The Reader in Around the World

Nov 17, 2010 Julia rated it it was amazing · review of another edition

Shelves: german-lit, national-socialism

This review has been hidden because it contains spoilers. To view it, click here. Leider hatte ich den Film schon gesehen, bevor ich das Buch gelesen habe, und die Erwartungshaltung, die dieser hervorgerufen hat und die schon bekannte Handlung haben den Überraschungseffekt beim Lesen zerstört, doch dies ist natürlich nicht Schlink anzulasten, der ein - vor allem in Deutschland - mutiges Buch geschrieben hat, das die Nazivergangenheit und die damit verbundenen Schuldgefühle und Topoi einmal anders behandelt.

Ein Heranwachsender verliebt sich in eine vollkommen sinnliche, anson Leider hatte ich den Film schon gesehen, bevor ich das Buch gelesen habe, und die Erwartungshaltung, die dieser hervorgerufen hat und die schon bekannte Handlung haben den Überraschungseffekt beim Lesen zerstört, doch dies ist natürlich nicht Schlink anzulasten, der ein - vor allem in Deutschland - mutiges Buch geschrieben hat, das die Nazivergangenheit und die damit verbundenen Schuldgefühle und Topoi einmal anders behandelt.

Ein Heranwachsender verliebt sich in eine vollkommen sinnliche, ansonsten nicht hervorstechende Frau und sieht diese Jahre nach Ende der adoleszenten Liebesbeziehung bei einem Prozess wieder, bei dem sie als ehemalige Wärterin in einem KZ befragt wird.

Alleine der Schock, jemanden geliebt zu haben, der Mittäter an einer so unbeschreiblich schrecklichen Sache wie dem Tod von hilflos hingemordeten Juden und anderen Feinden des NS-Regimes war, ist typisch für das Dilemma der Nachkriegsgenerationen: Wie soll man den eigenen Eltern und Grosseltern begegnen, die man liebt und deren Schwächen und Stärken man kennt und toleriert, und die eine solche Zeit gelebt haben, egal, ob diese aktiv beteiligt waren oder passiv geduldet haben? Und doch stellt sich Schlink auch der wichtigen Frage, ob die Auflehnung der nachfolgenden Generationen in Deutschland (auch in Österreich natürlich, hier jedoch aufgrund der mangelhaften Aufarbeitung weniger stark ausgeprägten Empörung) wirklich nur auf dem Abscheu gegen die Verbrechen der Shoah beruht oder sich merkwürdig mischt mit dem "normalen" Widerstand gegen Althergebrachtes und den anderen Werten der 68-Generation, die ohnehin mit allem Vergangenen aufräumen wollte. Ist dies "Aufräumen" ein moralisches oder ist es vielmehr doch nur adoleszenter Widerstand gegen die Alten? Eine interessante Frage, die so bisher wenige gestellt haben.

Ausserdem wagt Schlink es, dem Täter ein zwar nicht durchgehend sympathisches, jedoch absolut menschliches Gesicht zu geben: Hannas Sinnlichkeit, ihre Freude an den Büchern, die sie nicht lesen kann und ihre schonungslose Aufrichtigkeit sich selbst und anderen gegenüber sind beindruckend und nicht nur für den Erzähler schwer zu vereinbaren mit einer Person, die dutzende Menschen vielleicht nicht selbst hingerichtet hat, aber doch deren Vernichtung mitangesehen und unterstützt hat. Fast jeder kann sich identifizieren mit dieser Frau, die keinen anderen Weg sah als ihre „Pflicht“ zu erfüllen und die Gefangenen zu bewachen, auch wenn sie selbst längst die Initiative hätte ergreifen können, zu sagen: „Nein, wir lassen sie jetzt gehen“. Sie ist es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen, auch gar nicht in der Lage (dass sie nicht lesen kann, ist der überspitzte Ausdruck des ungebildeten Bürgers, der tut, was die Obrigkeit befiehlt, ohne zu reflektieren oder die Alternativen zu sehen). Sie wird sich ihrer Schuld akut bewusst, als sie im Gefängnis beginnt, Berichte von Betroffenen zu lesen – und das gefällt mir an Schlinks Ansatz: Der Mensch, der liest, ist fähig, sich in andere hineinzuversetzen, er kann sich Informationen beschaffen und kann abwägen und entscheiden – alles in allem also auch eine Hymne ans Lesen und die Literatur als humanisierendes Element.

Auch die Beobachtungen der aufklärerischen Generation der „Aufarbeitung“ sind schmerzhaft gut getroffen und am Schluss schafft es der Autor, Tränen hervorzurufen beim Tod der KZ-Wärterin.

Ein Buch, das die Tragik sowohl von Tätern als auch Opfern und der Söhne und Töchter gut umreisst, gut geschrieben, leider manchmal in der Charakterisierung – für mich – nicht ganz psychologisch nachvollziehbar.
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