Wenn wir die ökologische Krise verstehen wollen, müssen wir die Arbeitswelt verstehen. Denn es ist die Arbeit, durch die Gesellschaften laut Karl Marx ihren Stoffwechsel mit der Natur vollziehen. Arbeitspolitik ist daher für Simon Schaupp stets auch Umweltpolitik – oder »Stoffwechselpolitik«. Dabei spielt die Natur selbst eine aktive Rolle: Je weiter ihre Nutzbarmachung vorangetrieben wird, desto drastischer wirkt sie auf die Arbeitswelt zurück.
Wie produktiv diese Perspektive ist, zeigt der Soziologe an einer Vielzahl historischer Beispiele: Ohne Moskitos sind weder Aufstieg noch Niedergang der Plantagenwirtschaft zu verstehen. Die Durchsetzung der Gewerkschaften wurde unter anderem durch die neuen Machthebel möglich, welche die materiellen Eigenschaften der Steinkohle den Beschäftigten an die Hand gaben. Und auch das Fließband wurde nicht zuletzt deshalb eingeführt, weil sich in frühen Schlachtfabriken infolge von Streiks verwesende Tierkadaver stauten. Soll die Erderwärmung zumindest verlangsamt werden, setzt dies für Schaupp eine Transformation der Arbeitswelt voraus: Wir müssen die Logik der expansiven Nutzbarmachung überwinden und die Autonomie der Natur ernst nehmen.
Ein Schlüsselgedanke bei Karl Marx bildet den Ausgangspunkt für eine lesenswerte Analyse des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Demnach ist unter dem Begriff Arbeit der „gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur“ zu verstehen – nicht nur die menschliche Tätigkeit oder bloße Produktion. Wir Menschen entnehmen der Natur Ressourcen, die zugleich unsere Lebensgrundlage ausmachen. Ein wechselseitiger Prozess, dessen Intensivierung zentrale ökologische Krisen und einen „Riss“ in eben jenem gesellschaftlichen Stoffwechsel erzeugt. Ein Ungleichgewicht entsteht, dessen Ursache der Autor in einem falschen Verständnis von Natur sieht, deren Autonomie lange Zeit geleugnet und die auf einen rein passiven Hintergrund reduziert wurde.
Dabei erzeugt jeder Eingriff in die Natur eine entsprechende Rückwirkung, die wiederum weitere Folgewirkungen auslöst. Die sogenannte „reaktive Expansion“ – in der Innovationen und technische Entwicklungen zwar kurzfristig Probleme zu lösen scheinen, langfristig aber neue Abhängigkeiten und Risiken schaffen – ist eines der zentralen Motive im Buch. Allerdings kein ganz neuer Gedanke, Ulrich Beck hat ihn vor einigen Jahren bereits in „Risikogesellschaft“ formuliert. Das als Randnotiz, weil mir beim Lesen einige der Ausführungen bekannt vorkamen (u.a. aus „Mensch ohne Welt“ von Alexandra Schauer, die sich gleichfalls auf Beck bezieht).
Anhand anschaulicher Beispiele, wie den Chicagoer Schlachthöfen, der Kohleförderung oder der Automobilindustrie, wird aufgezeigt, dass solche Effekte nicht allein den unmittelbaren Umweltbereich betreffen, sondern auch Fragen der Kapital- und Sozialpolitik berühren. Die Darstellung fand ich insgesamt gelungen, offenbart sie doch die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer modernen Systeme. Worin liegt nun die Wurzel allen Übels und was kann man tun? Laut Schaupp sind die Krisen und Probleme eine Folge der dem Kapitalismus inhärenten Akkumulationslogik. Notwendig sei ein anderes Verständnis von Arbeit und Produktion. Dem Versprechen von gesteigerter Effizienz traut er ebenso wenig, wie „grünem Wachstum“.
