Die toten Seelen in Legendäre Länder

Apr 04, 2019 Peter rated it it was amazing · review of another edition

Shelves: classic, ukraine, russia-ussr

Nie und nimmer würde ich mich erdreisten eine Rezension der Toten Seelen zu schreiben. Aber meinem unbändigem Vergnügen bei der Lektüre möchte ich gerne Ausdruck verleihen. Zuerst war ich dem gleichen Missverständnis wie einige Zeitgenossen Gogols aufgesessen und hatte eine Art Geistergeschichte erwartet, wurde aber durch die umfangreichen Erläuterungen belehrt, dass es sich um „Revisionsseelen“, d.h. eine steuerliche Messgröße, handelt. Aus diesem Grunde fehlt in der Neuübersetzung von Vera Bis ...more

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Feb 10, 2019 Hendrik rated it really liked it

Vor etlichen Jahren von mir als eher mäßig unterhaltsam abgelegt, konnte das Buch bei der erneuten Lektüre erheblich in meiner Gunst steigen. Eine Gesellschaftssatire in der fast alle sozialen Klassen des damaligen Russland ihr Fett wegkriegen. Gogol führt uns eine ganze Reihe von Charaktertypen vor (lethargische Gutsbesitzer, korrupte Beamte, …) die zwar seiner Zeit entstammen, aber in abgewandelter Form auch heute noch zu finden sind. Denn es ist die menschliche Natur im ewigen Kampf gegen ihr ...more

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Sep 22, 2024 Sato added it

Umso mehr russische Autoren des 19. Jahrhunderts ich in die Hand nehme, umso mehr etabliert sich in meinem Kopf das Bild einer Abendgesellschaft, vielleicht in einem Wirtshaus oder einer Kneipe, mit mehreren Tischen.

Wer möchte, kann sich zu Tolstoi setzen, ein Tisch, an dem es ein bisschen feiner zugeht und an dem man über Dinge wie Nächstenliebe, Moral und Idealismus philosophiert. Leicht kann es hier passieren, dass der oder die Zuhörende in einen Vortrag über die Rolle von Kirche, Religion u Umso mehr russische Autoren des 19. Jahrhunderts ich in die Hand nehme, umso mehr etabliert sich in meinem Kopf das Bild einer Abendgesellschaft, vielleicht in einem Wirtshaus oder einer Kneipe, mit mehreren Tischen.

Wer möchte, kann sich zu Tolstoi setzen, ein Tisch, an dem es ein bisschen feiner zugeht und an dem man über Dinge wie Nächstenliebe, Moral und Idealismus philosophiert. Leicht kann es hier passieren, dass der oder die Zuhörende in einen Vortrag über die Rolle von Kirche, Religion und Adel gerät. Oder man lässt sich bei Dostojewski nieder, bei dem der Tisch recht abgegriffen erscheint, auf dem vielleicht ein paar Spielkarten herumfliegen und dessen Blick suggeriert, dass er schon so einiges gesehen und erlebt hat. Die Debatte kann bei ihm schnell dramatisch werden und ein Monolog voller Pathos wird sich in jedem Fall anbahnen, über die Widersprüche der menschlichen Psychologie und die Abgründe der Gesellschaft.

Und bei Gogol? Ich stelle mir vor, dass er ein leichtes Lächeln auf den Lippen hat und alle anderen genau betrachtet. Wenn er dann etwas erzählt, ist alles etwas überzeichnet und kann auch mal absurd werden, aber man merkt, dass er ein guter Beobachter ist. Das ist sicher ein Grund, warum sich viele gerne zu ihm an seinen Tisch gesellen, sicher auch um mit ihm über seinen berühmtesten Roman, 'Die toten Seelen', zu sprechen.

Vielleicht wäre ihre erste Frage, warum Gogol beschlossen hat, nur den ersten Teil seines Romans zu veröffentlichen und die Fortsetzung zu verbrennen. Es ist schade, dass aus der ursprünglich geplanten Trilogie nichts wurde. Damit bleibt die Geschichte des Hauptcharakters Tschitschikow, der verschiedene Gutshöfe besucht, um deren Besitzern 'tote Seelen', also verstorbene Bauern abzukaufen, unvollendet. Die beschriebenen Gutbesitzer sind allesamt überstilisierte Repräsentanten bestimmter Charaktereigenschaften. So haben wir unter anderem die alte Frau Korobotschka, die eher misstrauisch und etwas kleinkariert daherkommt, die aber sofort hellhörig wird, wenn Tschitschikow erwähnt, dass er in gehobeneren Kreisen verkehrt. Oder der alte Pljuschkin, ein geiziger Messie, der von den Menschen nicht wirklich etwas wissen will. Allen gemein, genauso wie den Beamten, Anwälten etc. ist, dass sie wenig Individuelles an sich haben.

Sie alle treten Tschitschikow nur zu gerne ihre 'toten Seelen' ab, Bauern, die zwar verstorben waren, für die die Gutbesitzer im damaligen Russland aber nach wie vor eine Kopfsteuer errichten mussten. Die Toten werden damit zu einer käuflichen Ware, die Tschitschikow, seines Zeichens ein schmeichlerischer Emporkömmling, verwenden möchte, um sich illegal zu bereichern. Aber mindestens genauso verwerflich ist die Tatsache, dass Tschitschikow bei der Obrigkeit mit seinem Vorhaben zunächst sehr einfach durchkommt.

