Narziß und Goldmund
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Lag es daran, daß er auf Wanderschaft lebte und daß die Seßhaften vor dem Leben der Heimatlosen ein Grauen fühlten? Oder lag es allein an ihm, an seiner Person, daß die Frauen ihn wie eine hübsche Puppe begehrten und an sich drückten, dann aber alle zu ihren Männern zurückliefen, auch wenn dort Schläge sie erwarteten?
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er bekam ein zartes Ohr für jede Art von Stimme und lernte bei manchen Frauen schon aus deren Klang unfehlbar ihre Art und den Umfang ihrer Liebesfähigkeit erraten;
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Nie war er in einer solchen Lage gewesen. Es kam vom Sprechen.
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Mit Worten kann ich dir nichts geben! Mit Worten kann ich auch nichts von dir lernen und du nichts von mir.«
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der größte Schmerz und die höchste Wollust einen ganz ähnlichen Ausdruck hat.«
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Als ich das sah, fuhr es in mich wie Feuer, alle meine jahrelangen Gedanken und Träume schienen mir bestätigt und waren plötzlich nicht mehr nutzlos, und ich wußte sofort, was ich zu tun und wohin ich zu gehen habe.
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Im dunklen Brunnenspiegel sah er sein eigenes Bild und dachte, daß dieser Goldmund, der ihn aus dem Wasser anblickte, längst nicht mehr der Goldmund des Klosters oder der Goldmund Lydias sei, und auch schon der Goldmund der Wälder war er nicht mehr. Er dachte, daß er und jeder Mensch dahinrinne und sich immerzu verwandle und endlich auflöse,
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Wenn wir nun als Künstler Bilder schaffen oder als Denker Gesetze suchen und Gedanken formulieren, so tun wir es, um doch irgend etwas aus dem großen Totentanz zu retten, etwas hinzustellen, was längere Dauer hat als wir selbst.
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Es gibt ja manche solche Menschen, welchen es gegeben ist, die Schönheit der Welt tief und groß zu empfinden und in ihrer Seele hohe, edle Bilder zu tragen, welche aber nicht den Weg finden, sich dieser Bilder wieder zu entäußern und sie zur Freude der andern herauszustellen und mitzuteilen.
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Statt Gelehrsamkeit, Mönchsleben und Tugend waren mächtige Urtriebe seines Wesens seine Herren geworden: Geschlecht, Frauenliebe, Drang nach Unabhängigkeit, Wanderschaft. Nun aber hatte er jene Marienfigur des Meisters gesehen, hatte einen Künstler in sich entdeckt, hatte einen neuen Weg betreten und war wieder seßhaft geworden.
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Die Liebe und Wollust schien ihm das einzige zu sein, wodurch das Leben wahrhaft erwärmt und mit Wert erfüllt werden könne. Unbekannt war ihm Ehrgeiz, Bischof oder Bettler galt ihm gleich; auch Erwerb und Besitz vermochte ihn nicht zu fesseln, er verachtete sie, er hätte ihnen nie das kleinste Opfer gebracht und warf das Geld, das er zu manchen Zeiten reichlich verdiente, sorglos weg.
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In der Kunst und im Künstlersein lag für Goldmund die Möglichkeit einer Versöhnung seiner tiefsten Gegensätze, oder doch eines herrlichen, immer neuen Gleichnisses für den Zwiespalt seiner Natur.
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nichts sahen sie, nichts ergriff sie! Alle waren sie vergnügt oder beschäftigt, hatten es wichtig, hatten es eilig, schrien, lachten und rülpsten einander an, machten Lärm, machten Witze, zeterten wegen zwei Pfennigen, und allen war es wohl, sie waren alle in Ordnung und höchlich mit sich und der Welt zufrieden.
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Und so erging es allen und allem, es blühte schnell und welkte schnell hinweg, nachher fiel der Schnee drüber.
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Hätte jemand ihm damals gesagt, es werde ein Tag kommen, da würde Niklaus ihn als seinesgleichen anerkennen und bei der Zunft für ihn den Meisterbrief verlangen, er hätte geglaubt, alles Glück der Welt in Händen zu halten. Und jetzt war es nichts als eine abgeblühte Blume, etwas Dürres und Freudloses.
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So wie dies kleine Wassergeheimnis, schien ihm, waren alle echten Geheimnisse, alle wirklichen, echten Bilder der Seele: sie hatten keinen Umriß, sie hatten keine Form, sie ließen sie nur wie eine ferne schöne Möglichkeit ahnen, sie waren verschleiert und vieldeutig.
