Drei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und ein Hund in einer Stadt, in der sich die Tragödie der Welt zur grandiosen Posse verdichtet. Sie alle führt das Schicksal mitten hinein in die Bodenlosigkeit eines umkämpften Großprojekts. Ein Archäologe wird auf eine geheimdiensthaft-kryptische Weise nach Stuttgart gerufen und wittert seine große Chance: Bei Probebohrungen im Schlossgarten wurde eine rätselhafte antike Apparatur gefunden. Ein Durchschnittsbürger, den die Wut über das Leben, seine Ungerechtigkeiten, der Zorn über die Willkür der Mächtigen zum Scharfrichter und Scharfschützen macht: präzise, geduldig, gefährlich. Der Münchner Kommissar Rosenblüt, der auf der Spur eines Falles in seine schwäbische Heimatstadt zurückkehren muss, wo er bereits einmal den hohen Herren zu nahe getreten ist und daher die Stadt eigentlich für immer hinter sich lassen wollte. Und ein Hund, ein rätselhafter, etwas verfetteter Streuner, dessen größtes Talent Heinrich Steinfest in seiner exzellenten, witzigen Sprache so beschreibt: "Niemand konnte so gut sitzen wie er. Eigentlich war es ein ästhetisches Verbrechen, diesen Hund zur Bewegung zu zwingen."
Heinrich Steinfest was born in Albury, Australia in 1961, but grew up in Vienna, Austria, where he lived and worked as a freelance artist until the end of the 90's. He started out as a writer of science fiction stories before he published his first crime novel Das Ein-Mann-Komplott (The One Man Conspiracy) in 1996. He is currently living in Stuttgart, Germany, and received the German Crime Fiction Award several times as well as the Heimito von Doderer Prize in 2010. His book "Ein dickes Fell" (Thick-skinned) was longlisted for the German Book Award.
Heinrich Steinfest sagt selbst: "Dies ist ein Roman über das Vorhaben, eine Stadt zu ermorden. Nie erschien mir die Form eines Kriminalromans passender, zwingender, befreiender."
Wie es Euch vom Buchcover und dem Klappentext gleichsam quasi mitten ins Gesicht springt, geht es um Stuttgart21. Der Krimi ist wundervoll eingebettet in Politik, Korruption, Vetternwirtschaft, Bürgerprotest, Aktivismus, Demos und organisierten Widerstand. Auf welcher Seite Steinfest steht, ist auch sonnenklar, denn keine Figur der herrschenden Kaste ist wohlwollend gezeichnet nur die Polizisten, die aber eigentlich gerade in diesem Fall zwischen den Fronten stehen, haben durchwegs sympathische menschliche Züge.
In der Gestaltung der Story hat sich Steinfest dramaturgisch etwas neues einfallen lassen der idealtypische Krimiplot ist diesmal umgedreht: Das Verbrechen wird aufgeklärt, bevor der Mord passiert. Wie immer strotzt die Geschichte nur so vor grandiosen Ideen: zum Beispiel ein politisch motivierter Attentäter als Heckenschütze, der keinen umbringt, aber dennoch seine Botschaft klar und unmissverständlich deponiert und ein sehr subversiver Aktivist einst auf der Seite der Mächtigen, der überraschend durch eine künstlerische Aktion, Politik und Polizei total ohnmächtig und blöd dastehen lässt. Das ist himmlisch!
Die Figuren sind wieder Mal bis zum Hund in einer Nebenrolle, der sehr philosophische Züge aufweist, total liebevoll entwickelt. Bis eben auf die Politiker, die Mächtigen und ihre Erfüllungsgehilfen, die ja eigentlich gar keine Menschen sind, sondern nur korrupte Hüllen und Karrikaturen von humanen Wesen, was sehrwohl beabsichtigt ist und durch den krassen Gegensatz zum übrigen Personal wahnsinnig gut ins Konzept passt.
Sprachlich ist Steinfest sowieso einer meiner Lieblingsautoren, er konstruiert wortgewaltig und sehr intelligent Wuchtln, Bonmots und Analogien, die man sich allesamt einrahmen und an die Wand hängen möchte.