Gegen Ende des Romans eröffnet Gogol die These, dass wir doch alle ein bisschen so sind wie Tschitschikow. Es ist diese Sache, dass wir alle sicher schon einmal gemerkt haben, wie anstrengend es sein kann immer alles korrekt zu machen. Vor allem, wenn der Weg des geringeren Widerstandes weit offen steht und von den Mitmenschen bereits beschritten wird. Wenn Gogol also leicht süffisant in den Raum wirft, dass wir doch alle ein bisschen dem Helden seines Romans gleichen, muss ich zähneknirschend zugeben, dass er recht hat.

Was aber ausbleibt, ist eine Lösung des Ganzen. Natürlich ist das der Tatsache geschuldet, dass nur der erste Teil der Trilogie vollständig existiert. Kurzum, es fehlt etwas und ich persönlich finde, das merkt man. Mir ging es wie bei den Romanen von Kafka, dass ich das Gefühl habe etwas Unvollendetes nur schlecht bewerten zu können.

Genossen habe ich die Lektüre von 'Die toten Seelen' nicht wirklich, wenn ich ehrlich bin. Die sehr dominante Erzählstimme war für mich nicht immer gelungen, die Geschichte hatte durchaus ihre Längen und inhaltlich war das Ganze nicht so eindrücklich, wie ich es gerne gehabt hätte. Aber wie gesagt, der Roman ist nicht fertig, also gebe ich Gogol gerne einen Vertrauensvorschuss und glaube daran, dass es in Teil zwei und drei noch ordentlich zur Sache gegangen wäre. Bis dahin gebe ich Dostojewski an seinem Tisch einen aus und spiele eine Runde Karten mit ihm.

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Dec 29, 2023 Babette Ernst rated it it was amazing · review of another edition

Der Antiheld des Buches, Tschitschikow, reist durch die russischen Lande, um tote Seelen zu kaufen, also verstorbene Leibeigene, die noch als lebend registriert sind. Den Grund erfährt man erst im letzten Kapitel des ersten Teils eines auf drei Teile angelegten Romans, der leider unvollendet blieb. Allerdings ist der erste Teil in sich abgeschlossen und lässt sich einzeln lesen. Bei der Konstruktion des Romans soll Gogol Dantes Göttliche Komödie im Sinn gehabt haben mit den drei Teilen Hölle, Lä Der Antiheld des Buches, Tschitschikow, reist durch die russischen Lande, um tote Seelen zu kaufen, also verstorbene Leibeigene, die noch als lebend registriert sind. Den Grund erfährt man erst im letzten Kapitel des ersten Teils eines auf drei Teile angelegten Romans, der leider unvollendet blieb. Allerdings ist der erste Teil in sich abgeschlossen und lässt sich einzeln lesen. Bei der Konstruktion des Romans soll Gogol Dantes Göttliche Komödie im Sinn gehabt haben mit den drei Teilen Hölle, Läuterung und Paradies. Die Hölle im ersten Teil bezieht sich einerseits auf die Abgründe, die sich im Wesen Tschitschikows auftun, andererseits auf das feudale Russland unter Zar Nikolai I.

Die verschiedenen Gutsbesitzertypen, aber auch die Beamten in der Kleinstadt sind so wunderbar satirisch dargestellt, man hat sie direkt vor Augen. Die Leibeigenen spielen keine Rolle, es wird über sie entschieden, sie werden gekauft und verkauft wie Material, ohne sich um die Probleme zu kümmern. Die Beamten sind allesamt korrupt, über Gefälligkeiten und Freundschaften lässt sich viel erreichen, mit Ehrlichkeit nichts.

Mir ist in diesem Buch die Situation in Russland, gerade durch die Satire besonders deutlich geworden. Die Leibeigenen sind vom Gutsbesitzer vollständig abhängig, bei jedem Säufer ohne Verstand für die Wirtschaft haben sie keine Chance, ein auskömmliches, geschweige zufriedenes Leben zu führen. Das Buch ergänzt andere Bücher, die ich zuvor gelesen habe: „Eugen Onegin“ von Puschkin und „Der Verrückte des Zaren“ von Jaan Kross. Letzteres spielt zwar in dem heutigen Estland, aber ebenfalls unter Zar Nikolai I.

Der zweite Teil ist in Fragmenten erhalten geblieben. Es war deutlich zu merken, dass eine plausible Läuterung im Plot schwer umsetzbar war. Dabei sind aber auch hervorragende Beschreibungen zu finden von Gutsbesitzern, die sich um ihre Leute kümmern, von bürokratischer Organisation und misslungener Mitbestimmung und andere schöne Beispiele. In der Beschreibung der Personen und einzelner Situationen ist Gogol ein Meister, eine zusammenhängende Handlung fiel ihm deutlich schwerer, wie mir schien.

Neben der Auseinandersetzung mit dem feudalen Russland finden sich immer wieder Überlegungen, was Russland und die Russen ausmacht, was allgemeingültige Eigenschaften sind. Das ist zu diesem Zeitpunkt des Erwachens eines Nationalgefühls verständlich, wird auch an vielen Stellen satirisch verarbeitet, öffnet aber heute dem Missbrauch des Werkes die Türen. Das allerdings hat Gogol nicht zu verantworten, er hat seiner Zeit den Spiegel vorgehalten und dabei einen großen Lesespaß geschaffen.

Die Bewertung betrifft dabei nur den ersten Teil, da ich den nicht vollständigen Text nicht bewerten will.
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