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Es führte zu Ruhm und Namen, zu Geld und seßhaftem Leben, und zu einer Verdorrung und Verkümmerung jener inneren Sinne, denen allein das Geheimnis zugänglich ist. Es führte zum Herstellen hübscher kostbarer Spielwaren, zu allerlei reichen Altären und Kanzeln, heiligen Sebastianen und hübsch gelockten Engelsköpfchen, das Stück zu vier Talern. O, das Gold im Aug’ eines Karpfens und der süße dünne Silberflaum am Rand eines Schmetterlingsflügels war unendlich viel schöner, lebendiger, köstlicher als ein ganzer Saal voll von jenen Kunstwerken.
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immer ist er der Gegenspieler und Todfeind des Besitzenden und Seßhaften, der ihn haßt, verachtet und fürchtet, denn er will nicht an all das erinnert werden: nicht an die Flüchtigkeit alles Seins, an das beständige Hinwelken alles Lebens, an den unerbittlichen eisigen Tod, der rund um uns das Weltall erfüllt.
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Jedes Leben wird ja erst durch Spaltung und Widerspruch reich und blühend. Was wäre Vernunft und Nüchternheit ohne das Wissen vom Rausch, was wäre Sinnenlust, wenn nicht der Tod hinter ihr stünde, und was wäre Liebe ohne die ewige Todfeindschaft der Geschlechter?
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Es gibt kein Glück, das lange dauert.
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heulend sang der Tod sein Lied, Goldmund hörte es mit offenen Ohren, mit brennender Leidenschaft.
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Waren am Ende nicht doch die Seßhaften zu beneiden, in ihren hübschen sicheren Häusern, in ihrem befriedeten Bürgerleben, in ihrem beruhigenden und stärkenden Gefühl von Heimathaben, von Zuhausesein in Stube und Werkstatt, zwischen Weib und Kind, Gesinde und Nachbarschaft?
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auch das Traurige verging, auch die Schmerzen und Verzweiflungen vergingen, ebenso wie die Freuden, sie gingen vorüber, verblaßten, verloren ihre Tiefe und ihren Wert,
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alle diese Menschen, sie mochten leben oder tot sein, wußte er in sich innen vorhanden und miteinander verbunden, in seiner Erinnerung, in seiner Liebe, seiner Reue, seiner Sehnsucht. Und wenn morgen auch ihn der Tod holte, dann würde das alles wieder auseinanderfallen und auslöschen, dies ganze Bilderbuch, so voll von Frauen und Liebe, von Sommermorgen und Winternächten. O, es war an der Zeit, noch etwas zu tun, noch etwas zu schaffen und hinter sich zu lassen, das ihn überdaure.
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Entweder lebte man, ließ seine Sinne spielen, sog sich voll an der Brust der alten Eva-Mutter – dann gab es zwar manche hohe Lust, aber keinen Schutz gegen die Vergänglichkeit; man war dann wie ein Pilz im Wald, der heut in schönen Farben strotzt und morgen verfault ist. Oder man setzte sich zur Wehr, man sperrte sich in eine Werkstatt ein und suchte dem flüchtigen Leben ein Denkmal zu bauen – dann mußte man auf das Leben verzichten, dann war man bloß noch Werkzeug, dann stand man zwar im Dienst des Unvergänglichen, aber man dorrte dabei ein und verlor die Freiheit, Fülle und Lust des Lebens.
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Ach, und es hatte dies ganze Leben doch nur dann einen Sinn, wenn beides sich erringen ließ, wenn das Leben nicht durch dies dürre Entweder-Oder gespalten war! Schaffen, ohne dafür den Preis des Lebens zu bezahlen! Leben, ohne doch auf den Adel des Schöpfertums zu verzichten!
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Es schien alles Dasein auf der Zweiheit, auf den Gegensätzen zu beruhen; man war entweder Frau oder Mann, entweder Landfahrer oder Spießbürger, entweder verständig oder gefühlig – nirgends war Einatmen und Ausatmen, Mannsein und Weibsein, Freiheit und Ordnung, Trieb und Geist gleichzeitig zu erleben, immer mußte man das eine mit dem Verlust des anderen bezahlen, und immer war das eine so wichtig und begehrenswert wie das andere!
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Aber ob es nun eine Ewigkeit geben mochte oder nicht: er begehrte sie nicht, er wollte nichts als dies unsichere, vergängliche Leben, dieses Atmen, dieses Zuhausesein in seiner Haut, er wollte nichts als leben.