Er wirbt daher für die Idee einer „lustvollen Politik der Nutzlosigkeit“ – in der das Ende der traditionellen Arbeit zu einem Gewinn an Lebensqualität führen soll. Das klingt zwar gut, doch bleiben die Ausführungen an dieser Stelle zu vage. Nüchtern betrachtet, handelt es sich um die üblichen Forderungen nach Verzicht und Einschränkungen im Lebensstil. Auch bezweifele ich stark, dass ein konsequenter Klimastreik, d.h. massenhafte Arbeitsniederlegung, tatsächlich ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz sein könnte. Der Schlussteil hat mir angesichts dessen weit weniger gefallen, als jene Kapitel die sich mit der historischen Entwicklung von Arbeit – Mensch – Natur befassen. Positiv dagegenzuhalten ist der Verzicht auf platte Kapitalismuskritik und das Bemühen um eine differenzierte Darstellung.
Interessante Analyse über das Verhältnis von Natur, Produktionsprozess, Arbeit und den Arbeitenden. Zuvorderst geht es um die politische Aushandlung des Stoffwechsels von Mensch und Natur (zum Begriff des Stoffwechsels bei Marx auch interessant: Julian Kuppe - Der materielle Prozess des Privateigentums), der durch Lohnarbeit vermittelt ist und die widerspenstigen Praktiken der Arbeitenden - Größtenteils also eine arbeitssoziologische Analyse. Der Theorieteil ist recht kurz, was nicht unbedingt schlecht ist, jedoch führt es mMn zu kleinen Problemen, da immer wieder anhand von Beispielen die eigenen Begriffe bestätigt werden sollen, die aber nicht wirklich tief ausgearbeitet sind. Teilweise hab ich mich gefragt, ob nicht auch dadurch Begriffe überspannt bzw. kurzgeschlossen werden: Beispielsweise bezeichnet differentielle Nutzbarmachung in einem Kapitel verschiedene Momente kapitalistischer Nutzbarmachung von Natur und im Nächsten auch Rassismus im Betrieben oder Migrationspolitiken als "differnetielle Nutzbarmachung von Körpern". Insgesamt fand ich interessant, dass auch auf die "innere Natur" Bezug genommen wurde, aber hier wirkt es für mich wie ein Kurzschluss, der wenig zum jeweiligen Verständnis beiträgt. Ähnlich auch beim Begriff der Nutzlosigkeit, der einmal für die affektive Subjektivierung vom Arbeitsverhältnis steht und zwei Seiten später dann einfach die Unnutzbarkeit (hier nicht spezifisch-kapitalistische Nutzbarmachung gemeint, sondern "nicht nutzbar") von Land in Folge des Klimawandels meint.
Leseempfehlung! Das Buch hat mein Denken über Arbeit und Natur geprägt. Es erzählt so anschauliche Geschichten, wie Arbeitsprozesse eine lange Kette von Veränderungen in Naturkreisläufen nach sich ziehen und wie die Natur auch umgekehrt die Arbeit/Technik verändert.
Beispiel: Im New York des 19. Jahrhunderts lebten viele Schweine. Die Menschen am Rande der Stadt hielten sie als Haustiere und ernährten sich von ihnen in schlechten Zeiten. Eine klassistische Hygienepolitik der Stadtregierung ließ alle Schweine schlachten. Es verschärfte die Nahrungsmittelkrise New Yorks. Wie organisiert man die Lebensmittelversorgung einer Metropole? Der soziale Druck brachte technischen Wandel hervor. So entstand die Fleischfabrik. Das Fließband erlaubte eine schnelle Schlachtung, bevor das Fleisch verdirbt. Doch wie transportiert man soviel Fleisch wenn es noch keine Kühlschränke gibt? Eis. Die USA haben eine ganze Eisindustrie mit zugehöriger Infrastruktur aufgebaut um Eis aus Grönland abzubauen, das mit Zügen übers Land verteilt die Kühlung von Fleischtransporten sicher stellen konnte. Das Buch blickt aus einer Vogelperspektive auf große Veränderungen der Arbeitswelt, in der sich die Natur neu erschlossen wurde und wie die Natur wiederum auf die Arbeit zurückwirkt.