"....aber die Würde ihrer Erscheinung, die Eleganz, mit der sie ihr Alter und die Wunden ihres Lebens trug, vor allem das Raumgreifende ihrer Bewegungen war unübersehbar. Wobei dieser Griff nach dem Raum eben nicht brutal war wie bei vielen machtvollen Männern, die dem Raum gern ein Leid antun, sondern sie gab dem Raum eine kunstvolle Stütze und verzierte ihn gleichzeitig."
"Lych redete beinahe völlig akzentfrei, da war nichts Bayrisches, keine Kanak Sprak, keine Mischsprache. Da war nur ein kleiner exotischer Klang, der jedem seiner Wörter einen kurzen Stoß verlieh. Wie beim Brustschwimmen, wenn die Beine nach hinten schnellen."
Fazit: Unbedingt lesen, auch wenn man sich mit Stuttgart21 nicht auskennt. Ein absoluter Pageturner spannend, klug, witzig, teilweise extrem realistisch dann wieder total abgedreht, sprachlich wundervoll. Ein echter typischer Steinfest eben in Höchstform.
STEINFEST, Heinrich: „Wo die Löwen weinen. Kriminalroman“, Stuttgart 2011 Von der Aufmachung war mir das Buch unsympathisch. Der Satz eigenartig. Seiten mehr als vollgefüllt. Als ich dann zu lesen begann war ich begeistert. So einen geschliffenen und guten Stil habe ich schon lange nicht gelesen. Ein wunderbares, kluges und witziges Buch. Zuerst verwunderte mich das Inhaltsverzeichnis. Es ist angelegt, wie in einem wissenschaftlichen Buch. Ich fragte mich „Was hat das in einem Kriminalroman zu suchen?“ Beim Lesen der Kapitel erkannte ich aber, wie schön und abgeschlossen der Autor die einzelnen Abschnitte angelegt hat. Angenehm für den Leser. Eine schöne Geschichte, ein schönes Märchen, das in der Stadt Stuttgart spielt und das einen Blick auf die heutige Politik wirft. Gemischt mit einer antiken Märchenmaschine. Gemordet wird letztlich nur ein alter Mann. Es ist eine Polizei hier im Spiel, die vorkehrend agiert. Viele Textpassagen sind wunderbar. Nicht alle kann man in so einer Zusammenfassung wiedergeben. Einem Unterweltboss, der eine Bar betreibt legt er diese Worte in den Charakter: „Er war berüchtigt für seinen Sauberkeitsfimmel. Angeblich hat er einem Gast den Arm gebrochen, nur weil der neben das Klo gepinkelt hatte. Nun gut, nicht wenige gequälte Hausfrauen hätten wohl ausgerufen „Brich ihm auch noch die Beine, damit er beim Pinkeln nicht stehen kann.““ (Seite 43) „Dabei hielt sie das Glas in der Hand, als würde sie sich üblicherweise mit Kardinälen betrinken, um auch gleich eine Absolution zu erhalten.“ (Seite 60) „Der Tischler ist in erster Linie an der Qualität des Tisches interessiert, nicht an der Qualität dessen, der einst an diesem Tisch sitzen wird.“ (Seite 63) „Wenn den Leuten angesichts eines Kothaufens die braune Farbe nicht gefällt, muss man den Kot anders anmalen.“ (Seite 245) (Buraimi, 16.09.2011)
Sprachlich fand ich es anfangs unterhaltsam, inhaltlich konnte es mich nicht überzeugen. Zwar wurden die Fakten rund um die Proteste gegen Stuttgart 21 pointiert zusammengefasst, die ausschweifende Lebensgeschichte und Gedankenwelt eines der Protestierenden langweilte mich jedoch so sehr, dass ich keine Lust mehr habe, zu erfahren, wozu das alles dient und wie es ausgehen mag. Das Hörbuch wird vom Autor selber gelesen, was keine gute Wahl war. Er liest holprig, betont Sätze an den falschen Stellen und behandelt Dialoge wie Fließtext. Hätte mich die Handlung mehr interessiert, hätte ich es eher ertragen. Aber so blieb nur der Abbruch.