, sondern zur Mehrheit werden, um ihre Werte und Traditionen mal ordentlich auf den Kopf zu stellen.
Ich versuche ein Miteinander zu fördern. Mich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Das heißt nicht, dass ich alles gutheiße. Wenn mich jemand nervt, versuche ich dennoch, die Person als Individuum zu betrachten und nicht als Stellvertreter etwaiger Randgruppierungen, denen er angehört – ob nun Ausländer, Homosexueller, whatever. Wir alle besitzen mehr als eine Identität. Das heißt nicht, dass unsere Taten für alle Personen stehen, die ähnliche Identitäten besitzen. Arschlöcher gibt es überall (in der Tat hat ja jeder eins).
In letzter Zeit fällt mir auf, wie der Wille sinkt, sich einander anzunähern, ja, auch zu helfen, um eine schönere Welt zu bewohnen. Trotzig ignoriert man den Müll am Straßenrand. Man hat ihn ja nicht gemacht. Wegräumen soll ihn jemand anderer. Die zahlreichen kleinen Handgriffe, die es einer Gemeinschaft ermöglichen würden, ohne Mühe die Straßen rein zu halten, werden trotzig verwehrt. Genug ist schließlich genug. Für die Einzelperson, die versucht, diese Müllberge zu stemmen, wird es zu einem unmöglichen Unterfangen. Irgendwann bückt man sich selbst nicht mehr danach.
Eine Person allein kann die Welt nicht schöner machen. Und so schlurft man traurig durch Straßen aus Müll, obwohl man so nicht leben will. Die Freude am Helfen verblasst, zurück bleibt traurige Ernüchterung.
Fabrice Monteiro’s garbage garments. http://www.refabdiaries.com/2015/10/fab-fabrice-monteiros-garbage-garments.html