Simon Schaupp tritt für eine historische Soziologie ein, die elegant in den Epochen springt um Schlaglichter zu präsentieren. Besonders wichtig sind ihm die Geschichten, wo Widerstand von unten organisiert wird, gegen die Nutzbarmachung von Natur und Arbeit (das ist sein wichtigster Analysebegriff). Und wie eng verbunden dieser Widerstand mit den natürlichen Bedingungen ist. Die Makroanalyse wird ergänzt durch einen mikroskopischen Blick auf historische Praktiken: Sklavenaufstände, die sich Malariamücken zu Nutze machten. Die Arbeiterbewegung der industriellen Revolution, die nur entstehen konnte in dem neu erschlossenen Naturraum Bergwerk. Dort konnte man Protest organisieren, ungesehen von den brutalen Kontrollmaßnahmen in den Unterkünften der Arbeiter. Auch die Arbeiter in der Fleischfabrik machten sich die Natur zu Nutze, in dem sie das Fließband stoppten und so das Fleisch verderben ließen.
Schaupp sammelt die Erkenntnisse von vielen Forschungsarbeiten, die es bereits gab und setzt sie zusammen in seinem theoretischen Rahmen. Als Theoriemaus, kam mir die Begriffsarbeit etwas zu kurz. Außerdem wurde der Interpretationsbogen manchmal überspannt. Es ließt sich aber wirklich gut. Storytelling = 5/5
Hervorragende Arbeit, in der sehr überzeugend dargelegt wird, wie die Ausbeutung der Umwelt und die Gestaltung der Arbeitswelt untrennbar zusammengehören. Der Autor greift damit den französischen Ansatz der Produktionspolitik auf und erweitert ihn um den dynamischen Faktor Umwelt. Dieser wird damit nicht mehr bloß als stabile Kontextvariable betrachtet, somit werden die Auswirkungen klarer, die die Ausbeutung von Bodenschätzen auf die Arbeitswelt hat.
Das Werk ist nicht leicht zu lesen, insbesondere die Begriffsbestimmungen zu Beginn. Die historischen Rekonstruktionen sind dennoch gut geschrieben und schlüssig. Eignet sich auch gut als Überblickswerk über die Entwicklung der Arbeit und der Arbeitskämpfe!
Ein tolles Buch, in dem Schaupp erläutert, wie die Themen Arbeitskampf und Ressourcenpolitik zusammenhängen. Es geht vor allem um kapitalistische Ausnutzung (oder Vernutzung, wie Schaupp schreibt) von Ressourcen und Menschen und wie Arbeiter:innen sich gegen diese Ausnutzung zur Wehr setzen.
Sicher kein easy read für Nebenbei, weil das Thema sehr akademisch konzipiert und formuliert ist. Ich nehme mir auch vor, das Buch nochmal zu lesen, weil ich einige Stellen sicher nicht so ganz abgespeichert habe ;)
Aber ich konnte einige spannende Gedanken mitnehmen. Außerdem arbeitet Schaupp mit vielen historischen Beispielen aus der Geschichte der Arbeiter:innen. Besonders nachvollziehbar werden Schaupps Argumente durch Zitate aus Interviews mit Arbeiter:innen, das war super spannend.
Interessant zu lesen und schöne Rekursion auf Marx‘ Schriften zum Stoffwechsel. Das ausarbeiten der Verwobenheit von Ökologie und Ökonomie ist hier sehr gelungen.
Leider teils schlecht zitierte Stellen: 1:1 Übersetzungen nicht als Zitate markieren ist nah am Plagiat. Besonders fiel mir dies bei Stellen auf, wo aus feministischer Literatur übersetzt/kopiert wurde.
Ein Buch welches ganze Kapitel Re/Produktivkräfte(n) und Körperpolitik widmet, sollte die Rolle von Frauen nicht außen vor lassen. Gerade mit Bezügen auf Caliban und die Hexe (Federici), welche Herausarbeitete, wie unbezahlte Care-Arbeit das Fundament des Kapitalismus ist. Während andere Ausbeutungsverhältnisse detailliert analysiert werden, klafft es hier ein dermaßen Loch, dass das Schweigen bedrückend ist. Das ist gerade bei der zitierten Literatur, die eben diese Leerstellen locker füllen können, äußerst bedauernswert. So bleibt trotz des interessanten Themas und tollen Gedanken ein bitterer Nachgeschmack, der etwas von Haupt- & Nebenwiderspruch hat.