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Du hast von den ›Urbildern‹ gesprochen, von Bildern also, die nirgends vorhanden sind als im schöpferischen Geist, die aber in der Materie verwirklicht und sichtbar gemacht werden können. Lang ehe eine Kunstgestalt sichtbar wird und Wirklichkeit gewinnt, ist sie schon vorhanden, als Bild in der Seele des Künstlers! Dieses Bild nun, dies ›Urbild‹ ist aufs Haar genau das, was die alten Philosophen eine ›Idee‹ nennen.«
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der Denker versucht das Wesen der Welt durch die Logik zu erkennen und darzustellen. Er weiß, daß unser Verstand und sein Werkzeug, die Logik, unvollkommene Instrumente sind – ebenso wie ein kluger Künstler recht wohl weiß, daß sein Pinsel oder Meißel niemals vollkommen das strahlende Wesen eines Engels oder Heiligen wird ausdrücken können.
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Denn indem ein Mensch mit den ihm von Natur gegebenen Gaben sich zu verwirklichen sucht, tut er das Höchste und einzig Sinnvolle, was er kann.
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wo wir von der Potenz zur Tat, von der Möglichkeit zur Verwirklichung schreiten, haben wir teil am wahren Sein, werden dem Vollkommenen und Göttlichen um einen Grad ähnlicher. Das heißt sich verwirklichen.
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»Du willst eigentlich sagen, daß du vom Denken nichts hältst, wohl aber von der Anwendung des Denkens auf die praktische und sichtbare Welt. Ich kann dir antworten: an Gelegenheiten zur Anwendung unseres Denkens und am Willen dazu fehlt es uns keineswegs. Der Denker Narziß zum Beispiel hat die Ergebnisse seines Denkens sowohl auf seinen Freund Goldmund wie auf jeden seiner Mönche hundertmal zur Anwendung gebracht und tut es zu jeder Stunde. Wie aber sollte er etwas ›anwenden‹, wenn er es nicht zuvor gelernt und geübt hätte.
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Ich dachte etwa so: da nun einmal der Mensch eine zweifelhafte Mischung aus Geist und Materie ist, da ihm der Geist die Erkenntnis des Ewigen öffnet, die Materie aber ihn hinabzieht und ans Vergängliche fesselt, sollte er von den Sinnen weg ins Geistige streben, um sein Leben zu erhöhen und ihm Sinn zu geben. Ich gab zwar vor, die Kunst hochzuachten, aus Gewohnheit, aber eigentlich war ich hochmütig und sah auf sie herab. Jetzt erst sehe ich, wie viele Wege zur Erkenntnis es gibt und daß der Weg des Geistes nicht der einzige und vielleicht nicht der beste ist. Es ist mein Weg, gewiß; ich werde ...more
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Unser Denken ist ein beständiges Abstrahieren, ein Wegsehen vom Sinnlichen, ein Versuch am Bau einer rein geistigen Welt. Du aber nimmst gerade das Unbeständigste und Sterblichste ans Herz und verkündest den Sinn der Welt gerade im Vergänglichen. Du siehst nicht davon weg, du gibst dich ihm hin, und durch deine Hingabe wird es zum Höchsten, zum Gleichnis des Ewigen.
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Es gibt nur einen Frieden, der immer und immer wieder mit unablässigem Kämpfen erstritten wird und von Tag zu Tag neu erstritten werden muß.
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Du siehst nur, daß ich weniger als du Launen unterworfen bin, das hältst du für Frieden. Es ist aber Kampf, es ist Kampf und Opfer wie jedes rechte Leben, wie das deine auch.«
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seit dem Fertigwerden der großen Arbeit war sein Leben in Unordnung, er versäumte die Frühmesse, er war tief unruhig und unzufrieden.
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War der Mensch wirklich dazu geschaffen, ein geregeltes Leben zu führen, dessen Stunden und Verrichtungen die Betglocken anzeigten? War der Mensch wirklich dazu geschaffen, den Aristoteles und Thomas von Aquin zu studieren, Griechisch zu können, seine Sinne abzutöten und der Welt zu entfliehen? War er nicht von Gott geschaffen mit Sinnen und Trieben, mit blutigen Dunkelheiten, mit der Fähigkeit zur Sünde, zur Lust, zur Verzweiflung?
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es war vielleicht nicht bloß kindlicher und menschlicher, ein Goldmundleben zu führen, es war am Ende wohl auch mutiger und größer, sich dem grausamen Strom und Wirrwarr zu überlassen, Sünden zu begehen und ihre bitteren Folgen auf sich zu nehmen, statt abseits der Welt mit gewaschenen Händen ein sauberes Leben zu führen, sich einen schönen Gedankengarten voll Harmonie anzulegen und zwischen seinen behüteten Beeten sündelos zu wandeln.
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Es war vielleicht schwerer, tapferer und edler, mit zerrissenen Schuhen durch die Wälder und auf den Landstraßen zu wandern, Sonne und Regen, Hunger und Not zu leiden, mit den Freuden der Sinne zu spielen und sie mit Leiden zu bezahlen.
»Aber wie willst denn du einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast? Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.«
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