Braucht es eigentlich noch eine Rezension der drei autobiographischen Romane der dänischen Schriftstellerin Tove Ditlevsen? Die wiederentdeckten Bücher sind wohl derzeit der Liebling der Blogger-Community. Die meisten sind sich einig, dass die Bücher großartig sind. Meine Meinung möchte ich euch nicht vorenthalten.
In „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“ erzählt uns die 1917 in Kopenhagen geborene Autorin von ihrem eigenen Leben. Von ihrem Vater Ditlev, der Sozialist war, häufig arbeitslos und überzeugt, ein Mädchen könne keine Dichterin werden. Ihrer Mutter, die kalt und ichbezogen scheint und mit allerlei Tricks versucht, das Beste aus ihrer trostlosen Familiensituation zu machen.
„Kindheit“ ist mein Favorit der Trilogie. Gleich zu Beginn so voller Melancholie, dass ich zunächst vermutete, die Mutter sei gewalttätig ihren Kindern gegenüber. Wenn ich ein Printexemplar vor mir hätte, ich könnte fast jeden Satz unterstreichen, so wunderbar ist Ditlevsens Sprache. Sie erzählt auch von den anderen Lebenskünstlern im ärmlichen Arbeiterviertel Vesterbro, von Schön-Lili und Krätze-Hans, von den gerissenen Freundinnen, denen die scheue, introvertierte Tove sich unterlegen fühlt.
Im zweiten Teil, „Jugend“ beschreibt Ditlevsen, wie der Titel schon sagt, die Jugendjahre, die Schule musste sie verlassen und arbeiten, sie scheitert als Zimmermädchen, im Büro geht es etwas besser. Derweil schreibt sie ihre Gedichte, über Themen, von denen sie doch noch gar nichts weiß, und die sie trotzdem versucht, zu verkaufen. Auch „Jugend“ ist geprägt von schöner Sprache, aber auch von jugendlichen Entscheidungen, die man nicht immer nachvollziehen kann. Es muss merkwürdig gewesen sein als Jugendliche in Kopenhagen, wenn Tove sich einen Freund zulegt und sich verlobt, ohne verliebt zu sein. Sich zu älteren Männern hingezogen fühlt, die ihr etwas bieten können, was Gleichaltrige nicht liefern können: Bücher, Bildung, die Aussicht auf Veröffentlichung. Über manche Passagen scheint es allerdings nur darum zu gehen, wann Tove denn nun endlich ihre Jungfräulichkeit verliert. Der zweite Band endet mit der bevorstehenden Veröffentlichung ihres ersten Gedichtbandes und der absehbaren Verlobung mit dem 30 Jahre älteren Viggo.
Im dritten Band, „Abhängigkeit“ begleiten wir Tove dann durch mehrere gescheiterte Ehen. Es wurde für mich immer schwieriger, ihre Entscheidungen nachzuvollziehen, ich muss gestehen: Tove war mir nicht länger wirklich sympathisch. Wahrscheinlich sollte ich mehr Verständnis aufbringen, aber es erscheint mir schon problematisch, wie schnell sich Tove in ihre Sucht ergibt und die Menschen in ihrem Leben hinter sich lässt, nur um die Sucht ausleben zu können. Es folgt eine katastrophale Zeit, die Tove nur mit Mühe überlebt.
Versteht mich nicht falsch, auch der zweite und dritte Band sind sprachlich großartig und inhaltlich spannend. Doch an die wunderbare Melancholie von „Kindheit“ kommen beide meiner Meinung nach nicht ganz heran. Die meisten Rezensenten scheinen allerdings die beiden Folgebänder besser zu bewerten als den ersten.
Ist der Hype gerechtfertigt? Unbedingt. Das sind wunderbare Bücher. Die Büchergilde Gutenberg hat nun alle drei Teile in einem Band veröffentlich, was den Geldbeutel schont und mich veranlasst, mir auch eine Printausgabe zu besorgen.
Zu den Hörbüchern: Dagmar Manzel hat eine sehr angenehme Stimme und liest die Bücher sehr einfühlsam. Dialoge sind mitunter etwas ungewöhnlich betont, was mir aber durchaus gefallen hat.